Читать книгу Der Krieg - Barbara E. Euler - Страница 5
Zweites Kapitel
Оглавление„Nicht jetzt…“, keuchte Herigold. Das Kaminfeuer, das sich in seinen dunklen Augen spiegelte, funkelte hell wie die lodernden, reinigenden Scheiterhaufen, die man jetzt allenthalben im Lande sah. Im Land des Südens. Seinem Land - bald schon. Herigold sog genüsslich die Luft ein, die nach Wein und kostbarem Räucherwerk duftete. Und nach Jolanthe. Seiner Gespielin. Seiner Königin. Ihre Haut auf seiner. Heißer als das Feuer machte sie ihn glühen. „Nicht jetzt!“ stieß er hervor, lauter jetzt, als es wieder an die schwere, geschnitzte Türe des Gemachs klopfte. Das Klopfen mischte sich mit dem seines Herzens, das schnell und immer schneller schlug und den treibenden Rhythmus ihrer Bewegungen vorgab, schneller, schneller, bis das Glück in ihm explodierte und Königin Jolanthe erfüllte und sie beide reglos liegenblieben.
Im Gemach unter ihnen versuchte König Andurkan nicht auf das Keuchen zu hören. Aber jetzt klopfte es oben laut an die Türe. Mühsam setzte Andurkan sich in den Kissen zurecht. Man hatte ihm ein Gemach zu ebener Erde eingerichtet. Nach seiner Verwundung in der ersten Angriffsschlacht gegen die Nördlichen Lande hatte er lange gebraucht, um wieder laufen zu können. Er würde niemals wieder ein Pferd besteigen, hatten die Ärzte gesagt. Und was Jolanthe zu Recht von ihrem Gemahl forderte, er würde es ihr nicht mehr geben können. Nie mehr.
Sie waren einander versprochen worden, als Jolanthe noch ein Kind und er ein junger Knabe war. Füreinander bestimmt waren sie gewesen, zwei Seelen wie eine, zwei Herzen so stark und treu, einander so wie ihrem Land, auf immer.
Von allen Wunden diese.
Über ihm hämmerte es erneut gegen die Tür der Königin. „Unak?“ Von der Matte vor seiner Bettstatt schoss ein Mann hoch. „Sieh nach, wer das ist!“ Lautlos glitt der kräftige Leibwächter zur Tür. „Nein – bleib…“ sagte Andurkan leise. Spionieren war seine Art nicht. Er bevorzugte den Kampf mit offenem Visier. Mit unruhigen Händen fuhr er sich durchs Haar, während im wachsenden Licht eine weitere schlaflose Nacht in einen neuen namenlosen Tag hinüberglitt. Jolanthe war die Königin dieses Reiches und konnte tun und lassen, was sie wollte. Er war nur ihr Gemahl.
Andurkan schloss die Augen.
Wie durch einen Schleier sah er endlich auf das erste Licht des heraufziehenden Tages hinter den bunten Bleiglasfenstern. Was geschehen war, war geschehen und er hatte gehandelt, wie es eines Herrschers geziemt. Eines Tages würde er es akzeptiert haben. Eines Tages, vielleicht.
Langsam schob Andurkan die reich bestickten Decken aus Wolle, Pelz und Atlas beiseite. Vorsichtig stand er auf und besprengte sein Gesicht mit dem klarem, kaltem Wasser, das Unak in eine Porzellanschüssel gegossen hatte. Da pochte es leise an die Tür. Wie alle Morgen kamen vier Kammerdiener, den König anzukleiden, weil es die höfische Sitte verlangte. Mit einem Wink schickte Unak sie wie alle Morgen fort. Sein König ertrug das nicht mehr.
Andurkan legte sein Nachtgewand ab und schloss die Bruech um seine Lenden, von niemandes Blick berührt. Unak sah aus dem Fenster. Unak, der über ihm gewacht hatte, als er in schweren Fiebern lag wie nicht von dieser Welt, hinüberzusegeln bereit; Unak, der ihn gehalten hatte. Unak, der ihn verstand. „Manchmal wünschte ich, du wärst es, mit dem Jolanthe…“, brach es aus ihm heraus. Unak drehte sich zu ihm herum. „Schsch…“, machte er und legte Andurkan seine starke, warme Hand auf die Schulter.
Andurkan spürte, wie unter der Berührung sein heftig schlagendes Herz ruhig wurde. Er straffte sich. Wenn er aus dieser Kammer träte, würde er ein anderer sein. Nur Unak kannte ihn so. Für die Welt war er der König, mutig, stolz und unverzagt.
Er zügelte das Zittern in seinen Händen, während er die samtenen Beinkleider anlegte. Bald würden glorreiche Zeiten anbrechen. Das schändliche Gewürm der Hexen und Teufelsanbeter krümmte sich unter der starken Hand des Gesetzes. Viel zu lange hatten sie triumphiert mit dunkler, zersetzender Macht. Hexer, Teufelsbuhlen, zwiegesichtige Zwillingsbrut… Jetzt wurden sie zerschmettert, vernichtet, ausgelöscht, allesamt und ohne Gnade, zu des Allerhöchsten Wohlgefallen, Die letzten Schlachten waren siegreich gewesen; die besten Ritter warfen sich für sein Land in den Kampf gegen die brutalen Ketzerbanden aus dem gottlosen Norden.
