Читать книгу Das geschenkte Universum - Arnold Benz - Страница 17
Vom Protostern zum Stern
ОглавлениеProtosterne sind heiße Gaskugeln. Sie werden durch ihre eigene Kontraktion erhitzt wie jedes Gas, das komprimiert wird. Protosterne strahlen diese Energie an der Oberfläche ab, werden jedoch im Innern mit der Zeit dichter und heißer. Wenn gewisse Schwellwerte überschritten werden, verschmelzen kleine Atomkerne zu größeren. Den Anfang macht das seltene Deuterium, das zu Helium verschmilzt. Später passiert mit Wasserstoff, dem häufigsten Element, das Gleiche, aber mit größerer Wirkung. Aus vier Wasserstoffkernen wird ein Heliumkern. Seine Masse ist leicht geringer als jene der vier ursprünglichen Protonen. Die Differenz in Masse entspricht einer Energie, die als Wärme erscheint. In diesen Vorgängen kommen Kernkräfte zum Zug, welche nukleare Energie freisetzen. Ihr Energiereservoir ist tausendmal größer als die Gravitationsenergie, die bei der Kontraktion frei wird.
Der Wechsel in der Energieversorgung setzt eine neue Entwicklung in Gang: Der Protostern wird zum Stern. Seine innere Energiequelle versorgt ihn über Milliarden von Jahren und ermöglicht ihm einen stabilen Zustand. Bei kleineren Sternen wie der Sonne steigen Magnetfelder aus dem Innern auf, und entladen ihre Energie in der Atmosphäre. Wie später ausführlich beschrieben, wird diese auf mehrere Millionen Grad aufgeheizt und bildet eine Korona. Auch die heutige Sonne hat eine Korona, aber jene eines Jungsternes ist mehr als tausendmal energiereicher. Schuld daran ist die schnelle Rotation, die – wie der Dynamo am Fahrrad – je schneller desto mehr elektromagnetische Energie erzeugt. Damit ein Stern entsteht, müssen alle in der Physik bekannten Kräfte mitwirken: die Kernkräfte, die elektromagnetische Kraft und die Gravitation.
Das wunderbare Zusammenspiel aller Kräfte verändert auch die weitere Umgebung des Sternes. Die Wärmestrahlung der Korona liegt im Röntgenbereich. Sie dringt tief in die Scheibe und Hülle ein und reagiert dort mit Molekülen. Röntgenphotonen, die Lichtteilchen der Röntgenstrahlung, schlagen Elektronen aus den Molekülen heraus. Die befreiten Elektronen besitzen genug Energie, um in weiteren Molekülen dasselbe zu tun. Jedes Röntgenphoton hinterlässt eine Spur von ionisierten Molekülen. Diese sind chemisch äußerst aktiv. Ein durch Röntgenstrahlung dominiertes Netzwerk von chemischen Reaktionen entsteht. Je nach Dichte und Temperatur werden auch gewisse elektrisch neutrale Moleküle auf- oder abgebaut.
Von besonderem Interesse ist das Wassermolekül (H2O). Am häufigsten entsteht es in dunklen Wolkenkernen auf den Staubkörnern und hüllt sie mit einem Eismantel ein. Steigt die Temperatur beim Kollaps auf über minus 170 Grad Celsius, verdampft das Wasser und beginnt, mit anderen Molekülen zu reagieren. Es bildet sich ein chemisches Netzwerk von Reaktionen, in dem Wasser entsteht und wieder zerstört wird, bis sich ein Gleichgewicht einstellt. Die Häufigkeit von Wasser wird von den gegebenen Verhältnissen bestimmt. Von Sternen mit der Masse der Sonne wird Wasser durch UV- und Röntgenstrahlung in Sternnähe bis etwa zur dreifachen Erde-Sonne-Distanz zerstört. Wasser wird nicht direkt in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten, sondern reagiert mit anderen Molekülen, wie mit dem chemisch aktiven, positiv geladenen H3+ und HCO+, die durch hochenergetische UV- und Röntgenstrahlen produziert werden. Nach diesen Vorstellungen dürfte es innerhalb der Jupiterbahn kein Wasser mehr geben. Woher kommt das Wasser auf der Erde? Auch der Planet Mars hat heute noch Wasser unter der Oberfläche und im Polareis.
