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Elftes Kapitel

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Kaats Augen glänzten, als sie in die lachenden Gesichter von Fien und Marieke sah. Es hatte sich gelohnt, ihren Kugelbauch durch die Masse zu schieben und die beiden Kleinsten dazu – die von den Kleinsten, die ihr geblieben waren. Gebannt starrten sie auf die gelenkigen Hände des Zauberers, der mitten auf dem Marktplatz glänzende Kupferbecher auf einem von seinem blauen Reisemantel bedeckten Tischlein über Kugeln stülpte, die niemals zu sein schienen, wo man sie erwartete; flink tanzten die Becher hin und her, schneller fast, als der Blick ging, und die bunten Bälle kullerten mal hier, mal dort hervor und auf einmal kreischten alle, denn nun waren es keine Bälle mehr, sondern leuchtend rote Äpfelchen, die er in die Menge warf, und eins direkt zu Kaat, die es auffing, verdutzt, und in des Zauberers grüngoldene Augen sah, aus denen ein stetes Lächeln wie Silberperlen zu sprudeln schien; atarkanische Augen, schöne Augen, doch nichts gegen die von Joris.

Joris’ Augen. Gestern, als er nach Hause gekommen war, war etwas Dunkles in diesen Augen gewesen, das sie noch nie gesehen hatte. Er mocht’ ihr nicht sagen, was es war; es hatte mit der Beerdigung des großen Ritters zu tun gehabt, des war sie gewiss. Heut waren seine Augen schon wieder fast wie immer gewesen, als er zur Arbeit aufbrach, er musste auch irgendwo hier sein, er wusste immer, wo’s was zu holen gab, und nun war ja auch wieder Ruhe in der Stadt; der Schauder, den sie alle gestern gespürt hatten, war verflogen, und es war Frühling und die Sonne schien und jetzt warf der Atarkanier seinen farbenprächtigen Hut hoch in die himmelblaue Luft und als er ihn auffing, war’s eine schneeweiße Taube, und die Menge johlte und schrie und Kaat und die Kinder schrien auch und lachten.

Übermütig biss Kaat ein Stück aus dem rotwangigen Apfel, der nicht runzlig und schlaff war wie die letzten Herbstäpfel, die sie in ihrer Vorratskiste hortete, sondern prall und fest wie frisch geerntet, ein Wunder! – und süß wie nur die atarkanischen es waren. Kauend gab Kaat die saftige Frucht an ihre Kleinen weiter. Es war ein Tag, so schön wie lange keiner.

Sie wussten ja nichts von den stillen Nöten des Großmeisters, die ihn nicht ruhen ließen und nicht rasten und die ihr sanftes Gift schon ausströmten, unmerklich noch, über die Stadt und das Land und alle, die darinnen waren.

Bis gestern hatte Herigold geglaubt, die entlauf’ne Hexenbrut in aller Heimlichkeit zu packen, dass keine schmutz’ge Rede aus ihrem verderbten Munde ging, und sie zu läutern und zu bekehren, mit aufrichtigem Ernst und harter Hand, dass sie ihre Sünden bekenne und, so’s dem Höchsten gefiele, auch des anderen widerwärtigen Zwillings Verbleib enthülle… und dann vor allem Volke sie endlich zu erlösen in heiligem Feuer; beide; auf dass der Königin und dem König Ruhm und Ehre zuteilwerde jetzt und in Ewigkeit. Herigold, der Ausrotter; der Retter; der Erlöser… Der Großmeister knirschte mit den Zähnen; seit gestern war gewiss, dass die Hunde die Spur der kleinen Nonne verloren hatten. Im Stillen würd’ die Geschichte nun nicht mehr zu lösen sein. Jetzt kam der große Schlag.

„Hoy!“ sagte der Atarkanier, als er die schneeweiße Taube fing, und er flüsterte ihr was ins Ohr und dann ließ er sie los und sie flog, flog hoch über die Stadt und als sie wieder schauten, hatte der Atarkanier bunt glasierte irdene Teller hervorgezaubert, die er einen um den anderen hoch warf auf die Spitzen schmaler Stangen in seinen Händen, wo sie im Sonnenglanz tanzten und sich drehten, man konnt’ so schnell nicht schauen, wie. Wieder und wieder schubste der Gaukler die fragile, flirrende Fracht auf den Stangen hoch, dass sie durch die Luft wirbelte, eh sie auf die Spitze zurück sank, so sicher und leicht. Keins der Geschirre fiel, bis plötzlich, aus dem Nichts, ein schwarz-roter Reiter heranpreschte, mitten in des Zauberers kleine Bühne, und den Tisch umriss und den Atarkanier, dass ein Regen bunter Scherben auf ihn niederging. Alles schrie und stob auseinander, bis der Reiter donnernd „Halt!“ gebot.

Nabilayn fühlte die Angst durch sich hindurchgehen, wie er da am Boden saß und auf den herben, hoch berittenen Eindringling starrte. Doch nicht seine eigene Angst fühlte er, oder doch nur wenig. Wie schweres Wetter aber durchbebte den Zauberer die atembenehmende, allumfassende Angst, die ihm aus den Augen des schwarz-rot gekleideten Reiters entgegenschlug.

Todesangst.

Behutsam erhob der Gaukler sich aus dem schillernden Scherbenhaufen, jede unbedachte Bewegung vermeidend. Nabilayn wusste, dass er Dinge sah, die andere nicht sahen, und dass man es besser verbarg. Er machte sein Gesicht unschuldig und nahm den Reiter fest in den Blick. Er könnte jetzt eine goldene Nuss aus des hohen Rosses dampfenden Nüstern ziehen. Der Zauberer ließ es bleiben. Ruhig wartete er, was geschehen würde.

