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ОглавлениеPARADISE ISLAND
Der stämmige Mann mit Strohhut musste der Manager sein, Ian McKenzie. Neben ihm, und erheblich größer als er, stand Adi Litia, die genauso aussah wie auf dem Foto der Webseite. Interessant. Stammte ihr Häuptlingstitel aus der Gegend hier, war sie vielleicht eine Tochter oder Nichte von Ratu Ezekaia aus Delanarua? Der uniformierte Constable neben ihnen hatte steif Haltung angenommen.
»Epeli Waqatabu, Sir. Constable Mocelutu ist bei der Leiche.« Horseman zuckte innerlich zusammen, als der Constable so beiläufig das Wort Leiche fallenließ. Als handele es sich um einen Gegenstand, eine Sache. Es war Horsemans erster Fall seit über einem Jahr, und der routinierte Gebrauch des Wortes tat ihm in den Ohren weh.
»Gut. Stehen Sie entspannt, Constable.«
McKenzie war unter seinen Sommersprossen blass. Er hielt Horseman eine zitternde Hand hin, und sie fühlte sich feucht an, als er sie schüttelte. »Wir stehen alle unter Schock, Inspector. Nisi war für uns wie eine kleine Schwester. Ein furchtbarer Unfall. Wir werden alles tun, was wir können, um der Polizei behilflich zu sein. Nisis Eltern sind heute Morgen gekommen und wollten sie mit nach Hause nehmen. Ich sah darin kein Problem, aber Litia hat mich darauf hingewiesen, dass die Polizei das nicht erlauben würde. Ist das richtig?« Er sah skeptisch aus.
»Das ist es, Mr McKenzie. Auf Fidschi braucht man für eine Beerdigung eine polizeiliche Beurkundung. Ich kann Ihnen versichern, dass Akanisis Eltern das auch genau wissen.« Er wandte sich an die große attraktive Fidschianerin. »Adi Litia, ich danke Ihnen, dass Sie Mr McKenzie über die Vorgehensweise informieren konnten.«
»Litia, bitte. Auf Paradise verzichten wir auf die Titel.« Sie lächelte und wurde um Jahre jünger.
»Ich vermute, Sie wollen als Erstes die arme Nisi sehen, Inspector?«, erkundigte sich McKenzie. Der nervöse Mann versuchte lediglich, sich nützlich zu machen.
»Noch nicht sofort. Constable Waqatabu teilte mir mit, dass ein Kollege bei dem Leichnam ist. Als Erstes müsste ich ein Ermittlungsbüro einrichten. Und weil es schon Mittag ist, fürchte ich, dass wir keine andere Wahl haben, als heute Abend Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«
»Natürlich, damit habe ich schon gerechnet. Ich dachte mir, das Büro hinter der Rezeption würde sich vielleicht eignen. Es ist eher klein, aber Litia und unsere Dame am Empfang könnten Anrufe für Sie entgegennehmen und die Leute zusammentrommeln, die Sie befragen möchten.«
»Vielen Dank, aber ich fürchte, wir brauchen unser eigenes Telefon, wenn wir denn einen Raum mit einem Festnetzanschluss bekommen können. Wie ist das Mobilfunknetz bei Ihnen?«
»Eher unzuverlässig. Und unsere Gäste-Bures haben nur Haustelefone – das gehört zum Weg-von-allem-Feeling. Aber ich vermute mal … Ja, es gibt keinen Grund, weshalb Sie nicht die Bure des Resortbesitzers nehmen können, da gibt es einen separaten Anschluss. Wir entfernen das Telefon, wenn Gäste darin übernachten, aber im Augenblick ist der Bungalow frei. Ich kann ihn Ihnen jetzt gleich zeigen, wenn Sie möchten.«
»Danke. Warten Sie mit unseren Sachen im Schatten, Constable.«
Der Manager öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn aber wieder. Am Fahnenmast begannen drei Sandwege, der auf der rechten Seite war mit »Naturpfad – 1 km« beschriftet. Sie nahmen den mittleren Weg, der sich durch schattige Gärten schlängelte. Linkerhand hinter den Büschen, die als Sichtschutz dienten, erhaschte Horseman einen Blick auf steile reetgedeckte Dächer, auf deren First jeweils der Stamm eines schwarzen Baumfarns wie ein waagerechter Schornstein über das Dach ragte.
