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UNTERWEGS NACH VULA

Horseman saß tief in seinen Sitz versunken neben Constable Peni Dau. Der Wagen ließ die Siedlungen vor der Stadt hinter sich und wurde auf der Queen’s Road schneller. Horseman nahm die Landschaft, die in verwischtem Grün und dahinter einem strahlenden Blau an ihm vorbeirauschte, kaum wahr. Er hatte angenommen, dass er den Hals recken und gierig das glitzernde Licht, die Farben, die erdigen Gerüche seines Landes in sich aufsaugen würde. Doch jetzt, da er hier war, war es ihm gleich. Seit er aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte er keine einzige Entscheidung selbst getroffen. Er war gefahren, begleitet, befördert, zurückgewiesen, angewiesen und weggeschickt worden. Bis hierhin hatte seine Rückkehr in seine Heimat den Menschen, die sich so sehr gewünscht hatten, dass er wiederkam – seiner Familie –, nichts als Enttäuschung und jede Menge vergebliche Liebesmüh beschert.

Er hob die Hand, um das übliche Winken der Leute zu erwidern, an denen sie vorbeifuhren: einzelne Männer, Familien, kleine Gruppen junger Leute, allesamt geschniegelt und im Sonntagsstaat, die Bibel in der Hand. Manche schützten sich mit Schirmen, andere liefen ohne Kopfbedeckung unter der sengenden Sonne. Sie lächelten und winkten, selbst wenn ein fremdes Polizeiauto sie auf dem Weg zur Kirche in eine Staubwolke einhüllte. Nicht umsonst wurde den Menschen auf Fidschi von den Werbetextern der Tourismusindustrie der Titel »freundlichste Menschen der Welt« verliehen. Horseman dachte, dass sie womöglich auch die waren, die am meisten ausgenutzt wurden.

»Haben Sie Lust auf ein paar ordentliche Fidschi-Bananen, Sir?«, fragte der Constable und deutete nach vorn. Hier führte die Straße an einem Strand entlang, dessen weißer Sand von einem Streifen aus Treibgut in zwei geteilt wurde: Seetang, Palmwedel, Holz, Kokosnussschalen, zerrissene Netze, Flaschen, Lebensmittel und unverwüstliche Verpackungsfolien von Knabberkram. Ein paar Hunde und ein kleines Schwein wühlten darin herum. Der beißende Geruch der See vermischt mit erdiger Verwesung attackierte Horsemans Sinne.

»Warum nicht? Diesen Stand gibt es schon, seit ich denken kann.«

Der Constable kaufte zwei Handvoll reifer Bananen vom behelfsmäßig gezimmerten Stand und kehrte zum Wagen zurück.

»Hätten Sie gern direkt eine, Sir?«

Horseman erinnerte sich, dass er seit dem Vorabend im Flieger nichts gegessen hatte. Er stieg aus, und die beiden Männer setzten sich auf das büschelige Gras, das an den Strand grenzte, hielten die Gesichter in die hier stets wehende Brise und aßen schweigend ihre Bananen. Obwohl amerikanische Bananen größer und vollkommener waren, schmeckten sie nicht so intensiv zuckrig wie die kürzeren, schmalen Exemplare mit schwarzgefleckter Schale, die es auf Fidschi gab. Er aß eine zweite und dann noch eine. Langsam fühlte er sich besser.

Zertrümmerte Knochen und Knorpel hatten sein Leben auf den Kopf gestellt. Zumindest für ein oder zwei Jahre. Die Medizin heutzutage war unglaublich. Er wusste nicht, wann, aber er war sicher, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis er wieder auf dem Rugbyfeld stand. Jetzt musste er sich aber erst mal auf seine Polizeiarbeit konzentrieren, und dass er so unerwartet befördert worden war, stellte ihn vor die Herausforderung, sich nicht mehr über die Routine und den bürokratischen Frust zu ärgern und mit ganzem Herzen dabei zu sein. Eines der Geheimnisse seines Rugbyerfolgs war, dass er jedes Spiel schon in der ersten Runde so anging, als wäre es das Endspiel. Er heizte sich selbst an. Jetzt würde er es genauso machen. Er würde in dem Fall des Zimmermädchens ermitteln, als handelte es sich um den Tod des Präsidenten persönlich. Er wusste noch nicht, wer sie war, aber er wusste, dass sie das verdient hatte.

