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Am Montagmorgen war sie bereits sehr früh bei ihrem neuen Arbeitgeber und wartete an der Pforte. Der Pförtner hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sie vor sechs Uhr dreißig nicht auf das Gelände lassen dürfe. Kurz vor halb sieben sammelten sich dann auch andere Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem Tor. Es bildeten sich die üblichen Grüppchen, die mit zusammengezogenen Schultern eng beisammenstanden und missmutig den Arbeitstag begannen. Juliane stand alleine und beobachtete die müden Gestalten um sich herum.

»Sind Sie die Neue?«, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrem Rücken fragen. Juliane drehte sich um und blickte in das Gesicht eines Mannes.

»Ja, das stimmt, heute ist mein erster Tag.«

»Na dann, herzlich willkommen. Ich bin Ihr Vorarbeiter und habe Ihre Unterlagen von der Personalabteilung bekommen, inklusive Ihres Bewerbungsfotos.« Er lächelte Juliane freundlich an. Um Punkt halb sieben öffnete der Pförtner das Tor und die Ansammlung der Menschen strömte wie ein kleiner Bach auf das Gelände der Fabrik. Juliane folgte ihrem Vorgesetzten, der sie in den Bereich führte, in dem sie in Zukunft arbeiten würde. Der Vorarbeiter durchquerte mehrere Hallen, in denen sich die Arbeiter anschickten, unterschiedlichste Maschinen in Betrieb zu nehmen. Die Fabrik erwachte zu neuem Leben. Schließlich führte er Juliane in einen Umkleideraum für Arbeiterinnen.

In dem dreimal sechs Meter großen Raum standen rings herum dunkelgrüne Spinde an den Wänden, vor denen einfache Holzbänke aufgestellt waren. »Sie können die Nummer 23 benutzen. Er müsste eigentlich leer sein, sollten Sie noch etwas darin finden, werfen Sie es einfach dort drüben in den Mülleimer.« Der Mann deutete auf einen Korb neben der Tür. »Vielen Dank, haben Sie einen Schlüssel für das Schloss?« Mit einem schnellen Blick hatte Juliane bemerkt, dass alle Spinde mit einem Vorhängeschloss gesichert waren. Jedes Schloss war eingerastet, nur das des Spindes mit der Nummer 23 stand offen.

»Ah ja richtig, Moment, ich hole ihn.«, der Vorarbeiter verließ den Raum und Juliane setzte sich auf die Bank vor ihrem Spind.

›So‹, dachte sie, ›da bin ich nun. Wieder eine neue Firma, wieder ein neuer Job‹. Sie seufzte, ›mal sehen, was mich hier erwartet.‹

»Hier ist er«, der Vorarbeiter betrat erneut den Raum und hielt ihr den Schlüssel hin. Juliane bedankte sich kurz und wartete, bis der Mann den Raum wieder verlassen und die Tür geschlossen hatte. Langsam begann sie, sich umzuziehen.

Ein paar Minuten später trafen andere Arbeiterinnen ein. Sie nickten flüchtig in Julianes Richtung, zogen sich ebenfalls um und begaben sich danach an ihre Arbeitsplätze in der angrenzenden Montagehalle.

Die Firma fertigte, neben vielen Zubehörkleinteilen, Kabelstränge für Pkw. Auf langen Gestellen wurden die Kabel konfektioniert und zu Strängen zusammengebunden. Später würden sie beispielsweise Lampen und andere elektrische Komponenten des Wagens mit Strom von der Batterie versorgen. Besonders empfindliche Stellen wurden durch Schrumpfschläuche fixiert und mit weiteren Ummantelungen vor möglichem Durchscheuern geschützt. Die Enden wurden auf Länge geschnitten und zum Teil mit Steckern versehen. Zur Kontrolle prüften die Mitarbeiter jedes Kabel einzeln auf Durchgang und Widerstand, um Reklamationen auszuschließen. Zum Schluss hoben zwei Arbeiterinnen den gesamten Kabelbaum aus dem Fertigungsgestell und rollten ihn in einem Karton zusammen. Waren zehn Kartons fertig, wurden sie per Hubwagen in einen anderen Bereich der Halle befördert. Hier befand sich eine Abteilung, die mit dem Versand betraut war.

