Читать книгу Tropische Gefahr - B. M. ALLSOPP - Страница 12
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ОглавлениеPARADISE ISLAND
Obwohl Wolken aufgezogen waren und Regen den grauen Horizont verwischte, war die Luft nicht abgekühlt, als Horseman das Büro verließ. Er war hundemüde, auf dem Flug hatte er nur unruhig gedöst, und die Tatsache, dass er sich seit vierundzwanzig Stunden nicht gewaschen hatte, machte es auch nicht besser. Am besten ging er zurück zur Bure, duschte und zog sich etwas Frisches an, bevor die anderen mit den Stellungnahmen zurückkamen.
Als Sergeant Singh auftauchte, saß er auf der Veranda und fühlte sich um einiges erholter.
Sie hielt eine Mappe hoch. »Die meisten Stellungnahmen habe ich. Mocelutu ist noch im Pausenraum und wartet darauf, dass die letzten fertig werden. Ledua bringt uns bald den Nachmittagstee.«
»Wir können uns auch selbst eine Kanne Tee kochen«, sagte er. In Oregon hatte er sich an die Gepflogenheiten der dortigen Polizei gewöhnt, sich zwischendurch einen Pappbecher Kaffee zu holen, entweder aus der Maschine auf dem Revier oder an einem Stand an der Straße, und dazu einen Donut, wenn überhaupt.
Sie sah ihn skeptisch an. »Soll ich den Tee abbestellen, Sir?«
Horseman lächelte. »Nein, entschuldigen Sie. Wir sind hier schließlich auf Fidschi. Ich bin es aus den Vereinigten Staaten nicht mehr gewöhnt, dass es Vormittags- und Nachmittagstee gibt. Ein echter fidschianischer Nachmittagstee ist wahrscheinlich genau das, was ich brauche.«
»Nahrung für den Kopf, Sir.« Das schien sie ernst zu meinen.
»Gehen wir nach drinnen und setzen uns unter den Deckenventilator«, schlug Horseman vor. Sie setzten sich einander gegenüber an den Couchtisch. Das leise Surren des Ventilators vermischte sich mit dem rhythmischen Gemurmel der Wellen am Strand.
»Warum gehen wir nicht durch, was wir bisher haben, bevor wir die Stellungnahmen lesen? Akanisi, ein achtzehnjähriges Zimmermädchen, das seit einem Jahr hier arbeitet. Tot, scheinbar durch Ertrinken. Das Paradise Island Resort folgt eigentlich dem Grundsatz, reifere Frauen einzustellen, aber für Nisi wurde eine Ausnahme gemacht. Sie ist also anders, sie ist hübsch, voller Leben, sie wird der Liebling des Resorts.«
»Glauben Sie, da ist Eifersucht mit im Spiel, Sir?« Singh sah alles andere als überzeugt aus.
»Hier laufen überall junge Männer herum, aber nur eine hübsche junge Frau. Was glauben Sie?«
»Adi Litia ist auch attraktiv.« Singhs Stimme nahm einen defensiven Tonfall an.
»Ich würde sagen, Adi Litia ist mindestens dreißig, und sowohl ihr Rang als Tochter des Ratu als auch ihre Position im Resort bedeuten, dass sie tabu ist. Ganz zu schweigen von ihrer überlegenen Art.« Ihn persönlich schreckte dieses letzte Detail ab. Zu spät bemerkte er, was für einen Fauxpas er sich da geleistet hatte; er schätzte, dass seine Kollegin ebenfalls in ihren Dreißigern war. Genau wie er selbst. Verdammt! »Wenn man es aus der Perspektive eines dummen jungen Mannes betrachtet«, fügte er hinzu. Wie dürftig das klang.
»Was, wenn Litia gar nicht tabu sein will?«, fragte Singh.