Constable Dau parkte an der Straße, die parallel zum Bootsanleger am Flussufer verlief. Horseman stieg aus und lief am Ufer entlang, entdeckte aber im geschäftigen Treiben auf dem Steg niemanden, der aussah, als könnte er Detective Sergeant Singh sein. Allerdings konnte er nun ausmachen, wie das elegante weiße Boot des Resorts in die Bucht einbog. Am Steg lagen die Kutter bereits in zweiter Reihe. Das könnte noch interessant werden. Zumindest konnte er seine Tasche schon einmal aus dem Wagen holen und wäre bereit.

Als er sich zum Auto umwandte, entdeckte er eine schmale Inderin, die mit seinem Fahrer sprach. Sie trug eine graue Baumwollhose, eine kurzärmelige gelbe Bluse und Sandalen. Die schwarzen Haare hatte sie glatt zu einem festen Dutt geknotet. Horseman musste lächeln. Was würden seine Mentoren in Portland wohl sagen, hätten sie ihn dabei erwischt, wie er in der zarten Frau niemals seinen Sergeant vermutet hätte. Hatte der Vizepräsident ihn nicht angewiesen, unvoreingenommen zu sein? Er ging auf die Frau zu, hielt ihr die Hand hin und sprach sie auf Englisch an.

»Guten Morgen, ich glaube, Sie müssen Detective Sergeant Singh sein. Joe Horseman.« Die Frau nickte förmlich und schüttelte kurz seine Hand. Hinter ihrer großen Sonnenbrille schaute sie ihn ernst an.

»Freut mich, Sir. Ich habe für jeden von uns eine Tasche mit Ausrüstung zur Tatortbegehung dabei.«

»Danke. Das Boot vom Resort ist gerade angekommen, machen wir uns auf den Weg. Die Akte schauen wir uns unterwegs zusammen an.« Er wandte sich zu Constable Dau um. »Wie lauten Ihre Anweisungen, Peni?«

»Zurück ins Präsidium, Sir. Vorher bringe ich noch Ihr Gepäck runter an den Steg.«

Horseman lächelte. »Nicht nötig. Danke übrigens für die Bananen. Genau, was ich gebraucht habe.«

Unten an den Stufen zum Steg wartete adrett in ein türkises Poloshirt und marineblaue Shorts gekleidet der Deckshelfer vom Resort auf die beiden Detectives. Das Boot lag vertäut in der Flussmitte neben zwei Fischerbooten.

»Bula, Bula, Ovisas. Ich bin Maika. Wir sollen eigentlich nicht an anderen Booten festmachen, wir legen gleich wieder ab. Hier entlang, bitte.« Sie kletterten über das Heck der Fischerboote, griffen nach der Hand, die der Skipper ihnen hinhielt, und schwangen sich an Deck. Horseman ärgerte sich, als er merkte, dass er die Hilfe tatsächlich brauchte. Sie stellten sich dem Skipper vor.

»Ich bin Jona. Oi le, ich hatte keine Ahnung, dass ich Josefa Horseman nach Vula bringen würde – oder Paradise, wie wir es jetzt nennen! Was für ein Privileg, Sie kennenzulernen, Sir. Aber die Umstände sind wirklich tragisch.« Jonas dunkle Wangen waren eingefallen.

»Wir sind hier, um zu untersuchen, was passiert ist, Jona.«

»Io, Sir. Ich weiß nur nicht, warum die Polizei sich mit einem tragischen Unfall befassen sollte.«

»Warum glauben Sie, dass es ein Unfall war, Jona?«

Der Skipper schüttelte langsam den Kopf. »Akanisis Leiche wurde bei Ebbe am Saumriff gefunden. Sie muss ertrunken sein, als das Wasser höher stand. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Bitte setzen Sie sich, während wir ablegen«, sagte er und zeigte auf eine Kabine unter Deck.

Es würde unmöglich sein, den Fall während der Fahrt zu besprechen. Sie waren zwar die einzigen Passagiere, aber Jona steuerte das Boot von einem Hilfsruder in der Kabine aus, da war Privatsphäre gleich null. Als die beiden Außenbordmotoren dröhnend ansprangen, lächelte Horseman Sergeant Singh an und zuckte die Achseln. Er zog die Akte aus seiner Tasche, setzte sich und begann zu lesen. Sergeant Singh folgte seinem Beispiel, holte eine violette Plastikmappe aus ihrem Rucksack und tat es ihm gleich.