Die Ruhe des Atarkaniers übertrug sich auf sein Publikum, das nun ganz stille stand. Kaat hielt die Kinder an sich gedrückt und wisperte ihnen was Tröstliches. Aller Augen waren auf des Großmeisters Boten gerichtet.

Denn das war er, sein mi-parti in den Farben Herigolds gehaltenes Gewand verriet es wie das klerikale Wappen auf seiner Brust und der samtene Hut mit der Hahnenfeder und die schwere Goldkette mit dem Kreuz, die von der Heiligkeit seiner Erscheinung kündete.

Ohne die schweren ledernen Reithandschuhe abzustreifen nahm jetzt der Bote ein Pergament aus seiner Satteltasche. Langsam entrollte er das feste, spröde Dokument. Einmal ging sein scharfer Blick ganz über die Menge, ehe er mit schneidender Stimme zu sprechen begann.

„Hört und vernehmt, oh Volk, was Unser Verehrter Großmeister, der Heiligen Kirche Gesegneter Sendbote, der Gottgeliebte Herigold, Euch zu vermelden hat: Das Böse – DAS BÖSE – ist unter uns. Unter Euch. Unter Euch ist es, oh Ihr Menschen, nahe, ganz nah…“ Der fahrende Zauberer erkannte den Tonfall. Der Großmeister verwendete ihn in seinen Predigten. Er selber verwendete ihn, wenn er Eindruck machen wollte. Nabilayn dachte an die goldene Nuss und schnaubte leise.

„Eine Hexe verbreitet ihr unseliges Gift in unserem Land. Lautlos hastet sie umher, gehetzt, gejagt, und wen sie anrührt, den reißt sie mit sich in den Abgrund. In die HÖLLE! Seid wachsam, liebe Brüder und Schwestern! Seid WACHSAM …“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause.

„Und woran, oh Edler, erkennen wir sie?“, sagte Nabilayn endlich gehorsam in das lastende Schweigen, um die Sache abzukürzen. Seine Stimme war sicher und klar. Der Bote lächelte ihm zu, dankbarer als er es beabsichtigt hatte. Nabilayn neigte den Kopf.

„Hört und vernehmt, oh Menschenvolk, was Unser Verehrter Großmeister, der Weiseste unter den Weisen, Euch über die verderbte Hexe zu sagen hat. Hört und merkt auf und seid wachsam. Denn in aller Unschuld erscheint sie Euch, die Unselige. Im Gewand einer Nonne erscheint sie, die ausgefeimte Teufelsbrut, um Euch zu täuschen, zu betrügen, in Sicherheit zu wiegen. Tage schon treibt sie ihr hässliches Unwesen im Land und sie ist mal hier und mal dort und niemand – NIEMAND – ist sicher vor ihr!“ Die Menge auf dem Marktplatz wogte irritiert durcheinander. Eine Nonne. Sicher hatten sie eine Nonne gesehen. Und mehr als eine. Doch welche war’s? Und wen hatte sie angerührt? Wer würde zur Hölle fahren? Wer? Lieber Himmel hilf, wer?

Kaat stieß die Frau mit der schrillen Stimme in die Seite, weil jetzt der Herold des Großmeisters weitersprach.

„Und nun vernehmt, Brüder und Schwestern, was der Verehrte Großmeister Euch in seiner Unendlichen Gnade befiehlt: Seht und fühlt und lasst Euer Herz sprechen, wann immer Ihr etwas Unfrommes bemerkt, und meldet es der Heiligen Kirche. Es soll Euer Schaden nicht sein, denn mildtätig und von großer Güte ist die Heilige Kirche und erlässet alle Sünden dem, der der Hexe Treiben uns entdeckt, und reicht wohl auch so manchen Goldflorin dazu…“ Ein Raunen erhob sich. „MELDET ES!“, polterte des Großmeisters Herigold dazwischen, dass alles sogleich verstummte. „Und gebt gut acht: Längst mag die kleine Hexe das fromme Gewand getauscht haben. Bedenkt, sie ist gerissen. Doch hört und gehorchet, so wird Euch nichts geschehen. So spricht Herigold: Redet nicht mit ihr. REDET NICHT! Legt keine Hand an sie und rührt sie nicht an. RÜHRT SIE NICHT AN, AUF DASS KEIN SCHADEN EUCH GESCHEHE UND SIE UNVERSEHRT UND HEIL VOR DES HERRN ANGESICHT TRETE, UM IHR GERECHTES URTEIL ZU EMPFANGEN! - - - Und nun merket auf“, sprach er rasch weiter, weil sich Fäuste ballten und ein Murren aus der Menge aufstieg, da sie der Hexe mit eignen Händen nicht habhaft werden durften. „Drei Dinge sind’s, die Euch zu ihr führen. DREI DINGE. Und so merket auf, oh Menschen, merket auf…“ Das Murren erstarb. Andächtig entrollte der Bote einen weiteren Abschnitt des langen Pergamentes und fuhr mit den Augen über die energisch hingetuschten Buchstaben, von Herigolds eigener Hand geschrieben. Nabilayn sah den harten, schwarzen Tintenstrich, der durch das brüchige Blatt schimmerte, und wie es leise zitterte. „Wir hören voll Demut, oh Edler“, sagte er ruhig.

