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Unergründliche Rätsel

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Wenn beim Zähneputzen das Wasser aus dem Hahn fließt, versuche ich manchmal aufzuzählen, auf welchen verschlungenen Wegen es zu mir gelangte. Ich bin noch nie in der vom Zahnarzt verordneten Zeit damit zu Ende gekommen. Aus den obigen skizzenhaften Ausführungen geht hervor, dass bei der Entstehung von Sternen und Planeten eine große Zahl von Vorgängen stattfindet und viele Details noch unbekannt sind. Es gibt auch noch eine Fülle offener Fragen, offensichtlich weit mehr als Kant und Laplace vor 200 Jahren hatten. Jede Antwort weckte mehrere neue Fragen. Der Entstehungsprozess umfasst überwältigend viele Vorgänge, die ablaufen müssen, damit sich ein Stern, umringt von einem Planetensystem, bilden kann. Die Erforschung der Stern- und Planetenentstehung scheint unergründlich zu sein.

Man darf mit Recht fragen, ob denn die naturwissenschaftliche Methode zum vollständigen Erklären führe. Offensichtlich wird die Komplexität der Wirklichkeit immer wieder unterschätzt. Der Grund liegt wohl darin, dass in den kontrollierten Laborexperimenten der Physik die Wirklichkeit von der Umwelt isoliert wird. Damit reduziert man die Zahl der interaktiven Mitspieler, und präpariert die Wirklichkeit auf ein handhabbares Maß an Möglichkeiten. Das Beispiel der Sternentstehung zeigt hingegen, welche Fülle von Komplexität sich durch eine Vielzahl wechselwirkender Prozesse bilden kann. Auch wenn wir eines Tages alle Grundgleichungen kennen sollten, würden wir noch lange nicht die gesamte Wirklichkeit verstehen. Es gibt Phänomene, die erst in der Menge auftauchen. Jede Lehrperson am Gymnasium weiß, wie einfach es ist, mit einzelnen Schülern gute Gespräche zu führen, aber wie leicht man die Kontrolle über die Gruppendynamik einer Klasse verlieren kann.

Die gegenwärtige Front der Forschung ist eine Grenze in dauernder Bewegung. Sie dringt immer tiefer ins Verständnis der kosmischen Ursprünge und Vorgänge vor. Wegen der Komplexität des Universums wird diese Grenze nie verschwinden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, es gäbe keine Fortschritte im Wissen, wie Sterne und Planeten entstehen. Im Gegenteil! Es gibt heute weltweit mehrere tausend Forschende, die nur an diesen Themen arbeiten. Den Fachleuten wird jeden Monat der »Star Formation Newsletter« zugeschickt mit Zusammenfassungen und Links zu den neusten Artikeln, die von den Zeitschriften zur Veröffentlichung angenommen wurden. Es sind rund 60 Abhandlungen jeden Monat. Sie lesen sich wie ein spannender Roman, aber meine Zeit reicht oft nur, ihre Überschriften zu lesen und die Zusammenfassungen der interessantesten Beiträge zu überfliegen.

Das Beispiel der Stern- und Planetenentstehung erinnert mich an das Problem bei der Bestimmung der Küstenlänge einer Insel. Misst man sie mit einem Faden auf einer Landkarte, scheint dies kein Problem zu sein. Will man es aber genauer wissen und geht im Freien mit einem Messband an die Arbeit, erhält man eine größere Strecke, weil auch kleinere Einbuchtungen erfasst werden. Die Frage nach der Küstenlänge lässt sich nicht abschließend beantworten, denn es könnte jemand gar mit einer Lupe messen und erhielte wieder ein größeres Resultat. Mikroskope lieferten noch größere Werte. Die Frage lässt sich nur befriedigend beantworten, wenn wir die Skalenlänge angeben, die uns wichtig ist. Wenn wir zum Beispiel die Küste abschreiten wollen, wäre es die Meterskala. Auf die Sternentstehung angewandt, werden wir nie alles verstehen, aber wir müssen es auch nicht. Eines Tages kennt die Forschung vielleicht die Entstehung der Sterne auf einer Detailskala, die befriedigt. Wir werden aber die Sternentstehung nie so vollständig kennen, wie ein Uhrmacher seine Uhr versteht.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war unter Astronomen die Meinung weit verbreitet, dass Sterne zu den einfachsten Objekten gehörten, die im Universum entstehen. Je genauer jedoch die Naturwissenschaften die Wirklichkeit untersuchen, desto rätselhafter erscheint sie. Rätsel sind keine Fingerabdrücke eines Schöpfers, denn diese Rätsel lassen sich im Prinzip lösen. Unerklärtes ist kein zwingender Hinweis auf einen Plan. Die Aussage von Laplace, dass Gott nicht als Erklärungsgrund notwendig ist, wurde nicht widerlegt. Allerdings sind die Prophezeiungen der Aufklärung und die Angst vieler heutiger Menschen unbegründet, die Naturwissenschaften würden einmal alles erklären. Laplace täuschte sich in der Komplexität der Wirklichkeit. Selbst wenn ein Phänomen »mechanisch« erklärt wird, bleibt das Ganze rätselhaft, denn die Erklärung beinhaltet wieder neue Rätsel. Im Wort Rätsel schwingt eine subjektive Komponente mit. Es bleibt für uns ein Rätsel. Dass Rätsel bleiben und immer bleiben werden, kränkt nun aber die naturwissenschaftliche Vernunft. Ein Objekt mit Rätsel bewahrt eine gewisse Distanz, ist nicht vollständig verfügbar und bleibt geheimnisvoll. Diese Distanz verwundert und irritiert. Im ganzen Universum sind bereits 10 Trilliarden (1022) Sterne entstanden. Es ist erstaunlich, dass das Gewöhnlichste im Universum von unergründlicher Komplexität ist.

Im nächsten Kapitel geht es um die Frage, ob es für die astronomische Forschung nicht doch unüberwindliche Hindernisse gebe und wo im Universum die Astronomie auf harte Grenzen stoße.

Das geschenkte Universum

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