»Ganz genau. Potenzial für Eifersucht auf allen Ebenen. Außerdem ist Nisi mit Feuereifer bei der Arbeit, und sie ist Leduas Schützling. Es ist nicht auszuschließen, dass andere Angestellte sie als Bedrohung wahrgenommen haben.«
»Sie halten Ihren Tod also für verdächtig, Sir?«
»Alles ist offen, bis wir den Obduktionsbericht erhalten. Aber wir müssen jetzt schon die Möglichkeiten durchgehen. Wir haben gehört, dass Nisi eine gute Schwimmerin war. Bei einem Sturz ins Wasser wäre sie sicher nicht ertrunken, wenn sie nicht schwer verletzt oder bewusstlos gewesen wäre. Sie hat eine Kopfverletzung, dazu brauchen wir die Einschätzung des Rechtsmediziners.«
»Dr. Chakra war der Meinung, sie sei ertrunken, nicht wahr?«
»Das hat Mr McKenzie behauptet. Aber so wie Dr. Chakra zurück auf die Hauptinsel geeilt ist, ohne zuerst mit uns zu reden, ist merkwürdig. Ich habe mehrmals versucht, ihn anzurufen, aber ich hatte immer nur den Anrufbeantworter.«
»Es ist aber auch Sonntag, Sir.«
Da hatte sie recht. »Nisi trug die Dienstkleidung, die sie auch beim Mittagessen anhatte, zerrissen, aber kaum beschmutzt. Natürlich eignet sich Salzwasser hervorragend dafür, Blut auszuwaschen.« Er seufzte. »Aber vielleicht wird die Kriminaltechnik trotzdem noch fündig. Was haben wir in den Tüten?«
»Kleidung, ein Nähkästchen, ein paar Fächer, Hautcremes, Flaschen mit Shampoo und Kokosöl, nichts von Bedeutung, soweit ich es beurteilen konnte. Die Truhe müssen wir uns allerdings noch genauer anschauen.«
»Machen wir das, bevor wir die Stellungnahmen lesen.« Er schüttelte den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren. »Wir müssen mehr über Nisis Leben herausfinden.«
Ein leises Klopfen, dann schob eine Angestellte, die der bevorzugten Altersgruppe des Resorts entsprach, vorsichtig mit der Schulter die Tür auf. Die Frau trug ein riesiges mit einem Tuch bedecktes Tablett in den Händen. Sie war groß und kräftig, ihr dunkles ovales Gesicht von Wetter und Leben gegerbt, ihre tiefliegenden Augen warm. Sie lächelte Horseman zu und sprach ihn auf Fidschi an.
»Bula, Bula. Josefa Horseman, es ist mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten zu sein. Meine Güte, kein Wunder, dass die gesamte Belegschaft zur Personalversammlung kommt, wenn Josefa Horseman höchstpersönlich mit uns reden will! Wo soll ich den Nachmittagstee servieren, Sir? Draußen auf der Veranda?«
»Vinaka vakalevu, aber wir nehmen ihn gern hier am Tisch, während wir arbeiten.«
»Jeder braucht mal eine Pause, Sir. Das habe ich auch oft zu Nisi gesagt. Ich fand immer, sie ist alles zu heftig angegangen, zu schnell. Isa, armes kleines Ding.«
Horsemans Laune besserte sich. Eine gesprächige Angestellte konnte für einen Ermittler eine wahre Goldgrube sein. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und verzog den Mund angesichts der Mappen und Papiere.
»Ich setze Ihnen hier eine frische Kanne auf, Ovisa. Es ist ja Unsinn, bei diesem Wetter schwere Teekannen herumzutragen.« Sie machte sich in der Kochnische zu schaffen. Horseman warf Singh einen entschuldigenden Blick zu und zuckte die Achseln. Die Frau schloss seine Kollegin unhöflich von der Unterhaltung aus – wenn Singh nicht aus der Provinz stammte, war es unwahrscheinlich, dass sie Fidschi gut beherrschte. Aber die Angestellte wäre in ihrer Muttersprache sicher mitteilsamer, deswegen fuhr er auf Fidschi fort.
»Das ist in Ordnung. Mir ist eine frische Kanne auch lieber. Ich erinnere mich aus der Versammlung an Ihr Gesicht, Ma’am, aber ich fürchte, ich weiß Ihren Namen nicht.«
»Eseta Naisiga, von der Insel Beqa. Fragen Sie mich nicht, wie ich hier gelandet bin. Verheiratet, zwei Kinder. Vielleicht ist das hier mein kleiner Ausbruch, hm? Aber die Bezahlung ist gut, wenn man bedenkt, dass man keinen Cent ausgeben muss, und nach drei Wochen hier fahre ich für eine Woche nach Hause. Nicht schlecht, oder? Wenn ich in Suva arbeiten würde, könnte ich nicht viel zurücklegen. Oi le! Viel zu teuer!«
Horseman warf einen Blick auf die Personalliste auf dem Tisch. Eseta Naisiga war vierzig und arbeitete seit sechs Jahren im Resort.
