Читать книгу Tropische Gefahr - B. M. ALLSOPP - Страница 10
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ОглавлениеPARADISE ISLAND
Horseman legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch. »Dann mal los, Sergeant Singh.«
Sie reichte ihm Einweghandschuhe. Er wappnete sich für die Aufgabe, die ihn jedes Mal aus der Fassung brachte, und betrat den Lagerraum. Jemand hatte den Tisch darin mit einer aus Pandanus-Blättern gewebten Matte bedeckt, die so fein war, dass sie wie ein Tischtuch über die Kanten fiel und ihre Fransen aus leuchtend roter, grüner und blauer Wolle nach unten baumelten. Jemand hatte das längliche Bündel darauf in eine ähnliche Matte gewickelt und mit einer Kordel zugenäht. Kurz gesagt: Jemand hatte Akanisi Leletaku für ihre Beerdigung vorbereitet.
»Was um alles in der Welt! Wer hat das getan, Constable?«
Mocelutu studierte eingehend seine Füße, als er antwortete. »Die Eltern der Verstorbenen sind heute Morgen vor uns hier eingetroffen, Sir. Sie waren schon dabei, den Leichnam einzuwickeln, als wir ankamen. Sie hatten vor, ihn mit nach Delanarua zu nehmen, und haben mit uns diskutiert. Wir konnten den Leichnam nicht gewaltsam beschlagnahmen, Sir. Respekt, wissen Sie. Dann kam Adi Litia dazu. Sie erklärte den Eltern, dass sie ihre Tochter noch nicht mitnehmen dürften. Sie ist sehr bestimmt aufgetreten. Auf sie haben die Eltern dann gehört.«
»Wo sind die Eltern jetzt?«
»Sie sind noch ein paar Stunden geblieben. Der Bootsführer, Jona, ist der Bruder der Mutter. Er war eine ganze Weile bei ihnen. Ich habe gehört, dass sie gegen neun wieder abgefahren sind.«
»Der Fotograf war sicher nicht erfreut.«
Mocelutu nickte. »Jona hat die Eltern nach einer Weile mit zur Personalunterkunft genommen. Der Fotograf hat bis dann abgewartet, um seine Aufnahmen zu machen. Er meinte, sie würden nicht viel bringen, weil die Leiche gewaschen und geölt wurde. Gegen halb acht ist er wieder gegangen.«
Horseman rieb sich über die Stirn. Seine Hand war müde und zitterte, und er steckte sie in die Tasche. Schuldzuweisungen brachten sie nun auch nicht weiter. »Jetzt können wir nichts mehr daran ändern. Fragen Sie im Hauptrevier in Suva nach, wann sie Akanisi vom Anleger in Navua abholen können, Constable. Sie muss zur Obduktion ins Krankenhaus. In der Zwischenzeit sehen wir sie uns besser mal an, Sergeant.«
Horseman betrachtete Tote nicht gern genauer, hatte sich aber mit der Zeit daran gewöhnt. Trotzdem, es war weit über ein Jahr her, seitdem er das zuletzt hatte tun müssen. Er warf Sergeant Singh einen fragenden Blick zu, doch sie stellte sich sofort neben ihn, beinahe eifrig. Vielleicht war sie einfach froh, etwas zu tun zu haben, nachdem sie ihm seit ihrer Ankunft hier praktisch nur hinterhergedackelt war. Vergeblich versuchte er den sauberen Knoten zu lösen und schnitt die Kordel dann mit seinem Leatherman durch und schlug die Matte zurück. Darunter kam noch eine Matte zum Vorschein, diese dünner und leichter. Als er sie vorsichtig öffnete, stieg ihm ein schwerer süßer Duft entgegen. Er wich zurück.
Sergeant Singh beugte sich vor und schnupperte. »Mokosoi, Sir?«
Anscheinend brachte sie nichts so schnell aus der Fassung. »Ja, ganz eindeutig, nicht wahr?«, entgegnete er.
