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2 Romantik (ca. 1795-1835)

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Die geschichtlichen Hintergründe, die viele Autoren zur Lebensphilosophie und Ausdrucksweise der Romantik ge- und verführt hatten, sind nicht nur in der französischen Revolution (1789) und der aufkommenden Industrialisierung mit ihrer einhergehenden Geschwindigkeitszunahme im Alltag zu finden. Nicht zuletzt sind sie auch in der fatalen Erziehungsweise der Kinder verankert. Noch um 1800 wurden die Schüler als ungeformte Masse und nicht als eigenständige Personen betrachtet, was natürlich zu Gegenreaktionen der Jugend in Form von Individualismus um jeden Preis (wenn nicht anders möglich, dann durch den Freitod) führte. Die Erziehungsmethoden der damaligen Zeit waren unglaublich streng, wenn nicht sogar grausam. So waren Lehrer berechtigt, die Schüler zu schlagen und zu demütigen, wenn sie nur glaubten, dass die Kinder entgegen den Vorstellungen der Eltern – heißt: im eigenen Interesse – handelten und somit versuchten, ihnen „die Herrschaft zu rauben“. In der Romantik brach die Jugend das gesellschaftliche Korsett – die Strenge mit all ihren Grenzen – auf und lebte zum ersten Mal das Unbekannte der menschlichen Psyche in der Literatur aus. Das war neu!

Interessant wurde plötzlich alles Nicht-Neue: Es wurde in der Literaturhistorie geforscht (die Gebrüder Grimm erstellten Märchensammlungen aus alten Zeiten, Brentano und Arnim verfassten die Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“). Die mittelalterliche Epoche, ihre im 19. Jahrhundert zu Ruinen verkommenen Burgen und das Ideal der reinen Liebe wurden ein Mittelpunkt der romantischen Literaten. So wie die Gesellschaft nach der französischen Revolution geteilt war, erhofften sich die romantischen Autoren durch Rückbesinnung auf die religiösen, mystischen „Wirklichkeiten“ eine Wiedervereinigung der Bevölkerung. Die Romantik glaubte durchaus an die Macht der Intuition, des Erahnens und an das Reich der Fantasie im Traum. Auch die düsteren Teile der Seele wurden beleuchtet und in der Literatur der damaligen Zeit dargestellt.

Ein weiterer Auslöser der Romantik war nicht zuletzt die gestiegene Bildung der Bevölkerung, die sich nun – dank besserer finanzieller Umstände – Bücher und andere Kunstgegenstände leisten konnte und den Grundstock für die weitere Entwicklung legte. Es entstand eine Melancholie (sie ist in vielen Werken der Romantik zu spüren), deren Ursache u. a. in den Karlsbader Beschlüssen (1819) zu finden ist. Die Karlsbader Beschlüsse waren eine Maßnahme der einflussreichsten Staaten im Deutschen Bund unter der Ägide von Metternich zur stärkeren Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen – eine Reaktion aus Angst vor erneuten Revolutionen. Dieser Versuch, das Gedankengut der Dichter einzuschränken und zu begrenzen, ließ die romantische Welle nur noch intensiver werden.

Machte nicht zuletzt auch folgender Satz Friedrich Schlegels die Künstler melancholisch?:

„Die Romantik ist ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters. Sie kann immer nur werden, nie vollendet sein.“

Das heißt, es wurde etwas Unerreichbares angestrebt, und an dem Wissen desselben zerbrachen nicht Wenige. Denn die Romantik war hauptsächlich die Zeit der sensiblen Menschen, Künstler, die das Geschehen ihrer Zeit sehr empfindsam wahrnahmen. Es ist gewiss kein Zufall, dass ausgerechnet in jener Epoche so unzählig viele Suizide geschahen. So hat sich die Zahl der Selbstmorde innerhalb von 50 Jahren fast verdreifacht. Beispiel Preußen: im Jahr 1836 gab es 1.436 Fälle, im darauf folgenden bereits 5.898 (Quelle: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 565-568). Sicherlich sind die Ursachen dieser traurigen Erscheinung nicht nur in den Auswirkungen der Romantik zu finden – trotzdem waren die erhöhten Selbstzweifel und unerreichbare Ideale ein mindestens ebenso großer Anlass für die Entscheidung zum Freitod wie die sozial-politischen Verhältnisse oder ein schlechter Gesundheitszustand. Auch der im 19. Jahrhundert aufkommende Gebrauch von Laudanum – einer Mischung aus Opium und Alkohol, die sogar aufgrund ihrer schmerzlindernden Wirkung von Ärzten verschrieben wurde – führte bei nicht wenigen Dichtern (freiwillig oder unfreiwillig) zu einem frühen Dahinscheiden. Auch Edgar Allen Poe und Percy Bysshe Shelley waren Laudanum-abhängig. Eine weitere Form der Flucht aus der Wirklichkeit?

Der Umgang mit Selbstmördern war in der Gesellschaft klar geregelt. So war es in England noch bis 1832 üblich, die sterblichen Überreste der Selbstmörder, „durch die man einen Stock steckte, durch die Straßen zu ziehen und irgendwo am Wegrand ohne Zeremonie zu verscharren“ (Durkheim 1999, S. 383). Der Holzpflock im Herzen sollte die Seele an den Körper des Verstorbenen binden. Der Aberglaube, dass die Selbstmörder (so genannte „Wiedergänger“) umherirrten und andere zur selben Tat bewegen könnten, führte zu diesem an die Vernichtung von Vampiren erinnerndes Ritual. Sogar eigens für die Toten geschaffene Öffnungen unter der Eingangstür wurden gebaut und anschließend wieder verschlossen, da man glaubte, dass es der Seele des Verstorbenen nur möglich war, auf demselben Wege zurückzukehren.

Die weltflüchtigen Tendenzen der im Anfang des 19. Jahrhunderts ansässigen Künstlergesellschaft sowie die stets vorherrschende Melancholie hatten einen enormen Einfluss auf das Leben der damaligen Zeit. Letztendlich war Goethe der Vater dieser Form. „Die Leiden des jungen Werther“ und ihre bekannten verhängnisvollen Folgen - massenhafte Suizide der jungen Leserschaft - waren eigentlich schon der Beginn der erstmals aufglühenden Gefühle und Leidenschaften der bis dato so in Grenzen und Starrheit gehaltenen Gesellschaft.

Der Kulturzusammenschluss war in der Romantik durch einen regen Gedankenaustausch in häufig von Frauen geführten Salons geprägt. So wurde die Poesie nicht selten vertont (z.B. das Loreley-Gedicht von Heine), und auch in der Malerei wurde das Lebensgefühl der „Romantik“ immer wieder in Vollendung verkörpert.


„Die blaue Blume“ Fritz von Wille (1908)

Ein Herz erlischt

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