Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 3

Kapitel 1: Samstag, 28.7. – 2 Uhr 13

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Als mein Telefon klingelt, bin ich mit einem Schlag beim ersten Ton hellwach. Immer wenn ich weiß, dass ich für meine Sicherheit allein die Verantwortung trage, ist mein Schlaf viel leichter als sonst. Aber obwohl ich schnell nach dem Hörer greife und mich munter fühle, dauert es eine ganze Weile, bis ich begreife, wer mir da telefonisch was mitteilen will.

Nach den ersten gestammelten Worten, die ich rein akustisch nicht verstehe, nach Schluchzen und Schniefen, die zusammengenommen fast so klingen als wäre die Verbindung schlecht, fahre ich dazwischen: „Stopp! Wer spricht da eigentlich? Jule, bist du das etwa?“

„Ja.“

„Jule, jetzt beruhige dich doch erst einmal! Ich habe kein Wort von dem verstanden, was du bisher gesagt hast. Also ganz langsam und noch einmal von vorn – was ist los?“

„Es ist wegen Joe. Sara, du musst sofort herkommen. Joe geht es nicht gut.“

Ich bin vollkommen verblüfft. Was hat meine beste Freundin Jule mitten in der Nacht mit Joe zu tun, mit dem ich zusammenlebe und studiere?

Ich versuche, mich erst einmal auf das Wesentliche zu konzentrieren: „Jule, was meinst du mit ‚dem geht es nicht gut‘?“

„Joe hat Fieber, sehr hohes Fieber. Und Bauchschmerzen. Und er wirft sich im Bett hin und her und ist nicht wirklich ansprechba…“

„Nicht ansprechbar? Ist er bewusstlos?“, hake ich alarmiert ein.

„Nein. Aber er fantasiert. Der spricht völlig irres Zeug von Überfällen, Geiselnahmen und Schießereien. Aber vorhin, als er mal ganz kurz klar war, hat er mich am Arm gepackt und mir gesagt, dass ich auf keinen Fall einen Arzt oder Krankenwagen holen soll. Er wollte, dass du unbedingt sofort kommst.“ Mit den letzten Worten bricht Jules Stimme und sie beginnt wieder zu schluchzen.

Was treiben Jule und Joe nachts um diese Zeit, sodass Jule sieht, wie Joe im Bett liegt und sich hin und her wälzt?

Ich fürchte, ich habe jetzt keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Und Jule klingt auch nicht, als wäre gerade der richtige Zeitpunkt, sie um eine Erklärung zu bitten – sie ist in Panik, so wie ihre Stimme sich anhört.

„Jule, wo seid ihr?“

„In meiner Wohnung.“

„Ich komme sofort“, verspreche ich.


Beim Anziehen schießen Gedanken kreuz und quer durch meinen Kopf. Jule und Joe? Kann das sein? Seit wann? Und wieso darf ich nichts davon wissen? Vielleicht ein One Night Stand und sie wollten einfach verhindern, dass ich davon erfahre, weil ihnen die Sache peinlich ist? Zufall? Oder doch eine Geschichte, die schon länger dauert?

Ich raffe mein Handy und die Autoschlüssel an mich. Gut, dass Joe mit dem Rad unterwegs ist und nicht in unserem Wagen; bis zu Jules Appartement brauche ich im Auto nur etwa fünf Minuten. Bevor ich allerdings unsere Wohnung verlasse, rufe ich mich selbst zur Ordnung und stecke meine Messer ein: je eines in jede Gesäßtasche meiner Hose, ein Weiteres wird unter der Jeans an den rechten Unterschenkel geschnallt. Joe hat mir immer wieder eingebläut, dass ich auf keinen Fall darauf verzichten darf, mich zu bewaffnen, auch wenn es nach den neueren Erkenntnissen so scheint, als drohte mir von den Koreanern zunächst keine akute Gefahr mehr.

„Wenn ich nicht bei dir bin, wenn niemand aus dem Team dich beschattet, musst du aufrüsten, Sara!“ Das ist Joes Lieblingssatz, den er immer wieder anbringt, wenn ich allein unser gemeinsames Appartement verlasse.