McKenzie wedelte mit dem Arm in Richtung der Bungalows. »Zwölf Bures mit Seeblick, um die Landzunge herum und oberhalb der östlichen Hälfte des Strands. Die Bure des Resortbesitzers ist die letzte, direkt vor der Bar und den anderen gemeinschaftlichen Gebäuden. Der Pfad auf der linken Seite führt um die Bungalows herum – jeder hat einen eigenen Zugang vom Pfad aus und auf der anderen Seite eine Veranda mit Blick aufs Meer. Die Gäste laufen meistens über den Strand, den Pfad und die eigentlichen Eingangstüren nutzen sie kaum.«
»Nur die zwölf Bures?« Horseman fragte sich, wie das Resort überlebte.
»Nein, auf der anderen Seite des Anlegers stehen noch einmal vier, direkt hinter der Taucherhütte, mit Nordausrichtung, vielleicht haben Sie sie vom Meer aus gesehen. Sie eignen sich hervorragend für Feiern, große Familiengruppen und so weiter. Dort können sich die Leute ein bisschen austoben, ohne hier jemanden zu stören.«
Es passte alles zu den festen oder besser gesagt falschen Vorstellungen, die sich Ausländer von Fidschi, dem tropischen Inselparadies, machten. Ein paar Gäste kühlten sich in einem Freiformpool ab, der unter Palmen und einem Barringtonia-Baum lag, der mit seinen ausladenden Zweigen den verstreut um den Pool stehenden Holzliegen Schatten spendete.
Horseman staunte. »Ein Pool, hier? Mitten im Meer?«
Der Manager lächelte. »Verrückt, nicht wahr? Aber bei Ebbe ist es nicht so leicht, vom Strand aus loszuschwimmen. Das Wasser ist dann bis weit draußen flach und oft viel zu warm. Wir leiten Meerwasser in den Pool – natürlich gefiltert.«
Das Meer kam nun wieder in Sicht sowie eine Strandmauer. Die Gärten lichteten sich und gaben den Blick auf breitere Reetdächer frei.
McKenzie wedelte wieder mit der Hand. »Dort drüben sind die Bar, das Restaurant und so weiter. Aber sehen Sie sich erst einmal die Bure des Resortbesitzers an und sagen mir, was Sie davon halten.«
Ein sandiger Pfad führte auf eine Lücke in der wild wuchernden Hibiskushecke zu, die die Bure vor Blicken schützte. Hier konnte so ziemlich alles unbemerkt vor sich gehen – die ideale Umgebung für das perfekte Verbrechen. Wenige Meter vor dem Eingang führten zwei breite Stufen auf eine befestigte Veranda. Mit Wasser gefüllte Muschelschalen zu beiden Seiten der Stufen dienten als Fußbad. Baumstämme stützten das sanft abfallende Reetdach, das in Fransen bis über die Veranda reichte und kühlen Schatten spendete. Der Bungalow sah aus, als trüge er einen struppigen Strohhut.
Sie folgten McKenzie ins angenehm temperierte Halbdunkel. Er legte ein paar Lichtschalter um, und hoch über ihnen, von glatt geschliffenen und mit gefärbten Schnüren in aufwendigen Mustern zusammengebundenen Baumstämmen getragen, erstrahlte die Decke. Beeindruckt schaute Horseman nach oben. Die Unterseite des Reetdachs war wunderschön gestaltet – ein Kunstwerk, das es mit allem aufnehmen konnte, was Horseman bisher gesehen hatte. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet mit einem Tisch und Stühlen aus Palmenholz, einem Sofa, Sesseln und einem Couchtisch. Einen Schreibtisch gab es ebenfalls. McKenzie öffnete mehrere geflochtene Paneele an der innen liegenden Wand, und zum Vorschein kamen auf der einen Seite eine Bar und ein Kühlschrank, Spülbecken und Mikrowelle, auf der anderen Seite Fächer mit Besteck, ein Toaster und ein Wasserkocher. Gar nicht mal so übel. Er setzte seinen Rundgang fort. Das Schlafzimmer wurde von einem breiten Doppelbett dominiert. Das daran angrenzende Bad zeigte auf einen mit Schilfrohr eingezäunten Garten mit einziehbarer Wäscheleine.
