Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 13
Kapitel 11
ОглавлениеNatürlich trug Joe auch vor ein paar Monaten die Verantwortung für meine Sicherheit, als sich meine Situation zuspitzte. Ich hätte von allein nie im Leben etwas davon gemerkt.
Seit meiner Entführung durch drei Kidnapper nach Rotterdam, hatten Ermittler aus Florida versucht herauszufinden, wer als Drahtzieher hinter dieser Aktion stand. Der Dicke, der Kopf der kleinen Söldnertruppe von damals, hatte als Einziger des Teams Kontakt mit den Auftraggebern gehabt; die beiden anderen Strolche dienten lediglich als Handlanger. Dummerweise verstarb der Dicke aber schon wenige Wochen, nachdem man ihn verhaftete, an einem Krebsleiden. Und er hatte gute Arbeit geleistet: weder nennenswerte Spuren hinterlassen noch ein Geständnis. Im Gegenteil, es schien ihm in seinen letzten Lebenstagen ein besonderes Vergnügen zu bereiten, die Ermittler zappeln zu lassen. Das teilte man mir zumindest mit und das passte leider auch vollkommen in das Bild, das ich mir selbst von dem ekelhaften Kerl hatte machen können.
Jason setzte mir, nachdem der Mann verstorben war, noch einmal in aller Deutlichkeit auseinander, was ich selbst längst wusste: „Sara, da sind Leute hinter dir her, scheinbar Leute mit Geld und Einfluss. Ihre ersten beiden Versuche, dich zu fassen, sind misslungen, doch wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass sie es noch einmal probieren werden. Wir werden deinen Personenschutz aufrechterhalten, aber so dezent wie möglich, denn wenn wir zu dick auftragen, erregen wir natürlich auch eine enorme Neugier, vielleicht sogar bei Parteien, denen du bisher noch gar nicht aufgefallen bist. Wenn wir dich sicherheitstechnisch in Watte packen, werden eventuelle Interessenten wahrscheinlich noch gefährlicher. Leider müssen wir insgesamt davon ausgehen, dass irgendwann ein neuer Versuch, dich zu schnappen und dein Geheimnis zu lüften, stattfindet. Und dummerweise haben wir keine Ahnung, wer diesen Versuch starten könnte. Das macht die Gefahrenabwehr einigermaßen schwierig.“
Was Jason mir nicht klar und deutlich sagte, war, dass er mich unter anderem deshalb bereitwillig mit so viel Aufwand überwachen ließ, weil er es überhaupt nicht schätzte, wenn ihm Konkurrenten in die Quere kamen – in meinem Fall war das geschehen und die Konkurrenz hatte zeitweise sogar die Nase vorn. Diese Gegner wollte Jason identifizieren und ausschalten; ich diente ihm als Köder. Das begriff ich aber erst im Laufe der Zeit, nachdem ich Jason und seine Denkweise besser kannte und nachdem mir Tom ein wenig auf die Sprünge geholfen hatte.
Ich verfügte also über einen diskreten, aber lückenlosen Personenschutz. So blieb die Lage gut zweieinhalb Jahre lang. Ehrlich gesagt, ich glaubte schon nach ein paar Monaten nicht mehr wirklich daran, dass eine reale Gefahr für mich bestand. Aber da lag ich gründlich falsch.
Plötzlich, als ich in diesem Jahr im April mit Joe zwischen zwei Vorlesungen in der Cafeteria Pause machte, fiel mir auf, dass er total bewegungslos dasaß. Ich hatte in einem Fachbuch gelesen, denn bei der nächsten Veranstaltung handelte es sich um ein Seminar, das von einem Dozenten abgehalten wurde, der dazu neigte, seinem Auditorium sehr plötzlich ziemlich unangenehme Fragen zu stellen. Als ich aufblickte, bemerkte ich Joes angespannte Haltung.
„Was ist?“, erkundigte ich mich verblüfft.
„Ich fürchte, ich habe die Gleichung nicht verstanden. Kannst du mir die noch einmal erklären?“, bat er völlig ohne jeden sinnvollen Zusammenhang, kritzelte etwas auf einen Zettel und schob ihn zu mir herüber.
Verwirrt entzifferte ich:
Lesen!
Ruhig bleiben!
Du wirst gerade von jemandem sehr unauffällig fotografiert. Für einen bloßen Fan stellt er sich zu geschickt an. Außerdem sieht das nach einer tollen Kamera aus, winzig – nichts, was man im Internet kaufen kann. Falls wir nicht nur beobachtet, sondern auch abgehört werden: Sei ganz locker, erklär mir die angebliche Gleichung und bleib mir in der nächsten Zeit dicht auf den Fersen, egal, was passiert.
Zuerst konnte ich gar nicht reagieren, denn der Schreck traf mich völlig unvorbereitet, obwohl ich irgendwann mit genau so einer Situation hätte rechnen müssen – schließlich besaß ich nicht zum Spaß einen Leibwächter.
Joe tippte mit dem Finger auf den Zettel und erkundigte sich besorgt: „Hast du das etwa auch nicht verstanden?“
„Doch, doch“, beeilte ich mich, endlich zu nicken. „Du musst nur auf die richtigen Vorzeichen achten, dann kommst du auch zu einem Ergebnis.“
Joe lächelte mich an. Er wollte mich damit wohl beruhigen. „Du hast ja so recht“, murmelte er. Dann setzte er sich einfach wieder hin und rührte in seinem Kaffee. Ich steckte die Nase entschlossen erneut in mein Lehrbuch. Wenn ich sie nicht dortbehielt, würde ich bestimmt nur auffällig neugierig in der Gegend herumschauen, um herauszufinden, wer da Bilder von mir knipste. Mein Magen verwandelte sich innerhalb von Sekunden in einen schweren Eisbrocken.
