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Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern

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In den zuständigen Landesministerien, an den Hochschulen und in den Zentren für die Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren in Deutschland wird seit mehreren Jahren verstärkt darüber diskutiert, inwieweit die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern im Hinblick auf ihre zukünftige Arbeit angepasst und reformiert werden muss. Denn es liegt auf der Hand, dass wohl jeder, der heute ein Lehramtsstudium aufnimmt, in seinem Berufsleben mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben wird, die auf Migrationserfahrungen zurückblicken. Unter dem Stichwort Diversität zielt diese Debatte darauf ab, Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, mit der zunehmenden Unterschiedlichkeit ihrer Schülerinnen und Schüler umzugehen. Diese Heterogenität ergibt sich aber nicht nur aus der Herkunft der Kinder und Jugendlichen, sondern – Stichwort Inklusion – möglicherweise auch aus unterschiedlichem Unterstützungsbedarf. Oder eben, die große Zahl von zugewanderten Flüchtlingen macht das deutlich, aus einer von Flucht geprägten Lebensgeschichte. »Wenn mir das Konzept von Diversität geläufig ist, ist es mir letztlich egal, ob ein Kind aus einer Gastarbeiterfamilie stammt, behindert oder über das Mittelmeer nach Europa gekommen ist«, sagt eine Berliner Lehrerin. »Entscheidend ist, es in seiner Individualität anzunehmen und mein Lehrverhalten auf diese Individualität einzustellen.«

Da die Begegnung mit Schülerinnen und Schülern, die als Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, dennoch zu den wahrscheinlicheren Szenarien zukünftiger Lehrerarbeit gehört, haben viele Bundesländer bereits begonnen, sich auf diese Herausforderungen auch in der Lehrerbildung einzustellen. Eine Ende 2015 veröffentlichte Studie des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Massumi et al. 2015) an der Universität Köln zeigte, dass die Bundesländer zunehmend entsprechende Unterstützungsangebote und auch Fortbildungen für Lehrkräfte und Schulen auf den Weg bringen, das Angebot aber häufig unübersichtlich ist. »Das Thema ist kein Projekt für eine Taskforce auf Zeit, sondern eine langfristige Aufgabe«, sagt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts. »Migrationsbewegungen, wie wir sie gerade erleben, sind ein wiederkehrendes Phänomen. Dieses Thema wird immer wieder und durchgängig eine Rolle spielen. Gerade deshalb sollten auch Mindeststandards für den Schulbesuch neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher entwickelt werden. Die Themen Migration und Deutsch als Zweitsprache müssen noch breiter in der Lehramtsausbildung verankert werden«, so Becker-Mrotzek.

Und zwar durchgängig und möglichst für alle zukünftigen Lehrkräfte verpflichtend, das fordern nicht wenige Expertinnen und Experten und verweisen etwa auf das Beispiel Nordrhein-Westfalens, wo seit 2009 jede angehende Lehrkraft ein Modul Deutsch als Zweitsprache belegen muss. Ab Herbst 2016 stehen in Nordrhein-Westfalen, als Teil des Maßnahmenpaketes für mehr innere Sicherheit und bessere Inte­gration, sechs Millionen Euro zur Verfügung, mit denen an den Universitäten des Landes Lehrkräfte für den Unterricht von zugewanderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ausgebildet werden sollen. Die entsprechenden Qualifikationsangebote sollen im Oktober 2016 anlaufen, die ersten Absolventen dann bereits im Frühjahr 2017 in Schulen und Bildungseinrichtungen aktiv werden. »Die Qualifizierung richtet sich sowohl an bereits tätige Lehrkräfte als auch an Hochschulabsolventen, die in Einrichtungen der Weiterbildung tätig sind oder tätig werden wollen«, sagen die zuständigen Ministerien für Schule und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen. Schulministerin Sylvia Löhrmann: »Damit bieten wir nun eine zügige Nachqualifizierung von Lehrkräften an, die bereit sind, Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten. Denn ein schneller Spracherwerb ist der Schlüssel für eine gelingende Integration.«

Auch in Schleswig-Holstein lässt sich beobachten, wie die gesellschaftlichen Herausforderungen zu einer Änderung der Lehrerausbildung führen. Junge Lehrkräfte, die seit Anfang 2016 ihren Vorbereitungsdienst, also das Referendariat, nach der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung beginnen, können die anschließende Hausarbeit im Rahmen der Staatsprüfung durch ein DaZ-Zertifikat ersetzen. »Wir gehen damit einen bundesweit einmaligen Weg und setzen schon in der Lehrerausbildung einen deutlichen Schwerpunkt bei Deutsch als Zweitsprache«, sagt die schleswig-holstein­ische Bildungsministerin Britta Ernst. »Für unsere Schulen sind die vielen Flüchtlinge eine große Herausforderung. Mit diesen Qualifikationsangeboten wollen wir sie unterstützen und zugleich dafür sorgen, dass die Kinder, die zu uns kommen, eine faire Chance auf eine gute Schulbildung erhalten.« Damit spielt die DaZ-Qualifikation in Schleswig-Holstein zukünftig in allen Phasen der Lehrerausbildung eine wichtige Rolle: Im Studium ist durchgängig das Thema Sprachbildung in sämtlichen Lehramtsstudiengängen integriert, im Referendariat kommt die Option des DaZ-Zertifikatskurses dazu. Der Kurs ist schultypübergreifend konzipiert, erstreckt sich über mehrere Module und wird nach sechs Monaten mit einer benoteten Klausur abgeschlossen. »Damit eine durchgängige sprachliche Bildung an Schulen funktioniert, muss das Thema in allen drei Phasen der Lehrerbildung – vom Studium über den Vorbereitungsdienst bis zur Fortbildung – verankert sein«, heißt es beim Kölner Mercator-Institut, das die Umstellung der Lehrerausbildung in Schleswig-Holstein mit konzipiert und begleitet hat: »Nur so sind Schulen langfristig darauf vorbereitet, neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler aufzunehmen und erfolgreich zum Schulabschluss zu führen.«