»Ist das das einzige Schlafzimmer?«, erkundigte sich Horseman.
»Es gibt noch ein zweites«, antwortete McKenzie und führte ihn zu einem weiteren Raum mit zwei Einzelbetten darin. Das zweite Bad hatte seinen eigenen kleinen eingezäunten Garten, war aber durch eine Tür aus Schilfrohr mit dem anderen Bad verbunden, wie Horseman nun bemerkte. Ein Schloss schien es nicht zu geben. Eher misslich bei einer weiblichen Kollegin. Er musste nach etwas Geeigneterem für sie fragen, ohne undankbar zu klingen.
»Wunderbar, Mr McKenzie. Das hier können wir gut als Arbeitsplatz nutzen und als Unterkunft für die Constables und mich. Sergeant Singh wird etwas mehr Privatsphäre brauchen.«
»In den Unterkünften für das Personal ist ein Zweibettzimmer frei. Das Bad müsste sich jedoch mit den weiblichen Angestellten geteilt werden«, bot Adi Litia an.
Horseman lächelte höflich. Das sollte wohl ein Witz sein. »Vinaka, aber unsere Arbeit wird besser vorangehen, wenn meine Kollegin eine Unterkunft für sich allein hat.«
Adi Litia reckte nur das Kinn vor, doch McKenzie zögerte keine Sekunde. »Eine Bure ist noch frei, die vierte am Pfad von hier. Ein Einzelapartment, natürlich mit eigenem Badezimmer. Würden Sie es sich gern ansehen?«
Singh schaltete sich ein. »Nicht nötig, Mr McKenzie. Das Angebot nehme ich gern an. Vielen Dank.«
»Haben Sie einen Lageplan von den Gebäuden? Vielleicht etwas, was Sie den Gästen mitgeben?«, wollte Horseman wissen.
McKenzies Miene erhellte sich. »Ja, wir haben auch noch ein paar andere Unterlagen, die Ihnen vielleicht weiterhelfen. Litia, kannst du bitte ein Infopaket für den Inspector zusammenstellen? Leg alle Broschüren dazu, die wir haben.«
»Sehr gern. Werden Sie zu Mittag essen, Inspector?«, wollte Adi Litia wissen.
»Wann sind denn die Gäste mit dem Essen fertig?«, fragte Horseman.
»Die meisten sind um zwei wieder weg. Manche bleiben aber auch noch länger sitzen«, antwortete Adi Litia.
»Vielleicht könnten Sie dann gegen zwei etwas von den Resten aus der Küche bringen lassen. Wir essen gemeinsam hier. Und bitte machen Sie sich keine großen Umstände.«
Wieder das hochmütig gereckte Kinn. »Tatsächlich würde es weniger Umstände machen, wenn Sie im Restaurant essen würden, Inspector. Aber das ist Ihnen überlassen. Unsere Köchin kann Ihnen sicher ein paar Tabletts zusammenstellen.«
Horseman beschloss, ihren ein klein wenig gereizten Tonfall nicht weiter zu beachten. »Vinaka, Adi Litia. Mr McKenzie, Sie erwähnten, dass Akanisi wie eine kleine Schwester für alle war. War sie denn deutlich jünger als die meisten anderen Angestellten?«
»Ja, das war sie. Paradise Island stellt grundsätzlich ältere Frauen ein, zum Teil, um zu verhindern, dass wir den Ruf einer sogenannten Partyinsel bekommen. Unsere Gäste sind hauptsächlich Pärchen, manche davon in den Flitterwochen, Familien, Leute, die sich fürs Tauchen und für Fische begeistern. Wir wollen keine jungen Singlemänner anlocken, die glauben, dass fidschianische Frauen, die in einem Resort arbeiten, Freiwild seien. Bei Nisi haben wir allerdings eine Ausnahme gemacht, weil sie von Delanarua stammt, Litias Insel, und weil sie die Nichte von Jona Vaturua ist, unserem Bootsführer. Aber nicht nur Jona hat auf sie achtgegeben – das haben wir alle getan.«
»Verstehe. Könnten Sie mich dann jetzt zu ihr bringen, Mr McKenzie, und mir erzählen, unter welchen Umständen sie gefunden wurde?«
»Ja, gehen wir vorne am Restaurant vorbei. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, als Bill Burgermeister Alarm schlug, er kam zur Strandmauer dort drüben gerannt.« McKenzie zeigte auf einen niedrigen Steinwall, der wohl fünfzig Meter vom Strand ins Meer führte.
