Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 12

Kapitel 10: Samstag, 28.7. – 18 Uhr 22

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Ich lehne mich mit dem Rücken an die Schiebetür von Joes Zimmer, um wach zu werden, wenn sie sich rührt. Ich brauche dermaßen dringend Schlaf, dass ich es mir nicht mehr leisten kann, jedes Mal Schwester Monika zu bitten aufzupassen, wenn mir die Augen zufallen. Das würde mit Sicherheit den falschen Leuten auffallen. Trotz der ausreichenden Zufuhr von Energie über Speisen und Getränke fühle ich mich komplett ausgelaugt und erschöpft. Gut, dass es hier keinen Spiegel gibt. Wenn ich nur halb so alt aussehe, wie ich mich aktuell fühle, dürfte ein Blick auf mein Spiegelbild schockierend für mich ausfallen.

Was wohl mit Jule passiert? Ich fürchte, die wird von der Polizei in die Mangel genommen. Hoffentlich teilt man ihr wenigstens mit, dass es Joe besser geht. Das sollte ihr helfen. Wenn die Ermittler bei der Polizei etwas taugen, sind sie auch mittlerweile bis zu meinen Eltern vorgedrungen. Die Ärmsten! Und Tom wird durchdrehen, wenn er erfährt, dass ich einmal wieder tief in Schwierigkeiten stecke. Mich zu beschützen, ist für ihn ein Reflex, der schon auf viel leichtere Reize als die gegenwärtige Situation heftig reagiert. Aber er wird mein Vorgehen hoffentlich wenigstens verstehen und billigen, schließlich setzt er sich auch bedingungslos für seine Freunde ein. Jetzt in seinen Armen schlafen dürfen!

Bloß nicht daran denken, sonst kann ich einpacken!

Joe scheint endlich einigermaßen stabil. Das hat zumindest Frau Doktor Marschall bei ihrem letzten Besuch bestätigt. Zusammen mit Monika hat sie Joe gewaschen und die verschwitzten Laken gewechselt. Seine Temperatur liegt mittlerweile bei 38,3. Die fiebersenkenden Mittel, die er über den Tropf bekommt, wirken jetzt, auch ohne dass ich mich zusätzlich bemühen muss. Sein Immunsystem ist dabei, sich aufzurappeln. Die Angst ist aus seinem Unterbewusstsein verschwunden. Was ich tief in seinem Inneren wahrnehme, wirkt entschlossen, ruhig und zuversichtlich.

Die Ärztin hat mich, bevor sie das Zimmer verließ, kritisch betrachtet und gesagt: „Sie haben etwas Unwahrscheinliches geleistet. Der Mann verdankt Ihnen sein Leben. Sie wollen mir offenbar leider nicht verraten, was sie getan haben, um Ihren Freund zu retten, aber ich kann sehen, dass Sie verdammt viel Kraft dafür aufbringen mussten. Geben Sie auf. Ihr Joe ist jetzt zunächst außer Gefahr, wenn nicht unvorhergesehene Komplikationen auftreten. Ich weiß nicht, wie lang es die Polizisten da draußen noch mit ihrem Selbstbewusstsein vereinbaren können, sich ruhig zu verhalten. Die werden nicht plötzlich solch einen Jahrhundertschlaf antreten wie mein Kollege Blend, den ich langsam beneide. Worauf warten Sie also?“

Das ist eine wichtige Frage. Worauf warte ich?

Ich warte darauf, dass Jason sich meldet. Er wird mich nicht im Stich lassen, davon bin ich überzeugt.

Die Polizei hat zwischenzeitlich noch einen Versuch unternommen, mir einen Vermittler zu schicken. Ich lehnte mit dem Hinweis ab, dass dem Letzten schon nicht zu trauen war. Bisher ist meine seit dem frühen Nachmittag verfolgte Taktik, immer abwechselnd zehn Minuten zu ruhen und dann zehn Minuten zu behandeln, aufgegangen. Ich bin nicht von irgendeiner Aktion von meinen Gegnern kalt erwischt worden. Aber es prickelt förmlich in der Luft. Da braut sich etwas zusammen. Ich kann es spüren.

Als mein Handy anfängt zu vibrieren, zucke ich deshalb zusammen wie unter einem Stromschlag.

„Ja?“, melde ich mich atemlos, obwohl ich still dasitze, und bin heilfroh, dass ich einigermaßen sicher sein kann, dass alle möglichen technischen Raffinessen ein Abhören oder Zurückverfolgen des Telefonats verhindern.

Jason erkundigt sich bloß kurz angebunden: „Wie geht es Joe?“

„Zurzeit stabil.“

„Kommt er ab jetzt ohne dich aus?“

„Die Ärztin meint, ja, wenn keine neuen Komplikationen auftreten.“

„Es tut mir leid, dass die Sache nicht im Winter passiert ist. Da wird es früher dunkel. Wir müssen warten, bis es dämmert. Dann holt dich jemand ab. Halt dich und alle anderen demnächst von den Fenstern fern. Stehst du noch ein paar Stunden durch?“

„Hm. Ich versuch´s.“

„Verlass dich auf uns! Wir holen dich bald da raus.“

Damit endet das Gespräch. Jason sagt selten mehr als unbedingt nötig.


Ich überlege fieberhaft, ob die Ordnungskräfte auf der anderen Seite der Tür auch noch ein paar Stunden die Nerven behalten, aber mein Gefühl sagt mir, dass das nicht der Fall sein wird. Doch dann blitzt ein Einfall in meinem Kopf auf, wie ich die Polizei motivieren kann, sich weiterhin ruhig zu verhalten, und ich drücke einmal mehr den Alarmknopf für die Schwestern.