»Wie gefällt Ihnen die Personalunterkunft, Mrs Naisiga?«
»Nennen Sie mich Essie. Sehr gut, Sir. Außerdem hält Ledua die Männer ganz schön auf Trab. Sie meint, die Zimmermädchen haben im Resort schon genug zu tun, da müssen sie nicht auch noch den Männern hinterherputzen. Dafür respektieren wir Frauen Ledua. Es gibt auch zwei verheiratete Paare. Wir kommen alle gut miteinander aus. Es ist wie ein Dorf, nur ohne Kinder.« Sie sah an ihm vorbei, den Blick in die Ferne gerichtet. »Isa, ich kann einfach nicht glauben, dass sie tot ist«, flüsterte sie. Zwei Tränen kullerten ihr die Wangen herunter. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg.
Der Wasserkocher klickte. Sie wandte sich ab, goss das Wasser in die bauchige Teekanne und brachte sie an den Tisch.
»Vinaka, Essie. Standen Sie Akanisi nahe?«, erkundigte sich Horseman.
»Ja. Wir waren Zimmergenossinnen, aber sie war wie meine kleine Schwester. Als sie hier anfing, habe ich ihr gezeigt, wie es bei uns zugeht. Sie war ein anständiges Mädchen – und lustig. Sie war ganz versessen auf die Arbeit.«
»Dann mussten Sie also aus Ihrem Zimmer ausziehen?«
»Nur nach nebenan. Eine der Frauen dort hat gerade ihre freie Woche. Es macht mir nichts aus, wieder in das Zimmer zurückzuziehen, wenn Sie und Ihre Leute mit Ihrer Arbeit hier fertig sind. Es ist ja nicht so, als wäre Nisi in ihrem Zimmer gestorben.«
Kritisch musterte Essie die Tassen und Untertassen, die Sergeant Singh bereits gedeckt hatte. Demonstrativ rückte sie alles ein paar Zentimeter zur Seite und ordnete glänzende Teller, Messer und gestärkte türkise Servietten daneben an.
»Was glauben Sie, warum es Akanisi hier so gut gefallen hat?«, erkundigte sich Horseman.
Essie antwortete nicht sofort. Sie arrangierte ein Kännchen Milch, einen Teller mit appetitlich aussehenden dreieckigen Sandwiches, eine Schale duftender mit Blätterteig umhüllter Würstchen, eine Soße zum Dippen, Zucker, Marmelade und Sahne in blauen Glasschälchen sowie einen geflochtenen Korb, in dem ein Bündel aus weißem Leinen lag. Als sie den Stoff zurückschlug, stieg Dampf von den noch warmen Scones auf. Horseman lief das Wasser im Munde zusammen.
Dann fasste Essie sich ein Herz. »Weil sie ihren Eltern entkommen ist, natürlich. Alle ihre Schwestern haben geheiratet und sind von Delanarua weggezogen. Nisi war die Jüngste, und ihre Eltern wollten sie dabehalten. Sie waren sehr streng. Sie haben sie nur hierherkommen lassen, damit sie dem Dorf mit den Großeltern und Kindern nicht komplett den Rücken kehrte. Sie selbst wollte einfach nur die Welt entdecken, leben.«
»Wann haben Sie Akanisi zuletzt gesehen, Essie?«
»Wir haben beide gestern beim Mittagessen bedient. Es war ein riesiges Büfett, ein wahres Festessen für den Ratu und all die geladenen Gäste. Normalerweise haben wir nicht mehr als dreißig Gäste, aber gestern waren es achtzig. Wir konnten nicht im Chor mitsingen, weil das Aufräumen so lange gedauert hat. Nisi hat mitgeholfen. Um zwei bin ich dann an den Strand gegangen, um nach dem Boot mit dem Ratu Ausschau zu halten. Danach habe ich sie nicht wiedergesehen.« Ihr Kinn zitterte, und sie wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Ich glaube, am Freitag ging es ihr nicht gut, Sir, als wir mit dem Schmücken beschäftigt waren, hat sie eine Pause gemacht, sich hingesetzt und einen Tee getrunken. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Ich fand, dass sie zu früh wieder hergekommen war nach der einen Woche Krankschreibung. Deswegen dachte ich gestern Nachmittag auch, dass sie vielleicht für eine Pause zurück ins Zimmer gegangen war.«
