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Ist die Mutter immer Schuld?

Die nachfolgenden Überlegungen sollen die eklatanten Fehl- und Misshandlungen manch einer Mutter nicht beschönigen oder entschuldigen, dennoch halte ich es für angebracht, sich auch einmal in die Situation einer Mutter hineinzuversetzen:

Sicher können wir ihr ausnahmslos die Schuld an allen Versäumnissen und Problemen geben. Warum aber, wenn etwas schiefläuft, sie an allem Schuld sein soll, ist für die Frauen, die meinen, ihr Bestes gegeben zu haben, natürlich deprimierend. Es wird im Allgemeinen nicht ausreichend beachtet, dass junge Frauen aus diversen Gründen überfordert waren, selbst mit Problemen zu kämpfen hatten und oftmals auch nicht mehr Liebe geben konnten, weil ihre eigene Kindheit durch mangelnde Bemutterung lieb- und freudlos war. Vor allem ältere Generationen, die viel autoritärer erzogen wurden und wo die „schwarze Pädagogik“ gang und gäbe war, haben – leider unreflektiert - das fortgesetzt, was sie selbst erfahren haben, und psychologische Ratgeber waren damals noch eine Seltenheit.

Völlig unbekannt war die Veranlagung zur Hochsensibilität, und so wurde eine beispielsweise hochsensible Mutter von ihrer eigenen Mutter nicht verstanden und so akzeptiert wie sie war. Die Folge ist, dass sie dann auch nicht mit ihrem hochsensiblen und etwas komplizierten, ja, sogar „zickigen“ Kind umgehen kann. Auch dann, wenn sie es in der Erziehung ihrer Kinder besser machen will als ihre eigene Mutter, es wird nur selten gelingen.

Eine Mutter ist schnell überfordert: Durch das Kind, durch sich selbst als noch nicht ausgereifter Mensch und durch Spannungen in der Ehe oder wenn sie allein erziehend ist. Wenn zum Zeitpunkt der Geburt die Situation der Eltern - auch unverschuldet - problematisch war (Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes etc.), bedeutet das für das Kind eine schwere spätere Belastung. Hinzu kommt, dass jedes Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat, die auch von einer sehr gutwilligen Mutter einfach nicht alle erfüllt werden können. Stellen wir uns eine Mutter vor, die ihr Kind zwar liebt, aber eben auf eine etwas distanzierte und unstete Art. Nun braucht das Kind aber empathische Zuwendung und innige Nähe, es verlangt nach Symbiose. Wer ist "schuld", wenn diese Beziehung scheitert? Warum hat dieses Kind solch eine gegensätzliche Mutter bekommen und vice versa?

Es ist bekannt, dass jedes Kind seine Eltern anders wahrnimmt, das heißt, das eigene Temperament und die ureigensten Bedürfnisse haben einen großen Einfluss auf eine geglückte oder misslungene Mutterbeziehung. Ich kenne Familien mit mehreren Kindern, und habe selbst noch vier ältere Geschwister, deren Sichtweisen und Schilderungen des mütterlichen Bildes doch weit auseinander gehen. Da wir die Wahrnehmung unserer mutterspezifischen Eigenschaften projizieren, müssen wir also versuchen, dieses subjektive Bild in uns auszublenden oder zu wandeln und eine realistische Sichtweise der mütterlichen Eigenschaften in uns zu aktivieren – nur so hat die reale Mutter eine Chance.

Viele Mütter fühlen sich andererseits wegen ihrer fehlenden Gefühle dem Kind gegenüber schuldig, denn sie können dem eigenen Anspruch einer selbstlos liebenden Mutter nicht genügen. Eine werdende Mutter ist eben nicht zwangsläufig eine liebende Mutter, und auch nach der Geburt kann sie dieses Gefühl nicht erzwingen. Sie sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass das Kind ihre fehlenden Gefühle und Empathie spürt, die in ihm eine gerechte Wut auslösen. So wie die Mutter das Recht hat, ihr Kind – aus welchen Gründen auch immer – abzulehnen, ebenso hat das Kind ein Recht auf seine Wut, abgelehnt oder unerwünscht zu sein, die von der Mutter gesehen und verstanden werden sollte.

Wie belastend auch immer die Situation der Mutter, der Eltern sein mag: Wer sein Kind misshandelt, schädigt es zutiefst. Eine paradoxe Situation: Man selbst ist schuld, aber noch schuldiger fühlt sich das Kind. Tatsache ist und bleibt: Gewalt an Kindern ist grober Missbrauch und eine Straftat, die durch nichts zu entschuldigen ist.

Wenn die Kindheit Schatten wirft...

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