Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 16
Kapitel 14: Samstag, 28.7. 22 Uhr 44
Оглавление„Jetzt bloß nicht wieder ohnmächtig werden!“, sage ich mir so energisch wie möglich, dabei wäre es eigentlich sehr verlockend, einfach die Realität loszulassen, denn sie fühlt sich einmal wieder nicht wirklich angenehm an. Unbewusst summe ich in meine Umgebung hinein, so wie ich das im Schlaf ständig tue, um mein Umfeld zu kontrollieren, weil ich einfach nichts sehen kann mit Ausnahme von bunten Sternen.
Wer hat mich auf dem Dach erwartet?
Hände greifen nach mir. Ich kenne sie nicht und wehre mich auf Ur.
Ein schmerzliches Stöhnen ertönt. Eine fremde Stimme zischt: „Was zum Teufel war das denn? Mich hat etwas getroffen!“
Vielleicht muss ich ja nicht gleich bewusstlos werden, aber ich könnte doch ein bisschen schlafen, oder? Das habe ich mir eigentlich mittlerweile verdient.
Aber ich komme nicht dazu, denn an mir wird gezerrt und gezogen. Ich kann das nicht leiden und jeder, der mich berührt, bekommt das zu spüren. Das ist nicht gut für meinen Energiehaushalt, aber nötig, wie mir scheint, denn ich begreife nicht, was gerade mit mir geschieht. So etwas ist immer gefährlich, also versuche ich verzweifelt, wachsam zu bleiben und mich mithilfe von Ur zu wehren.
Das Nächste, was ich höre, ist erstaunlicherweise Toms Stimme. Allerdings klingt er nicht wie sonst, sondern leicht verzerrt. Aber es ist unverkennbar Tom, der da auf mich einredet: „… Sara, beruhige dich bitte. Hör mir genau zu! Hör unbedingt zu, Sara! Alles ist in Ordnung. Jeff hat dich aus dem Krankenhaus geholt. Du hast dich dabei an der Hand verletzt. Jemand will dir einen Verband anlegen, aber du musst auch Hilfe zulassen. Sara, kannst du mich hören? Sag was! Bitte, sprich mit mir, wenn du mich verstehst. Du bist in Sicherheit. Ein Hubschrauber bringt dich raus aus Düsseldorf. Kannst du mir antworten? Bitte, Sara, sag endlich was!“
Ich blinzle angestrengt und bekomme langsam wieder klare Sicht: Ich liege auf einem Flachdach, Schocklage, denn mein Kopf befindet sich unten und jemand hat meine Beine hochgelagert. Jeff hält sein Handy an mein Ohr.
Aha. Ich höre Tom also am Telefon. Neben mir stehen ein paar Schatten, die mich zu beobachten scheinen. Und direkt hinter ihnen befindet sich ein Helikopter.
„Tom?“, murmele ich einigermaßen mühsam. Nicht nur meine Beine haben den Dienst quittiert, meine Stimme gehorcht mir auf Deutsch auch nicht wirklich.
„Gott sei Dank!“ Tom klingt furchtbar besorgt. „Sara, kannst du mich jetzt verstehen?“
„Hmmm“, grunze ich zustimmend.
„Hör zu! Ihr müsst von dem Dach da weg, und zwar schnell. Aber die Leute können dich nicht verladen, wenn du sie auf Ur angreifst. Bist du jetzt so klar im Kopf, dass Jeff dich in den Hubschrauber packen kann? Du kennst ihn doch und vertraust ihm. Also – kann er dich verladen?“
„Ist gut“, stimme ich zu. Ich verstehe zwar eigentlich noch nicht, was vorgeht, aber Tom vertraue ich bedenkenlos. Immer.
Dann verschwindet das Handy von meinem Ohr und Jeff fragt mich noch: „Alles klar? Darf ich?“, bevor er mich hochhebt und auf den Helikopter zugeht.
Jemand schimpft aus der Pilotenkanzel heraus: „Mann, ist das eine Sauerei! Jetzt legt ihr endlich einen Druckverband an. Das kann für drei ausgewachsene Kerle wie euch doch nicht so schwer sein.“
„Du hast ja keine Ahnung!“, seufzt Jeff. „Jetzt starte deine Kiste und dann nichts wie weg hier, bevor die Polizei mitbekommt, dass Sara getürmt ist.“
Es wird laut in der Kabine und der Hubschrauber hebt ab.
