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Frühere Vorstellungen über die Sternentstehung

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Am Anfang schien alles sehr einfach. Als sich Isaac Newton (1643–1727) Gedanken darüber machte, wie die Sonne und andere Sterne entstehen konnten, ging er von der kosmischen Wirkung der Schwerkraft aus. So wie die Erde einen Apfel anzieht, bis er schließlich vom Baum fällt, so ziehen sich auch die Himmelskörper und Gaswolken an. Wäre nun die Materie im unendlichen Raum ursprünglich gasförmig gewesen, hätten zufällige Schwankungen in der Dichte lokale Unterschiede in der Schwerkraft gebildet. An Orten mit leicht erhöhter Schwerkraft hätte sich, so Newton, das Gas zusammenziehen und einzelne Sterne bilden können.1 Typisch für Newton und die Physik nach ihm ist die Abfolge von Ursache und Wirkung. Ursache ist eine Kraft, hier die Gravitation, und ihre Wirkung ist eine beschleunigte Bewegung. Natur ist nicht Anarchie, sondern folgt einer Ordnung, die sich mit mathematischen Gleichungen beschreiben lässt. Newtons revolutionäre Erkenntnis war, dass im Kosmos die gleichen Regeln gelten wie auf der Erde.

Newtons Spekulation stand in einem größeren Zusammenhang.2 Er ging noch ganz von der Vorstellung aus, dass Sterne unbeweglich im Raum stehen. Der Name »Fixstern« ist zwar heute selten geworden, kündet aber von jenem Weltbild aus der Antike und dem Mittelalter, das noch nicht von den unglaublich großen Geschwindigkeiten der Sterne wusste. Die Bewegungen waren damals wegen ihrer großen Entfernung noch nicht beobachtbar. Für Newton waren Sterne zwar unbeweglich, aber bereits nicht mehr an einer Himmelssphäre fixiert, sondern im Raum verteilt. Er wurde von einem jungen Theologen, Richard Bentley, angefragt, warum die Sterne, die sich gegenseitig infolge der Schwerkraft anziehen, nicht zu einem größeren Objekt zusammenfallen. Galt in der Entfernung der Sterne das Gesetz der Gravitation nicht mehr? Newton war die Universalität seiner Theorie betreffend nicht zum Nachgeben bereit und spekulierte, dass die Sterne in einem unendlichen Raum so gleichmäßig verteilt seien, dass sich die Anziehung zwischen den Massen gegenseitig aufhebe. Allerdings musste Newton zugeben, dass dies eine enorme Präzision verlange. Die kleinste Abweichung würde zur Katastrophe führen.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bezogen solche Diskussionen weitere Hintergründe ein. Eigentlich war es Bentleys Frage, ob Gott eine so perfekte Welt erschaffen habe, dass er ihr den Rücken kehren und sie sich selber überlassen konnte. Durch Bentleys Fragen herausgefordert, suchte Newton nach Antworten, um seine Gravitationstheorie zu verteidigen. Typisch für ihn: Er suchte die Antwort in der Natur selbst. Mit Daten aus Sternkatalogen wies er nach, dass die Sterne in der Umgebung der Sonne in der Tat ungefähr gleichmäßig verteilt sind. Doch für die Stabilität der Sterne bezüglich der gegenseitigen Anziehung konnte er keine physikalische Lösung finden. Er postulierte – ebenfalls typisch für ihn und seine Zeit – dass Gott von Zeit zu Zeit eingreife und den Kollaps verhindere, indem er die Sterne wieder an ihren angestammten Platz zurückschiebe. Gott hatte in Newtons Weltbild nicht nur die Aufgabe des Uhrmachers, der am Anfang das kosmische Wunderwerk schuf, sondern auch des dringend notwendigen Servicemonteurs, der es am Laufen hielt. Newton vermutete Gott nicht in der Gravitation, aber im unergründlichen Geheimnis hinter der Gravitation und anderen Kräften. »In Ihm sind alle Dinge enthalten und in Ihm bewegen sie sich.«3 Er erweiterte die Idee der göttlichen Fürsorge von der Ebene menschlicher Lebenserfahrung in kosmische Dimensionen. Somit revidierte er das damals verbreitete Paradigma des Universums als eines von Gott für immer und ewig erschaffenen Uhrwerks um ein entscheidendes Element: Gott als Erhalter der Welt.

Newtons Gottesbild eines Welterhalters und aktiven Weltenlenkers stieß beim berühmten deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) auf vehemente Kritik. Warum sollte Gott in seiner Allmacht nicht ein Universum erschaffen können, das keinen Unterhalt braucht? Leibniz gehörte geistig einer älteren Generation an, die noch geprägt war durch Gedankenfiguren aus der Antike und dem Mittelalter. In dieser Tradition galt Gott als Inbegriff von Allmacht und Allwissenheit. Allerdings war dieser Begriff eines unendlich fernen und am Gegenwartsgeschehen unbeteiligten Gottes dem Untergang geweiht. Es ist nicht erstaunlich, dass der moderne Atheismus in dieser zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erstmals philosophisch ausformuliert wurde. Der Atheismus zu jener Zeit war im Grunde agnostisch.4 Ein Gott, der zwar vor langer Zeit das Universum erschaffen hatte, aber im Leben keine Rolle spielte, ist letztlich unwichtig und kann ohne Schaden beiseitegelegt werden. Newtons Erklärungsversuch zur Stabilisierung des Universums überlebte nicht lange. Sobald die Gravitation im frühen 18. Jahrhundert zu einer rein physikalischen Kraft wurde, verlor die Idee eines »handgreiflichen« Gottes an Attraktivität. Newtons Vorgehen hingegen, die Natur selbst zu befragen, ist noch heute die Methode der neuen Naturwissenschaften. Das wollen auch wir in unserem Bericht über die Entstehung von Sternen und Planeten tun.

Die Vorstellungen haben sich in den vergangenen dreihundert Jahren dank neuer Beobachtungsmethoden einschneidend verändert. Die Grundidee von Newton, dass sich Sterne aus dem interstellaren Gas durch Selbstgravitation bilden, ist zwar noch immer aktuell. Sie wird aber der heute bekannten Komplexität der Vorgänge nicht gerecht. Nicht nur die Schwerkraft ist wichtig, fast die ganze Physik von magnetischen bis zu nuklearen Kräften und selbst die Chemie des interstellaren Gases wirken mit. Sterne, insbesondere solche in ihrer Anfangsphase, sind keine unveränderlichen Kugeln, sondern dynamische Vorgänge, in denen sich Materie ansammelt, in Scheiben zu rotieren beginnt, sich chemisch verändert und zum Teil wieder ausgeworfen wird. Vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Wenn sich Sterne bilden, ist die ganze Vorgeschichte seit dem Beginn des Universums von Belang. Dies weist auf kosmosweite Zusammenhänge, die wir noch lange nicht alle verstehen. Treten wir hinaus und machen wir eine Reise, um uns diese Dinge näher anzuschauen!

Das geschenkte Universum

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