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Auszüge aus Mary Shelleys «Six Weeks’ Tour», 1817

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Beim Überqueren der französischen Grenze kann man einen überraschenden Unterschied zwischen den beiden Völkern feststellen, die auf den gegenüberliegenden Seiten hausen. Die schweizerischen Bauernhäuser sind viel sauberer und hübscher, und ihre Bewohner weisen denselben Unterschied auf. Die Schweizerinnen tragen sehr viel weisses Leinen, und ihre ganze Kleidung ist immer völlig sauber. Diese grössere Sauberkeit kommt hauptsächlich von den unterschiedlichen Religionen: Deutschlandreisende weisen auf denselben Kontrast zwischen protestantischen und katholischen Städten hin, obwohl sie nur einige Meilen voneinander entfernt sind.

Die Landschaft während dieser Tagesreise war göttlich, mit ihren bewaldeten Bergen, kahlen Felsen und grünen Flecken übertraf sie jede Vorstellungskraft. Nachdem wir beinahe eine Meile zwischen hoch aufragenden Felsen hinabgestiegen waren, die mit Kiefernwäldern bedeckt sind, durchsetzt von grünen Lichtungen, wo das Gras kurz und weich und wundervoll grün ist, kamen wir in das Dorf St. Sulpice.

Das Maultier hatte vor kurzem zu lahmen begonnen, und der Mann war dermassen ungehorsam, dass wir uns entschlossen, für den Rest des Weges ein Pferd zu mieten. Unser voiturier war uns vorausgeeilt, ohne uns im mindesten seine Absichten mitzuteilen: Er hatte beschlossen, uns in diesem Dorf zu verlassen und zu diesem Zweck Vorbereitungen getroffen. Der Mann, den wir nun anheuerten, war ein Schweizer, ein Bauer der höheren Klasse, der auf seine Berge und sein Land stolz war. Auf die Lichtungen zeigend, von denen die Wälder durchsetzt waren, informierte er uns darüber, dass sie sehr schön und ausgezeichnetes Weideland wären; dass die Kühe dort gediehen und entsprechend vorzügliche Milch geben würden, aus der man den besten Käse und die beste Butter der Welt mache.

Nach St. Sulpice wurden die Berge noch höher und schöner. Wir kamen durch ein schmales Tal zwischen zwei von Wäldern bedeckten Bergketten, an deren Fuss sich ein Fluss entlangzog, aus dessen schmalem Bett sich jäh die Grenzen des Tales erhoben. Die Strasse lag etwa in der Mitte des Berghanges, der eine der Seiten bildete, und wir sahen die vorspringenden Felsen über und unter uns, enorme Fichten und den Fluss, den man nur durch die Reflexion des Himmelslichts weit unten wahrnehmen konnte. Die Berge dieser wunderschönen Schlucht liegen so eng beieinander, dass man während des Krieges mit Frankreich eine eiserne Kette von einem zum anderen geworfen hat. Zwei Meilen von Neuchâtel sahen wir die Alpen: Eine schwarze Bergkette nach der anderen erstreckt sich weiter und weiter, und weit hinter allem überragen die schneebedeckten Alpen jedes andere Landschaftsmerkmal. Sie waren hundert Meilen entfernt, aber ragten so hoch in den Himmel auf, dass sie wie jene blendendweissen Wolkenformationen aussahen, welche sich während des Sommers am Horizont sammeln. Ihre ungeheure Grösse überwältigt die Vorstellungskraft, und sie übersteigen jedes Fassungsvermögen so weit, dass es einiger Anstrengung des Verstandes bedarf, um glauben zu können, dass sie wirklich Teil dieser Welt sind.

Von diesem Punkt stiegen wir nach Neuchâtel hinab, das in einer schmalen Ebene zwischen den Bergen und seinem riesigen See liegt und keine sonstigen Merkmale von besonderem Interesse aufweist.

Wir blieben den folgenden Tag in dieser Stadt, mit der Überlegung beschäftigt, welcher nächste Schritt wohl am ratsamsten wäre. Das Geld, das wir aus Paris mitgebracht hatten, war beinahe aufgebraucht, doch wir erhielten für einen Wechsel ungefähr £ 38 Sterling von einem der Bankiers in der Stadt, und damit setzten wir unsere Reise in Richtung Uri See fort, um in diesem romantischen und reizvollen Land ein Häuschen zu finden, wo wir einsam und in Frieden verweilen könnten. Dies waren unsere Träume, welche wir wahrscheinlich wahr gemacht hätten, wäre da nicht der Mangel an jener unverzichtbaren Sache namens Geld, der uns dazu zwang, nach England zurückzukehren.

Ein Schweizer, den Shelley am Postamt getroffen hatte, zeigte freundschaftliches Interesse für unsere Probleme und half uns, eine voiture zu mieten, die uns nach Luzern bringen sollte, der grossen Stadt am Vierwaldstädter See, der mit dem Uri See verbunden ist.