Die Arbeit an sich bereitete Juliane keine Probleme. Sie hatte in ihrem vorigen Job bereits Kabelstränge gefertigt und wusste, dass es auf Präzision und Schnelligkeit ankam. Sie arbeitete zügig und wurde aufgrund ihrer Zuverlässigkeit rasch ein beliebtes Mitglied der Arbeitsgruppe. Eines Abends sprach eine ihrer Kolleginnen sie an.

»Hey, Juliane, hast du nachher Lust auf ein Bier mitzukommen oder bist du heute mit dem Rad da?« Juliane lächelte und nickte der Frau zu, »das Rad steht zuhause, heute Morgen sah es mir zu sehr nach Regen aus. Ich mache mich fertig und komme dann rüber. Bis nachher!«

»Wer weiß, vielleicht kannst du dir ja bald ein Auto leisten. Wir treffen uns im Hahn!«, mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht verschwand die Frau durch die Tür.

Der “Hahn“ hieß eigentlich “Tropfender Hahn“ und war eine Kneipe, die nur zwei Straßen von der Firma entfernt lag. Sie war klein und gemütlich. Karle, ihr Besitzer, hatte sie über die Jahre zu einem Kleinod gemacht, in dem Kuriositäten aus aller Herren Länder zu finden waren. Jeder Gast brachte irgendetwas aus dem Urlaub mit und Karle verewigte es dann an einer der Wände oder an der sowieso schon zu niedrigen Decke. Ab und zu trafen sich die Frauen hier nach der Arbeit, um den Alltagsstress zu vergessen. Juliane freute sich darauf, mit ihren Kolleginnen ein paar Stunden in privater Atmosphäre zu verbringen. Sie mochte jede Einzelne von ihnen. Die kleine, pummelige Petra fischte sich zwischen den Arbeitsschritten immer mal wieder ein Mars oder Snickers aus der weiten Tasche ihres Overalls. Sobald sie sich unbeobachtet fühlte, verschwand der Riegel in ihrem Mund. Sabrina war von Natur aus aufgedreht. Ihr konnte nichts schnell genug gehen. Dann war da noch Monika, deren Fingernägel für den Job immer viel zu lang waren und die ihre blonde Mähne kaum bändigen konnte. Jeder half jedem und unterstütze, wo es nötig war. Sie erfüllten alle Vorgaben und waren auch als Team in der Firma gut angesehen. So gut hatte sich Juliane schon lange nicht mehr gefühlt. Das Arbeiten machte ihr Spaß und sie genoss es, durch ihre guten Leistungen im Vordergrund zu stehen.

Als sie sich umgezogen hatte, machte sich Juliane auf den kurzen Weg zum “Tropfenden Hahn“. Schließlich zog sie die massive, hölzerne Eingangstür auf und sofort schallte ihr ein bekanntes Lachen entgegen. Juliane schmunzelte,

›Sabrina hat sicher wieder einen ihrer Witze zum Besten gegeben‹. Sie drückte sich an dem schweren Vorhang vorbei, der die Kälte draußen und alles andere drinnen halten sollte.

Juliane entdeckte die drei Kolleginnen auf ihrem Stammplatz am hinteren Ende des Lokals. Wie erwartet schüttelte sich Petra gerade vor Lachen. Monika hatte Juliane bereits bemerkt und winkte sie zu ihrem Tisch. Juliane schob sich an anderen Gästen vorbei, die an der Theke saßen, und nickte Karle, der wie jeden Abend an der Bar stand, kurz zu. »Juliane, wo bleibst du denn, wir haben die erste Runde schon hinter uns.« Petra lachte immer noch und Sabrina rückte zur Seite, um ihr Platz auf der Bank zu machen.

»Habt ihr schon gehört, unsere Juli steigt demnächst in die Oberliga auf.« Sabrina machte ein wissendes Gesicht und deutete mit ihrem Daumen auf Juliane, die überrascht die Augenbrauen hochzog.

»Was meinst du damit?«

»Na, was wohl – du wirst Vorarbeiterin!«

»Wie kommst du denn darauf? Wenn, dann würde ich das sicher als Erste erfahren.«

»Meinst du, Juli? Du unterschätzt den Charme unseres blonden Giftes hier.« Mit gespielter Anzüglichkeit zog Sabrina Monika an sich heran, die mitspielte und ihr lachend einen Kuss auf die Wange drückte.