Unter der zweiten Matte war alles mit den stumpfgelben Blüten des Mokosoi-Baums bedeckt, deren spinnenartige Blätter ihren durchdringenden süßen Duft verströmten. Genau wie der Geschmack der Bananen vom Stand an der Straße löste auch dieser Geruch ein Gefühl von Heimat in Horseman aus. Der Duft durchdrang sämtliche Erinnerungen, die er an die Anlässe während seiner Kindheit auf der verschlafenen Insel Ovalau hatte. Ob Trauerfeier, Hochzeit, Gottes- oder Ratu-Huldigungen, dieser einzigartige Duft war stets der Begleiter.
Singh schob die Blumen zu Häufchen an den Rand der Matte und enthüllte ein zartes weißes Masi aus Tapa-Rindenbaststoff. Horseman legte die Hände aneinander und senkte den Kopf. Die Eltern des Mädchens hatten all diese Kostbarkeiten mitgebracht, damit ihre Tochter mit Anmut und Würde zum letzten Mal heimkehren konnte. Jedes Detail wie von den Bräuchen vorgeschrieben treu ausgeführt. Er bedauerte, dass er ihre aufwendige Handarbeit zerstören musste. Erinnerungen kamen in ihm hoch, und er wischte sich eine Träne von der Wange.
Das Masi war mit einer Kante aus braunen Kreuzen eingefasst. Er schluckte schwer, als er es zurückschlug. Akanisi trug ein weißes Baumwollkleid, wie es auf den Inseln seit viktorianischen Zeiten der typische Sonntagsstaat für die Kirche war. Es waren jedoch ältere Bräuche, die die Salbung des schlanken Leichnams mit duftendem Kokosöl und Kurkuma vorgeschrieben hatten. Die Abschürfungen, Schnittwunden und blauen Flecken konnte der goldene Schimmer auf Akanisis honigfarbener Haut nicht verdecken, aber sie traten weniger stark hervor. Horseman stellte sich vor, wie die Wellen Akanisi gegen das Riff warfen und harte Korallen ihr die Arme, die Beine und das Gesicht zerkratzten, doch die Verletzungen sahen oberflächlich aus. Er hoffte, dass der Rechtsmediziner bestimmen konnte, ob die Blutergüsse vor oder nach Eintritt des Todes entstanden waren. Die blauen Flecken auf ihren Armen mochten verursacht worden sein, als sie aus dem Wasser gezogen wurde, oder vorher, von einem gewalttätigen Angreifer.
Akanisis kurzes gekräuseltes Haar war mit Öl zurückgekämmt worden. Behutsam hob er ihren Kopf an und ertastete eine Vertiefung und eine offene Wunde links unter ihrem Haar. Vorsichtig bettete er ihren Kopf wieder auf das Blumenkissen. Er blickte auf zu Singh, die ihm aufmerksam zusah. Es war ein seltsam intimer Augenblick.
»Wir können hier nichts mehr ausrichten. Ihr Leichnam ist hoffnungslos kontaminiert. Schlimm genug, dass sie im Meer gelegen hat, womöglich stundenlang, aber das hier …«
Gemeinsam wickelten sie Akanisi wieder ein und umhüllten die Leiche mit einem Leichensack der Polizei.
Constable Mocelutu kehrte zurück. »Der Leichenwagen ist um fünfzehn Uhr am Anleger in Navua, Sir.«
»Vinaka. Sergeant, könnten Sie zum Büro gehen und sicherstellen, dass um vierzehn Uhr dreißig ein Boot zur Verfügung steht, oder früher, wenn es ratsam ist?«
»Sicher, Sir«, entgegnete Singh und verließ den Raum.
»Wo sind Akanisis Kleider und Habseligkeiten, Constable?«
Mocelutu war nun souveräner. »Eingetütet und beschriftet, Sir. Ich weiß aber nicht, ob es alles ist, Sir.« Er holte einen ausgebeulten Müllbeutel aus einer Ecke des Raums.
