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Das letzte Friedensjahr mündet in die Katastrophe

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Die Familie Englert war im Jahre 1913 wohl situiert. Beruflich und privat lief alles bestens. Großvaters ältere Schwester heiratete ihren Verlobten Nikolaus Bleilinger. Es war eine gute Partie. Entsprechend wurde eine standesgemäße, große Hochzeit im besten Gasthaus des Ortes gefeiert. Alle Honoratioren der Gemeinde waren geladen. Großvater leitete das Fest. Er hatte einige lustige Sketche einstudiert und spielte auch zusammen mit der Kapelle auf seiner Ziehharmonika zum Tanz auf. Man war ausgelassen und fröhlich, wie Menschen nur sein können, denen eine glückliche Zukunft in Aussicht steht. Dem Ansehen der Familie entsprechend wurden Speisen und Getränke serviert, dass sich die Tische bogen.

Wenige Monate später, im Juli 1914, fielen in Sarajewo die verhängnisvollen Schüsse, die auch für Stanischitsch nicht ohne traumatische Folgen blieben.

Der österreich-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz-Ferdinand und dessen Frau, Herzogin Sophie von Hohenberg, wurden getötet.

Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn daraufhin Serbien den Krieg. Hunderttausende Soldaten und ebenso viele Zivilisten verloren in diesem Konflikt, der später den Namen Erster Weltkrieg bekommen sollte, ihr Leben. Ganz zu schweigen von dem immensen Verlust von materieller Habe und geistigen Werten. Es war eine Zeit, die die Welt nachhaltig verändern sollte.

Nur ein unverbesserlicher Optimist dehnt in solchen Zeiten seine Geschäfte aus. Mein Großvater war einer von ihnen. Obwohl 1917 die meisten jungen Männer inzwischen im Krieg und an der Front waren, übernahm er einen weiteren Friseursalon. Zur Geschäftsführerin machte er die blutjunge Rosalia (kurz: Roschi). Sie war gerade 16 Jahre alt, aber unermüdlich fleißig, tüchtig und zuverlässig und ersetzte durchaus einen jungen Mann.

Ein weiteres Interesse verband die beiden: Auch sie war mit Feuereifer dabei, wenn Theater gespielt wurde. Singen und Tanzen hatte sie als Ungarin quasi im Blut. Es dauerte nicht lange, und sie war in ihren attraktiven Chef bis über beide Ohren verliebt. Mein Großvater war diese Zuneigung durchaus recht. Aber an eine Heirat dachte er zunächst nicht. Es war Krieg. Wer konnte wissen, wie lange er die Läden noch selbst leiten konnte? Auch spürte man zunehmend die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Männer waren im Krieg. Das Geld der Kunden wurde knapp. Die Frauen hatten andere Sorgen, als zum Frisör zu gehen.

Am 5. Juni 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, heiratete Joseph Englert, der kleine Bruder meines Großvaters, Eva Martin. Sie war verwandt und verschwägert mit dem Ziegeleibesitzer, dem Mühlenbesitzer und dem reichen Schneidermeister – also eine wirklich gute Partie. An diesem Tag gab mein Großvater seine Verlobung mit Rosalia bekannt. Die betuchte Verwandtschaft war, wie zu erwarten, wenig erfreut darüber. Eine Horváth ohne Adel und ohne Vermögen – wie konnte er nur!? Die Stimmung war gereizt: „Du wirst doch nicht diese Schlawakin (die Ungarin) heiraten wollen!“ Die reichen Donauschwaben fühlten sich den einheimischen Ungarn und Serben weit überlegen.

Rosalia hatte meinen Großvater auf das Fest begleitet. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sie tief verletzt war. Sie spürte die Verachtung der Familie. Wie mir später erzählt wurde, hielt sie sich die meiste Zeit abseits von den Gästen. Sie konnte sich nur schwer verständigen. Ihre Deutschkenntnisse waren mangelhaft. Aber es entging ihr trotzdem nicht, dass es offenbar um sie ging und dass die Kommentare ihr gegenüber wenig freundlich waren.

Die Stimmung war aus einem weiteren Grund gedrückt: Mein Urgroßvater war gefallen. So kam diese Hochzeit auch aus rein praktischen Erwägungen zustande: Eva sollte ihre verwitwete Schwiegermutter im Geschäft entlasten. Das Leben musste irgendwie weitergehen. Nach der Hochzeit wurde das Geschäft auf das junge Paar überschrieben.

Der Dritte der Brüder, Peter, heiratete die Tochter eines Viehhändlers und übernahm das Geschäft seiner Schwiegereltern. Auch er war nun gut situiert. Umso mehr glaubte sich die Familie im Recht, wenn sie den Michl wegen seiner scheinbaren Torheit kritisierten.

Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?

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