Das waren Neuigkeiten. »Sie war krankgeschrieben gewesen? Weshalb?«
Essie schniefte. »Ich weiß es nicht, sie hat es mir nicht verraten. Der Boss hatte sie nach Hause nach Delanarua geschickt, und sie war erst seit einer Woche wieder da. Ich habe es erst erfahren, nachdem sie abgefahren war.«
»Hat sie nichts gesagt, als sie zurückkam?«
»Sie hat gar nicht viel gesagt. Nur, dass es ihr besser ging. Aber ich weiß, dass sie sich Freitagmorgen nicht gut fühlte.«
»Vinaka vakalevu, Essie. Sie haben uns sehr geholfen.«
»Io, Josefa Horseman. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen. Ich hole das Tablett später wieder ab.«
Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, übersetzte Horseman auf Englisch. »Susie, Eseta hat mir gerade erzählt, dass Akanisi kürzlich krankgeschrieben war und erst vor einer Woche von Delanarua zurückkam.«
»Und sie hat ihren Zimmergenossinnen nichts davon erzählt, bevor sie fuhr!«, ergänzte Singh mit einem Lächeln.
»Aha, dann verstehen Sie also Fidschi. Ich hatte mich schon gefragt.«
»Io, sogar ziemlich gut. Meine Eltern hatten einen kleinen Hof landeinwärts hinter Lautoka gepachtet. Ich bin dort im Dorf zur Grundschule gegangen und habe mit den Dorfkindern gespielt.«
»Sie haben ein ausgezeichnetes Pokerface.«
Ein kleines, aber zufriedenes Lächeln erhellte ihre Augen. »Erweist sich als nützlich für die Arbeit. Eseta verehrt Sie, lehnt mich aber ab – nein, streiten Sie es nicht ab, es stimmt. Sie wäre niemals so offen mit Ihnen gewesen, hätte sie geahnt, dass ich sie verstehen kann. Ehrlich gesagt bin ich sicher, dass sie bloß deshalb so viel erzählt hat, weil sie dachte, es würde mich ärgern.«
Horseman lachte. »Das mag sein. Dann widmen wir uns jetzt mal diesem Nachmittagstee. Es wäre ein Verbrechen, ihn stehen zu lassen!«
Sie aßen und tranken schweigend. Obwohl sie sich erst seit wenigen Stunden kannten, war es ihnen nicht unangenehm, wortlos beieinander zu sitzen. Singh hatte bereits bewiesen, wie tatkräftig sie war. Fest entschlossen musste sie außerdem sein, sonst hätte sie es nie zum Detective Sergeant gebracht. Wie viele weibliche Detectives gab es auf den Fidschi-Inseln – nicht mehr als ein halbes Dutzend? Und man konnte es ihm wohl kaum zum Vorwurf machen, dass ihre sagenhaften Augen ihn umhauten, die, wenn er darüber nachdachte, ein wahrhaftiges Plus in einem Verhör sein mussten. Ein Lügner wäre viel zu abgelenkt, um sich an seine zurechtgelegte Geschichte zu erinnern.
»Besser?«, erkundigte er sich, als er ihr die zweite Tasse einschenkte.
»Auf jeden Fall.« Sie lächelte und reichte ihm den Teller mit Sandwiches. »Hier, nehmen Sie noch eins.«
»Eigentlich will ich noch Platz für die Scones lassen, aber wenn Sie darauf bestehen …« Er nahm ein Sandwich und schlang es herunter. Schinken und Gurke.
»Wir müssen zuallererst den Manager nach Nisis Krankschreibung fragen. Noch ein guter Grund, so schnell wie möglich Dr. Chakra ausfindig zu machen.«
Er nahm sich einen Scone, bestrich ihn großzügig mit Brombeermarmelade und gab noch einen ordentlichen Klecks Sahne darauf. Nahrung für den Kopf? Diese Behauptung von Singh sollte er besser testen.