»Was haben Sie in ihrem Zimmer gefunden?«
Mocelutu ließ wieder den Kopf hängen. »Nicht viel, Sir. Es ist auch hier in der Tüte. Es kann allerdings sein, dass jemand etwas entwendet hat, bevor wir ankamen.«
»Sie haben das Zimmer versiegelt?«
»Io, Sir. Die beiden anderen Damen aus dem Zimmer mussten ausziehen, mitsamt ihren Sachen. Ich kann es Ihnen zeigen.«
»Nicht nötig, Constable. Ich hätte gern, dass Sie weiter hier Wache halten. Bitten Sie Singh, mich bei den Personalunterkünften zu treffen, wenn sie wiederkommt. In etwa einer halben Stunde schicke ich Constable Waqatabu her, um Sie abzulösen. Kommen Sie in unsere Bure und essen Sie etwas zu Mittag. Wir übernachten heute alle dort.«
»Keine Eile, Sir. Mrs Marama hat uns sehr großzügig mit Stärkungen versorgt. Wir hatten ein gutes Frühstück und um elf einen kompletten fidschianischen Vormittagstee. Sie wissen schon, Sir.«
Das wusste er. Die meisten Amerikaner, die er kannte, würden einen fidschianischen Vormittagstee als ausgiebigen Lunch bezeichnen.
Er ging durch das Bambustor zu den Unterkünften des Personals und bat eine ältere Frau, die gerade Wäsche aufhängte, ihm den Weg zu zeigen. Sie lächelte und führte ihn zu einer von mehreren Reihen einstöckiger Zimmer, die vorne durch eine gemeinsame Veranda verbunden waren, deutete mit dem Kinn ans Ende der Reihe in der Nähe des steinigen Strands und ließ ihn wieder allein. Gelb-schwarz gestreiftes Polizeiband sperrte Stufen, Geländer, die letzte Tür und zwei Lamellenfenster ab. Er zog das Band ab und ging hinein.
Wie in einem Schlafsaal standen drei ordentlich gemachte Einzelbetten mit Regalbrettern an der Wand darüber aufgereiht nebeneinander. Anstelle eines Schranks war eine Kleiderstange längs an einer Seite des rechteckigen Zimmers angebracht. Ein paar Kleider und Blusen hingen an Plastikbügeln. Auf der anderen Seite stand eine zwei Meter hohe Trennwand, durch die man durch einen Vorhang in ein Badezimmer mit gefliestem Boden, Toilette, Dusche und Waschbecken kam. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel in anständiger Größe, und auf einem Plastikregal darunter standen mehrere Behälter mit Shampoo und Kosmetika. Ein kleines Fenster mit sechs Metalllamellen sorgte für gute Belüftung.
Komisch, dass es nichts gab, worin man persönliche Gegenstände aufbewahren konnte, oder besser gesagt, wo sie auch persönlich blieben. Dann fiel es ihm wieder ein – das Personal hatte wahrscheinlich Blechtruhen mit Vorhängeschloss, genau wie er sie im Internat und in diversen Polizeikasernen gehabt hatte. Nisis Mitbewohnerinnen würden ihre in ihr neues Zimmer mitgenommen haben, obwohl sie auf den Regalen Fotos, Bücher, Krimskrams und einen Audioplayer zurückgelassen hatten. Was war mit Nisis Truhe passiert? Er kniete sich auf den Boden, konnte aber unter den Betten nichts entdecken. Das Zimmer war leicht zu durchsuchen, doch die Ausbeute war enttäuschend. Er leerte gerade den dürftigen Inhalt der beiden Abfalleimer in Plastikbeutel, als Sergeant Singh klopfte.
»Das Speedboat steht um vierzehn Uhr dreißig bereit, Sir. Sie haben eine Tragbahre, und es gibt einen niedrigen Gepäckwagen, den Sie benutzen können.« Sie hielt inne und sah sich im Zimmer um. »Irgendwas gefunden, Sir?«
»Das kann man nicht behaupten, Sergeant. Entweder haben die Constables ganze Arbeit geleistet, oder es gab nicht viel zu holen. Ich muss Mocelutus Tüten noch durchsehen. Hier gibt es keine Aufbewahrungsmöglichkeit für persönliche Gegenstände, das heißt, die Angestellten haben dafür Truhen, oder?«
»Ich nehme es an. Soll ich nachfragen?«
»Ja, aber lassen Sie uns erst noch draußen einen Blick werfen. Vier Augen … Sie wissen schon.«
Singh zog sich Handschuhe über und begann das schmale Gärtchen vor der Veranda gründlich abzusuchen. Horseman ignorierte sein protestierendes Knie, kroch in den beengten Bereich unter den Hütten und leuchtete ihn mit seiner Taschenlampe ab. Ameisen und kleine Krebse huschten davon, um rasch das wegzuschaffen, was für sie von Interesse war. Einige Blätter sowie eine Plastiktüte waren unter das Gebäude geweht worden. Horseman schob sich auf den Ellenbogen vorwärts und schnappte sich die Tüte. Die Personalunterkünfte wurden jedenfalls gut in Schuss gehalten; der Kriechzwischenraum wurde offensichtlich regelmäßig geharkt.