„Sara, lass uns endlich deine Hand verbinden“, bittet Jeff dann und klingt geradezu ängstlich. Er hockt einfach auf dem Boden der Maschine und hält mich immer noch fest.
„Seit wann fürchtest du dich vor mir?“, frage ich verblüfft.
„Seit du dich geschnitten und unseren Arzt auf Ur attackiert hast“, antwortet er – aber er lügt und fährt fort: „Der Doc fühlt sich, als hätte ihn ein Pferd ein paarmal kräftig getreten. Ich konnte dich nicht davon abhalten, auf den Mann loszugehen. Wer weiß, was du als Nächstes getan hättest, solange du nicht ganz bei dir warst? Da bin ich auf die Idee gekommen, Tom anzurufen. Zum Glück war der, wo er sein sollte. Auf den hörst du ja meistens. Kann unser Arzt hier dich jetzt ohne Gefahr behandeln?“, fragt Jeff.
Mein Kopf klärt sich. Er klärt sich so weit, dass mir der Vorfall unerhört peinlich ist. „Sicher. Oh, das tut mir aber leid, wenn ich jemandem wehgetan habe!“
Langsam nehme ich meine Umgebung wieder wahr. Meine Hand blutet nach wie vor furchtbar stark. Im Handballen, gleich über den Pulsadern, klafft ein tiefer Schnitt. Mein Sweatshirt, mit dem ich versucht habe zu verhindern, eine Blutspur hinter mir herzuziehen, fühlt sich schwer und nass an. Wer auch immer befürchtet hat, dass ich hier eine schreckliche Sauerei anrichten werde, hat bedauerlicherweise recht. Ein Mann in schwarzer Kleidung, die irgendwie militärisch aussieht, betrachtet mich misstrauisch, beugt sich dann über mich und meint: „Das kann jetzt wehtun, wenn ich den Druckverband anlege.“
„Wird es nicht“, beruhige ich ihn und fange an, gegen den Schmerz anzusummen. Jeff, auf dessen angehockten Beinen mein tonnenschwerer Oberkörper liegt, zuckt förmlich zusammen, als er das hört.
„Ich mache das nur zur Betäubung, aber ich brauche bald eine Cola, ich bin ziemlich ausgebrannt“, erkläre ich ihm.
Einer der beiden anderen Männer, die jetzt auf Sitzen rechts und links der Tür hocken, murmelt gereizt: „Verdammt! Wie ist die denn drauf? Wir haben doch keinen Getränkeservice an Bord!“
Ich höre, dass ich ihm unheimlich bin und dass er mich deshalb nicht mag.
„Sie braucht Energie, keine Stewardess! Hast du noch nicht begriffen, dass sie etwas anders tickt als andere Menschen?“, faucht Jeff den Mann an. „Geht Traubenzucker?“, wendet er sich dann viel freundlicher an mich und bietet mir ein Lutschbonbon an. Ich nicke.
Der Arzt versucht, die Wunde trotz des Blutstroms zu untersuchen.
„Nichts Ernstes, auch wenn die Blutung stark ist. Eine tiefe Fleischwunde. Ich denke, die Sehnen haben nichts abbekommen dabei. Sollte möglichst bald genäht werden“, erklärt er. Dann umwickelt er die Hand fest mit Mullbinden. Ich sorge auf Ur dafür, dass ich mich dabei wohlfühle.
„Danke“, murmele ich, als er fertig ist.