Düsseldorf ist um diese Zeit wirklich ruhig. Obwohl meine Nerven ziemlich flattern, riskiere ich nichts und fahre nicht zu schnell. Die Polizei sollte jetzt ganz bestimmt nicht auf mich aufmerksam werden! Natürlich gibt es vor dem Haus, in dem sich Jules Appartement befindet, weit und breit keinen Parkplatz, aber einen sehr breiten Bürgersteig. Ich stelle meinen Wagen ohne Gewissensbisse rücksichtslos mitten darauf ab und sprinte zur Hausnummer siebzehn. Jule wohnt im zweiten Stock. Kaum habe ich geklingelt, summt der Öffner an der Tür; sie scheint auf mich gewartet zu haben. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, springe ich die Treppen hinauf. Jules Wohnungstür steht offen und ich trete ein.


Lange wohnt Jule noch nicht in diesem Appartement. Wir kennen uns, seitdem ich mit Beginn der zwölften Klasse nach Düsseldorf gezogen bin, um dort am Kästner-Gymnasium Abitur zu machen. Seit damals ist Jule meine Freundin, auch wenn wir uns manchmal wochen- oder monatelang nicht sehen, auch wenn es zwischen uns offenbar so manches Geheimnis gibt. Freundinnen erzählen sich eben doch nicht immer alles. Aber das muss ja unserer Freundschaft nicht unbedingt schaden.

Bis vor ein paar Monaten lebte Jule noch bei ihren Eltern. Warum auch nicht? Schließlich ist ihre Familie in Düsseldorf zuhause, wo Jule seit dem Abitur die Kunsthochschule besucht, und eine eigene Wohnung muss man sich bei den gesalzenen Mieten hier erst einmal leisten können. Merkwürdigerweise hat Jule mir sozusagen verboten, sie in ihrer neuen Wohnung zu besuchen. Deswegen gab es in den letzten zwei, drei Monaten ein paar deftige Verstimmungen in unserer Beziehung.

Sie behauptete mehrmals: „Mein neues Zuhause ist einfach scheußlich. Eine billige Bruchbude. Mir reicht es, aber ich will es sonst niemandem zumuten. Das ist mir peinlich. Du besuchst mich da besser nicht.“

Weil ich Lüge und Wahrheit mit hundertprozentiger Sicherheit unterscheiden kann, wusste ich, dass es sich bei dieser Aussage um eine Ausrede handelte und nicht um den wirklichen Grund für ihre Weigerung, mir die neue Wohnung zu zeigen. Den kenne ich nicht.

Natürlich bin ich jetzt, neben allem anderen, auch neugierig, als ich Jules Flur betrete. Aber gerade, als ich beginne, mit offenem Mund die vielen Bilder dort anzustarren, werde ich abgelenkt. Ich komme gar nicht dazu, mich gründlich umzusehen, denn ich höre plötzlich Joe stöhnen. Und das Geräusch lässt bei mir alle roten Lampen aufleuchten!


Bei Jules Formulierung, er hätte Bauchweh, handelte es sich um eine furchtbare Untertreibung: Joe klingt, als wäre er halb tot vor Schmerzen! Mit ein paar schnellen Schritten gehe ich in den Raum, aus dem das Stöhnen dringt: Joe liegt in einem total zerwühlten Bett. Seine sonst so gesunde Gesichtsfarbe ist einem entsetzlichen Grauton gewichen. Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Oder ist es Wasser? Jule schaut mich verzweifelt an. Sie sitzt bereits auf der Bettkante neben Joe, sagt kein Wort und tupft immer wieder mit einem offensichtlich nassen Waschlappen seine Stirn ab.

In diesem Augenblick wirft Joe sich erneut herum und murmelt: „Sara? Wo bist du? Ich brauch dich. Hilf mir!“ Aber seine Augen bleiben dabei geschlossen. Er redet im Fieber.

Jule fängt bei seinen Worten wieder an zu schluchzen.

„Joe? Ich bin da“, versuche ich, ihn zu beruhigen, für den Fall, dass ich irgendwie zu ihm durchdringe. Dann wende ich mich an Jule: „Seit wann geht es ihm so schlecht?“ Aber Jule heult. Ich knuffe sie fest gegen die Schulter, für Hysterie ist jetzt keine Zeit. „Jule! Seit wann geht es Joe dermaßen schlecht?“