Der Schrei einer Frau riss ihn aus seinen Überlegungen. Alarmiert schob er sich unter der Hütte hervor. Vollkommen reglos hockte Sergeant Singh neben den Stufen zur Veranda. Er eilte zu ihr und stützte sich auf das Geländer, bevor sein Knie unter ihm nachgab.
»Da«, flüsterte sie, während sie sich ganz allmählich aufrichtete. »Ich habe sie angefasst.« Singh war starr vor Schreck.
Aufgerollt wie ein Seil sah die glänzende schwarz-weiße Schlange aus, als wäre sie tot. Horseman lächelte erleichtert. »Die ist harmlos, die schläft tief und fest und bekommt nichts mit«, sagte er leise. »Und Sie tragen Handschuhe, Sie haben sie also eigentlich nicht berührt. Machen Sie jetzt einfach ein paar Schritte zurück.«
Nach einem Augenblick leistete sie ihm in Zeitlupe Folge. »Entschuldigen Sie, Sir, ich habe mich erschrocken. Sind Sie sicher, dass sie harmlos ist?« Sie flüsterte immer noch.
»Ja, aber stören Sie sie nicht. Ich habe in Ihren überaus hilfreichen Ausdrucken gelesen, dass diese Gelblippenseeschlangen hier an Land kommen, um zu schlafen, wenn sie sich den Bauch vollgeschlagen haben. Sind Sie mit dem Garten hier fertig? Hinten raus gibt es keinen, und es sieht so aus, als würde das Gelände jeden Tag ordentlich gefegt, aber ich sehe schnell einmal nach. Dann müssen wir zurück zur Bure, um einen Happen zu essen und uns auf die Versammlung vorzubereiten.«
Singh war sichtlich aufgewühlt. Er hoffte, er würde sich nicht um sie kümmern müssen, aber bisher hatte sie einen besonnenen Eindruck auf ihn gemacht, vor allem bei der Toten. Damit war sie besser zurechtgekommen als er, und es war wohl kaum ungewöhnlich, Angst vor Schlangen zu haben.
»In Ordnung, Sir, bisher habe ich nichts. Ich muss noch unter der Veranda und auf einem Streifen an der anderen Seite nachsehen.«
Wie erwartet war hinter dem Gebäude alles sauber. Die Badezimmerfenster befanden sich in der Rückwand, aber weil ein Fliegengitter davor angebracht war, konnte nichts durch die Lamellen hinausgeworfen werden.
Als er zurückkam, hielt Singh ihm einen kleinen Druckverschlussbeutel hin. »Die habe ich unter der Veranda gefunden, Sir. Muss zwischen den Stufen hindurchgefegt worden sein. Eine Plastikverpackung von Tabletten oder Kapseln. Vermutlich ist es nichts, aber …« Ihre Augen leuchteten. Das helle Grün rüttelte ihn aufs Neue auf. »Ich frage die Hausdame nach der Truhe und den anderen Sachen und komme dann zu Ihnen in die Bure.«
»Gut gemacht, Susie.«
Sie hatte ihm angeboten, sie bei ihrem Vornamen anzusprechen, und jetzt hatte er es getan. Die Vertrautheit, die entstanden war, als sie gemeinsam die Tote eingewickelt hatten, hatte nachgeholfen. Gott sei Dank war ihm dieser Durchbruch gelungen. Seine Freunde in den Staaten würden es ihm niemals glauben, aber er hatte noch nie mit einem weiblichen Detective zusammengearbeitet. Es fiel ihm schwer, seine Kollegin mit der kumpelhaften Ungezwungenheit zu behandeln, die unter Männern üblich war. Und er war sich auch nicht sicher, ob sie überhaupt zu den Jungs gehören wollte.