Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 15

Kapitel 13: Samstag, 28.7. – 22 Uhr 34

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Zweimal bin ich versehentlich in der letzten Stunde tief und fest eingeschlafen. Wenn ich nicht vorsichtshalber meinen inneren Wecker jeweils vorher gestellt hätte, dann wäre auch ein Erdbeben wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, mich aufwachen lassen. Blend ist natürlich mittlerweile ausgeschlafen und mustert mich jedes Mal intensiv, wenn ich wach werde. Ich lege ihm wieder ein Handtuch über den Kopf. Langsam empfinde ich eine Stinkwut auf den Mann: Wenn der zugänglicher gewesen wäre, dann hätte dieser ganze Zirkus nicht stattfinden müssen!

Draußen ist es jetzt dunkel. Wenn ich nur wüsste, was Jason plant! Wie ich seine Philosophie ‚Lass jeden nur das wissen, was unbedingt nötig ist‘, kenne, wird er, bevor hier etwas passiert, nicht noch einmal anrufen und mich einweihen.

Joe liegt nicht mehr vollkommen ruhig da, gelegentlich bewegt er sich mittlerweile etwas. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Bewegung ist schließlich ein Attribut des Lebens. Sein Gesicht wirkt blass. Man bekommt keinen Schrecken mehr, wenn man ihn anschaut. Er scheint nun zu schlafen, nicht mehr bewusstlos zu sein. Seine Werte sehen in meinen Augen einigermaßen gut aus und bleiben stabil – kein Vergleich mit jenen, bei denen ich hier eingetroffen bin.

Jetzt kann ich mich wenigstens revanchieren für all das, was Joe in den letzten Jahren für mich getan hat. Sicher, das war sein Job, aber den hätte er sicher auch ganz anders erledigen können.

Wieder fliegen mir Erinnerungsfetzen durch den Kopf und diesmal dämmere ich sogar im Stehen neben Joes Bett regelrecht weg. Ein Helikopter kommt in meinen Erinnerungen vor; es ist der Hubschrauber, in dem ich saß, nachdem ich mir in der Schweiz den Arm gebrochen hatte. Joe gehörte auch zu dem Team, das meinen Einsatz in Crans Montana mit durchgeführt hatte. Jeff hatte mich seinerzeit zum Landeplatz des Helikopters begleitet, der mich ausfliegen sollte, damit ein Spezialist meinen zertrümmerten Arm richten konnte. Das Rotorengeräusch von damals erscheint mir unheimlich präsent in meiner Vorstellung.


Das Geräusch, das mich schließlich wieder zu mir und in die Gegenwart zurückbringt, klingt scheußlich: wie ein Fingernagel auf einem Blumentopf, aber leise. Ich erinnere mich plötzlich an die Töne, die mein Vater mit einem Glasschneider erzeugt hat, um Scheiben für unser Frühbeet zuzuschneiden. Die ganz ähnlichen, gleichzeitig schrillen und knirschenden Laute kommen jetzt von den Fenstern, die hinter den blickdichten Vorhängen des Krankenzimmers verborgen liegen. Eiskalte Angst fährt mir in die Glieder. Will die Polizei mich etwa durch ein SEK, das über die Fenster einsteigt, unschädlich machen? Es knackt leise.

Ein Lufthauch bläht plötzlich die Vorhänge und eine Stimme flüstert eindringlich: „Sara, keine Angst! Wir holen dich jetzt hier raus.“

Jeff!

Einen Augenblick lang vermischen sich meine Erinnerungen und die Gegenwart auf verwirrende Art und Weise. Dann denke ich wieder klar. Erleichterung macht mir förmlich die Knie weich. Endlich Hilfe! Schließlich reiße ich den Vorhang beiseite: Vor einem der beiden oberlichtartigen Fenster hängt, wie ein besonders befremdliches Mobile, an einem dünnen Seil ein Mann. Ein Teil der zuvor mit dem Glasschneider bearbeiteten Fensterscheibe ist schon mithilfe eines Saugnapfes herausgelöst worden.

„Vorhang zu!“, kommandiert Jeff im Flüsterton. Klar, wenn er wie ein Scherenschnitt vor dem erleuchteten Fenster schwebt, nützt es ihm gar nichts, dass es mittlerweile dunkel ist.

Ich schließe den Vorhang schnell wieder, aber diesmal hinter mir, stelle mich dicht an das Fenster und sehe in dem bisschen Licht, dass Jeff seinen Finger auf die Lippen legt, als er bemerkt, wie ich den Mund öffne. Ein zweites Seil lässt den Saugnapf samt der entfernten Fensterscheibe nach oben aus dem Bild verschwinden.

„Kann man die Fenster öffnen?“, will Jeff flüsternd wissen.

Ich suche, kann jedoch nirgends einen Fenstergriff entdecken. Wahrscheinlich wird die Intensivstation komplett klimatisiert. Deshalb deute ich mit dem Daumen nach unten. Negativ.

„Kannst du Joe jetzt allein lassen?“, wispert Jeff.

Ich nicke.

