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Die Schatteneltern von Karin

An dem Beispiel von Karin möchte ich zeigen, wie sich eine dunkle Kindheit auswirkt, eine Kindheit, die kaum Licht und viel Schatten wirft, zumal beide Elternteile an dem Drama beteiligt sind.

Karin wurde kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges in Norddeutschland geboren, der Vater war im Krieg, die Mutter musste sich alleine um Haus, Hof, Schlachterei und das Kind kümmern. All diesen Anforderungen war sie kaum gewachsen, was aber nicht erklärt, warum sie keine Zeit für ihr schwer an Diphtherie erkranktes Kind hatte. Sie beauftragte stattdessen eine Flüchtlingsfrau, die mit auf dem Anwesen wohnte, sich um Karin zu kümmern. Die Ärzte hatten dem Kind - bei fehlender intensiver Betreuung - nur wenige Überlebenschancen gegeben.

Als der Vater 1948 aus russischer Gefangenschaft heimkehrte, wurde die häusliche Situation noch schlimmer. Karin lehnte den „fremden Mann“, der ihr Vater sein sollte, vehement ab, zumal er, durch den Krieg gezeichnet, sehr viel trank, jähzornig und nicht ansprechbar war. Sie bezeichnete sein Verhalten später als destruktive Machtausübung, die sich auch auf seine Ehe bezog. Die Atmosphäre im Elternhaus war kalt, nüchtern, arbeitsam, lieblos, und Karin war nie vor aggressiven Ausbrüchen des Vaters, aber auch hoch emotionalen Verhaltensweisen der Mutter sicher. Ein Jahr nach Rückkehr des Vaters wurde ihr Bruder geboren, zur großen Freude aller endlich ein „Stammhalter“. Karin zog sich weiter in sich selbst zurück, ihre Verlassenheitsgefühle verstärkten sich, aber sie wurde auch störrisch – eine Abwehrhaltung gegen all diese Verletzungen.

Karin wurde in ihren Gefühlen nicht von der Mutter gespiegelt und verlor so sehr früh den Kontakt zu sich. Dieser traumatischen Kindheit entfloh sie in Traumwelten. Voller Entsetzen erinnert sie sich noch heute an das qualvolle Schreien der Tiere, die im Schlachthaus, das neben ihrem Kinderzimmer lag, getötet wurden. Trotz allem, oder all das kompensierend, entwickelte sie in der Schule und dem folgenden Studium sehr großen Ehrgeiz: Ein verzweifeltes Bemühen um Liebe und Anerkennung. Ihre erfolgreichen Ergebnisse in Schule und späterer (von ihr erzwungenen) Ausbildung wurden jedoch weiter herabgesetzt, und ihr wurde drastisch vor Augen gehalten, dass sie aus der Art schlage und sich lieber um den Hof kümmern solle. Das Geld für ihr Studium und weitere berufliche Fortbildung verdiente sie sich nebenbei selbst, da Lernen für die Eltern vergeudete Zeit und verlorenes Geld war.

Karin war also der Übermacht ihrer Eltern ausgeliefert: ihrer Kindheit fehlte eigentlich alles, was für die positive Entwicklung eines Kindes Voraussetzung ist: Liebe, Geborgenheit, Nähe, Wärme, Ur-Vertrauen, Sicherheit und Zugehörigkeit: Stattdessen wurde sie lediglich versorgt…

Die unglaubliche Wut, die sich in Karin im Laufe der vielen Jahre voller Unterdrückung, Demütigung und Ablehnung angesammelt hat, ist noch heute ihr Problem. Tiefe Gefühle und intensive Emotionen, die sie früher nicht zeigen durfte, brechen sporadisch mit aller Gewalt und Kontrollverlust aus ihr heraus. Auf jede Form von Dominanz, durch die sie gleichzeitig ihre Sicherheit bedroht sieht, reagiert sie explosiv. Allerdings bemüht sie sich bewusst, ihre Gefühle zurückzuhalten, da sie um deren Intensität und zerstörerische Kraft weiß und sich überdies nicht noch verletzlicher machen möchte.

Ihr Bruder starb in jungen Jahren durch einen Verkehrsunfall und kurz darauf verstarb auch Karins Vater, mit dem sie nach einem heftigen Streit anlässlich der Beerdigung des Bruders keinen Kontakt mehr hatte. Alle Wunden brachen wieder auf, und die Gewissheit, dass eine Versöhnung nun unmöglich geworden war, brachte sie an den Rand der Verzweiflung.

Trotz alledem konnte sie ihre guten Veranlagungen nutzen, begann, sich mit ihrem Unbewussten auseinander zu setzen, besonders mit dem inneren verletzten Kind, und ging auf die Suche nach neuen Erkenntnissen und sinnvollen Aufgaben. Sie begann eine Psychotherapie, und auch ihr Mann, mit dem sie schon viele Jahre verheiratet ist, unterstütze sie und half ihr, Licht in die schlimmen Schatten der Kindheit zu bringen. Allerdings ist das Thema Mutter noch nicht verarbeitet. Sobald Mutter und Tochter in Kontakt treten, was selten genug vorkommt, brechen alle Verletzungen und Verwundungen wieder auf, wohl auch, weil die Mutter es immer noch zu gut versteht, ihrer Tochter jedes bisschen Liebe und Aufmerksamkeit zu verweigern. Und Karin kann die Hoffnung, doch noch geliebt und anerkannt zu werden, einfach nicht aufgeben.

Wenn die Kindheit Schatten wirft...

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