Jule schnieft bei meinem leichten Schlag kurz erschrocken, bevor sie antwortet: „Das fing gleich am Freitagabend an, nachdem wir gegessen hatten. Da klagte er ein Mal über leichte Übelkeit und Bauchschmerzen. Und den ganzen Samstag über verhielt er sehr sich ziemlich ruhig, hatte zu nichts Lust, wollte nichts essen. Er ging dann ziemlich früh zu Bett. Ich dachte, das wäre nur eine Magenverstimmung. Mein Vater gibt sich schließlich auch einigermaßen komisch, wenn ihm was fehlt. Joe hat ja selbst immer wieder behauptet, es wäre nichts Ernstes. Um ihn nicht zu stören und damit er sich ausruhen konnte, blieb ich gestern Abend kurzerhand nebenan im Wohnzimmer und habe ferngesehen. Ich bin wohl dabei irgendwann eingeschlafen. Und als ich wieder wach wurde, hörte ich, wie Joe stöhnte und im Fieber sprach. Da habe ich dich sofort angerufen.“

„Hast du Fieber gemessen?“

Jule schüttelt schuldbewusst den Kopf. „Ich besitze gar kein Thermometer.“

Als ich meine Hand auf Joes Stirn lege, schalle ich ihn sofort, denn er ist so glühend heiß, dass ich einen eisigen Schrecken bekomme und nicht einmal einen Gedanken daran verschwende, Jule vorher aus dem Raum zu schicken, damit sie nicht beobachtet, was ich da tue. Mir ist sofort klar: Hier geht es um jede Minute. Joe hat weit über vierzig Grad Fieber.

„Ruf einen Krankenwagen, Jule. Sofort!“

„Aber Joe hat doch gesagt, ich soll keine Ärz…“

„Sofort!“, schnauze ich Jule an. Noch einmal schalle ich Joes Bauchraum in der Hoffnung, dass meine erste oberflächliche Diagnose falsch war. Leider ist das nicht der Fall: Blinddarmdurchbruch und ein riesiger Entzündungsherd im Bauchraum. Joe muss umgehend operiert werden, wenn er überhaupt eine Chance haben soll.

Jule stammelt im Hintergrund ins Telefon. Sie muss die Adresse dreimal wiederholen.


Ich stehe auf und gehe in Jules Küche. Auf dem Tisch steht eine Flasche Cola. Die nehme ich an mich. Dann gehe ich zurück zu Joes Bett, setze die Flasche an den Mund und trinke, so schnell ich nur kann. Bevor ich Joe meine Hände auf den Bauch lege, um gegen Fieber, Entzündung und Schmerz anzukämpfen, sage ich so ruhig wie möglich zu Jule, als sie wieder an Joes Bett tritt: „Reiß dich zusammen. Zieh dich an. Joe muss sofort operiert werden. Wir begleiten ihn ins Krankenhaus, wenn du willst. Und du nimmst bitte alle Colavorräte mit, die du im Haus hast. Ich werde sie brauchen!“

Jule sieht mich verstört an. Aber sie nickt wortlos unter Tränen und beginnt, einen Jogginganzug überzustreifen. Ich konzentriere mich darauf, Joes Schmerzen und sein Fieber zu dämpfen.

Kurz bevor der Krankenwagen vor dem Haus eintrifft, flackern seine Augenlider und er sieht mich mit unnatürlich glänzenden Augen an: „Sara? Gut, dass du da bist!“, murmelt er, bevor er wieder wegsackt.

„Ich passe auf dich auf, Joe. Ich bin bei dir und ich verlasse dich nicht!“, verspreche ich ihm, bevor ich erneut beginne zu summen.

Jule heult bei diesen Worten hinter mir auf, als hätte jemand sie geschlagen. Sie ist nicht einmal in der Lage, den Türöffner zu betätigen.

Also laufe ich, als es klingelt, den Sanitätern entgegen und informiere sie: „Der Patient hat einen Blinddarmdurchbruch. Hohes Fieber, Bauchraum vereitert. Der muss so schnell wie möglich auf einen OP-Tisch.“

Sehr routiniert wird Joe auf eine Trage geschnallt und durch das Treppenhaus zum Rettungswagen getragen. Neugierige Nachbarn gaffen in ihren Bademänteln aus den Haustüren. Ich schiebe Jule einfach die Stufen hinab, sie steht förmlich unter Schock. Als die Trage mit Joe in den Krankenwagen gehoben wird, will ich wie selbstverständlich mit einsteigen, aber einer der Sanitäter hindert mich daran, indem er mich an der Schulter zurückzieht.

„Sind Sie nicht ein bisschen zu jung, um Ärztin zu sein?“, erkundigt er sich.

