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Prolog

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Der Entschluss, Astronom zu werden, reifte in Afrika. Zu dritt waren wir mit einem alten Fiat Topolino südlich von Ouarzazate Richtung Sahara unterwegs. Stunde um Stunde zog sich eine schwarze Teerpiste scheinbar ziellos durch die flimmernde, gewellte Steinwüste. Es war Hochsommer und Schulferienzeit. Ein Jahr vor dem Abschluss des Gymnasiums standen meine beiden Kollegen und ich vor der Berufswahl. Ohne Ende redeten, stritten und palaverten wir über unsere Ziele und Aussichten, über die Welt, über Gott und das Ganze. Haben wir eine Aufgabe? Welche Ziele sind sinnvoll? Was ist der Sinn unseres Lebens, der Menschheit und des Universums? Die Zukunft lag breit vor uns wie die südlichen Ausläufer des Atlasgebirges, die wir im grellen Licht der prallen Sonne Richtung Sahara durchfuhren. Die Straße schien endlos.

Am Straßenrand waren gelegentlich schmucklose Lehmhäuser in die Landschaft eingepasst. Die Herberge schien noch aus der Zeit der Karawanen zu stammen. Was uns als Zimmer angeboten wurde, war ein leerer Raum ohne Betten. So beschlossen wir, stattdessen unter freiem Himmel zu übernachten. Wir fuhren weiter in der menschenleeren Gegend, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwand und uns die Nacht überraschte. Auf einer Anhöhe hielten wir an, jeder suchte sich einen sandigen Platz zwischen den Steinen und hüllte sich in seinen Schlafsack.

Ich liege etwas abseits meiner Gefährten. Es wird angenehm kühl, der Druck der Hitze weicht, die am Tag das Leben zu einem dumpfen Leiden macht. Eine unglaubliche Ruhe breitet sich aus. Es ist still, kein Zivilisationslärm, keine Tiere, kein Säuseln der Luft, nichts. Die Nacht öffnet den Himmel und enthüllt eine fremdartige, überwältigende Sternenpracht. Die Milchstraße zieht sich von Norden bis Süden quer über den Himmel. Weil die Luft völlig klar ist, funkeln die Sterne kaum und glänzen intensiv. Ich weiß, dass man mit bloßem Auge nur einige tausend Sterne zählen kann. Die unzähligen schwachen Sterne, die Gruppen bilden und sich zu Nebeln häufen, lassen aber unschwer ahnen, dass es millionenmal mehr sein müssen.

Der Himmel lebt. Er erscheint mir nicht mehr als Kugeloberfläche. Die hellen Sterne geben den Anschein näher zu sein und diffuse Sternnebel weiter entfernt. Der Weltraum bekommt eine Tiefendimension. Das Sternenband der Milchstraße wird unterbrochen durch geheimnisvolle dunkle Stellen. Sie lassen die Sterne davor und daneben noch prächtiger leuchten. Je dunkler der Schleier, desto mehr Sterne. Alles scheint miteinander verflochten und ein Ganzes zu bilden.

Enthält die unergründliche Tiefe des Weltalls ein Geheimnis, das mit den Geheimnissen meines Bewusstseins und meines Lebens zu tun hat? Es ist die große Frage nach unserem Dasein und dem Kern der materiellen und geistigen Welt. Ich merke, wie mich das Universum anzieht. Auf dem Weg in die Sahara nimmt mich die Faszination einer anderen Reise, ins Unerforschte des Universums, voll in Beschlag. So wenig wie die Sahara wird das Universum auszuloten sein.

Die Erforschung der Natur mit den Methoden der Physik interessierte mich schon vor dem Gymnasium. Aber die trockene Rationalität des Schulfachs hatte mich bisher zögern lassen. Die Nacht in der Sahara regt meinen Durst nach mehr Wissen an und macht mich gewiss, dass dieses Wissen das Staunen in uns nicht unweigerlich absterben lässt. Im Staunen begegnet uns eine ganz andere Wirklichkeit, die nicht in Konkurrenz zur Physik steht. Im Gegenteil: Die Faszination der still und geheimnisvoll leuchtenden Sterne und die Aussicht auf vielversprechende neue Forschungsmethoden ziehen mich gleichermaßen in ihren Bann.

Ich entscheide mich in dieser Wüstennacht, Astrophysik zu studieren.


Abbildung 1: Von links oben nach rechts unten im Bild verläuft die Milchstraße, wie man sie mit bloßem Auge am südlichen Himmel sieht. Mittendrin und etwas näher als die meisten Sterne liegen Dutzende von Dunkelwolken. Das Zentrum der Milchstraße befindet sich etwas unterhalb der Mitte. Rechts davon gegen den Bildrand hin liegen die nur 400–450 Lichtjahre entfernten fingerförmigen Molekülwolken im Sternbild des Schlangenträgers (Foto: Todd Hargis).

Das geschenkte Universum

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