„So spricht Herigold“, hob der Bote an. „Zum ersten. Zart ist die Frau und klein, sie misst mit Mühe wohl fünf Fuß. Zum zweiten…“ Nabilayn sah den Adamsapfel des Mannes auf und nieder gehen. „Jung, blutjung ist sie und hübsch von Angesicht und ihr Haar, wiewohl geschoren nach der Nonnen Art, ist schwarz wie Ebenholz.“ Die Menge tuschelte aufgeregt, doch er sprach weiter, eilig. „Zum dritten. Auf der Wange…“, er schluckte, „…auf der Wange trägt sie ein Mal. Ein Teufelsmal. Der Beelzebub…“, er suchte nach seiner Stimme und fand sie endlich wieder, „… der Beelzebub selber hat’s ihr gebissen in das… in das weiche Fleisch… dass ein jeder es sehe… für alle Zeit…“, er ließ das Pergament sinken.

Nabilayn schlug die Augen nieder, in denen grell die Erkenntnis aufflackerte. Er hat’s ihr selber zugefügt, wie Männer in Ekstase tun. Graf Ganiweyll rang um Fassung dort oben auf seinem Ross. Ich hab’s ihr selber zugefügt, ich Unseliger, in einem Moment der Wonne; des Wahnsinns; der Sünde. Ich selber. Noch weiß es niemand. Die Hexe muss brennen.

„Die Hexe muss brennen!“, rief er jetzt sehr laut, und „Brennen!“ schrien Fien und Marieke aufgeregt, dass der Mutter Hand auf sie niederfuhr und nur im letzten Augenblick über der Kinder Köpfe verhielt. „Schweigt!“ zischte sie und riss die Kleinen fort und zog sie durch die Menge und stürzte heimwärts. Unterwegs fand sie Joris und nahm ihn auf den Rücken, obwohl er protestierte, und rannte, rannte, rannte, bis sie zu Hause waren.

Sie konnt’s aber nicht verhindern, dass er abends, als das Nachtmahl genommen und die Kinderschar zu Bett gebracht war, der Taverne zustrebte, wie er’s bisweilen tat, wenn er ratlos war und unruhig. Wütend starrte Kaat ihm nach, die Hände auf dem runden Bauch, und verriegelte dann fest die Tür.

An der Ecke wartete Zand. Der Henkerssohn nickte Eijckhout zu und nahm ihn hoch. Sie hatten nicht viel Zeit. Nach Einbruch der Dunkelheit musste ein jeder in seinem Hause sein oder, wenn er auf der Durchreise war, in seinem Nachtquartier in einer der Schänken oder bei einem Verwandten oder Freund. Wen die Wachen des Nachts draußen antrafen, den steckten sie ins Verlies, bis Zeit und Muße und ein Verantwortlicher sich fanden, den Fall zu klären. Lange.

Schon hob sich blauviolett die Dämmerung hinter den abendroten Giebeln empor. Jeremiah beschleunigte seinen Schritt. Die Garden patrouillierten bereits durch die Gassen und maßen, wem sie begegneten, mit mürrischem Blick. Zand und Joris und die Wachen kannten einander und oft genug hatten die alten Haudegen freundlich weggesehen, wenn die beiden zu später Stunde noch unterwegs waren. Nun aber waren neue Männer hinzugekommen, fremde; auch tagsüber sah man sie jetzt häufig, wie sie in ihren schwarzen Kapuzenmänteln durch die Straßen strichen; Joris und der Bader suchten vergebens ein vertrautes Gesicht und wandten den Blick von den dunklen Gestalten und eilten weiter.

Wo auch immer sie den Tag über gewesen sein mochten – nicht einer war unter den Gästen der Rosen-Taverne, der heute nicht die Botschaft des Großmeisters vernommen hatte. Sie brauchten nicht lange, um das festzustellen, als sie sich um die groben Tische drängten, weil es aus einem jeden sogleich herausbrach, was er gehört und gesehen hatte. In den Weilern und auf den Feldern, in den Werkstätten und den Scheunen und den Ställen, ja bei der Köhler armseligen Hütten gar hatte man’s vernommen oder doch zumindest berichtet bekommen, was der Heiligen Kirche Großer Sendbote, der geachtete Großmeister Herigold, seinen Schwestern und Brüdern im Geiste kund zu tun befohlen hatte durch die edlen Herolde; große Herren allesamt, von Ansehen und von Adel und in feinster Seide und mit Gold geschmückt wie ihrer edlen Rösser kostbares Zaumzeug… und allesamt des Lesens kundig, jener magischen, unheimlichen Kunst, die krudem Gekritzel Geist und Sinn abpresste, wie keiner der ihren hier im Rund es je vermöchte noch dessen bedurfte.

Oder doch fast keiner. Jeremiah Tobit Zand schwieg, wie immer, wenn’s zu diesem Thema kam, und nahm kleine Schlucke Wein und hörte zu.

„Er hat einen Goldflorin versprochen!“ rief jetzt Dries van der Ouwe, der es draußen im Weiler Tannhoeve bei seiner Nichte vernommen hatte, und andere fielen aufgeregt ein, weil sie es auch gehört hatten – Jannes, der Hufschmied, Tabeusz Adelaer, der Schneidermeister, und Ulfert, Martens Sohn, der ein Maurer und Steinmetz war, und noch viele andre auch. Joris seufzte und malte sich aus, was Kaat sagen würde, wenn er mit einem Goldflorin nach Hause käme.