Jeff hat offensichtlich ein Mikrofon in dem schwarzen Helm, den er trägt, denn er flüstert etwas und der Saugnapf samt Glasschneider kommen wieder herabgeschwebt, damit Jeff das Loch im Fenster vergrößern kann. Ich nehme die Stücke, die er entfernt, vorsichtig eins nach dem anderen entgegen und lege sie behutsam so geräuschlos wie möglich auf den Fußboden des Krankenzimmers. Jetzt, wo es darauf ankommt, lautlos zu arbeiten, dröhnt mir der Glasschneider mit seinem hässlichen Knirschen förmlich in den Ohren! Dann wird das Seil, an dem Jeff baumelt, ganz langsam länger, sodass er durch das gerade eben für seine breiten Schultern ausreichend große Fenster hereinklettern kann. Er begrüßt mich mit einem Augenzwinkern und einem herzlichen Lächeln, tritt an Joes Bett und betrachtet ihn aufmerksam. Mit einer Kamera fotografiert er den Monitor und die Aufschriften der Beutel mit den Infusionslösungen, dann knurrt er trocken: „Blöder Wichser!“, in Richtung Blend, der unter seinem Handtuch keine Ahnung hat, was vorgeht und löst die Rollen an dem leeren Bett, auf dem der Chirurg geschlafen hat. Das Bett schiebt er so lautlos wie möglich dicht unter das Fenster. Dann winkt er mich mit einer Hand zu sich.

Von dem Geschirr, das Jeff sichert, baumelt vorn noch ein zweites herab. „Wie beim Tandemsprung mit einem Fallschirm“, flüstert er mir ins Ohr, manövriert mich direkt vor sich und beginnt, die Strippen und Schnallen an mir festzuziehen, nachdem ich in die Öffnungen für die Beine getreten bin.

„Wurde auch Zeit, dass die Sonne endlich untergeht! Du siehst total fertig aus. Hast es gleich geschafft“, wispert mir mein Retter tröstend und voll Mitgefühl zu. Jeff prüft alle Schnallen und Karabiner noch einmal sorgfältig. „Ich hebe dich hoch und klettere mit dir auf das Bett, als wärst du ein Paket. Bitte verhalte dich auch so, völlig passiv. Lass dich einfach hängen. Wenn ich gewusst hätte, wie schmal die Fenster sind, hätte ich ein anderes Geschirr gewählt. Jetzt müssen wir uns eben gemeinsam irgendwie durch den Rahmen quetschen. Danach hilft uns das Seil weiter. Halt still und sei still.“, warnt er mich leise, bevor er zupackt. Blend raunt er noch zu: „Und du machst in der nächsten Stunde keinen Mucks, sonst puste ich dir von draußen ein Loch in deinen dämlichen Schädel, klar?“


Es ist wirklich schwierig, sich zu zweit in der Verpackung mit dem Gurtsystem durch das Fenster zu zwängen. Zum Glück hat Jeff das Loch darin möglichst groß gemacht und so zugeschnitten, dass vor allem an der Unterkante das Glas fast direkt über dem Rahmen endet. Dummerweise kommen weder Jeff noch ich auf die Idee, etwas schützend über diese Glaskante zu legen. Es tut gar nicht weh, als sie sich in meine rechte Hand frisst, die ich ganz unwillkürlich benutze, um mich abzustützen, weil Jeff halbwegs auf mir liegt, als wir uns durch das Loch zwängen. Dann haben wir das gläserne Nadelöhr überwunden; eine Seilwinde zieht uns behutsam und völlig geräuschlos nach oben. Ich bemühe mich krampfhaft, mit meiner linken Hand zu verhindern, dass mein Blut aus der Rechten nach unten tropft und stelle dabei erschrocken fest, dass es furchtbar viel ist. Deshalb wickle ich den Saum meines Sweatshirts, so gut das eben geht, um die verletzte Hand.

Nachdem wir uns einmal vom Fensterrahmen wie zu einem Sprung in die Tiefe abgestoßen haben, baumeln Jeff und ich frei in der Luft. Offenbar gibt es über uns nicht nur eine Winde, sondern auch einen Ausleger, der jetzt effektiv verhindert, dass wir vor die Krankenhausfassade knallen. In meinem Kopf dreht sich alles, denn ich habe ziemliche Höhenangst.

Ich versuche, mich auf etwas anders zu konzentrieren als auf die gähnende Leere unter mir: auf die Freude, dass es Joe so viel besser geht; darauf, dass Jeff mich da eben aus dem Zimmer herausgeholt hat und nicht die Polizei; auf die Frage, wen und was ich wohl zu sehen bekomme, wenn man mich einmal über die Kante des Flachdaches hebt. Doch obwohl ich angestrengt starre, sehe ich gar nichts, als wir die Dachkante schließlich überwunden haben: Nur Sterne und Flecken füllen mein Blickfeld und die fahren auch noch Karussell. Und ich hatte angenommen, die Bildstörung hätte etwas mit der großen Höhe zu tun, in der ich vorher schwebte!

Jeff lockert seinen festen Griff um meinen Leib, als seine langen Beine vor meinen auf dem Dach festen Stand finden. Aber als meine Knie beim Aufsetzen wie gekochte Spaghetti wegknicken, fasst er wieder energisch zu und stellt erschrocken und versehentlich viel zu laut fest: „Verdammte Scheiße! Du blutest ja wie angestochen!“


... kannst du mich lieben?

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