Singh hielt eins der Wurstbrötchen hoch. »Die sind fantastisch. Chili und Koriander – lecker! Wissen Sie, wenn Ledua so ein gutes Verhältnis zu den Frauen unter den Angestellten hat, kann sie uns wahrscheinlich mehr darüber erzählen, was mit Nisi los war.«
»Stimmt, aber lassen Sie uns warten, bis wir die Stellungnahmen gelesen haben – vielleicht hat noch jemand anderes etwas zu ihrer Erkrankung geschrieben«, entgegnete Horseman. »Mr McKenzie hat vorhin Nisis Truhe herbringen lassen. Schauen wir uns die als Erstes an.«
»Geht klar, Sir.«
Die in einem heiteren Hellblau gestrichene Blechtruhe war nicht schwer. Sie stellten sie auf eine freie Ecke auf der Tischplatte. Hibiskus- und Orchideenblüten zierten den Deckel.
»Glauben Sie, das hat sie selbst gemalt?«, fragte Singh.
»Es ist von Hand gemalt, möglich wär’s also. Wer auch immer es gemacht hat, hat ein gutes Auge. Die Farben – es ist alles so fröhlich.«
»Und jetzt so traurig.« Singh öffnete den Deckel.
Der Inhalt der Truhe war fein säuberlich in zwei Stapeln angeordnet. Horseman nahm einen Gegenstand nach dem anderen heraus, während Singh sie auf ihrem Klemmbrett notierte. Ein paar Bücher waren darin: eine in schwarz gebundene fidschianische Bibel, in der ein halbes Dutzend gepresste Blumen zwischen den Seiten lagen; fidschianische methodistische Gesangsbücher, in denen sowohl die Noten als auch der Text verzeichnet waren, der Sopran mit orangenem Textmarker hervorgehoben; ein dicker Band bebilderte Bibelgeschichten für Kinder. Unter den Büchern lagen zwei warme wasserfeste Jacken, die im Juli nachts gelegentlich von Nutzen sein mochten.
Horseman blätterte durch ein großes Fotoalbum. »Das hier könnte interessant sein. Ich schaue es mir später genauer an, aber ziemlich viele Aufnahmen zeigen Blumen und Blumenarrangements. Auf den anderen sind Menschen zu sehen – wir bitten Ledua oder Adi Litia, sie zu identifizieren. Vielleicht wissen sie auch, ob Akanisi ein E-Mail-Account hatte.«
Er sah ein kleines Bündel Briefe durch. »Die sind alle an Nisi adressiert. Schauen wir sie schnell durch – Sie übernehmen diese hier.«
Die Hälfte der Umschläge gab er seiner Kollegin. Sie zogen die Briefe heraus und überflogen ihren Inhalt. »Diese fünf wurden alle von zwei ihrer Schwestern geschrieben«, erklärte Horseman.
Singh faltete den letzten ihrer Briefe wieder zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. »Der hier ist von ihrem Vater, er hat ihn geschrieben, als sie im Internat war. Zwei sind von ihren Schwestern und zwei von Schulfreundinnen, die ihr hier ins Resort geschrieben haben.«
»Wir lesen sie später in Ruhe durch. Es gibt kein Tagebuch oder persönliche Aufzeichnungen. Bleibt nur noch ein Stapel Zeitschriften.« Er hob sie alle heraus, vielleicht zwanzig Exemplare. Oberflächlich blätterten Singh und er sie durch. Es waren Reisemagazine, voller Luxushotels an fernen Urlaubszielen.
Singh sagte: »Ich denke mal, das sind alte Ausgaben aus dem Angebot des Resorts. Auf dem Schreibtisch in meiner Bure liegen ein paar ähnliche Exemplare. Interessant, dass sie sie behalten hat. Vielleicht war Akanisi eine Tagträumerin und das Paradise Island Resort war nur die erste Station ihres Fluchtplans.«
Auf der hinteren Veranda tauchte Constable Mocelutus stämmige Gestalt auf. Die Flügeltüren standen offen, und so klopfte er an die Schilfrohrwand.
