Читать книгу Midlife Yoga - Barbara Decker - Страница 18
ОглавлениеStress lass nach!
Älter werden ist nichts für Feiglinge – weil der permanente Alltagsstress zusätzlich an Körper, Geist und Seele zehrt. Atmen Sie durch und steigen Sie aus dem Hamsterrad aus – zumindest für kurze und regenerierende Auszeiten.
Wie entsteht Stress?
Eine Herausforderung, an der wir wachsen oder scheitern können, gleicht einer Medaille mit zwei Seiten. Eine Seite offenbart sich zum Beispiel bei Antritt eines neuen Jobs: Wir entwickeln, positiv gestresst, Selbstvertrauen und soziale Kompetenzen oder gewinnen Knowhow, das Nervensystem vernetzt sich unter den multiplen Anforderungen neu. Die Kehrseite der Medaille ist, dass während einer Krise oder einer bedrohlich wirkenden Situation der Organismus kurzfristig Ressourcen mobilisiert, um dem Aggressor standzuhalten oder ihm zu entfliehen. Solch eine akute Stressphase hat einen klaren Auslöser und ein absehbares Ende, gefolgt von Entspannung.
Problematisch wird es, wenn eine Situation in Macht- und Hilflosigkeit mündet oder das Stresserleben chronisch wird. Für beides gibt es keinen Ausweg – weder für eine individuelle Situation noch für das fortwährende Hamsterrad des Alltags. In letzterem Fall bewirkt oft der Zwang zur Perfektion – die Selbstoptimierung und der äußere Leistungsdruck – den Stress. Wir sind von Kindesbeinen an auf Leistung konditioniert und haben dieses Konzept verinnerlicht, boxen uns durch, setzen die Ellbogen ein und arbeiten verbissen, um unsere Ziele zu erreichen. Wir wollen zu den stärksten, besten und schönsten Mitgliedern einer Gruppe gehören, um anerkannt, geliebt und respektiert zu werden. Der Körper ist den Folgen dieses Konzepts ausgeliefert.
»Magengeschwüre bekommt man nicht von dem, was man isst, sondern von dem, was einen auffrisst.«
LADY MARY WORTLEY MONTAGU
Stress – reine Kopfsache?
Stress entsteht bei der Einschätzung einer Situation im Kopf. So ordnen wir beispielsweise den Sound, den unsere Lieblings-Rockband erzeugt, anders ein als den eines Laubsaugers. Das Erleben wie im Beispiel aus dem erhöhten Dezibel-Bereich aktiviert je nach Einstufung Stress- oder Glückshormone, die den gesamten Organismus auf psychischer und physischer Ebene durchdringen. Wie die Situation eingeordnet wird, entscheidet im Gehirn die Amygdala oder der Mandelkern, ein Teil des Limbischen Systems, das Emotionen bildet, verarbeitet und speichert. Die Amygdala ist an der Furchtkonditionierung beteiligt und gleicht einer Warnsirene. Das Erleben wird blitzschnell mit gespeicherten Erfahrungen abgeglichen und auf ihr mögliches Gefährdungspotenzial hin analysiert. Wird die Situation als bedrohlich identifiziert, kommt sinnvollerweise eine Stresskaskade in Gang: Der Sympathikus, das »Gaspedal« des autonomen Nervensystems, wird aktiviert, Stresshormone werden ausgeschüttet. Das Problem ist, dass der Sympathikus nur die Bedienungseinstellung »Vollgas« kennt, entsprechend dem archaischen Konzept »Flüchten oder Standhalten«. Wenn sich die Bremse des Gegenspielers Parasympathikus nun nicht bedienen lässt, weil das Gaspedal klemmt, geraten wir in die Stressfalle des sich permanent drehenden Hamsterrads, das uns möglicherweise bis zum Burn-out erschöpft. Der aktive Zustand lässt sich nicht mehr in den parasympathischen Ruhemodus zurückregulieren, der Organismus steht unter permanentem Stress.
Stress stresst den ganzen Körper
Akuter Stress lässt den Spiegel der Stresshormone rasch ansteigen. Die Schilddrüsenhormone erhöhen zum Beispiel die Herzfrequenz und aktivieren den Energiestoffwechsel. Cortisol aktiviert den Glykogenabbau in den Muskeln und ist eigentlich dafür verantwortlich, die Stressreaktion wieder zu deaktivieren. Wenn jedoch keine ausreichenden Ruhephasen eingelegt werden – wir hetzen ja täglich von der Schule an den Schreibtisch und zum Supermarkt, ins Fitness-Studio sowie zu Elternabend oder Event –, dann wird ständig Cortisol ausgeschüttet, was zu Unruhezuständen und Schlafstörungen führen kann. Der Stoffwechsel ist angekurbelt: Im unheilvollen Zusammenspiel wird die Ausschüttung der regenerierenden Wachstumshormone unterdrückt, die uns ein ungestörter Tiefschlaf beschert.
Eine weitere Folge kann ein beständig erhöhter Muskeltonus sein, der Verspannungen und Erschöpfungszustände bewirkt, da der Körper nicht zur Ruhe kommt. Dies wirkt sich letztlich auf Organe, Bindegewebe, Drüsen, Nerven- und Immunsystem aus. Der Organismus ist erschöpft unter anderem durch die kontinuierliche Anspannung, die entgleiste Hormonsituation und Nervosität, den Schlafmangel, die Energielosigkeit sowie die Anfälligkeit für Infektionen und altert schneller.
Das Feuer nutzen
Bei der Lebensmitte handelt es sich um eine Zeitspanne körperlicher, geistiger und seelischer Herausforderungen. Wir erfahren, dass die Lebenskräfte endlich sind, erleben Alter, Krankheit und Tod unserer Nächsten. Das macht uns ängstlich und ratlos.
Die natürlichen Reaktionen sind zunächst Verdrängung, Ablenkung und Abwehr, vielleicht auch angesichts dieses Ultimatums die plötzliche Erkenntnis, nicht wahrhaftig gelebt zu haben oder den schmerzfreien Kompromiss vor die intensive Lebenserfahrung gestellt zu haben, die in uns ein echtes Selbstbewusstsein hätte reifen lassen – Halbherzigkeit ist keine Option fürs Wachsen und Werden. Problematisch wird es, wenn wir im vermeintlich schützenden Kokon unserer persönlichen Haltung feststecken und diesen nicht mehr verlassen wollen. Wachstum erfordert Entfaltung und jede (Wieder-)Geburt ein entschlossenes Ja zum neuen Lebensabschnitt. Lassen Sie uns mutig durch den aufregenden Transformationsprozess der Lebensmitte gehen, so rebellisch, offen und neugierig wie wir in der Pubertät waren, und beherzt dem Weg folgen, den uns das Leben weist: Nutzen Sie das Feuer Ihrer Emotionen, um aus Krisen echte Wachstumschancen zu schmieden. Aus meiner Sicht ist das Glas mindestens halbvoll: Prost!