»Bill Burgermeister? Ich dachte, Dr. Vijay Chakra habe die Leiche gefunden.«
»Bill ist Biologieprofessor am FIMS in Suva. Er leitet die Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Meeresschutzgebiet hier. Toller Typ. Amerikaner. Er und Vijay haben vor dem Abendessen Golf gespielt, und da haben sie die Leiche des armen Mädchens entdeckt.«
Horseman fragte sich, ob er richtig gehört hatte. »Golf?«
Der Anflug eines Lächelns erhellte McKenzies Gesicht. »Oh ja, Riffgolf bei Ebbe. Wir haben zwischen den Steinkorallen und dem Geröll neun Löcher angelegt. Ein Heidenspaß. Nun ja, normalerweise. Vijay ist bei Nisi geblieben und hat versucht sie wiederzubeleben. Als ich mit Unterstützung dort eintraf, war es schon dunkel. Vijay wollte nicht mit seinen Wiederbelebungsversuchen aufhören. Er muss unter Schock gestanden haben – er konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie tot war.«
»Wie spät war es da?«
»Acht. Als wir uns auf den Rückweg machten, schlug gerade die Lali-Trommel zum Abendessen. Maika und Sai haben Nisi an den Strand hinter den Zaun bei den Personalunterkünften getragen. Da drüben.« McKenzie zeigte auf einen Bambuszaun. Er hielt inne, rieb sich über das Gesicht und schluckte schwer. »Wir wollten sie vor neugierigen Blicken und Tratsch schützen, so lange es ging. Abgesehen davon, dass es Angst und Panik unter den Gästen hätte auslösen können.«
»Klar, Sie wollten ihnen ja nicht das Abendessen vermiesen«, rutschte es Horseman heraus.
Der Manager sah ihm fest in die Augen. »Nein, das hätte ich nicht gewollt. Das ist ja auch meine Aufgabe.«
Horseman blickte missbilligend zurück. »Und, ist es Ihnen gelungen?«
McKenzie fuhr in dem gleichen kühlen Tonfall fort. »Ich hoffe es. Heute Morgen beim Frühstück habe ich verkündet, dass Nisi bei einem Unfall ertrunken ist und die Polizei eine Routineuntersuchung vornimmt.«
Horseman musste sich eingestehen, dass er an McKenzies Stelle vermutlich das Gleiche getan hätte. In Zukunft hielt er seine Zunge besser im Zaum und dachte nach, ehe er etwas sagte; er war definitiv eingerostet. Wahrscheinlich fragte sich Sergeant Singh schon, wie er es zum Inspector gebracht hatte, obwohl sie sich die Antwort schon denken konnte. Die allgemein verbreitete Meinung bei der Polizei war, dass sein Erfolg beim Rugby ihm stets Begünstigungen für seine Karriere eingebracht hatte. Bei neunundneunzig Prozent eingefleischten Rugbyfans unter den Polizisten missgönnten ihm das nur wenige. Dennoch würde er gern glauben, dass er sich seine Beförderung verdient hatte, deshalb sollte er besser damit anfangen, das auch unter Beweis zu stellen.