Mit so einem Goldflorin… Oh nein. Besser nicht. Dass seine hochschwangere Frau ihn vor aller Augen nach Hause getragen hatte, war nicht das Schlimmste am gestrigen Tag gewesen, hatte er festgestellt, als Kaat, kaum dass die Tür geschlossen war, zu zetern angefangen hatte, zu schimpfen, zu maulen, zu schreien, gegen ihn, gegen die Kinder, gegen die Kirche gar. Gekocht hatte sie auch nichts. Er war froh gewesen, heraus zu kommen. Das Weib war irre geworden.

Kaat… Unruhig schob Joris sich auf der Bank zurecht. Sie kannten einander seit zwanzig Jahren. Er wusste wohl, dass sie nicht irre war. Eijckhout räusperte sich und stellte sich mit seinen umwickelten Beinstümpfen auf die Bank. Jeremiah hob die Brauen.

„Na, hat dein Weib dich gut nach Haus gebracht, Kleiner?“, grinste Reinbrecht Vogeley, der ein Färbermeister war wie Joris einer hätte werden können. „Oh ja, Bricho, das hat sie, und gleich ins Bett und hat sich zu mir gelegt und mir mächtig aufgespielt zum Tanze“, sagte Joris grob. Nichts davon war gestern geschehen, aber alle lachten und Bricho schwieg und der Bettler sagte jetzt sehr laut, „So einen Goldflorin, den will ich nicht!“ und schlug mit der Holzstütze auf den Tisch.

„Hört, hört!“, spotteten die ersten und andere fielen empört ein. Der Henkerssohn grinste anerkennend, während der Lärm anschwoll. Vielleicht würde er den Bettler hier heraushauen müssen, aber das war es wert. Joris ließ sich auf die Bank sinken und nahm einen großen Schluck Bier. Er fühlte sich, als hätte er Meilen zurückgelegt.

„Des Großmeisters Gaben verachten, das sieht dir ähnlich!“, knurrte Dries.

„Einer Hexe helfen… du weißt, wie das endet!“, schrie Tabeusz, der Schneider.

„Fahr doch zur Hölle…“ kreischte Jakub Mandeleyn, der als Gesell bei Adelaer schaffte, „…Ketzer!“

Joris starrte die Männer an. Gestern noch waren sie Freunde gewesen.

„Du hast es nicht nötig, das Gold, wie, Kleiner?“, brüllte ihm jetzt auch noch wer ins Ohr.

Bricho.

Joris fuhr hoch und suchte den Mann zu packen.

„Genug!“ Das war die donnernde Stimme von Zand. Zand, der ihm die Hand auf die Schulter legte und langsam aufstand. Die Männer sahen ihn überrascht an und verstummten, die Fäuste geballt. „Hört nicht auf den Henkerssohn…“, murmelte wer. Bricho lachte.

„Oh doch…“, Zand lächelte und bleckte seine makellosen Zähne, „ihr hört jetzt auf den Henkerssohn“, sagte er bedrohlich leise, „wenn ihr nicht zu betrunken seid…“, er ließ seinen klaren Blick über die Männer wandern, die ihn mit glasigen Augen betrachteten. Dries stieß geräuschvoll auf. „Schämt Euch“, sagte Jeremiah Tobit Zand. „Diese Zeit gehört den Nüchternen. Den Klaren. Den Klugen.“ Er sah zu Eijckhout. „Uns.“ Joris lächelte jetzt auch und entblößte sein verwittertes Gebiss.

Raues Gemurmel erhob sich. „Ihr könnt mit uns sein“, sagte der Bader deutlich und laut, „oder alleine ins Verderben rennen. Ihr könnt besoffen sein. Oder besonnen…“, das Murmeln schwoll an. „Entscheidet euch!“ rief Zand jetzt sehr laut.

„Was hast du uns zu bieten?“, zischte der Färber. Zand wandte ihm das Angesicht zu, ganz langsam. Er lächelte, aber seine Augen waren kalt. „Alles, was du nicht hast, Bricho“, sagte der Henkerssohn leise. „Würde. Verstand. Kameradschaft… wenn du weißt, was das ist…“, er stieß heftig die Luft aus und umklammerte die Tischkante, dass er dem Mann nicht an die Gurgel ginge. Und weil ihm die Hände zitterten.

Er setzte sich und versuchte, nicht auf die Stimmen um ihn her zu hören, und fasste nach Joris’ Hand und starrte auf die trüben Scheiben, durch die sich mühsam das letzte Licht des vergehenden Tages kämpfte. „Lass uns gehen, verdammt“, sagte er heiser.

Erstaunt spürte er, wie gern er sich jetzt geprügelt hätte. Mit Bricho. Mit den Wachen. Egal mit wem. Wär er allein, er hätt’ es wohl getan, zum Henker. Er warf zwei Münzen auf den Tisch und lupfte den Bettler auf seine Hüfte und stürmte in die hereinbrechende Nacht hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Er bemerkte den andern erst, als eine sachte Stimme ihm ans Ohr drang. „Ich komme mit euch“, sagte der Mann entschlossen. „Jannes!“, rief Joris erfreut. „Wir auch!“, wisperte es hinter ihnen. Jeremiah sah sich um. Mandeleyn war’s, mit Konrad im Schlepptau und Tasso, die seine Brüder waren und bei seinem Meister in der Lehre. „Verdammt nett von euch“, sagte der Bader überwältigt.

