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Viertes Kapitel

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Andurkan betrat das Vorgemach. Mit freundlichem Nicken bedankte der junge König sich bei den Kammerdienern, die geduldig auf sein Erscheinen gewartet hatten, um ihm das Ornat anzulegen, und sich jetzt ehrerbietig vor ihm verbeugten. Andurkan schob die Arme in das bereit gehaltene golddurchwirkte Brokatdoublet und Sonbats dunkle, behände Finger schlossen die bronzenen Knebel über Andurkans Brust. Der mit schwerem atarkanischem Silberwerk beschlagene Ledergürtel mit dem Damaszener-Schwert wurde um seine schmalen Hüften gelegt. Die Silberintarsien auf dem polierten Ebenholzheft und die mit bunten, diamantgeschliffenen Edelsteinen besetzte Scheide funkelten in der Morgensonne, die jetzt mit voller Kraft durch die bunten Bleiglasfenster des großen Gemachs hereinschien.

Der schöne Frühling war gekommen. Das Gras für die Rösser gedieh, die Wege waren trocken und fest. Gute Zeiten zum Kämpfen und Töten. Andurkans stolze Augen gingen über seine Dienerschaft hinweg in blutige, siegreiche Fernen, die die seinen nicht mehr waren. „Den Mantel“, sagte er rau, und sie legten ihm den purpurnen, pelzverbrämten Atlasmantel mit dem eingewebten königlichen Wappen um und schlossen die massivgoldene Fibel über seiner linken Schulter. Wie jeden Morgen senkte Andurkan jetzt leicht das Haupt, dass sie ihm die samtene Haube und die fein ziselierte Königskrone aufsetzten. Abermals verneigten die Diener sich und Andurkan dankte es mit einem Lächeln und trat durch die reich geschnitzte Tür, die man ihm jetzt öffnete, hinaus. Unak, der die Ankleidezeremonie aus einem Winkel des Gemachs stumm bewacht hatte, folgte ihm wie ein Schatten.

In der Hofkapelle war es kühl und dämmrig. Leise schob Andurkan einen Goldflorin in den Opferstock, nahm eine der kostbaren honigduftenden Bienenwachskerzen, die in einer Nische aufgereiht standen, und schlug Feuer, um sie zu entzünden. Sorgfältig platzierte er sie vor dem Schrein Orestuns, des Patrons aller Reiter und Krieger, und schlug ein Kreuzzeichen. Bedächtig nahm er dann den schweren Mantel ab und breitete ihn auf den von Abertausenden frommer Tritte glatt geschliffenen Marmorboden vor dem Schrein. Er entledigte sich auch seines ledernen Waffengurtes mit dem kostbaren Schwert und bettete ihn auf den Atlasmantel. Endlich hob er auch Krone und Samtkappe vom Haupt und legte sie dazu, dass sein Haar frei auf die breiten Schultern fiel.

Es war nicht mehr geschnitten worden seit jener Schlacht, er trug es, weil niemals noch jemand im Kampf ihn am Schopfe packen würde, unsoldatisch lang; wie die Priester, die Atarkanier, die Bauern, die Alten, die Frauen. Der Priester Missfallen darüber wuchs wie sein Haar, sie warfen ihm tadelnde Blicke zu deswegen; mehr nicht.

Behutsam kniete Andurkan sich in eine Betbank und bedeckte sein Gesicht mit den harten, schwieligen Ritterhänden. Nicht Unaks wegen; Orestun war es, der seiner schändlichen Tränen nicht gewahr werden sollte; Orestun, der doch alles wusste und alles sah. Vergib mir, bat der König stumm, und wartete, bis es vorüberging. Dann entbot er in hingebungsvollem Ernst die vorgeschriebenen Sieben Heiligen Gebete, die Rechte über dem Herzen und den Blick andächtig auf die steinerne Statue gerichtet. Unak, dem es nicht erlaubt war, zu Orestun zu beten, bewegte stumm seine Lippen mit, wider alle Gebote vertrauensvoll.