Ich bitte Monika, die prompt auftaucht, mir Frau Doktor Marschall und einen Polizeivertreter zu schicken. Beide erscheinen, sind sauber und ich rufe sie ins Krankenzimmer. Der Vermittler ist diesmal ein anderer und will sofort das Wort ergreifen.

Ich kommandiere lediglich knapp: „Klappe! Sie haben hier gar nichts zu melden und halten den Mund. Frau Doktor Marschall behauptete bei ihrem letzten Besuch, Joe sei jetzt stabil. Ich will kein Risiko für ihn eingehen. Was würden Sie beide dazu sagen, wenn ich bis acht Uhr morgen früh hierbleibe und mich dann ergebe?“

Ich habe ein paar Minuten über dieser Formulierung brüten müssen – schließlich kann ich nicht lügen. Das wissen meine Gesprächspartner jedoch zum Glück nicht. Diese Suggestivfrage stellt jedenfalls keine Lüge dar.

Der Vermittler sieht mich überrascht an. „Bedingungslose Kapitulation?“, fragt er hoffnungsvoll.

„Wenn Sie das so nennen wollen“, umschiffe ich die nächste sprachliche Klippe und formuliere vorsichtig weiter: „Allerdings drohe ich hiermit an, dass es ein ziemliches Desaster geben kann, wenn man mich in der kommenden Phase nicht absolut in Frieden lässt, so wie ich das fordere. Hier im Zimmer befinden sich Sauerstoffanschlüsse, dazu lustige Dinge, die leicht brennbar sein sollten und es kann ganz furchtbar knallen, wenn ich die für meine Zwecke nutze. Versprechen Sie mir, dass Sie und Ihre Leute sich bis morgen früh ruhig verhalten, damit hier kein Unglück geschieht?“

„Ich werde versuchen, den Krisenstab dahingehend zu beeinflussen“, antwortet der Vermittler nach kurzem Nachdenken und er meint, was er sagt. Mehr kann ich wohl nicht von ihm erwarten.

Deshalb fahre ich fort: „Frau Doktor Marschall wird wohl dafür sorgen, dass es umgehend an die Öffentlichkeit dringt, wenn die Polizei die Situation ohne jede Notwendigkeit vorzeitig eskalieren lässt und es zu Risiken für die andern Patienten kommt.“

„Worauf Sie Gift nehmen können!“, schnappt die Ärztin entschlossen.

Dann bitte ich sie, sich noch einmal davon zu überzeugen, dass Blend tatsächlich nur tief schläft.

Als ich die beiden bitte zu gehen, dreht sich die Ärztin in der Tür noch einmal um: „Auf ein Wort unter vier Augen …?“, meint sie behutsam.

„Ja?“, frage ich, aber mir ist schon klar, was kommen wird. Der Polizeivermittler verlässt den Raum, die Intensivmedizinerin bleibt zurück.

„Noch einmal, bitte erklären Sie mir – wie haben Sie das geschafft?“, will sie brennend vor Neugierde mit einem Fingerzeig in Joes Richtung wissen.

Ich zucke bedauernd mit den Achseln. „Das darf ich Ihnen leider nicht verraten und ich kann Ihnen versichern, es ist besser, wenn Sie es nicht wissen. Nur so viel kann ich Ihnen sagen. Was ich getan habe, hat nichts mit irgendwelchen Substanzen zu tun. Ich habe Joe nichts Materielles gegeben, nichts verabreicht. Sie brauchen ihn also diesbezüglich nicht analytisch auf links zu drehen, denn Sie werden nichts finden. Nennen Sie es Gesundbeten, wenn Sie wollen. Und bitte – wenn diese schreckliche Geschichte ihr unvermeidliches juristisches Nachspiel hat, wäre es wunderbar, wenn Sie sich daran erinnern könnten, dass all das hier allein deswegen passieren musste, weil Blend mich daran hindern wollte, einem Menschen das Leben zu retten. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass ich Joe helfen kann; Blend wollte nicht daran glauben. Bitte sehen Sie zu, dass Joe wieder auf die Beine kommt, wenn ich weg bin. Er ist ein wunderbarer Mensch und ich verdanke ihm viel. Und jetzt lassen Sie mich für den Rest der Nacht allein.“

Bald kann ich nicht mehr verhindern, dass ich nur noch vor mich hindämmere. Wann wird es eigentlich Ende Juli dunkel? Auf jeden Fall zu spät!

Blend wecke ich gegen 20 Uhr und fessle ihn sehr sorgfältig wieder an den Stuhl, sodass er keinerlei Geräusche machen kann, denn sein Bett, auf dem er geschlafen hat, steht direkt am Fenster und Jason hat mir ja empfohlen, dass sich dort niemand aufhalten sollte. Da Jason selten etwas Überflüssiges sagt, achte ich mittlerweile auf jedes seiner Worte und richte mich gegebenenfalls danach. Blend macht keine Schwierigkeiten, als ich ihn erneut fessle, denn dazu bereitet es ihm viel zu viele Probleme, schnell wieder richtig wach zu werden; dafür habe ich gesorgt. Bevor er die Situation einigermaßen klar durchschaut, ist er schon wieder mit Pflasterstreifen verpackt.

Der Himmel erstreckt sich in alle Richtungen wolkenlos und von Dämmerung lässt sich noch keine Spur entdecken. In zwei, drei Stunden sollte die entscheidende Phase für mich beginnen, nachdem hoffentlich die kritische Phase für Joe überstanden ist.


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