Joris schwieg und vergrub seine Finger in Zands gutem Samtdoublet. „Nimm zurück, was du vorhin gesagt hast“, fauchte er schließlich den Schneidergesellen an. Jakub hob die Hände. „Es war wegen Adelaer“, hauchte er. „Ich brauche die Arbeit…“

„Du hast sie grad eben verloren, Kobe“, konstatierte Eijckhout trocken. Man musste kein Krüppel sein, um auf die Straße gesetzt zu werden. „Ich weiß, Joris“, sagte Jakub und versuchte tapfer zu klingen. Er war noch so jung. Und er hatte gerade seinen kleinen Brüdern die Zukunft zerstört. Beiden. „Großer Gott“, sagte er, als er es richtig begriff. Jeremiah drückte seine Hand.

Gemeinsam liefen sie rasch weiter, als hätten sie ein Ziel, weil jetzt aus der Ferne ein Wachmann auf sie zukam. Der Hufschmied schlug Feuer und entzündete eine Laterne, die er unter seinem Mantel getragen hatte. „Du hast an alles gedacht“, sagte der Bader bewundernd. Wer ein Licht mit sich führte, war ein aufrechter Bürger. „Gritzel hat sie mir gegeben“, flüsterte Jannes. Zand legte ihm die Hand auf den Mund, weil die Wache schon ganz nahe war. „Zum Henker aber auch…“, murmelte er. Die Wirtin der Rose war ein echtes Teufelsweib und hatte das Herz am rechten Fleck. Nicht umsonst trafen sie sich bei ihr, wenn es was Ernstes zu besprechen gab. Bis eben jedenfalls, verdammt.

Verdammt. Verdammt. Verdammt.

„Wohin so spät des Wegs, Männer?“, bellte der Wachmann. Zand sah ihm in die Augen. „Vergebt mir, aber noch ist des Tages Licht nicht verschwunden, Herr“, sagte der Bader tonlos. „Wir geh’n daher, wohin es uns beliebt!“ Er verneigte sich spöttisch. Joris krallte seine Finger um des Baders breite Schultern. So kannte er den Freund nicht. Das würde schief gehen. Ganz schief. Er holte tief Luft. „Joris Eijckhout, Herr, Bettler hieselbst“, beschied er die Garde eilig. „Wir sind auf dem Weg zu meinem Haus, Herr. In der Gerbergasse das letzte, wisst Ihr, Herr, das mit dem krummen Giebel. Die Männer sind meine Gäste für die Nacht…“, er verstummte erschöpft und versuchte, seinen Herzschlag zu bändigen, der gegen Jeremiahs Rücken trommelte.

Der Wachmann ließ seinen Blick über den Krüppel wandern. „Ein Bettler…“, machte er. Da fuhr der Henkerssohn auf, dass Joris sich mit Mühe noch halten konnte. „Ein Färber, Herr! Ein Färber war er, bis ein Ochsenkarren ihm die Beine zermalmte wie ich euch gleich die…“ Zand mahlte mit den Zähnen und schloss seine Fäuste um Eijckhouts eiskalte Hände. „Es ist gut, Tob!“, würgte Joris heraus, sorgsam des Baders richtigen Namen vermeidend. „Vergebt mir, aber noch ist des Tages Licht nicht verschwunden, Herr“, wandte er sich dann an die Garde. Der Henkerssohn zuckte zusammen und hätte vor Bestürzung fast gelacht. „Erlaubt uns, Herr“, sprach der Bettler weiter, „unsern Weg fortzusetzen, denn wir woll’n vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein… Wenn es Euch beliebt“, fügte er noch hinzu. Der Bader wischte sich die Augen. Was für ein Prachtkerl, zum Henker. Joris sah auf die schwarz gekleidete große Gestalt und wunderte sich, woher ihm all diese Worte gekommen waren. Nicht eines mehr würde er herausbringen, das war gewiss.

Der Wachmann betrachtete die kleine Schar. Fiebrig maß Zand seinen unschlüssigen Blick. Verflucht, verflucht, verflucht, was hatte er getan? Er fasste Eijckhout fester. Wenn Joris etwas geschähe, würde er es bis ans Ende seiner Tage bereuen und darüber hinaus.

Endlich winkte die Wache sie weiter. „ Schert euch fort!“, grollte der Soldat. Es klang wie ein Fluch. Eng aneinandergedrängt machten sie sich wieder auf den Weg. „Schschsch, Tob“, sagte Joris sacht. In all den Jahren hatte er Zand nicht weinen gesehen.

Eben als die samtschwarze Nacht des Tages letzten Schimmer hinter die Häuser geschoben hatte, kamen sie an, von keiner weiteren Wache behelligt. Zand ließ den Bettler herunter, der einen riesigen rostigen Schlüssel hervorzog.

Keinen Steinwurf entfernt schmiegte sich eine schwarz bemantelte Gestalt an eine nachtdunkle Wand und registrierte die Szene aufmerksam.

Kaat machte Augen, wie sie die Männer alle sah, und wollt wohl wieder zu schimpfen beginnen, doch Joris legte die Hand ihr über die Lippen und dann seinen Mund und brachte sie sanft zum Schweigen. „Kommt herein“, knurrte die Magd, als er sie ließ, und verriegelte die Tür, ein letztes Mal für heute. „Die Schuhe aus!“, kommandierte sie streng. „Und leise sein. Die Kinder.“ Sie ging Wasser aufzusetzen, weil heißes Wasser fast so gut wie Suppe war, und der Bettler suchte seine Gäste in dem einzigen Raum zu verstauen, den das Haus bot. Die Männer verteilten sich auf dem gestampften, mit sauberen Binsen belegten Lehmboden. Rauch hing in der niedrigen Stube. Hinter einem grob gewebten Vorhang schliefen die Kleinen in der strohgefüllten Schütte, die auch der Eltern Bettstatt sein würde, wenn das hier zu Ende war.