Verdammt! Ich kann nicht lügen und wir haben weder Zeit für weitschweifige Erklärungen, noch fallen mir spontan welche ein.

Also muss ich die Wahrheit sagen: „Ich bin keine Ärztin, aber ich kann das Fieber senken und seine Schmerzen dämpfen“, versuche ich, den Sani davon zu überzeugen, dass es richtig und wichtig ist, mich mit Joe fahren zu lassen.

Sehr deutsch und sich seiner Vorschriften bewusst, verkündet mir der pummelige Mann, dessen Kollege sich schon hinter das Steuer gesetzt hat: „Dann dürfen Sie auch nicht im Krankenwagen mitfahren.“

Ich schätze die Situation ab. Ich kann es nicht riskieren, dass hier lange diskutiert wird. Dafür hat es Joe zu eilig. Der Sanitäter klingt nicht so, als ließe er sich umstimmen. Frauen sind offenbar nicht das, was er mag, sonst hätte ich leichtes Spiel, aber er hasst alles Weibliche und freut sich, mal wieder einer Frau eins ausgewischt zu haben. Das spüre ich ganz deutlich.

Also Angriff.

„Pass auf, du Wichtigtuer!“, zische ich ihn deshalb an. „Wenn Joe etwas passiert, weil du auf deinen blöden Vorschriften bestehst, stech´ ich dich ab! Ich bringe dich um, so sicher wie das Amen in der Kirche, und zwar langsam. Jetzt fahr los und wo auch immer die Reise hingeht, verständige die Leute dort über Funk, dass ein OP bereitgemacht wird für eine Notoperation und dass sich ein kompetentes Team vor Ort befindet, das sich um meinen Freund kümmert, sobald wir ankommen. Klar? Hast du das kapiert, Arschloch? Das ist wichtig! Der Mann da auf der Trage hat keine Minute zu verlieren!“

Ich schicke meinen Worten ein bösartiges Knurren hinterher, das den Sanitäter wie beabsichtigt vollkommen einschüchtert. Dann zerre ich Jule zu meinem Wagen und wir fahren dem Krankenwagen einfach hinterher; jetzt kann ich nur hoffen, dass mich die Polizei dabei nicht erwischt. Ich weiß, es ist notwendig, mich nicht abhängen zu lassen, denn es geht um Joes Leben!


Der Rettungswagen fährt mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn durch die stillen Straßen. Ich beiße mich mit meinem Auto quasi an seiner hinteren Stoßstange fest. Als mir klar wird, welches Hospital die Ambulanz ansteuert, überlege ich schnell, wie ich sie auf dem Klinikgelände nicht verliere. Dann verringere ich den Abstand auf einen halben Meter – kein Schlagbaum, und sollte er auch noch so schnell vom Pförtner abgesenkt werden, kann mich so von meinem Vordermann abstreifen. Zum Glück stellt sich heraus, dass es gar keine Pförtnerloge an der Einfahrt zum Krankenhausgelände gibt.

Jule krallt sich neben mir in die Polster. Sie ist kalkweiß und sagt kein Wort. Nur als ich meinen Wagen in eine enge Parklücke schleudern lasse, die mir spontan in der Nähe des erleuchteten Einganges auffällt, den der Rettungswagen ansteuert, schreit sie leise und erschrocken auf. Dieser Parkplatz ist zwar laut Schild für den Verwaltungsdirektor reserviert, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der ihn auch in den nächsten paar Stunden nicht brauchen wird.


Mit einem Satz springe ich aus dem Auto und laufe zu der Ambulanz, aus der die Trage samt Joe gerade ausgeladen wird. Aus dem Eingang des Krankenhauses kommen uns Weißkittel entgegen. Noch nie habe ich mich so gefreut, Ärzte zu sehen!

Bevor der pummelige Sanitäter, der Joe begleitet, auch nur die Chance hat, das Wort zu ergreifen, rede ich schon auf den Mann ein, den ich für den Ranghöchsten in der Gruppe aus dem Hospital halte und rattere so professionell wie möglich herunter: „Akute Appendizitis mit Perforation, hohes Fieber mit einer Temperatur von über 40,5 Grad, steigend. Der Patient ist männlich, 27 Jahre alt, 86 Kilo, sehr gute Konstitution. Ach ja, und seine Blutgruppe ist B positiv. Haben Sie einen OP und ein Team vorbereitet?“

„Wir sind dabei“, erwidert er verblüfft darüber, wie bestimmt ich auftrete. Er muss ja nicht wissen, wie viel Kraft mich das kostet.

