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12 Walter Calé (1881-1904)

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1904

22 Jahre - Freitod

Dieser kindlich-scheue Mensch, dem nachgesagt wurde, dass eine zurückhaltende Art und ein universelles Allgemeinwissen typisch für ihn waren, musste früh erwachsen werden.

Sein Vater starb, da war er 12. Sicher auch aus einem gewissen Pflichtgefühl der Familie gegenüber heraus begann er, nach der Schule Jura zu studieren, um eines Tages ein gesichertes Einkommen zu erhalten. Aber wie viele Dichter haben das nicht versucht. Jura! Dass ihm die Rechtswissenschaften nicht lagen, beschämte ihn – dass er sein Studium abbrach, um sich der Philosophie zu widmen, noch mehr. Ihm fehlte leider die Kraft, über seinen eigenen Schatten zu springen und selbstbewusst zu sagen: „Ja, ich habe Talent zum Schreiben“.

Der Zwiespalt - Realität (das Äußere) und seine innere Vorstellung - zerrissen die junge Seele, die letztendlich ihre Auflösung nur im Freitod fand.

Geboren wurde der deutsch-jüdische Schriftsteller in Berlin, hier (und teilweise in Freiburg im Breisgau) hatte er die Universität besucht. Die Öffentlichkeit mied er weitestgehend, auch deshalb war er wohl als Künstler bis zu seinem Tode eher unbekannt. „Unsere bis oben hin geschlossene Kleidung, die nichts vom Körper sehen lässt, findet ihr Gegenbild in unsrer konventionellen Sprache, in der sich die ursprüngliche Empfindung nicht sehen lassen darf: Nur in andeutenden Lauten flüstert sie unter dem eigentlichen Gespräch hin; und darum ist Ibsen der Dichter der Zeit, weil er dies weiterzugeben vermochte: die konventionelle mit der ausweitenden Symbolik des darunter Hintönenden; er hat das Symbolische des modernen Kostüms entdeckt“. So Calé.

Seine Gedichte brauchen einen Vergleich mit den Großen seiner Zeit jedoch in keinster Weise zu scheuen – sie zeugen von einer düster-traumhaften Geschmeidigkeit, die seine oft vorherrschende Melancholie offenlegt.

Auffallend – oder doch nur Zufall? – ist, dass Calé im selben Jahr wie sein 23-jähriger Dichterkollege Otto Weininger in den Freitod ging. Hatte er sich durch die Tat des anderen leiten lassen, denselben Schritt zu wagen (immerhin liegt kaum ein Monat zwischen dem Tod von Weininger und dem von Calé)?

Fakt ist: Als er am 3. November 1904 Selbstmord beging, hatte er den Großteil seines literarischen Werkes vernichtet. Seine Selbstkritik war so groß gewesen, dass er verzweifelt versucht hatte, ausgeliehene unveröffentlichte Stücke von Freunden zurückzufordern – Gott sei Dank nicht immer erfolgreich. Nur so konnte der Nachwelt ein Teil seines Schaffens erhalten bleiben. 1907 hatte der

S. Fischer Verlag auf Drängen seines Bruders und eines Freundes Calés sein erhaltenes Werk in den „Nachgelassenen Schriften“ abgedruckt und so der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Seither wurden seine Texte vertont (z.B. von Julius Weismann, Karl Weigl) und rezitiert, von vielen bestaunt. Seine romantisch angehauchte Lyrik klingt wie zarte Musik.

Encore Nun bist du ruhig, liebes Herz. Die Schmerzen gleiten nur so von weitem noch heimatwärts. Das waren trübe Zeiten. Der Mond wacht schon am Himmel lang. Mir quillt versonnen aus Seelenbronnen ein kühler Sang von neuen lieben Wonnen. Was sing' ich denn die trübe Nacht? Lasst uns doch warten! Bald kommt in Fahrten von hoher Pracht der Tag in unsern Garten. Die böse Sehnsucht ist mir tot. Der Tag will schlingen um mich ein Klingen. Glück wuchs aus Not. Wie will ich fröhlich singen!

Ein Herz erlischt

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