In Horsemans Akte befand sich das Transkript des Anrufs, den der Manager getätigt hatte, nachdem die Leiche des achtzehnjährigen Zimmermädchens Akanisi Leletaku bei Ebbe im Riff gefunden worden war. Außerdem hatte der ortsansässige Ratu seinem Freund, dem Polizeipräsidenten, einen Abriss ihres Hintergrunds gegeben. Sie war auf der nahe gelegenen Insel Delanarua, die um einiges größer war als die winzige Koralleninsel, die nun unter dem Namen Paradise lief, geboren worden und aufgewachsen. Horseman starrte in das schäumende Kielwasser und fragte sich, wie ein Mädchen von der Insel, das höchstwahrscheinlich schwimmen konnte wie ein Fisch, bloß ertrunken sein konnte, da hielt ihm seine Kollegin ihre Mappe hin.

»Sir?«, rief sie.

»Vinaka«, sagte er, nahm die Mappe entgegen und händigte ihr die Akte des Vizepräsidenten aus. Gut, dass seine Kollegin Initiative zeigte. Und sie verschwendete auch keine Zeit. Neben Kopien der Berichte, die er bereits gelesen hatte, fanden sich in Singhs Mappe ein Ausdruck mehrerer Internetseiten, die die Richtlinien des neuen Meeresschutzgebiets Vula aufführten, eine Doppelseite der aktuellen Fiji Times, auf der von den gestrigen Feierlichkeiten auf der Insel berichtet wurde, sowie ein ausgedruckter Download von der Website des Resorts selbst.

»Großartig!«, rief er ihr zu und lehnte sich zurück, um sich die Unterlagen genauer anzusehen. Singh hatte sie offensichtlich bereits gelesen, denn die Seiten waren mit akkuraten Markierungen in Neongelb und Pink übersät. Er begann mit dem Zeitungsartikel.

Meeresschutzgebiet Vula erhält Segen von Ratu

Das exklusive Paradise Island Resort auf der Insel Vula, vor der Südküste Viti Levus gelegen, empfing gestern eine ungewöhnlich hohe Zahl an Gästen, um die Einweihung des Meeresschutzgebiets Vula zu feiern. Unter den etwa hundert Versammelten befanden sich sowohl Dorfbewohner der benachbarten Inseln als auch Gäste aus Suva sowie Diplomaten aus Australien, Neuseeland und den Vereinigten Staaten, Delegierte der Universität, des Fidschi-Instituts für Meereswissenschaften (FIMS), einiger Umweltorganisationen sowie Touristen- und Medienverbänden. Ratu Ezekaia Tabualevu, Häuptling über Land und Wasser von Vula und benachbarten Inseln sowie leidenschaftlicher Befürworter des Schutzgebiets, reiste gemeinsam mit seinen offiziellen Begleitern im Boot des Resorts von seinem Zuhause auf Delanarua an. Bei seiner Ankunft um 10:30 Uhr schmückten die Resort-Angestellten den Ratu und andere VIPs mit ausnehmend schönen Salusalu, während der Chor der Angestellten traditionelle Lieder und Hymnen vortrug. Nach einer formellen Kava-Zeremonie zur Begrüßung erklärte Ratu Ezekaia Vula offiziell zum Meeresschutzgebiet, anschließend unterhielten die Gäste aus den Dörfern das Publikum mit lebhaften traditionellen Tänzen am Strand des Resorts.

Die Köche des Paradise Island Resort übertrafen sich selbst mit einem ausgezeichneten Büfett fidschianischer Spezialitäten. Ratu Ezekaia erläuterte die Bedeutung des neuen Meeresschutzgebiets und die von nun an geltenden Auflagen.

»Die Fischer waren zu habsüchtig, und so sind unsere Bestände inzwischen dezimiert. Von heute an darf niemand mehr innerhalb des Riffs fischen. Wir alle wissen, dass dort ohnehin nicht mehr viel zu holen ist. In den Gewässern vor dem äußeren Riff bestehen keinerlei Einschränkungen. Ich bin davon überzeugt, dass sich das Schutzgebiet mit unseren vereinten Kräften aufs Neue mit Leben erfüllen wird«, sagte Ratu Ezekaia.

Um den Tag abzuschließen, umschifften Ratu Ezekaia und Methodistenpfarrer Mosese die Insel im blumengeschmückten Boot des Resorts und beschrieben zeremoniell den Schutzkreis, der nun die gesamte Inselgruppe von Vula umfasst. Pfarrer Mosese betete für den Erfolg des neuen Schutzgebiets und dafür, dass wieder neues Leben ins Wasser zurückkehre. Wieder am Strand des Resorts angekommen, steuerte das Boot dicht auf das Ufer zu, während Ratu Ezekaia den wartenden Gästen die Absicht des Schutzgebiets demonstrierte. Eins nach dem anderen hob er Lebewesen des Riffgewässers in die Höhe: einen Tintenfisch, eine Seegurke, einen Papageifisch, eine gigantische Muschel, die er anschließend ins Wasser gleiten ließ. Doch gerade als der Ratu eine Schildkröte hochhielt, bekam das Boot gefährliche Schlagseite Richtung Strand. Die vorn in der Zuschauermenge stehenden Dorfbewohner stürzten augenblicklich auf das Boot zu, und es gelang ihnen, es wiederaufzurichten. Zur großen Freude der jubelnden Menge wurden Ratu Ezekaia und Pfarrer Mosese auf den Schultern der Dorfbewohner an Land getragen.