Da auf einmal blitzte was in ihren Augenwinkeln und mächtiger Orgelklang brandete auf, von einer herrischen Bewegung der behandschuhten und beringten Hand Herigolds entfacht, der eben mit seiner Dienerschaft in die Kapelle einfiel und lautstark eine Faust voll Silberlinge in den Opferstock rinnen ließ. Unak und Andurkan tauschten einen kurzen Blick. Noch einmal presste Andurkan die Rechte gegen sein Herz und erhob sich dann langsam, von Unak diskret assistiert. Gemeinsam sammelten sie des Königs Insignien vom Boden auf und trugen sie hinaus, wo blau die Frühlingsluft wehte und sie freier atmen konnten, und der König gürtete sein Schwert und legte Mantel, Kappe und Krone an und schritt durch den weiten Brunnenhof hinüber zum Alabastersaal. „Warte hier!“, gebot er Unak mit harter Stimme und öffnete das Portal, allein. Alles war noch so neu. Falls er die Fassung verlor, sollte der raue Eisländer nicht dabei sein.


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Andurkan betrat den Saal, nickte dem Seneschall und den Tischdienern, die ihn mit tiefer Verbeugung empfingen, einen Gruß zu und trat hinter seinen Stuhl und legte die unruhigen Hände an die hohe Lehne und wartete.

Die lange Tafel war reich gedeckt. Die Königin liebte Fasant-Pasteien am frühen Morgen, weiches Rosinengebäck und gewürzten Räucherschinken und konfierte orientalische Früchte und die heiße, schäumende Schafsmilch, die gleich aufgetragen werden würde, wenn Ihre Hoheit den Saal betrat.

Und da war sie auch schon, die kupferfarbenen Locken im grünen, jadefunkelnden Netz gebändigt, die dunkelgrünen Augen lebendig, funkelnd auch sie. Andurkan löste die Hände von der Lehne und ging ihr entgegen.

Sie standen einander gegenüber, nahe genug dass ihrer beider Hände sich hätten fassen können. Andurkan begegnete ihrem Blick aufmerksam und demütig und wollte wohl auch, seiner Verwundung nicht achtend, den höfischen Kniefall tun, doch Jolanthe schüttelte, da sie sein Ansinnen erkannte, lächelnd den Kopf und sagte „So nehmt doch Platz“, und winkte dem Seneschall, dass er die Magd mit der heißen Milch hereinrufe, und setzte sich an das andere Ende der Tafel, während der Kammerdiener ihr den samtbeschlagenen Sessel zurechtschob und zwei Zofen zur Linken und Rechten ihr adrett das üppige Gewand drapierten. Andurkan ließ sich behutsam auf seinen Stuhl nieder. Der Seneschall legte jedem einen kaneelfarbenen Spekulatius mit dem Wappen der Königin auf den silbernen Teller – das Zeichen, dass das Mahl begann.

„Habt Ihr wohl geruht, Hoheit?“, sprach Andurkan nun die vorgeschriebenen Grußworte. „Wohl geruht hab ich und bin behütet und gesund erwacht, Dank sei Gott dem Herrn“, warf ihm Jolanthe leichthin die Antwortformel zu, während ihre Augen lustvoll die dargebotene Schale mit den süßen orientalischen Früchten nach dem besten Stück abtasteten. „Ich hoffe dasselbe von Euch, Exzellenz“, fuhr sie fort und fasste nach einer kandierten Feige.

Andurkan brach seinen Keks entzwei. Für seine Nächte gab es keine Formel. „Ebenfalls wohl geruht hab ich und bin behütet und gesund erwacht, Dank sei Gott, dem Herrn“, sagte er ergeben. Jolanthe kaute eifrig auf der reifen, gezuckerten Feige und lächelte mit vollem Mund, weil jetzt die Magd mit der Milch kam. Mit beiden Händen griff Jolanthe den durchscheinenden Porzellanbecher wie ein Kind und führte ihn an die vollen Lippen und trank die weiße, schäumende Milch mit einer Lust, deren Vertrautheit Andurkan erbarmungslos durchfuhr.

Entschlossen wandte er den Blick ab. Er war ein Ritter. Einer der besten. Nicht umsonst hatte der alte König unter allen ihn zu seinem Tochtermanne auserkoren, seiner Herkunft uneingedenk. Wenn er dies hier ertrug, würde er alles ertragen. Langsam tauchte er ein Stück Spekulatius in den Becher mit Hypocras, den der Seneschall vor ihn hingestellt hatte, und nahm einen Bissen; anderes aß er des Morgens nicht mehr und bis vor kurzem hatte er auch nicht in den Alabastersaal kommen können dafür und hatte das Morgenmahl mit Unak alleine in seinem Gemach eingenommen; sie hatten den Königinnenspekulatius geteilt, verbotenerweise, und gemeinsam in den Hypocras getaucht, verboten auch dies. Andurkan hob den Becher gegen die Königin hin und benetzte dann andächtig seine Lippen. In der ersten Zeit hatte Unak ihm, wenn er anders nichts zu sich nehmen konnte, geduldig den kostbaren, starken Würzwein eingeflößt, dass das feine Lebensfädlein ihm nicht zerrisse. „Unak!“, sagte Andurkan halblaut. Er würde die Fassung nicht verlieren.

