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In den darauffolgenden Tagen lernte Juliane die Einrichtung besser kennen. Sie freundete sich flüchtig mit zwei weiteren Mädchen ihres Alters an, vermied aber den Kontakt zu größeren Gruppen. Auch den Gemeinschaftszimmern blieb sie fern. Fernsehabende, Schach- und Kartenspiele reizten sie wenig. Meist zog sie sich alleine, mit einem Buch aus der hauseigenen Bibliothek, in ihr Zimmer zurück. Juliane vertiefte sich in fremde Welten, verlor sich darin und kehrte, zu den Essenzeiten, nur sehr ungern in die Wirklichkeit zurück. Wenn sie die Geschichten zusammen mit den Figuren in den Büchern erlebte, fühlte sie sich glücklich. Juliane fühlte sich sicher und geborgen, solange bis sie unterbrochen wurde oder das Ende der letzten Seite erreicht war. Für diesen Fall hatte das Mädchen immer ein weiteres Buch im Schrank. Nichts war schlimmer, als ein Buch an einem Tag zu beenden, an dem die Bibliothek geschlossen hatte. Zum Glück war das nur an zwei Tagen der Woche der Fall. Ihre schulischen Leistungen stabilisierten sich, obwohl ihre Beteiligung am Unterricht, laut Aussage der Lehrer, sehr zu wünschen übrig ließ. Nach zwei weiteren Wochen bekam sie eine Neue auf ihr Zimmer und damit änderte sich schlagartig alles.

Sabine war zwei Jahre älter als Juliane und stellte von vornherein klar, wer das Sagen hatte. Sie nutzte jede Gelegenheit, um Juliane das Leben schwer zu machen. Wenn sie sich zurückziehen wollte, um in Ruhe zu lesen, brachte Sabine einen Jungen mit auf ihr gemeinsames Zimmer. Sie war bereits weiter entwickelt als Juliane und hatte erkannt, welchen Spaß es machen konnte, sich mit Jungen zu vergnügen. Juliane war vierzehn und konnte der Sache nichts abgewinnen. Sie empfand die Versuche mancher Jungen, sich ihr zu nähern, als unangenehm und manchmal sogar abstoßend. Sabine hatte das schnell herausgefunden und zog sie immer wieder damit auf. Auch mit den meisten anderen Jugendlichen kam Juliane nicht besonders gut zurecht. Sie kapselte sich immer weiter ab und wurde schließlich zu einer Außenseiterin, die von einem Teil der Jugendlichen nicht beachtet wurde. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn der andere Teil sie nicht als leichte Beute für Hänseleien betrachtet hätte. Im Laufe der folgenden Monate kam es immer wieder zu Streitereien.

Eines Tages eskalierte die Situation, als Juliane sich gerade in der Bibliothek ein neues Buch ausleihen wollte.

Sie streifte durch die Regale, auf der Suche nach interessantem Lesestoff. Neben Romanen interessierten Juliane Reiseberichte aus fernen Ländern. Es faszinierte sie, sich die unterschiedlichen Orte vorzustellen. Irgendwann wusste sie dann nicht mehr zu unterscheiden, ob sie wirklich dort gewesen war oder den Eindruck nur durch das Lesen bekommen hatte. Die detailreichen Schilderungen in den Büchern taten ihr Übriges, um diesen Eindruck zu verstärken. Juliane blieb schließlich vor einem Regal stehen, in dem Bildbände aus Indochina und Arabien die Reihen zierten. Großformatig prangte die tropische Flora und Fauna auf den Hochglanz-Covern. Gerade wollte sie nach einem der Bände greifen, als ihr die halbe Reihe der Bücher aus dem Regal entgegen fiel. Erschreckt versuchte sie gleichzeitig die Bücher aufzufangen und nach hinten zu springen, was misslingen musste. Mit lautem Gepolter stürzten die Bände auf den Boden. Eines der Bücher hatte Juliane gerade noch am Einband festhalten können. Doch dann sah sie, dass es, aufgrund der einseitigen Belastung, eingerissen war. Mit vor Schreck weit geöffneten Augen stand sie vor dem Haufen Bücher, die, zumeist beschädigt, kreuz und quer übereinander lagen. Zuerst bemerkte sie die Gestalt nicht, die um die Ecke des Regals lugte. Doch dann fiel Juliane die Bewegung aus den Augenwinkeln auf und sie wandte, ansonsten immer noch starr vor Schreck, den Kopf. Dominik, einer der Jungen, der sie in den letzten Monaten am meisten geärgert hatte, trat hinter dem Regal hervor. Mit einem hinterlistigen Grinsen kam er, in der Hand eine Eiswaffel, auf sie zu. Juliane schossen die merkwürdigsten Gedanken durch den Kopf. Wieso waren die Bücher aus dem Regal gefallen? Wieso hatte Dominik ein Eis in der Hand, wo es doch in der Bibliothek strengstens verboten war, zu essen? Dann wurden ihr die Zusammenhänge plötzlich klar und sie fragte sich, warum sie das nicht sofort erkannt hatte. Zu weiteren Überlegungen blieb ihr keine Zeit. Dominik warf das Eis mit einer kurzen Drehung des Handgelenks mitten auf den Stapel Bücher vor Julianes Füssen. Gerade riss sie den Mund auf, um ihn anzuschreien, als Juliane die festen Schritte der Bibliothekarin hörte, die immer näher kamen. Gehetzt blickte sich das Mädchen nach einem Ausweg um, aber es gab keinen. Dominik hatte sich nach seiner Attacke sofort aus dem Staub gemacht.

Juliane hatte nichts anderes erwartet. Bevor das Mädchen einen klaren Gedanken fassen konnte, stürmte die Bibliothekarin um die Ecke des Regals. Mit vor Wut sprühenden Augen starrte sie Juliane an.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Kannst du nicht aufpassen? Ich wusste, dass das irgendwann mal passieren würde, wo du dich immer so lange unbeobachtet hier rumtreibst.« Dann fiel ihr Blick auf das Eis, das langsam begann, an den geknickten Bücherseiten herunterzulaufen. Sie stieß einen Schrei aus.

»Das gibt es doch nicht, ein Eis hast du auch noch mitgebracht, das ist ja wohl das Letzte! Mach, dass du in dein Zimmer kommst. Du hast Bibliotheksverbot!«

Juliane

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