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Die Schatteneltern von Frido Mann

Während ich an diesen Texten arbeite, begegnet mir „zufällig“ die Autobiografie von Frido Mann, dessen Lebensgeschichte ich mit wachsender Fassungslosigkeit las, wird sie doch massiv durch „Schatteneltern“ bestimmt. Wiederum finden wir bestätigt, dass psychische und physische Kindheitsverletzungen in allen sozialen Schichten vorkommen können. Wir erfahren hier, wie sich der Mythos einer hoch neurotischen Familie in Frido Mann fortsetzt.

Vater Michael, der jüngste Sohn von Katia und Thomas Mann, war zunächst Musiker und lehrte später als Professor für Deutsche Literatur an der Universität von Kalifornien, Berkeley. Während Vater Thomas Mann seinen Sohn Michael „ausgesprochen schlecht behandelt hat“, wurde Frido der Lieblingsenkel des Großvaters, blieb aber der ungeliebte Sohn seines eigenen Vaters. Frido verbrachte seine ersten Lebensjahre in Kalifornien, aber nicht etwa in seinem Elternhaus, sondern er wurde über all die Jahre monatelang zu den Großeltern geschickt.

Zurück von der ersten Europareise 1947 bringen die Eltern ihn wieder bei den Großeltern unter, weil sie auf eine lange Konzertreise gehen. Dieses Abschiebungsmuster setzt sich in Amerika fort, bis Frido 1949 in die Schweiz umgesiedelt wird, dort bei den Großeltern mütterlicherseits wohnt und seine Eltern für ihn „kaum mehr erreichbar“ sind. Aber dann erscheinen die Eltern doch mal wieder und mieten sogar ein Haus am Wolfgangsee; die Familie (der 2 Jahre jüngere Bruder Toni teilt das Schicksal von Frido) ist für einige Zeit vereint. Als die Eltern wieder auf Konzerttournee gehen, wird sich eine junge Hausangestellte um die Kinder kümmern.

Ende September 1952 steht eine 2-jährige Weltreise der Eltern an, und die Kinder werden in einem Internat in Bern untergebracht: „Nimmt denn das nie ein Ende? Diese ständige Fremdbestimmung, dieses unaufhörliche Hin-und-her-Geschubse? Panische Angst vor dem Alleingelassenwerden und dem Alleinsein.“ (Alle Zitate aus „Achterbahn“ von Frido Mann) Nein, es nimmt kein Ende. Die Eltern wollen 1955 für immer nach Amerika zurückgehen, und es wird beschlossen, dass Frido in das Haus seiner inzwischen verwitweten Großmutter Katia zieht und in Zürich das Gymnasium besuchen soll. Seine Eltern sind für ihn außer „in einer dünnen Briefkorrespondenz“ nicht zu erreichen. Zwei Jahre vor seinem Abitur darf er mit Toni seine Eltern in Amerika besuchen. Zum Abschied, der ihm sehr schwerfällt, fragt er seine Mutter, warum er nicht in Amerika auf die Schule gehen könne. Seine Mutter antwortet ihm („ohne rot zu werden“), dass man diese Entscheidung nur zu seinem Wohl gefällt habe, da die Schulausbildung in Europa viel besser sei (siehe Kapitel „Doublebinds“). Es dauert nunmehr 18 Jahre, bis Frido einen Besuch bei seinen Eltern in Kalifornien erkämpfen kann.

Und wie erlebte Frido seine Eltern? Es ist bekannt, dass Michael Mann sehr schwierig war, ein zu Wutanfällen und unberechenbaren, extremen Stimmungsschwankungen neigender Mann: „Er leidet sehr deutlich unter seiner eigenen Zerrissenheit und darunter, sich selbst so wenig unter Kontrolle zu haben.“ Im Gegensatz zur Mutter hat der Vater jedoch auch freundliche Wesenszüge: „So unberechenbar sich mein Vater als nervös überspannter Wüterich aufführen kann, so überraschend zugewandt, liebevoll und lebendig humorvoll kann er sein.“ Die Mutter ist zwar berechenbarer als der Vater, er schildert sie aber als unterkühlt und desinteressiert: „Ihre Beziehung zu uns Kindern besteht hauptsächlich darin, uns zu verwalten…Aber an etwas anderes kann ich mich eigentlich nicht erinnern: an irgendeine körperliche Berührung von ihr.“