Andurkan befestigte die Beinkleider an der Bruech. Seine Hände waren jetzt ganz ruhig. Großmeister Herigold, wenn auch bis zur Würdelosigkeit exzentrisch, war ein politisches Genie, milde gesagt, und sich der Loyalität des Klerikers zu versichern oberstes Gebot für einen König, der nicht so stark war wie er sich gab vor seinen Leuten. Jolanthe schätzte es wohl auch ganz richtig ein und tat, was sie für klug hielt. Sie war noch sehr jung. Ah, und, so durchfuhr es ihn wider Willen, sie brauchte einen Thronfolger. Ein Kind. Die Tränen schossen ihm in die Augen und rasch warf er Hemd und Tunika über den Kopf. Eine Weile nestelte er an seinem Gürtel, dann war es vorbei und er nickte Unak zu und ließ sich von ihm in die aus geschmeidigem Ziegenleder gefertigten Reitstiefel helfen. Dann trat er hinaus, hoch aufgerichtet und mit einem Lächeln.
Im Gemach über ihnen zog Jolanthe Herigold ganz nah zu sich heran. Zu lange hatte der Geliebte im Nebenraum mit dem Boten beratschlagt. Ihr war kalt. Herigold strich ihr über die Wange und überließ sich dem Spiel ihrer feinen, reich beringten Finger. „Alles wird gut, Hoheit“, wisperte er ihr zu und berührte mit den Lippen den diamantenen Schmuck an ihrem Ohrläppchen, den er ihr geschenkt hatte nach ihrer ersten Begegnung. Selbst des Nachts trug sie ihn… Der Großmeister dehnte sich behaglich auf dem warmen Fell. Agnes würde ihm nicht mehr gefährlich werden. Wahrlich, zu manchen Zeiten, wenn seine hoch gestellten Compagnons die Dienste der Nonne schier über die Maßen genutzt und gepriesen hatten, hatte er sich mit wohligem Schauder der Verstrickung ergeben, geschmeichelt und erschrocken und vollkommen unfähig, dem allen ein Ende zu machen. Nun hatte die Hexe ihr Schicksal selber besiegelt. War weggelaufen, das debile Ding. War Freiwild jetzt. War immer Freiwild gewesen.
Einem einfältigen Pfaffen war sie entwischt dank ihrer teuflischen Magie. Die Beichte hatte er ihr abnehmen wollen, hieß es. Herigold ließ seine warmen Finger über Jolanthes bereitwilligen Körper spielen und dachte voll Genugtuung an das Entsetzen in des Boten Augen, als der ihm mit Agnes’ Entlaufen auch deren schmählichstes Geheimnis verraten hatte, dass sie nämlich – der Himmel sei tausendfach gepriesen für seine ewig reichen Gnaden – ein Zwilling war, des Teufels eigene, widerwärtige Brut, der ewigen Verdammnis gewiss und zu erhaschen um jeden Preis. Auch den ihres Lebens, hatte der Bote fast tonlos der Oberin Worte widerholt.
Heiliges Feuer hatte Herigold da in seinen Augen entfacht, und dem Boten Lob und Dankbarkeit für Schwester Oberin aufgetragen, deren Verrat, so versicherte er, der frommen Taten die allerhöchste war, denn er, Herigold, er allein, vermöchte die Verruchte der Höllen Feuer zu entreißen, indem er sie brennen ließe in reinigenden Flammen, brennen! Auf kostbares Pergament hatte der verehrte Großmeister seine huldreichen und gottgefälligen Befehle an das erschreckte Kloster gesetzt, mit leichter, sicherer Hand, und hatte sein Siegel darauf gedrückt und den Boten entlassen, zur nötigen Eile väterlich ihn mahnend.
Die kleine Nonne würde nicht weit kommen, ohne aufzufallen. Es würde schnell vorbei sein.
Mit geübten Fingern entlockte Herigold Jolanthe ein lang gezogenes Stöhnen. Alles war zum Besten geregelt. Während er sogleich seine Königin abermals mit dem höchsten Glück erfüllen würde, lief das Signalement der verruchten Hure bereits von Posten zu Posten durch das eben erwachende Land.
Ein Zwilling, der aus einem Kloster kam… Herigold verzog das Gesicht. Das musste das Volk nicht wissen. Die Leute ängstigten sich schon genug. Und hatte er erst mal die eine, würd’ sich wohl auch die andere noch finden lassen und das Feuer zwiefach lodern machen, zwiefach! Aber gemach. Gemach…
„Eine mächtige Hexe wird alsbald zu Fall gebracht werden, zu Ehren Gottes und unseres ehrwürdigen Königs Andurkan“, wisperte er der Königin in das kleine Ohr. Jolanthe nickte wohlig und sah ihn dankbar an. „Es wird ihm zu mächtiger Stärke gereichen im ganzen Land“, ergänzte der Kleriker ernst, „und Euch zu Ruhm und Ehre, meine Königin – doch gebt Acht“, er fuhr mit dem Finger ihre schöne Nackenlinie nach, „es ist unser beider Geheimnis. Verschont den siechen König mit dem Bösen und seid stark für zwei. Wenn’s erst vollendet ist, das fromme Werk, und die Ketzerin lodernd brennt, wird unser König siegreich triumphieren vor dem Volke.“ Jetzt endlich ließ der Kleriker mächtiges Verlangen in sich aufsteigen, um seine Königin galant zu beglücken. Das Schicksal hatte entschieden. Bei Tagesanbruch würde Agnes von den Hunden gehetzt werden.