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Das Mädchen hatte seine Sachen ausgepackt und in die dafür vorgesehenen Fächer des Schranks einsortiert. Als die Erzieherin ihr das versprochene Essen brachte, saß sie, mit ausgebreitetem Faltblatt der Einrichtung in den Händen, auf ihrem Bett.

»Ah, wie ich sehe, bist du dabei die Vorschriften zu studieren, sehr gut! Du wirst sehen, es lässt sich hier gut leben, wenn man sich daran hält. Wie ich gehört habe, ist dies die fünfte Einrichtung, in der du untergebracht bist. Bisher soll es Schwierigkeiten mit den anderen Bewohnern gegeben haben. Das sollte in unserem Haus nicht passieren. Hier haben wir scharfe Regeln, was das Miteinander angeht. Jeder, der sie missachtet, wird eine Zeit lang isoliert. Das hat bisher gereicht, um auch die aufrührerischsten Individuen zur Vernunft zu bringen.« Um ihrem Vortrag den nötigen Nachdruck zu verleihen, presste sie ihre Lippen zusammen, zog die Augenbrauen in die Höhe und schob das Kinn vor. Juliane kannte Frauen ihres Schlages. Sie wollten von vornherein klarstellen, wer das Sagen hatte. Es nicht darauf ankommen lassen, dass ein Neuzugang auf die Idee kam, die Grenzen auszuloten. Nicht, dass Juliane die geringste Lust dazu verspürt hätte. Sie brauchte nur eines – ihre Ruhe.

Später nahm sie den Plan des Gebäudes und trat hinaus auf den Gang. Juliane wollte sich einen Überblick verschaffen, sich orientieren. Morgen würde sie den Weg zum Speisesaal finden müssen. Es war immer das Beste, wenn man ohne fremde Hilfe zurechtkam. Die Hilfe von anderen anzunehmen bedeutete, in ihrer Schuld zu stehen. Irgendwann würde diese Schuld eingefordert werden. Diese Lektion hatte Juliane in den vorherigen Heimen gelernt. Sie schlenderte durch die Gänge, warf flüchtige Blicke hinter Zimmertüren und in Gemeinschaftsräume.

Aus einem der Räume schallte weithin hörbares Johlen. Rhythmisches Klick-Klack verriet, was gespielt wurde. Im Vorbeigehen spähte Juliane durch die halboffene Tür in den Raum. In der Mitte stand eine Tischtennisplatte, an der sechs Jungen und Mädchen zusammenspielten. Auf jeder Seite der Platte standen drei Spieler. Der Aufschläger spielte den Ball auf die andere Seite.

Danach lief er ihm rasch hinterher, um sich gegenüber erneut einzureihen. So entwickelte sich ein Rundlauf. Jeder durfte mitspielen, bis er den Ball verfehlte oder die federleichte Kugel aus Zelluloid an der Tischplatte vorbei flog. Danach schlug der nächste Spieler auf. Der Ablauf wiederholte sich, bis nur noch zwei übrig waren. Diese beiden spielten dann um den Sieg. Eines der Kinder hatte Juliane entdeckt und winkte sie ins Zimmer.

»Los mach mit, wir brauchen noch einen Mitspieler!« Juliane schüttelte den Kopf, drehte sich um und schlenderte weiter. Tischtennis war eines der Spiele, das ihr keinen Spaß machte. Entweder schlug sie am Ball vorbei oder traf ihn so unglücklich, dass er die Platte verfehlte. Spiele wie Tischtennis und Federball, für die man eine ausgezeichnete Hand-Auge-Koordination benötigte, lagen Juliane nicht. Sie kehrte auf ihr Zimmer zurück und legte sich hin. Dann fiel ihr Blick auf das zweite Bett.

›Hoffentlich habe ich noch lange meine Ruhe‹, dachte sie. Juliane drehte sich zur Wand, umfasste ihre Knie mit den Armen und schloss die Augen. Die Blicke der beiden Jungen waren ihr nicht entgangen. Sie ahnte, was auf sie zukommen würde und bereitet sich innerlich darauf vor. Es war jedes Mal dasselbe. Man brachte sie in ein anderes Heim, weil Juliane im vorherigen nicht mit den Kindern klargekommen war. Niemand hinterfragte, woran das lag. Es war ihr vierter Wechsel, Juliane hoffte, dass es der letzte bliebe.

Juliane

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