»Im Ernst, wie kommst du darauf?«

»Kannst du dich noch daran erinnern, als ich vorhin bei Stefan im Büro war und meinen Urlaub eintragen wollte?«, Juliane überlegte kurz und nickte dann. »Naja, der Gute konnte seine Augen wieder nicht von denen hier lassen«, sie umfasste ihre üppige Oberweite mit beiden Händen und grinste. Juliane verdrehte die Augen, sie mochte derart eindeutige Anspielungen nicht. »Auf jeden Fall habe ich die Gelegenheit genutzt, um mir seinen Schreibtisch genauer anzusehen und da lag sie, die Stundeneinteilung für den nächsten Monat. Mir ist sofort aufgefallen, dass dein Name unter den Vorgesetzten aufgelistet war. Zwar in Klammern und mit einem Fragezeichen versehen, aber er stand da.« Mit einem Schmunzeln nahm sie ihr halbvolles Glas und leerte es in einem Zug. »Glückwunsch Juli, du hast es wirklich verdient!«, Petra nahm ihre Hand und drückte sie herzlich.

»Na, hoffentlich kennt sie uns dann noch«, Sabrina zwinkerte den anderen zu und lachte. Juliane saß nur sprachlos neben ihren Kolleginnen und musste die Neuigkeit erst einmal verdauen. Sicher, sie erledigte ihre Arbeit schnell und gewissenhaft aber mit einer Beförderung hatte sie nicht gerechnet.

›Mal abwarten‹, dachte sie, ›vielleicht hat sich Monika auch nur verlesen.‹

Juliane trank nie besonders viel und an diesem Abend war sie zu aufgeregt, um sich mit den Kolleginnen auf einen langen Ausklang einzulassen. Bereits nach einem Glas Bier machte sie sich auf den Weg nach Hause. Dort angekommen warf sie ihre Sachen achtlos aufs Bett und zog sich die Wohlfühlklamotten über. Sie bereitete sich einen Früchtetee und setzte sich, eine Decke über die Beine geschlagen, in den Sessel am Fenster. Jetzt, alleine zuhause, stieg die Aufregung erneut in ihr empor. Sie merkte, wie sich beim Gedanken an die neue Position, die vermutlich wirklich auf sie wartete, ihr Nacken verkrampfte und sich die Schultern zusammenzogen. ›Warum bin ich nur so aufgeregt? Eine Beförderung ist etwas Gutes, es gibt keinen Grund sich so unbehaglich zu fühlen!‹ Aber gab es wirklich keinen Grund? Sicher, sie machte ihre Sache gut. Die Vorgesetzten waren zufrieden und hatten das auch des Öfteren durchblicken lassen. Juliane hatte bemerkt, dass die Vorarbeiter ständig unterbesetzt waren. Der Gedanke, dass man sie für diesen Job in Betracht ziehen könnte, war ihr allerdings nie gekommen. Der Job als Vorarbeiter würde nicht nur mehr Geld bringen, er war auch mit einer größeren Verantwortung verbunden. Sie müsste sich über die Einteilung der Arbeiter Gedanken machen und ihre Entscheidungen auch vor ihnen und den Chefs vertreten können. Was würde geschehen, wenn es zu Unzufriedenheit oder sogar Streit kam? Würde sie in der Lage sein, damit klar zukommen, über ihre bisherigen Kolleginnen zu entscheiden, auch, wenn es mal gegen deren Willen geschah?

»Jetzt mach dich nicht gleich verrückt, erst mal abwarten, vielleicht geht alles auch viel einfacher als du denkst«, versuchte Juliane sich selbst zu beruhigen. Der Tee, die Wärme und die Müdigkeit, die sich nach einem arbeitsreichen Tag schnell einstellte, taten ihr Übriges.

Juliane fühlte sich ein wenig schlapp, ein Gefühl, das sie fast jedes Mal an sich bemerkte, wenn sich abrupte Änderungen in ihrem Leben andeuteten. Meist war es nur ein Gefühl, das sich schnell wieder legte, wenn sie sich an die neuen Umstände gewöhnt hatte. Juliane merkte, wie ihr langsam die Augen zu fielen und schlurfte in Richtung Bett. Um noch einen Happen zu essen, war sie vorhin zu aufgeregt gewesen und nun viel zu müde. Morgen, nach einer erholsamen Nacht, würde alles klarer aussehen, das hoffte sie zumindest.

Juliane

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