Auch einzelne Hochschulen haben mit Blick auf ihre Studierenden und deren Zukunft bereits auf die veränderte gesellschaftliche Situation durch die Zuwanderung von Flüchtlingen reagiert. So hat die Rheinische Wilhelms-Universität in Bonn mit dem Caritasverband Bonn und dem Kommunalen Integrationszentrum des Rhein-Sieg-Kreises beispielsweise eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, die es Studierenden der Philosophischen Fakultät ermöglicht, sich zu Sprachbegleitern für geflüchtete und neu zugewanderte Menschen ausbilden zu lassen. Seit Oktober 2015 gehört das entsprechende Seminar zum Lehrangebot der Abteilung für Interkulturelle Kommunikation und Mehrsprachigkeitsforschung des Instituts für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft. »Die Philosophische Fakultät reagiert damit auf den Wunsch vieler Studierender, sich den eigenen Fähigkeiten entsprechend für Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, zu engagieren«, sagt Dekan Andreas Bartels. Das Angebot richtet sich bewusst auch an Studierende, deren Berufsperspektive nicht unbedingt in einem pädagogischen Arbeitsfeld liegt. Im Seminar werden Methoden zur Sprachvermittlung und Sprachförderung behandelt, die von wichtigen Hintergrundinformationen zu den Herkunftsländern der Flüchtlinge flankiert werden. So erwerben die Studentinnen und Studenten nicht nur unmittelbare Kompetenzen im Bereich der Hilfeleistung, sondern eignen sich auch Wissen über Fluchtursachen und den rechtlichen Status der Neuzuwanderer an und werden für interkulturelle Unterschiede sensibilisiert. Dabei spielen ebenfalls die sozioökonomische Situation der Geflüchteten und deren psychosoziale Verfassung mit traumatischen Belastungen eine Rolle. Abgerundet wird die Ausbildung durch eine Praxisphase in Einrichtungen der Caritas oder im kommunalen Integrationszentrum.

Auch andere Hochschulen engagieren sich im Bereich der Flüchtlingshilfe und kombinieren dabei häufig den Hilfsaspekt für die Zuwanderer mit Qualifikationsangeboten für die eigenen Studierenden. So basteln etwa an der Hochschule Koblenz Flüchtlingskinder im Workshop »beHAUSt sein« zusammen mit Architekturstudenten Spielhäuser, die sie innen und außen nach eigenen Vorstellungen gestalten. An der Hochschule Düsseldorf können angehende Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ihr Praxismodul in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt in der offenen Kinder- und Jugendarbeit mit Flüchtlingskindern absolvieren; der Beginn des Praktikums wurde wegen des großen Bedarfs sogar vorgezogen. Die Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden bietet wegen der stark gestiegenen Zahl von Flüchtlingen für angehende Ärztinnen und Ärzte im Bereich Allgemeinmedizin ab Sommer 2016 erstmals das Wahlpflichtfach »Flüchtlingsversorgung« an. Medizinstudenten arbeiten bereits seit 2015 in der Flüchtlingsambulanz in Dresden mit – bisher allerdings ohne strukturierte Vorbereitung auf die medizinischen und interkulturellen Herausforderungen. Das ändert sich nun durch das neue Wahlpflichtfach.

An der Martin-Luther-Universität in Halle steht ebenfalls der Sprachunterricht für Geflüchtete im Mittelpunkt der Bemühungen: Mit einer neuen Veranstaltungsreihe des Germanistischen Instituts wird ehrenamtlich engagierten Personen, aber auch Studierenden und Dozierenden der Universität das nötige Praxiswissen für den Unterricht und die alltägliche Kommunikation mit Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten und deren Kindern vermittelt. An 15 Terminen geben erfahrene Didaktikerinnen und Didaktiker das Basiswissen weiter, das nötig ist, um Sprachunterricht gestalten zu können, und geben Hinweise, wie man mit den eigenen und fremden Sprachbarrieren umgeht. Dazu gehören neben der Didaktik und Methodik beim DaZ-Lernen auch die Aussprache oder das geeignete Vokabular für eine Basiskommunikation. »Ein Bereich, der bisher völlig unterschätzt wird, ist die Alphabetisierung«, erklärt Deutsch-Didaktiker Matthias Ballod vom Germanistischen Institut. Nicht jeder Mensch, der in Deutschland ankommt, könne überhaupt lesen und schreiben, manche hätten nie eine Schule besucht, ihnen sei jegliches institutionelles Lernen fremd – auch darauf müssen angehende Lehrerinnen und Lehrer vorbereitet sein.

Es bewegt sich also etwas, auch in den Hochschulen und bei den Ausbildungsinhalten für angehende Lehr- und pädagogische Fachkräfte. Doch noch handelt es sich bei diesen Qualifizierungsangeboten allzu häufig um einzelne und optionale Maßnahmen. Es wäre also fatal, erst auf eine flächendeckende Änderung der Studieninhalte zu warten, weil das vermutlich noch einige Jahre dauern könnte. Stattdessen handeln Schulen sowie Lehrerinnen und Lehrer schon jetzt in Eigeninitiative – einfach, weil sie es müssen. Und sie verändern Schule und Unterricht damit wahrscheinlich mehr und nachhaltiger, als es ministerielle Erlasse je könnten.

Die Flüchtlinge sind da!

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