Читать книгу Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben? - Barbara Kohout - Страница 17
Ama wird Geschäftsfrau
ОглавлениеSo wollte Ama natürlich nicht enden. Sie war eine Kämpferin. Schließlich entdeckte sie ihre ganz persönliche Lösung: den Wochenmarkt in Stanischitsch. Er fand zweimal wöchentlich statt. Es gab dort alles zu kaufen, was man im täglichen Leben so brauchte: Stoffe, Wolle, Schuhe, Werkzeuge, Besen, Saatgut, Obst, Gemüse, Getreide, Fleisch usw. Dieser „Supermarkt unter freiem Himmel“ beflügelte die Fantasie meiner Großmutter. Sie wollte etwas verkaufen, um an selbst verdientes Geld zu kommen, mit dem sie für die Kinder Kleidung, Schuhe, Medizin und vieles mehr kaufen konnte. Kurz entschlossen bot sie zunächst an, was sie in ihrem Garten erntete und nicht für den Eigenbedarf brauchte: Gurken, Tomaten, Paprika, Salat. Der Erlös dafür war sehr mager, nur wenige Para. Bald hatte sie begriffen, dass sie ihren Gewinn mit ihrer Geflügelzucht erheblich steigern konnte. Gänse, Enten und Hühner brachten Eier, Fleisch und vor allem Gänsedaunen und -federn. Das entwickelte sich sehr schnell zu einem willkommenen zweiten Standbein für das Familieneinkommen. Doch der sehr erfreuliche Nebeneffekt war, dass Ama wieder unter Leute kam und reden musste. Sie war nicht auf den Mund gefallen, aber sie musste auch lernen, Deutsch und Serbisch zu reden. Zuerst war es nur Kauderwelsch. Aber mit der Zeit konnte sie sich in drei Sprachen mit allen Menschen unterhalten – wer eben gerade kam. Da sie keinen Nationalstolz oder Rassenhass kannte, hatte sie bald vor allem mit den serbischen Bewohnern von Stanischitsch ein gutes, freundschaftliches Verhältnis. Meine Mutter und ihre Geschwister wuchsen ganz selbstverständlich zweisprachig auf. Mit der Mutter redeten sie ungarisch und mit dem Vater deutsch, dem diese Sprache mehr lag.
Ata hatte inzwischen einen festen Stamm von ca. 50 Kunden, die sich zweimal wöchentlich balbieren (rasieren) ließen. Für diese Dienstleistung bekam er 50 kg Weizen pro Kunde und Jahr, immerhin ca. 2.500 kg pro Jahr. Das war eine gute Basis für den Eigenbedarf an Futter für das Geflügel und Mehl zum Backen von Brot und Kuchen. Auch die Nudeln stellte Ama selbstverständlich selbst her. Was sie nicht verbrauchten, tauschten sie gegen andere Bedarfsgüter oder Futtergetreide ein. Zum Beispiel gegen Kukuruz (Mais). Die Schweine wurden bei uns vorwiegend mit Mais gemästet. Wer das Fleisch und den Speck von diesen Tieren einmal gekostet hat, wird den köstlichen Geschmack nie mehr vergessen.
Durch ihren Zusatzverdienst konnte sich Ama nun auch mal einen größeren Kochtopf kaufen – die Familie wuchs ja stetig – oder neue Patschker, wenn sie nötig waren. Damals gab es noch keine Schuhe von der Stange. Sie wurden entweder vom Schuster maßgefertigt – das war sehr teuer – oder man trug die traditionellen Patschker, ein bequemes, einfaches und leichtes Lederschuhwerk, dessen Sohlen sich seitlich nach oben wölbten. Diese Patschker, oder ungarisch Opanken, konnte man entweder auf dem Markt kaufen oder in einer der drei Patschkermacher-Werkstätten erwerben.
Zur Einschulung im Herbst 1926 sollte für meine Mutter gemäß dem Brauch ein neues Kleid gekauft werden. Aber Ama kaufte ihr kein weißes Kleid, wie es die Kinder der wohlhabenden Familien tragen durften. Beim dunklen Kleid sah man den Schmutz nicht so schnell, war die praktische Überlegung. Es wurde immer am Samstag gewaschen und konnte am Montag wieder sauber für die Schule angezogen werden.