Der Hufschmied stellte die Lampe auf den Tisch und löschte das kostbare Licht der Familie. Kaat lächelte ihm dankbar zu. Dann zog er eine in ein Tuch gewickelte Speckschwarte unter dem Mantel hervor. Kaat schlug die Hände vor den Mund „Gritzel“, erklärte der Schmied. Zand, der nichts mehr gesprochen hatte auf dem ganzen Weg, seufzte ehrfürchtig. Was hatte die Wirtin doch für eine wunderbare Weitsicht! Dann verstummte er wieder.

Als Kaat Stücke von dem Speck in das Wasser zu werfen begann, wehrte Jannes, der Hufschmied, hastig ab. „Wir haben gegessen“, sagte er, „danke.“ Kaat grinste breit. „Aber der hier nicht!“, sagte sie und wies auf ihren Mann und tat noch ein paar Speckwürfel in das Wasser und barg die kostbare Schwarte wieder in das Tuch und hing das Bündel an einen eisernen Haken unter der Decke, dass die Mäuse es nicht so leicht zu packen kriegten.

Zand studierte die Kräuter, die die Hausfrau jetzt von Büscheln zupfte und in das Wasser gab, das fast schon eine Suppe war. Liebstöckel und Lorbeer, Thymian und Salbei und Beifuß und Majoran. Der Bader schloss die Augen und ließ alles andere verrinnen, bis nur noch dieser würzige Duft blieb und das Gefühl, endlich zu Hause zu sein.

Erst als Kaat ihm einen Holzlöffel in die Hand drückte, sah er auf. „Ich habe schon…“, wollte er protestieren, doch Kaat legte ihren Finger auf seine Lippen: „Die Kinder…“, sagte sie schlicht. Um eine dampfende Schüssel herum saßen sie am Boden. Den winzigen Tisch mit der Lampe darauf hatten sie an die Wand gerückt. Kaat war schwerfällig auf einen der beiden Stühle gesunken und hatte die Füße auf den anderen gelegt. Zand betrachtete sie. Acht Monate sicher. Vielleicht ein oder zwei Wochen mehr. Heißes Wasser hätten sie. Aber mit Speck und Kräutern. Der Bader tauchte seinen Löffel in den Sud. Das wäre mal was anderes.

Kaat sah ihn an und verstand. Sie schüttelte sanft den Kopf. Joris war immer eine erstklassige Hebamme gewesen und er kostete nichts. „Es wird alles gut“, sagte sie ruhig. Der Bader krauste die Stirn. Eigentlich wäre das sein Part gewesen.

Die Männer unterhielten sich leise. „Die haben ganz schön die Hosen voll, die hohen Herrn“, flüsterte Jakub seltsam aufgekratzt. Jeremiah horchte auf. „Kobe, wie meinst du das?“, fragte Joris. „Na, ich hab’s doch selber gehört! War in der Burg, mit dem Meister, zur Anprobe – ist ein großer Mann, mein Meister…“, er brach ab und schüttelte den Kopf und schlug mit der Faust in die Binsen. „Großer Gott…“, murmelte er abermals.

„Du warst zur Anprobe…“, sagte Jeremiah behutsam. Jakub fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. „Die Damen in der Burg…“, hob er heiser an, „die reden, als wenn wir nicht da wären. Über alles reden die, immer, als wären wir Luft…“ er holte tief Atem und hatte schon fast seine vertraute Stimme wieder. „Und die eine, die das purpurne Gewand bestellt hat, mit den grünen Ärmeln und den Silberborten“, erklärte er atemlos, „die hat gesagt, wenn die Hexe nicht binnen Wochenfrist gefasst ist - - -“, er schaute seine Zuschauer herausfordernd an, mit Augen, in denen es immer noch verdächtig schwamm. „Sag schon!“, brummte Jannes bereitwillig. Jakub war ein guter Kerl. Er schwatzte gern, aber er war ein guter Kerl. „Wenn die Hexe nicht binnen Wochenfrist gefasst ist, hat sie gesagt, die Dame mit dem Purpurkleid, und zwar lebend, hat sie gesagt, lebend!, würden Köpfe rollen. Geschluchzt und geweint hat sie, die edle Dame, wie sie das den anderen erzählt hat, weil er das zu ihrem Mann auch gesagt hat – zu ihrem eigenen Mann!“ „Wer?“, fragten alle wie aus einem Mund. Jakub lächelte und lehnte sich zurück. „Der Großmeister. Herigold selber, der hat das gesagt.“

„Sie wird ein schwarzes Kleid bestellen und du wirst nicht mehr dabei sein“, sagte Joris mitleidslos in die andächtige Stille. Jakub wollt’ ihm an den Kragen, doch er ließ die Hände wieder sinken. „Ja“, murmelte er matt. Vielleicht sollte er doch versuchen, sich den Goldflorin zu verdienen.

Für die Brüder. Seine kleinen Brüder.

„Wo mag sie nur sein…, die Hexe?“ – Mandeleyn versuchte es beiläufig klingen zu lassen. Joris bohrte seinen Blick in die magere Gestalt. „Jakub, Jakub, Jakub…“, schnaubte er. „Es brennen schon so viele. Reicht dir das nicht?“ „Scht!“ zischte Kaat. Der Schneidergesell erwiderte nichts. Schweigend starrte er geradeaus, ein leeres Lächeln im Gesicht. Wie geschnitzt.

