Читать книгу Geschichte der abendländischen Philosophie - Anthony Kenny - Страница 16
Galilei
ОглавлениеDie Dinge liegen anders, wenn wir uns einem anderen italienischen Philosophen zuwenden, der von der Inquisition verfolgt wurde: Galileo Galilei. Galilei war 16 Jahre jünger als Bruno und wurde 1564 in Pisa geboren, im selben Jahr wie Shakespeare. Er studierte an der Universität seiner Heimatstadt und wurde dort 1589 Professor für Mathematik. Im Jahre 1592 ging er nach Padua und bekleidete dort 18 Jahre lang eine Professur. Er bezeichnete diese Zeit später als die glücklichste seines Lebens.
Obwohl Galilei bereits als junger Mann begonnen hatte, die noch immer dominante Physik des Aristoteles zu kritisieren, tat er dies nicht wie Bruno auf der Grundlage einer neuplatonischen Metaphysik, sondern als Ergebnis von Beobachtungen und Experimenten. Seine Jahre in Pisa wurden für eine Beobachtung berühmt, die er selbst machte, und für ein Experiment, das er wahrscheinlich nicht durchgeführt hat. Bei der Beobachtung der Bewegung eines Leuchters in der Kathedrale von Pisa entdeckte er, dass die Dauer der Schwingung eines Pendels nur von seiner eigenen Länge, jedoch nicht von seinem Gewicht oder von der Auslenkung der Schwingung abhängt. Trotz der Legende ist es so gut wie sicher, dass er keine Kugeln unterschiedlichen Gewichts vom schiefen Turm der Kathedrale hat fallen lassen, um zu beweisen, dass Aristoteles’ Theorie, dass schwerere Körper schneller zu Boden fallen als leichte, falsch ist. Seine zeitgenössischen aristotelischen Gegner haben jedoch ein solches Experiment durchgeführt, und ihre Ergebnisse kamen seiner Vorhersage näher als derjenigen, die sich aus der Theorie von Aristoteles ergab: Eine etwa 50 kg schwere Kugel traf nur wenig eher auf den Boden auf als eine ein Pfund schwere Kugel.
In Padua bestätigte Galilei durch Experimente – anhand von Kugeln, die schiefe Ebenen hinabrollen –, dass Körper unterschiedlichen Gewichts, wenn kein Widerstand auf sie einwirkt, die gleiche Zeit benötigen, um eine bestimmte Entfernung zu fallen, und dass sie im selben einheitlichen Umfang beschleunigt werden. Seine Experimente hatten auch die Tendenz, die Falschheit des für die aristotelische Physik grundlegenden Prinzips zu beweisen, dass sich nichts bewegt, sofern nicht eine äußere Quelle der Bewegung darauf einwirkt. Er behauptete im Gegenteil, dass sich ein in Bewegung befindlicher Körper weiterhin bewegt, sofern nicht eine Gegenkraft, wie zum Beispiel Reibung, darauf einwirkt. Diese These ermöglichte es ihm, auf den Begriff des Impetus zu verzichten, den frühere Kritiker von Aristoteles, wie zum Beispiel Philoponos, eingeführt hatten, um die fortgesetzte Bewegung geworfener Körper zu erklären.12 Dies bereitete der Annahme des Prinzips der Trägheit, das später von Descartes und Newton formuliert wurde, den Weg. Nach diesem Prinzip hat jedes sich bewegende Objekt die Tendenz, sich geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit weiterzubewegen, sofern keine äußere Kraft darauf einwirkt. Galilei selbst hat dieses Prinzip noch nicht formuliert, da er zur Erklärung der Kreisbahn der Planeten postulierte, dass die Trägheitsbewegung wesentlich kreisförmig sei.