Als Fridos erste Liebesbeziehung (1962) zerbricht, stürzt er in eine tiefe Krise: „Dicht am Abgrund von Todessehnsucht überfällt mich zeitweilig die Angst, den Verstand zu verlieren.“ Er gewinnt den Kampf gegen seine selbst zerstörerischen Kräfte. Nach einem Musikstudium an der Zürcher Musikhochschule mit Abschluss an der Accademia Santa Cecilia in Rom studiert und promoviert er (nach erfolgter Konversion) in katholischer Theologie. Dann folgt ein Psychologiestudium, das er mit einem Diplom abschließt, und schließlich arbeitet er als Klinischer Psychologe an einem Psychiatrischen Krankenhaus. Sein beruflicher Lebensweg hat noch viele Stationen, die ich hier aussparen möchte.

Frido war geschlagen mit dem schwierigen Wesen eines Macht ausübenden und dominierenden Vaters, der ihn in seinen kreativen (Musikstudium) und religiösen (Theologiestudium) Bestrebungen nicht unterstützte, im Gegenteil: er wollte seinen Willen durchsetzen. Wechselbäder bestimmten diese Beziehung: Der abweisende und abwesende Vater, der kritisierte und dem Kind wenig Selbstvertrauen gab, aber auch der liebevolle, musische Vater, der ihm in der Jugend den Zugang zur Musik öffnete und ihn später diese nicht studieren lassen wollte. Der enttäuschende, physisch und psychisch abwesende Vater, der ihm keine Identifikationsmöglichkeit bot und Frido nicht in seiner werdenden Persönlichkeit stärkte. Es ist aber auch der Vater mit einem großen kreativen Potenzial, das er in diesem Falle an seinen Sohn weitergegeben hat.

Seine Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Nähe, Harmonie und Sicherheit durch Beziehungen wurden durch seine Mutter nicht erfüllt, jedoch teilweise von den Großeltern Mann, denn er hielt sich gerne in ihrer Nähe auf. Die fehlende Nähe und Geborgenheit, die für jedes Kind über-lebenswichtig ist, erzeugt eine nachhaltige Sehnsucht nach dieser unerfüllten Liebe und lässt den Menschen lange nach Ersatzmüttern suchen, wo doch eigentlich immer nur die Eine gemeint ist. Die Alma Mater, die nährende Mutter, ist ein Begriff, mit dem im deutschen Sprachraum die Universität bezeichnet wird. Frido Mann absolvierte ein Musik-, Theologie- und Psychologie-Studium und studierte schließlich mit 44 Jahren noch fast 4 Semester Medizin. Wir können diesen Studieneifer unter anderem auch auf seine verzweifelte Suche nach Zugehörigkeit und Geborgenheit zurückführen, die seine Mutter ihm verweigerte. Ersatz suchte und fand er in jener Übermutter, der Alma Mater, und im „Schoß der Kirche“, der Über-Über-Mutter sozusagen.

Wenn man über ein Familienmitglied der Familie Mann schreibt, kommt man nicht umhin, über den Übervater, den Lichtspender, aber auch „Schattenwerfer“, Thomas Mann zu sprechen, der das Leben seiner Kinder und Kindeskinder so prägend beeinflusste. Auch Frido Mann stand lange in seinem Schatten, er verübelte ihm die „literarische Verewigung als Nepomuk Schneidewein, genannt ‚Echo’, der im ‚Doktor Faustus’ als vierjähriger Himmelsbote nach qualvoller Krankheit buchstäblich vom Teufel geholt wird.“ Frido reagierte darauf sehr empfindlich und weigerte sich in der Folge sein halbes Leben, die Werke seines Großvaters zu lesen. Das Thema Abgrenzung von der Familie und besonders von seinem Großvater nahm einen großen Raum in seinem Leben ein. Natürlich wurde auch er, wie all die anderen Nach-Manns, immer an dem großen Thomas Mann gemessen, besonders als er in späteren Jahren begann, eigene Bücher (noch dazu Romane) zu verfassen.

Wir sehen hier, wie auch in sozial gut oder „besser“ gestellten Familien, in der man ein gewisses Niveau erwarten könnte, Kinder misshandelt und grob vernachlässigt werden.

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