Der Bader sah ihn aufmerksam an. Er hatte das schon öfters beobachtet, wenn wo ein Unglück geschehen war. Das fahle Gesicht, die aufgeriss’nen Augen, der Schweiß auf der Stirn – „Darf ich“, sagte er und befühlte kundig den knochigen Körper. Eiskalt die Haut, flach der Puls und viel zu schnell. Jakub wollte aufstehen. „Lass nur, Bader“, sagte er, „Ich geh’ jetzt nach Hause“, und brach zusammen.

Der Bader fing ihn auf. Erschrocken beugten die Freunde sich über die reglose Gestalt. Zand hielt Jakubs Kopf in seinem Schoß. „Legt seine Füße auf einen Stuhl“, ordnete er an. „Tut mir leid, Kaat!“ Aber sie war schon aufgestanden und reichte Zand einen mit kaltem Wasser getränkten Fetzen Tuch. „Joris hat das auch… manchmal“, sagte sie, sehr leise an seinem Ohr, dass kein andrer es hörte. Jeremiah sah ihr in das verlebte, schöne Gesicht. „Ich weiß“, wisperte er, „ich weiß.“ Meist klammerte des Bettlers gekappter Körper sich zäh ans Leben, aber bisweilen schien er es einfach aufgeben zu wollen. Und dann lag er da, leblos, wie jetzt sein Kamerad, Jakub Mandeleyn, des Schneidermeisters Tabeusz Adelaer gewesener Gesell. Zand betupfte Jakubs Stirn mit dem kühlen Tuch und redete sanft mit ihm. Die ganze Zeit hielt er die Finger an seinen Puls. Kaat sah ihm zu. Der englische Bader hatte sie alles gelehrt, was er darüber wusste. „Es wird wieder gut“, sagte sie bestimmt.

Da schlug der Schneidergesell die Augen auf. Jeremiah sah des Bettlers Frau überrascht an, aber Kaat zog den Vorhang zur Bettstatt beiseite, als wäre nichts Besonderes geschehen. „Ohme Schneider ist müde“, flüsterte sie und schob die schlaftrunkenen Kinder dichter zusammen, dass der Kranke Platz fände. Der Bader nahm Mandeleyn in seine Arme und bettete den hageren Mann behutsam neben die Kleinen und redete eine Weile ruhig mit ihm, während er des Mannes Pulsschlag aufmerksam durch seine Fingerkuppen gehen ließ. Fien betrachtete ihn mit großen, traumverhangenen Augen. „Schlaf, Fieneke, schlaf…“, der Bader strich federfein über des Kindes Stirn, bis es wieder einschlummerte. Dann schloss er den Vorhang, nur so viel, dass er den Mann im Auge behalten konnte, und brachte Kaat den Stuhl zurück und setzte sich zu den anderen. Ein bemerkenswerter Fall. Er hätte sich jetzt gerne etwas notiert.

„Ist es… wegen uns…?“ Konrad und Tasso klapperten mit den Zähnen. Der Bader lächelte den Jungs zu, die ihn mit den ewig-hungrigen Augen der Mandeleyns wissend ansahen. „Er liebt euch. Und er hat recht damit!“ Er schob ihnen die Schüssel hin, während er beständig weitersprach. „Hier. Esst… Ja. So. So ist es gut…. So ist es gut…“, und die Halbwüchsigen fassten sich und fielen über die letzten Speckbrocken her und ihre Zähne hörten auf zu klappern.

Die Lampe flackerte unruhig und würde bald verlöschen. „Wo waren wir stehengeblieben?“, der Bader schlug sacht in die Hände, wie um etwas zu vertreiben, und sah sich erwartungsvoll um. Normalerweise war er verdammt gut in diesen Dingen.

Endlich sprach wer. „Man sagt, sie ginge als toter Ritter um…“ Jannes. Alle sahen ihn an. Der Hufschmied senkte den Kopf und knetete den Lederbeutel mit den Feuersteinen, den er am Gürtel trug. Er hatte das nicht sagen wollen. Es war Unsinn. Es war natürlich Unsinn.

Der Hufschmied war gut Freund mit dem Köhlervolk, das im Walde hauste, drüben, überm Fluss. Die Köhler, rußig und verrufen, unreine Leute, die man besser mied. Jannes presste die Lippen zusammen und sog die rauchige Luft ein. Boni und Sira und Tomte und Klaas. Gobert. Bjarn. Ihr kippliger Kahn, gut verborgen im Schilf des Flussufers. Nächte am Feuer, hartes Lachen, grobe Geschichten. Klares Quellwasser und Brot mit Schimmel und der beißende Qualm aus der Grube, in dem der Köhler las wie die Herrn in ihren Pergamenten… Und keine Wachen weit und breit. Keine Späher. Keine Soldaten. Dort nicht. Niemals. Bis vor drei Tagen.