Galileis Arbeiten auf dem Gebiet der Mechanik würden ausreichen, ihm einen Platz unter den bedeutenden Wissenschaftlern zu sichern. Darüber hinaus machte er wichtige Entdeckungen auf dem Gebiet der Hydrostatik. Was ihm Ruhm, aber auch Schwierigkeiten einbrachte, waren jedoch seine astronomischen Forschungen. Mithilfe des neu erfundenen Teleskops, dessen Konstruktion er wesentlich verbesserte, konnte er vier Monde des Jupiter beobachten, die er zu Ehren des Großherzogs der Toskana, Cosimos II., als „Mediceische Gestirne“ bezeichnete. Er entdeckte die Gebirge auf dem Mond und die variablen Flecken der Sonne. Diese Entdeckungen bewiesen, dass die Himmelskörper, anders als Aristoteles annahm, nicht aus einer gleichförmigen kristallinen Quintessenz bestanden, sondern aus denselben Stoffarten wie unsere Erde. Er veröffentlichte diese Entdeckungen im Jahre 1610 in einem Buch mit dem Titel Der Sternenbote (Sidereus Nuncius). Das Buch war Herzog Cosimo gewidmet, der ihn umgehend zum toskanischen Hofphilosophen und -mathematiker auf Lebenszeit ernannte.
Wenig später beobachtete Galilei, dass der Planet Venus Phasen durchlief, die denen des Mondes ähnlich waren. Er schlussfolgerte, dass dies nur erklärt werden könne, wenn sich die Venus um die Sonne und nicht um die Erde drehe: Dies lieferte ein überzeugendes Argument zugunsten der kopernikanischen Hypothese. Die Entdeckung der Monde, die sich auf einer Bahn um den Planeten Jupiter bewegten, hatte bereits eines der zwingendsten Argumente, das sich gegen das heliozentrische Weltbild vorbringen ließen, entkräftet: dass sich der Mond nur dann um die Erde bewegen könne, wenn sie selbst stillstehe.
Bei der öffentlichen Darlegung der Schlussfolgerungen, die er aus seinen astronomischen Entdeckungen zog, war Galilei anfänglich sehr vorsichtig. Nachdem eine kirchliche Kommission in Rom seine wichtigsten Beobachtungen offiziell zur Kenntnis genommen hatte, begann er in einem großen Kreis von Freunden, heliozentrische Ideen zu verbreiten, und im Jahre 1613 erklärte er in einem Anhang zu einem Buch über Sonnenflecken, dass er ein Anhänger von Kopernikus sei. In einer Predigt über Apostelgeschichte 1:11 („Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel?“) prangerte ein dominikanischer Mönch in Florenz das heliozentrische Weltbild als den biblischen Texten widersprechend an, wie zum Beispiel demjenigen Text, in dem Josua berichtet, die Sonne habe stillgestanden, damit die Israeliten die Philister vollständig besiegen konnten. Galilei entschied sich, nach Rom zu reisen, um seine theologische Position zu klären.
Schon vorher schrieb er an den − 1930 heiliggesprochenen – einflussreichen jesuitischen Kardinal Robert Bellarmin und behauptete, dass die Autoren der Heiligen Schrift, wenn sie davon sprachen, dass sich die Sonne bewege, lediglich eine gebräuchliche Redeweise verwendeten und nicht die Absicht hatten, Geometrie zu lehren. Bellarmin leitete die Angelegenheit an einen Ausschuss der Inquisition weiter, der entschied, dass die Auffassung, die Sonne befinde sich im Mittelpunkt des Kosmos, ketzerisch und die Meinung, die Erde bewege sich, zumindest ein Irrtum sei. Auf Anweisung von Papst Paul V. belehrte Bellarmin Galilei, dass er keine dieser beiden Auffassungen vertreten oder verteidigen dürfe. Wenn es einen wirklichen Beweis für das heliozentrische Weltbild gebe, sagte er einem von Galileis Freunden, dann müssten wir die biblischen Texte, die ihm zu widersprechen scheinen, neu untersuchen. Nach Lage der Dinge sei Kopernikus’ Theorie jedoch lediglich eine unbewiesene Hypothese. Tatsächlich war Galileis heliozentrisches System, obwohl es den Phänomenen besser gerecht wurde, fast ebenso kompliziert wie das geozentrische System seiner Gegner, da es sich ständig auf Epizyklen berufen musste.13 Das von ihm entdeckte Beweismaterial rechtfertige nicht den Grad der Gewissheit, mit dem er seine These vortrage.