»Kommen Sie rein, Mareka. Wie ich sehe, haben Sie die letzten Stellungnahmen dabei. Sehr gut. Irgendetwas zu berichten?«
»Nein, Sir. Ein paar haben etwas länger gebraucht, aber jetzt sind alle fertig.«
»Haben alle auf Englisch geschrieben?«
»Nein, Sir. Ein paar haben auf Fidschi geschrieben, und eine indische Küchenhilfe auf Hindi.«
»Machen Sie eine Pause und bedienen Sie sich an diesem wunderbaren Nachmittagstee. Eseta kommt bald wieder und räumt ab. Tassen finden Sie im Schrank über der Küchenzeile. Es ist noch reichlich Tee in der Kanne. Sergeant Singh und ich sehen uns die Stellungnahmen auf der Veranda an.«
Noch einmal rief Horseman bei Dr. Chakra zu Hause und in seiner Praxis in Suva an, und noch einmal hinterließ er Nachrichten. Dann versuchte er es auf dem Mobiltelefon, aber Chakra war auch dort nicht erreichbar.
»Mareka, wenn Sie fertig sind, gehen Sie bitte rüber zum Büro und fragen nach sämtlichen Telefonnummern von Dr. Chakra, und vor allem, wie sie ihn im Notfall kontaktieren. Vielleicht hat er ein zweites Mobiltelefon, von dem wir nichts wissen. Falls das Personal Ihnen nicht weiterhelfen kann, sprechen Sie mit dem Manager.«
Mocelutu hatte bereits eine Tasse Tee vor sich stehen und machte sich über die restlichen Wurstbrötchen her. Mit vollen Backen stand er auf, schluckte schwer und trank ein paar große Schlucke Tee. »Ich gehe jetzt gleich rüber, Sir«, sagte er.
Horseman lächelte. »Hetzen Sie sich nicht, Mareka, Sie bekommen sonst noch Bauchschmerzen!«
Die Veranda war geräumig, und ein schwaches Lüftchen wehte vom Meer heran. »Setzen Sie sich, Susie«, sagte Horseman. Sie zögerte, sah sich um und nahm dann auf einem gepolsterten Lehnstuhl aus Holz Platz. Horseman schob einen niedrigen Tisch neben sie, zog einen zweiten Lehnstuhl heran und legte dankbar die Füße hoch. Die Hälfte der Stellungnahmen reichte er ihr, dann lasen sie schweigend. Seine Kollegin unterstrich jede Menge und machte sich eifrig Notizen.
»Was meinen Sie?«, fragte Horseman, als er seinen Schwung durchgelesen hatte.
»Zwei habe ich noch. Von denen, die ich gelesen habe, sollten wir Adi Litia, Maika Tavua und Jona Vaturua, den Onkel, befragen. Die haben wir bereits getroffen. Sie stammen alle drei von Delanarua, und sie sollten uns eine Menge mehr über Nisi erzählen können. Komisch, niemand erwähnt, dass sie erst kürzlich krankgeschrieben war.«
»Hm, ich hätte gedacht, dass die Frage zu irgendwelchen Veränderungen an Nisi ihnen solche Informationen entlocken würde. Ledua ist die Einzige in meinem Stapel, die es erwähnt. Es wäre gut, auch mit ihr zu reden, und mit Patricia McKenzie und Guy Dawson, dem Tauchlehrer. Wenn ich es richtig verstehe, arbeitet Mrs McKenzie meistens an der Bar, warum treffen Sie sich nicht mit ihr, ehe dort der Betrieb richtig losgeht? Ich spreche vor meinem Treffen mit dem Professor mit Adi Litia. Ah, da ist Mareka wieder.«
Der Constable kam mit seinen Sandalen in der Hand den Pfad vom Strand hoch. »Hatten Sie Glück mit den Telefonnummern?«, wollte Horseman wissen.
»Nein, Sir. An der Rezeption haben sie mir nur bestätigt, dass die Nummern, die Sie mir von Dr. Chakra gegeben haben, korrekt sind.«
»Dann versuche ich es weiter. Und Sie tun ihr Bestes, um den Nachmittagstee zu verputzen – das ist ein Befehl, Constable.«
Der Himmel verdunkelte sich, und die Temperatur sank. Horseman blickte zum Horizont, der nun von dunklen Sturmböen verschleiert wurde, die stetig gen Nordwesten trieben. Die Brise hier war noch immer leicht, und der Sturm mochte Paradise verschonen. Wie schön es doch war, bequem auf der Veranda zu sitzen und dem Drama des Wetters dabei zuzusehen, wie es sich abspielte, als wäre man im Urlaub. Aber das war er nicht. Er musste wachbleiben und mit seiner Arbeit vorankommen.