Dieser Mann war vom Geist wahrer Höflichkeit erfüllt und bemühte sich wirklich darum, dienstbar zu sein, und er schien die reinen Förmlichkeiten der Angelegenheit als sehr geringwertig einzuschätzen. Für die Reise nach Luzern brauchten wir mehr als zwei Tage.

Das Land war flach und langweilig, und ausser der Erwartung, ab und zu einen Anblick der göttlichen Alpen zu erhaschen, gab es nichts, das uns interessierte. Luzern war vielversprechender, und sobald wir ankamen (23. August), mieteten wir ein Boot, mit dem wir das Seeufer entlangfahren wollten, bis wir eine passende Ansiedlung erreichen würden, oder wir würden vielleicht sogar nach Altdorf reisen, den Sankt Gotthard überqueren, um im warmen Klima der Länder südlich der Alpen eine heilsamere Luft zu finden und eine Temperatur, die dem prekären Zustand der Gesundheit Shelleys zuträglicher wäre als die düsteren Gefilde des Nordens.

Der Vierwaldstädter See ist in allen vier Himmelsrichtungen von hohen Bergen umgeben, die steil aus dem Wasser emporragen; manchmal fallen ihre kahlen Felsen lotrecht ab und werfen einen schwarzen Schatten auf die Wellen; manchmal sind sie dicht mit Wäldern bedeckt, deren dunkles Laub von den kahlen braunen Felsspitzen durchsetzt ist, auf denen die Bäume Wurzeln geschlagen haben. Überall, wo sich im Wald eine Lichtung zeigt, erweist sie sich als bepflanzt, und Landhäuser lugen aus den Wäldern hervor. Die üppigsten, felsigen, von Moos und krummen Bäumen bedeckten Inseln sind über den ganzen See verstreut. Die meisten von ihnen werden von einer jämmerlichen Wachsfigur eines Heiligen geschmückt.

Der See erstreckt sich zunächst von Ost nach West, dann wendet er sich nach rechts und dehnt sich von Nord nach Süd, dieser zweite Abschnitt wird namentlich von dem anderen geschieden und wird Uri See genannt. Der erste Abschnitt ist ebenfalls ungefähr in der Hälfte geteilt, wo die Landzungen beinahe aufeinandertreffen, deren felsige Steilufer tiefe Schatten auf die kleine Wasserstrasse werfen, die man durchquert. Die Gipfel von einigen der Berge, die den See in südlicher Richtung umschliessen, sind von ewigen Gletschern bedeckt; über einen von ihnen, gegenüber Brunen, erzählt man sich die Geschichte eines Priesters und seiner Geliebten, die, auf der Flucht vor Verfolgung, ein Häuschen am Fusse der Gletscher bewohnten. In einer Winternacht wurden sie von einer Lawine verschüttet, aber in stürmischen Nächten kann man immer noch ihre klagenden Stimmen vernehmen, welche die Bauern um Hilfe rufen.

Brunen liegt an der Nordseite der Abzweigung des Sees, der äussersten Grenze des Vierwaldstädter Sees. Hier rasteten wir während der Nacht und entliessen unsere Bootsleute. Es könnte nichts Wundervolleres geben als die Aussicht von dieser Stelle. Wir waren von hohen Bergen umgeben, die das Wasser verdunkelten; in der Ferne, an den Ufern von Uri, konnten wir die Kapelle von Wilhelm Tell erkennen, und dies war das Dorf, wo er die Verschwörung plante, um den Tyrannen seines Heimatlandes zu stürzen; und tatsächlich schien dieser liebliche See, diese erhabenen Berge und wildwachsenden Wälder die passende Wiege für ein Herz, das nach grossen Abenteuern und heroischen Taten strebt. Dennoch bemerkten wir nicht den Funken seiner Seele in seinen gegenwärtigen Landsleuten. Die Schweizer erschienen uns damals, und die Erfahrung hat uns in dieser Meinung bestärkt, als ein Volk von langsamer Auffassungsgabe und Schwerfälligkeit; doch die Gewohnheit hat sie untauglich für die Sklaverei gemacht, und sie würden, daran zweifle ich kaum, tapferen Widerstand gegen jeden Angriff auf ihre Freiheit leisten.

Solcherart waren unsere Überlegungen, und wir blieben bis spät in den Abend hinein an den Ufern des Sees, unterhielten uns, genossen die aufkommende Brise und betrachteten mit Gefühlen von äusserster Wonne die göttlichen Schöpfungen, die uns umgaben.

Der folgende Tag wurde mit einer Besprechung unserer Umstände verbracht und mit der Betrachtung der uns umgebenden Landschaft. Ein stürmischer vent d’italie (Südwind) durchpflügte den See, schuf riesige Wellen und sog das Wasser in einem Wirbelsturm hoch in die Luft, von wo es wie heftiger Regen in den See zurückfiel. Die Wellen brachen sich mit enormem Tosen an den felsigen Ufern. Dieses Zusammenprallen setzte sich während des ganzen Tages fort, doch gegen Abend wurde es ruhiger. Ich und Shelley gingen am Ufer spazieren, und während wir am urtümlichen Pier sassen, las Shelley laut den Bericht des Tacitus über die Belagerung von Jerusalem.