Es wird häufig behauptet, dass Bellarmin in diesem Streit ein besseres Verständnis der Wissenschaftstheorie als der größte Naturforscher des Zeitalters und Galilei ein besseres Verständnis der Bibelexegese als der berühmteste Theologe der damaligen Zeit unter Beweis gestellt habe. Diese paradoxe Formulierung ist zwar der Sache angemessen, doch wird sie den beiden Seiten dieser Debatte nicht wirklich gerecht. Wie immer man diese Sache auch beurteilt: Das Ergebnis war, dass man Galilei, obwohl man seine Schriften nicht verurteilte, für viele Jahre Schweigen auferlegte.
1624 reiste Galilei erneut nach Rom. Paul V. und Kardinal Bellarmin waren mittlerweile gestorben. Die Tiara trug nun ein anderer Papst: Urban VIII., der als Kardinal Barberini Bewunderung für Galileis astronomische Entdeckungen gezeigt hatte. Galilei erhielt die Erlaubnis, eine systematische Abhandlung über das ptolemäische und kopernikanische Weltbild zu verfassen, unter der Bedingung, dass er beide unparteiisch darstellte und das heliozentrische Modell nicht bevorzugte.
Im Jahre 1632 veröffentlichte Galilei mit Zustimmung des päpstlichen Zensors seinen Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme. Ein Teilnehmer an dem Gespräch, Salviati, stellt das kopernikanische System vor und ein anderer, „Simplicius“, verteidigt das überkommene Weltbild. „Simplicius“ war ein passend gewählter Name für den Verteidiger des aristotelischen Weltbildes, da es der Name des bedeutendsten griechischen Kommentators von Aristoteles war. Der Name konnte jedoch auch so verstanden werden, dass er „Dummkopf“ bedeutet, und der Papst reagierte mit blinder Wut, als er feststellte, dass Galilei einige seiner eigenen Worte Simplicius in den Mund gelegt hatte. Nach seinem Urteil hatte Galilei das kopernikanische System in einem vorteilhafteren Licht als das ptolemäische dargestellt und damit die Bedingung verletzt, unter der ihm die Veröffentlichung gestattet worden war. 1633 wurde Galilei nach Rom beordert und vor ein Inquisitionsgericht gestellt. Unter Androhung von Folter zwang man ihn, dem heliozentrischen Weltbild abzuschwören. Er wurde unter Hausarrest gestellt und verbüßte diese Strafe bis zu seinem Lebensende im Jahre 1642, zunächst in den Häusern angesehener Freunde und schließlich in seinem eigenen Haus in Bellosguardo außerhalb von Florenz.
Während er sich unter Hausarrest befand, war es ihm erlaubt, Besucher zu empfangen. Einer von ihnen war John Milton, der in Areopagitica festhielt: „Ich fand und besuchte den berühmten, alt gewordenen Galilei, der dafür von der Inquisition gefangen gehalten wurde, dass er anders dachte als die Franziskaner und Dominikaner, die Lizenzen für Veröffentlichungen vergaben.“ Das neugegründete College in Harvard im Commonwealth von Massachusetts bot ihm eine Gastprofessur an, die er höflich ablehnte. Obwohl er erblindete, setzte Galilei seine schriftstellerische Tätigkeit fort. Die Früchte seiner lebenslangen Arbeit nahm er in die Unterredung und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige auf. Sie wurde 1638 in Leiden veröffentlicht und wurde zum einflussreichsten seiner Werke.
Galilei wurde zwar großmütiger behandelt als Bruno und zahlreiche andere Gefangene der Inquisition, doch spürte man die unheilvollen Auswirkungen seiner Verurteilung in ganz Europa. Die wissenschaftliche Forschung in Italien ging zurück. Milton konnte beklagen, dass dort „jetzt schon seit vielen Jahren nichts anderes“ geschrieben worden sei „als Schmeichelei und nichtsnutzer Schwulst“. Selbst im protestantischen Holland wurde Descartes durch das abschreckende Schicksal Galileis an der Veröffentlichung seiner eigenen wissenschaftlichen Kosmologie gehindert. Als Papst Johannes Paul II. 1992 öffentlich zugab, die Kirche habe Galilei Unrecht zugefügt, kam diese Entschuldigung 350 Jahre zu spät.