Nach vier Minuten stand Joe auf. Sonst räumte er immer sein Geschirr ab, diesmal ließ er seine Tasse einfach stehen und sagte nur: „Komm, es wird höchste Zeit!“
Wir verließen die Cafeteria. Zielstrebig ging Joe los – nur hatte ich keine Ahnung, wo sein Ziel sich befinden könnte, und kam mir wie ein dummes Kleinkind vor, das seiner Mama blindlings hinterher trabt. Joe schlängelte sich schnell durch eine Gruppe von Studenten, dann an einem der Universitätsgebäude vorbei. Dabei zog er sein Handy aus der Tasche und sprach so schnell wie ein Maschinengewehr hinein. Ich verstand gar nicht alles, was er dabei von sich gab, weil ich hinter ihm ging und er sehr leise redete: „… verfolge den Fotografen. … wann könnt ihr mir Verstärkung schicken? Ich pack mir den Kerl. … asiatischer Typ. Vielleicht dieses Mal direkt vom Auftraggeber … Sara bei mir …“
Ich konnte es nicht lassen, obwohl es wirklich unklug war: Ich hielt nach einem Asiaten Ausschau. Davon gab es allerdings reichlich in den bunt gemischten Horden von Studenten, die aus aller Herren Länder stammte. Außerdem stellt Düsseldorf die größte japanische Kolonie im Ausland dar. Aber dann hatte ich das zunehmende Gefühl, dass Joes Aufmerksamkeit sich auf eine bestimmte Person bezog.
Nachdem er sein Handy weggesteckt hatte, fragte ich nur: „Das grüne T-Shirt?“
Er nickte.
Der grüne Rücken vor uns wirkte ziemlich schmal. Der Mensch in dem Shirt schien jung zu sein und altersmäßig gut in die Umgebung der Uni zu passen.
„Übergabe!“, flüsterte Joe in diesem Augenblick. „Der hat die Kamera dem Typ mit der blauen Jacke gegeben. Er hätte sein Handy nehmen und die Bilder einfach verschicken sollen, dann wäre das nicht nötig gewesen. Fehler Nummer eins. Bingo! Diesmal kriegen wir sie.“
Ich hatte natürlich wieder einmal nichts mitbekommen. Joe zog mich überraschend am Ärmel neben sich und deutete auf ein paar Tauben, die ohne jede Angst auf dem Gehweg zwischen den Passanten Futter suchten, so als wären die Vögel wirklich interessant.
„Der Fotograf hat sich wesentlich geschickter angestellt als die blaue Jacke. Vielleicht ist die zweite Person nur ein Kurier. Dieses Mal will ich keinen Handlanger erwischen, sondern die Drahtzieher identifizieren, die dich haben wollen. Wir folgen dem grünen Shirt.“ Während Joe auf mich einsprach, legte er den Arm um mich und zeigte auf eine der Tauben, die besonders dreist nahe an den Füßen der Menschen vorbeilief. Ich spürte förmlich, dass seine Augen ganz woanders hinsahen. Dann zog er mich weiter.
An diesem Tag hatte ich mit Joe mehr Körperkontakt als in der gesamten gemeinsamen Zeit zuvor! Ich sehnte mich danach, wie geplant in meinem Seminar zu sitzen und von heimtückischen Fragen bombardiert zu werden – das schien mir plötzlich viel reizvoller als diese hochgradig angespannte Wanderung durch die Stadt, die so viele überraschende Wendungen bereithielt wie eine Achterbahnfahrt auf einem wild gewundenen Gleis!
Das grüne Shirt prüfte alle hundert Meter offensichtlich, ob jemand ihm folgte. Zumindest so viel hatte ich in Florida über Beschattung gelernt, um einige seiner Maßnahmen zu erkennen. Joe versuchte zu verhindern, dass wir unsererseits als Verfolger erkannt wurden – eine verdammt schwierige Aufgabe, wo uns der Kerl doch erst kurz zuvor beim Fotografieren im Fokus hatte und sicher bei der ersten günstigen Gelegenheit wiedererkennen würde. Joe bat mich im Gehen, meine schulterlangen Haare mit einem Band anders zu frisieren. Er selbst zog eine dunkle Sonnenbrille aus einer Tasche und nahm mir die Jacke ab, die ich über meiner Bluse trug. So veränderten wir wenigstens geringfügig ein wenig unser Erscheinungsbild. Ansonsten sorgte Joe dafür, dass wir unauffällig an unserer Zielperson dranblieben. Autos, Bäume, Hauseingänge, eine Umarmung dienten als Deckung.
„Der Kerl ist eine Schlampe“, meinte Joe nach einigen Minuten geringschätzig. „Passt nicht wirklich auf. Das mit den Fotos hat er gut gemacht, aber im Augenblick fühlt er sich zu sicher. Sara, wir gehen jetzt ganz dicht ran und wenn es möglich ist, legst du ihn lahm.“
„Wie bitte?“, fragte ich erschrocken.
Joe knurrte: „Den sammle ich ein. Und dann kommen wir hoffentlich in der Ursachenforschung in deinem Fall endlich mal weiter. Leg ihn so lahm, dass es bei ihm aussieht wie ein Schwächeanfall oder so etwas. Geht das?“
Ich zuckte bei seinem Ton förmlich zusammen – so klang Joe also, wenn er sich auf der Jagd befand! Völlig anders als der umgängliche Mensch, mit dem ich die Wohnung teilte. Obwohl die Sonne warm schien, bekam ich unwillkürlich eine Gänsehaut.