Im Hintergrund sehe ich aus den Augenwinkeln den Sanitäter, mit dem ich mich vor Beginn der Fahrt angelegt habe, Luft holen, um wahrscheinlich zu verkünden, dass ich gar keine Ärztin bin, aber dazu gebe ich ihm keine Gelegenheit.

„Bringen Sie den Patienten so schnell wie möglich in den OP-Bereich. Ich regle das hier mit den Fahrern!“, sage ich energisch zu dem Arzt und schubse ihn förmlich Richtung Trage.

Dann wende ich mich dem Sani zu.

Joe wird tatsächlich ohne weitere Nachfragen zügig in das Gebäude geschoben. Ich gehe auf den Sanitäter zu, der mich böse betrachtet und lege ihm, als wollte ich ihn beschwichtigen, meine Hand auf die Schulter: „Nichts für ungut“, murmele ich, so als wollte ich mich für mein ungehöriges Verhalten zuvor entschuldigen. Dabei habe ich nur nach einem Vorwand gesucht, ihn unauffällig berühren zu können. Der Mann beginnt erwartungsgemäß zu schimpfen und bekommt dabei weder mit, dass meine Hand weiter auf seiner Schulter liegt, noch dass ich lautlos Übelkeit in seinem Magen aufkochen lasse. Hemmungslos kotzend steht er keine dreißig Sekunden später da. Er wird einige Zeit sehr mit sich selbst beschäftigt sein, dafür habe ich gesorgt.

Ich klopfe an die Fahrerkabine der Ambulanz und sage zu dem anderen Sanitäter, der noch immer hinter dem Steuer sitzt und jetzt irgendwelche Papiere ausfüllt: „Ihrem Kollegen ist schlecht geworden. Dem sollten Sie vielleicht ein bisschen helfen.“

Dann schnappe ich mir Jule, die mit aufgerissenen Augen verständnislos das Geschehen verfolgt, bei der Hand und wir betreten ebenfalls das Krankenhaus. Nach einigen Fragen weist uns eine Nachtschwester den Weg in Richtung auf den OP-Bereich. Schließlich stehen wir vor einer Tür mit einem ehrfurchtgebietend großen Eintritt-Verboten-Schild. Ich klopfe energisch und laut, bis die Tür ungehalten aufgerissen wird.

„Was wollen Sie?“, herrscht mich eine Frau in einem weißen Kittel an.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich möchte wissen, ob der Blinddarmdurchbruch, der gerade hereingekommen ist, sofort operiert wird. Wir machen uns große Sorgen und möchten herzlich darum bitten, informiert zu werden, wenn Sie etwas darüber sagen können, wie es ihm geht.“ Ich bemühe mich, trotz aller Spannung, Freundlichkeit und so etwas wie Charme in meine Stimme zu zaubern. Zum Glück verfehlt das nicht die gewünschte Wirkung.

Die Frau nickt. „Ah, der Blinddarmdurchbruch. Ja, ein Team macht sich gerade für die OP fertig. Der Anästhesist müsste auch gleich eintreffen. Ihnen ist hoffentlich klar, dass der junge Mann sich in einem sehr, sehr ernsten Zustand befindet? Warum ist der bloß nicht früher gekommen?“ Sie weist mit der Hand auf ein paar scheußliche Sitzbänke, die an eine Wand in dem breiten Gang vor dem OP-Bereich geschraubt sind. „Wenn Sie wollen, können Sie hier warten. Der Chirurg kommt durch die Tür da drüben nach der Operation heraus und Sie können dann mit ihm sprechen. Doktor Blend wird operieren, ein guter Mann. Aber es wird natürlich eine Weile dauern, bis Sie etwas erfahren.“

Dann verschwindet die Frau wieder hinter der Tür. Was sie gesagt hat, ist nicht halb so beunruhigend wie ihre Ausstrahlung dabei: Sie glaubt nicht, dass Joe durchkommen wird. Da war keinerlei Hoffnung in ihrer Stimme zu hören.

Ich drücke Jule auf die Bank und bitte sie leise: „Hast du an die Cola gedacht? Könntest du mir mal eine der Flaschen reichen?“

Ich trinke und trotzdem fühle ich mich weiterhin schwach und flatterig im Bauch. Aber das Gefühl hat dieses Mal nichts mit Energiemangel zu tun, das entspringt meiner Angst um Joe.


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