Mir fällt auf, dass mich die beiden Männer, die neben der Tür sitzen, angespannt anstarren. Ich finde das ausgesprochen unangenehm. Was denken die wohl? Und was mögen sie wissen? Um mich abzulenken und wie ein einigermaßen normaler Mensch zu wirken, fordere ich Jeff schließlich auf: „Erklär mir doch bitte mal die Situation! Wieso konntet ihr mich da so einfach rausholen?“
„Nachdem du deinen Notruf abgesetzt hattest“, beginnt Jeff, „untersuchte Jason mit seinem Stab natürlich die Lage vor Ort. Das ging zunächst nur über Satellitenbilder, denn außer Joe und dir befand sich niemand von uns in der Nähe. Zum Glück war das Wetter schön und wolkenlos. Und die Satellitenbilder haben gezeigt, dass dich die Polizei offenbar als mehr oder minder harmlose Einzeltäterin eingestufte. Die Einsatzkräfte besetzten zwar anfangs auch das Dach der Klinik, räumten es aber auch bald wieder, denn dort befindet sich zum Glück ein Landedeck für Rettungshubschrauber. Die Klinik besitzt ja eine große Unfallstation und wird deshalb ziemlich oft angeflogen. Unsere Aufklärungsbilder zeigten, dass das Dach mit dem Landedeck unbewacht blieb. Da haben wir einfach mit diesem famosen Hubschrauber von einer US-Militärbasis aus der Eifel wichtige Blutkonserven mit seltenen Blutgruppen in das Krankenhaus geliefert. Wenn jemand seltene Blutgruppen anbietet, kann heutzutage kaum eine Klinik widerstehen. Alles lief ganz offiziell und mit genehmigtem Flugplan. Nach Übergabe unserer Fracht sind wir allerdings nicht sofort zurückgeflogen. Jason vermutete, dass du dich vielleicht nicht widerstandslos von völlig fremden Leuten aus dem Fenster ziehen lassen würdest, selbst wenn er sie dir ankündigt. Und weil Rob eine teuflische Höhenangst hat, musste ich vor Beginn der Aktion aus Belgien anrücken. Leute so aus einem Gebäude zu bergen ist leider nicht meine Spezialität, sonst wäre deine Hand jetzt sicher noch heil – es tut mir echt leid!“
„Sie ist ja noch dran. Aber wenn ihr einen Flugplan eingereicht habt, muss doch klar sein, wohin ich verschwunden bin, wenn die Polizei das kaputte Fenster sieht“, überlege ich laut.
„Dann kann man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, wohin du verschwunden bist. Aber das sind nur Indizien, falls deine Blutspur nicht sozusagen lückenlos von dem Zimmer, in dem Joe lag, bis zum Landeplatz des Helikopters reicht. Du konntest ja eine ganze Menge Blut mit deinem Sweatshirt auffangen. Eine wirklich gute Idee! Jason war es vor allem wichtig, dass du nicht bei der Polizei landest. Der ist übrigens der Meinung, dass sich juristisch in der ganzen Sache Spielraum befindet, denn du hast ja offenbar Joe, nachdem ihn die Ärzte in der Klinik aufgegeben hatten, am Leben erhalten und gerettet. Jason wird, wenn man dich wegen der Geiselnahme anzeigen beziehungsweise anklagen will, seinerseits das Krankenhaus unter Druck setzen und auf unterlassene Hilfeleistung pochen. Unsere Diplomaten und Juristen werden die Sache für dich ausfechten. Und das ist definitiv einfacher, wenn du nicht irgendwo hinter Gittern sitzt, sondern die deutschen Behörden nicht einmal wissen, wo du steckst. Mit Glück und den richtigen Leuten in deinem Rücken kommst du vielleicht sogar heil da raus. Das wird sich zeigen. Sonst schicken wir dich als Diplomatengepäck nach Florida. Wichtig ist, dass Joe überlebt und dass du nicht im Knast landest.“
„Mann, bin ich fertig!“, murmele ich. „Ich sollte mich bei den Männern in diesem Hubschrauber bedanken“, denke ich noch, aber ich komme irgendwie nicht mehr dazu, denn ich schlafe einfach ein.
Der Helikopter ist nicht lange unterwegs. Nachdem er offenbar auf einer Militärbasis gelandet ist, werde ich in einen Jeep verfrachtet, schlafe dort schon wieder ein und werde erst wieder wach, als jemand den Schnitt in meiner Hand näht.
Jeff tuschelt in der Nähe mit einem Mann in Uniform.
Der sagt halblaut, aber entschlossen: „Ich möchte, dass sie verschwindet, am besten sofort. Wenn jemand nach der jungen Frau fragt, will ich guten Gewissens feststellen können, dass sie sich nicht hier bei uns befindet.“
Jeff erwidert: „Gut, dann bringe ich sie über die grüne Grenze nach Belgien. Kann ich den Stützpunkt durch irgendeine Hintertür verlassen?“
Die Uniform nickt.
„Und können Sie mir eine vollgetankte Enduro mit einer vernünftigen Reichweite besorgen?“
Die Uniform nickt erneut.
Dann kommt Jeff zu mir und erklärt: „Sara, die wollen uns hier so schnell wie möglich loswerden. Ich kann das ganz gut verstehen. Ich weiß, du bist furchtbar müde, aber wir müssen noch eine kleine Motorradtour hinter uns bringen. Dann bekommst du deine wohlverdiente Pause.“
„Habe ich eine Wahl?“, frage ich zurück.
Jeff grinst schief und schüttelt den Kopf.