Es gibt mindestens zwei Möglichkeiten für den Ursprung des Wassers im inneren Sonnensystem, vielleicht auch mehr. Die bekannteste Hypothese sind Kometen, die im äußeren Sonnensystem entstanden und Wasser transportierten. Sie schlugen damals noch häufiger als Asteroiden auf der jungen Erde ein. Zweitens könnte Wasser schon viel früher im Gas des inneren Sonnensystems entstanden sein, als dort die Temperatur minus 20 Grad Celsius überstieg. Nimmt die Dichte im Alter von etwa einer Million Jahren ab und die Röntgenleuchtkraft des Protosterns zu, bilden sich Moleküle, aus denen Wasser auch im Gas der Akkretionsscheibe entstehen kann.13
Wasser ist ein Beispiel, wie Moleküle eine Geschichte durchlaufen, die je nach Distanz zum Protostern verschieden ist. Würden wir diese Geschichte verstehen und könnten wir Wasser und andere Moleküle genügend gut beobachten, wäre es möglich, den physikalischen Zustand von Akkretionsscheiben zu entschlüsseln und seine Geschichte zu rekonstruieren. Die Moleküle und das Verhältnis ihrer Häufigkeiten sind wie Uhren, die uns die Entwicklung anzeigen. Sie würden uns helfen, auch die Geschichte unseres eigenen Sonnensystems zu verstehen. Bis dieser Traum sich verwirklicht, fehlt noch viel. In diesem Jahrhundert sind diesbezüglich große Fortschritte zu erwarten. Vielleicht können wir in hundert Jahren aus Molekülbeobachtungen den Entwicklungsstand von Protosternen und Planeten in benachbarten Molekülwolken ablesen. Die molekulare Entwicklungsgeschichte kann vielleicht auch die Frage beantworten, wie häufig unser Typ von Planetensystem ist. Es sind sogar derart viele verschiedene chemische und physikalische Entwicklungswege von Sternen und Planeten denkbar, dass unser Sonnensystem ein Einzelfall sein könnte. Die Astronomie des 21. Jahrhunderts verspricht so spannend zu werden wie in früheren Jahrhunderten.
Abbildung 6: Der Stern GQ Lupi (mit A markiert im Bild) ist erst eine Million Jahre alt. Er wird von einem zweiten, leuchtschwachen und gleich alten Himmelskörper (b) begleitet, der in Masse nur wenig größer als Jupiter ist. Das Objekt b ist somit wahrscheinlich der erste Planet, der direkt abgebildet werden konnte. Er hat die hundertfache Erde-Sonne-Distanz von seinem Zentralgestirn. Das Bild zeigt seine Wärmestrahlung im infraroten Licht. Der Planet strahlt kräftig, da er noch über 1500 Grad heiß ist und sich seit seiner Entstehung noch nicht vollständig abgekühlt hat (Foto: R. Neuhäuser, Europäische Südsternwarte, ESO).
Der Druck in der Korona des jungen Sternes übersteigt die Schwerkraft. Daher fließt die Korona als starker Sternwind in den Weltraum ab, wird aber durch die magnetische Heizung der unteren Schichten dauernd neu erzeugt. Der Sternwind und die Hochenergie-Strahlungen des Jungsternes tragen, wie bereits erwähnt, die Akkretionsscheibe ab. Winde und Strahlungen reichen aber weiter in den Raum hinaus und pusten auch sämtliche Überreste des ursprünglichen Wolkenkerns weg. Auf diese Weise verhindert der Stern ein weiteres Anwachsen. Dies scheint der Grund zu sein, dass der massereichste Stern im heutigen Universum nur etwa dreihundert Sonnenmassen hat. Ohne diese Selbstregulierung wäre es nicht auszuschließen, dass seine Masse weiter wächst und schließlich, ohne einen Stern zu bilden, die Schwelle zu einem Schwarzen Loch überschreitet. Es ist erstaunlich, wie selten solche kosmischen Missgeschicke sind, vermutlich ereigneten sie sich nur im frühen Universum. Die Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien sind, wie wir später sehen werden, vermutlich Relikte einer früheren Zeit, als die Selbstregulierung der Akkretion noch nicht auf gleiche Weise funktionierte.
Objekte mit weniger als einem Zehntel der Sonnenmasse haben einen zu kleinen Druck, um Wasserstoff zu verschmelzen, und werden nicht zu Sternen. Vom kleinsten zum größten Stern liegt ein Massenunterschied von nur einem Faktor Tausend. Das ist nicht viel in Anbetracht einer Sonnenmasse von zwei Quadrilliarden (2∙1027) Tonnen. Da wären ein paar Zehnerpotenzen mehr oder weniger gut denkbar. Erstaunlich, wie sich die Sternentstehung so reguliert, dass die Sternmasse jene Größe erreicht, bei der Wasserstoff in der richtigen Rate verschmilzt, sodass sich eine stabile Wärmequelle bildet und Leben entstehen kann!