Da war, so hatte Tomte, der die beste Holzkohle der ganzen Gegend machte, es dem Schmied erzählt, ein Häscher der Königin gekommen, zu seiner Köhlerhütte war er gekommen, in bunter Seide wie ein König so schön und mit Hunden wie Bären so groß. Tomte war fein in seiner Hütte geblieben und hatte durch einen Spalt gelugt. Der Mann hatte was Leises gesagt, dass die Tiere stille wurden und im Kreis sich setzten. Da war Tomte schließlich herausgekommen. Als der Mann Tomte gefragt hatte, ob hier wohl eine Nonne vorbeigekommen sei, war der Köhler in Lachen ausgebrochen. „Eine Nonne… hier bei mir… das würd’ mir wohl gefallen!“ – er schlug sich mit den schwarzen Händen auf die Schenkel, als er’s dem Schmied erzählte. „Das hast du gesagt?“, hatte Jannes gefragt. „Nein, du Narr! Dass ich keine Nonne gesehen hab’, das habe ich gesagt!“

„Und dann?“ Konrad sog an seinem Löffel, der noch nach Speck schmeckte.


„Dann ist der Häscher weitergezogen mit seinen Hunden. Aber vorher, da hat er Tomte noch gesagt, dass ihm grad eben der Ritter Gabriel selber begegnet wär, jawohl, er selber, mitten im Wald…“ Jannes hielt inne und knetete wieder den Beutel. „Da hab ich Tomte sagen müssen, dass Ritter Gabriel…“, er sah unsicher in die Runde, „…dass er tot ist, an seinen Wunden gestorben, am Tag nach der Schacht…“ Er hob die Schultern, wie um sich zu entschuldigen. „Es war die Hexe“, sagte er leise. „In der Stadt sagen sie das auch“, schob er lauter hinterher.

„Sagen sie das?“ Der Bader guckte streng.

Dass der Untote aus dem Wald bei seinen Patienten das Tagesgespräch gewesen war, sagte er lieber nicht. Jetzt wusste er wenigstens, warum. Was so ein kleiner Wichtigtür anrichten konnte. Mit Hunden wie Bären, pah! Den würd’ er gerne mal treffen. Hol’s der Henker!

„Der Herold hat’s ja selber gesagt!“, rief jetzt der Hufschmied, von Kaat hastig zur Ruhe gemahnt. „Was hat er selber gesagt?“ Jeremiah bemühte seinen geduldigen Baderton. „Dass sie jedermanns Gestalt annehmen kann“, wisperte Jannes, „die Hexe…“ Aufgeregtes Gemurmel erhob sich. Jannes hatte Recht. Sie hatten es selber gehört.

Jeremiah schüttelte den Kopf. Den Herold würd’ er auch gerne mal treffen. Alle Herolde am besten. Verflucht nochmal, was führte der Hof da im Schilde? Herigold, besser gesagt… Die Armen irre machen mit Reden vom Goldflorin. Diesem verdammten Goldflorin. Mit dem hatte alles angefangen. Wegen dem saßen sie jetzt hier. Verflucht nochmal.

„Das glaubt ihr doch alles nicht!“, zischte er wütend.

„Meinst Du, der Großmeister irrt?“ Jannes starrte ihn herausfordernd an.

Herigold. Der Heiligen Kirche Gesegneter Sendbote. Der Gottgeliebte. „Nein“, sagte der Bader wahrheitsgemäß. Irren war nicht das richtige Wort. Der Großmeister war ein wunderbarer Künstler und er wusste, was er tat. „Herigold ist ein kluger Mann“, sagte er bedächtig und hoffte, dass sie es verstehen würden, „aber wir sind auch klug.“ Kaat nickte ihm aufmunternd zu. „Herigold hat die Macht. Das Geld. Die Armee ….“, er machte ein bedeutungsvolle Pause, „Die Königin…“. Der Bader sah das Grinsen auf ihren Gesichtern. Jetzt hatte er sie.

„Aber wir, wir haben uns“, sagte der Henkerssohn, leise nur, sie wussten es ja selbst.

Joris guckte zu seiner Frau hinüber. „Er muss Eindruck schinden bei ihr“, platzte er heraus, was seine Zuhörer mit fröhlichem Gelächter quittierten. „Oh, Joris…“, Kaat fuhr ihm über das Gesicht, „mich würde das nicht beeindrucken. Was er da macht. Und das ganze Geld…“ Joris nahm ihre Hand. „Ich weiß, Kaat“, flüsterte er, „aber ich beeindruck’ dich trotzdem gern… anders…“ Sie lachten wieder und Kaat knuffte ihren Mann und wies auf Gritzels versiegendes Licht. „Zünd lieber unsere Lampe an, Mann!“

Na bitte. Der Bader holte tief Luft. Er war wirklich verdammt gut in diesen Dingen.

Sie redeten noch von diesem und jenem und sie scherzten miteinander, weil das Leben viel zu kostbar war für Sorge und Streit. Immer wieder stand der Bader leise auf, um nach seinem Patienten zu sehen. Kaat blickte in Tobs müdes, zufriedenes Gesicht und lächelte ihm zu.

Endlich schliefen sie ein, durcheinandergewürfelt auf dem Binsenboden. Nur Kaat hatte noch Platz in der strohgefüllten Schlafstätte gefunden. Zand lauschte in der Dunkelheit ihren entspannten Atemzügen, in die sich das Schnarchen der Männer mischte, und kratzte nachdenklich an einem Flohbiss. Er hatte sich einen Stuhl herangerückt und Jakubs Hand gefasst. Seine warmen Finger ruhten auf Jakubs Puls, der ebenmäßig und fest schlug. Zand legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Morgen würde er seine Beobachtungen notieren. Vielleicht würde er eines Tages mit Doctor Cornelis darüber diskutieren können. A remarkable case, thou thinkest not, doctor? In der Dunkelheit verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Was für ein verdammt interessanter Tag das gewesen war.


Der Krieg

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