Faszinierend. Horseman wünschte, er hätte die letzte Szene miterleben können. Er fragte sich, ob wohl das tote Zimmermädchen dabei gewesen war. Auf einem der Zeitungsfotos sah man den strahlenden Ratu, sein dunkles Gesicht umrahmt von einem üppigen krausen weißen Afro, dazu ein dunkles Jackett, weißes Hemd und eine Krawatte mit dem Logo der Rugbynationalmannschaft. Es war ermutigend zu sehen, wie ein älterer Ratu sein Volk im Kampf gegen eine Bedrohung anführte, die in ihrem kleinen Inselstaat nur zu verbreitet war.

Horseman wandte sich dem Ausdruck der Resort-Website zu, der sich auf zwanzig bebilderte Seiten belief. Von besonderem Wert war die Vorstellung des Resortpersonals. Ihr Skipper Jona entpuppte sich als Chef der Resortflotte, in einem Inselresort eine Schlüsselstelle. Deckshelfer Maika hatte kein Porträtfoto erhalten, war aber auf einer Aufnahme der Paradise Voyagers zu sehen, eine kleine Band bestehend aus drei Männern in pinken Bula-Hemden und mit Blumen im Haar. Die tote junge Frau wurde nicht eigens erwähnt, aber vielleicht war sie irgendwo auf einem Gruppenbild der lächelnden Angestellten zu sehen.

Horseman war noch in die Akte vertieft, als Maika ihm auf die Schulter tippte und dann nach vorn deutete. Horseman trat an die Frontscheibe. Sie hielten auf einen grünen Klecks am Horizont zu.

»Paradise Island?«

Jona nickte. Sergeant Singh stellte sich zu ihnen. Während sie näher kamen, verwandelte sich der Klecks in einen buschigen Hügel, den wenige Minuten später grünes Flachland umringte. Schon bald konnten sie große wedelnde Palmen, einen Streifen hellen Sands, einen Wellenbrecher, vertäute Boote und einen hohen weißen Fahnenmast ausmachen. Einen Augenblick lang vergaß Horseman, weshalb er hier war, und gab sich seiner Freude hin. Wie magisch diese Anfahrt für einen Gast aus Osaka oder Houston sein musste! Jetzt konnte er Gestalten auf dem Anleger erkennen. Das Wasser wurde flacher, und das Boot verlangsamte.

Horseman konnte nicht widerstehen und ging hinauf an Deck, um besser sehen zu können, und Singh folgte ihm. Ihre Neugier war eine weitere vielversprechende Eigenschaft an ihr. Durch die Bäume hinter dem Fahnenmast erhaschte er einen Blick auf ein reetgedecktes Haus mit Wänden aus Schilfrohr. Das Boot wurde noch langsamer, als der Grund weiter anstieg. Vorsichtig steuerte Jona zwischen den unter ihnen verstreut liegenden Steinkorallen hindurch. Das Empfangskomitee lächelte und sang diesmal allerdings nicht. Horseman gab sich einen Ruck, um seine Gedanken wieder seinem Auftrag zuzuwenden, und holte seine Sachen aus der Kabine. Nach dem gleißenden Licht draußen wirkte es drinnen regelrecht düster. Sergeant Singh wühlte in ihrem Rucksack, die Sonnenbrille hatte sie sich oben auf den Kopf geschoben. Horseman reichte ihr die violette Mappe.

»Vinaka, Sergeant. Großartig, dass Sie die Hintergrundinfos so schnell zusammengestellt haben.«

Seine Kollegin kramte weiter in ihrem Rucksack. »Kein Problem, Sir. Sie können die Mappe behalten. Ich habe Kopien.«

Sie machte den Reißverschluss zu und sah zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten so grün wie sonnenbeschienenes Wasser an einem seichten sandigen Ufer. Er versuchte, sie nicht anzustarren.

Sie lächelte. »Nennen Sie mich Susie, wenn Sie möchten.«

Tropische Gefahr

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