Einen Wimpernschlag später glitt Unak, der mit dem scharfen Gehör der eisländischen Jäger begabt war, durch das hohe Portal herein. Er blieb in der vorgeschriebenen Distanz vor seiner Königin stehen. Nicht ehe er mit rasch getauschten Blicken sich von seines Herrn Wohlbefinden überzeugt hatte, ging er vor Ihrer Majestät in die Knie und legte Handflächen und Stirne auf den Boden und verharrte bewegungslos, wartend. „Dank Dir“, gab endlich die Königin das Zeichen, als sie nach einer Weile von einer Plauderei mit ihrer Lieblingszofe aufsah und die Ankunft des Leibwächters bemerkte, und Unak erhob sich und nahm stumm hinter Andurkans Stuhl Aufstellung.

„Sprecht mir vom Krieg, Hoheit“, sagte, als die Königin schließlich ihr Mahl beendet hatte, Andurkan, weil sie wohl auf den offiziellen Part vergessen hatte und weil er es wissen musste und weil er den Klang ihrer Stimme liebte. Jolanthe blickte auf. Andurkan sah, wie mit einem Mal alles Kindliche von ihr abfiel. „Seid ohne Sorge, Exzellenz“, sagte sie ernst, „unsere Truppen sind stark, das hat die letzte Schlacht endgültig bewiesen. Doch wir werden weiter kämpfen und nicht ruhen, bis die Heidengefahr gebannt ist und die gute Sache endgültig obsiegt. Die Moral des Heeres ist hoch; die besten Ritter kämpfen für unsere Sache…“ Plötzlich unterbrach sie sich. Andurkan wartete. „Es hat weitere Verluste gegeben, Exzellenz“, begann die Herrscherin vorsichtig. Andurkan sah ihr in die Augen. „Wer?“

Jolanthe senkte die Lider. Endlich hob sie den Blick. „Andur, Gabriel ist tot…“, sagte sie leise und plötzlich gab es nur noch sie beide in dem großen Saal. Lange sahen sie einander wortlos an. Eine edle Seele hatte sie verlassen. Ein Held. Und ein Freund.

Stumm hielt Andurkan Jolanthes Blick. Er verbarg sich nicht und gab ihr alles preis – sein ungläubiges Entsetzen, seine Trauer und seine heillose Verlassenheit, die dieser Tod ihm ebenso bewusst machte wie die trügerische Innigkeit des Augenblicks.

„Weine nicht“, sagte Jolanthe sanft.

Das Ihrzen hätte es ihm leichter gemacht. Der Seneschall gab ihm ein Tuch. Andurkan dankte und trocknete sein Gesicht. Dann gab er das Tuch zurück.

„Lass ihn uns fürstlich begraben, Jo“, sagte er mit fester Stimme.

Unak erlöste die angehaltene Luft aus seinen Lungen. Er hatte es gewusst; die Nachricht von Gabriels unerwartetem Tod am Tag nach der Schlacht und von den seltsamen Umständen seines Auffindens war am Vorabend schon in der Dienerschaft herumgegangen wie ein Fieber. Doch niemals hätte er seiner unwürdigen Zunge erlaubt, dem König eine solche Botschaft zu übermitteln. Ein Knecht sprach nicht über Höhere vor seinem Herrn und eine Meldung dieser Tragweite war so weit entfernt von allem, was ein Diener sagen durfte, wie der Ost vom Abend. Unak wusste, dass man den König beizeiten informieren würde. Inbrünstig hatte er gehofft, dass es Jolanthe selber sein würde, aus deren Mund Andurkan die Unglücksnachricht erfuhr, und war gegangen, um zu trauern nach seiner Art. Heimlich, bei den Abtritten, hatte er sich mit dem Jagdmesser ein weiteres Kreuz in den Unterarm geschnitten und beobachtet, wie sein Blut in die Erde rann. Seit damals Ukatai gestorben war, hatte er schon so viele Kreuze machen müssen. Es war ein heidnisches Ritual seines Volkes und streng verboten, aber es war das Einzige, was ihm half. Nach einer Weile tat Unak ein Spinnweb auf die Stelle und wand einen Lappen darum und zog den Ärmel darüber und ging zu Andurkan zurück.


Der Krieg

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