In der Zwischenzeit bemühten wir uns darum, eine Unterkunft zu finden, konnten aber nur zwei unmöblierte Zimmer in einem hässlichen grossen Haus bekommen, das man Chateau nannte. Sie wurden für einen Guinea pro Monat vermietet, Betten wurden noch hineingestellt, und am nächsten Tag zogen wir ein. Doch es war ein jämmerlicher Ort, ohne Komfort oder Bequemlichkeit. Es gab einige Schwierigkeiten, bis man uns etwas zu essen anrichtete: Da es kalt und regnerisch war, befahlen wir ein Feuer anzufachen – sie zündeten einen ungeheuren Kamin an, der eine Ecke des Zimmers einnahm; es dauerte lange, bevor er sich erwärmte, und als er endlich heiss war, war die Hitze so unangenehm, dass wir gezwungen waren, unsere Fenster aufzustossen, um uns vor dem Erstickungstod zu retten; zu guter Letzt gab es in ganz Brunen nur eine Person, die Französisch sprechen konnte, denn in diesem Teil der Schweiz war eine barbarische Abart des Deutschen Landessprache. Aus diesem Grund hatten wir Schwierigkeiten, auch nur die grundlegendsten Wünsche erfüllt zu bekommen.

Diese unmittelbaren Unannehmlichkeiten führten uns zu einer ernsthafteren Betrachtung unserer Lage. Die £ 28, die wir besassen, waren der gesamte Betrag, mit dem wir bis zum kommenden Dezember rechnen konnten. Für alle zusätzlichen Mittel war Shelleys Anwesenheit in London unbedingt erforderlich. Was konnten wir tun? In Kürze würden wir vollkommen auf Almosen angewiesen sein. So beschlossen wir, nachdem wir verschiedene Punkte, die sich aus unserer Besprechung ergaben, abgewägt hatten, nach England zurückzukehren.

Nachdem wir zu diesem Entschluss gekommen waren, blieb uns kein Augenblick zum Zögern: Unser kleiner Vorrat verringerte sich merklich, und £ 28 schienen kaum für solch eine lange Reise zu genügen. Die Durchquerung Frankreichs von Paris nach Neuchâtel hatte uns sechzig Pfund gekostet; aber wir beschlossen nun, auf eine weit günstigere Art zu reisen. Die Fahrt auf den Wasserwegen ist stets am billigsten, und glücklicherweise waren wir an einem Ort, von welchem wir durch Nutzung der Flüsse Reuss und Rhein England erreichen könnten, ohne eine einzige Meile über Land zu reisen. Unser Plan war folgender: Wir würden achthundert Meilen zurücklegen; aber würde dies für solch einen kleinen Betrag möglich sein? Doch eine Alternative gab es nicht, und tatsächlich wusste Shelley nur zu gut, wie wenig wir für unser Auskommen übrig hatten.

Am nächsten Morgen brachen wir nach Luzern auf. Während des ersten Teils unserer Reise regnete es heftig, doch gegen Ende klarte der Himmel auf, und die Sonnenstrahlen trockneten uns und munterten uns auf. Noch einmal und zum letzten Mal sahen wir die felsigen Ufer dieses wunderschönen Sees, seine fruchtbaren Inseln und die schneebedeckten Berge.

Wir gingen in Luzern an Land und blieben für die folgende Nacht in der Stadt, und am nächsten Morgen (dem 28. August) brachen wir in der diligence par-eau nach Laufenburg auf, einer Stadt am Rhein, wo die Wasserfälle dieses Flusses das Boot daran hinderten weiterzufahren. Unsere Reisegesellschaft entstammte den niedrigsten Klassen, sie rauchten unablässig und waren ausserordentlich abscheulich. Nachdem wir zur Erfrischung in der Tagesmitte an Land gegangen waren, entdeckten wir bei unserer Rückkehr, dass unsere vorherigen Sitzplätze besetzt waren; wir nahmen andere; doch deren ursprüngliche Inhaber bestanden zornig und beinahe gewaltsam darauf, dass wir sie wieder räumten. Ihre ungehobelte Grobheit uns gegenüber, die wir ihre Sprache nicht verstanden, reizte Shelley derart, dass er den Erstbesten niederschlug: Dieser schlug nicht zurück, sondern setzte sein Geschrei fort, bis sich die Bootsleute einmischten und uns andere Sitzplätze zuwiesen.

Die Reuss hat eine äusserst starke Strömung, und wir kamen über mehrere Fälle, von denen einer höher als acht Fuss war. Es liegt etwas sehr Köstliches in dem Gefühl, wenn man in einem Augenblick am oberen Ende des Wasserfalls schwebt, und bevor eine Sekunde verstrichen ist, hat man den Boden erreicht, während man durch die Beschleunigung, die durch das Hinunterfahren gewonnen wird, immer noch weitersaust. Die Wasser der Rhône sind blau, jene der Reuss sind von einem dunklen Grün. Ich glaube, dass dies etwas mit den Flussbetten zu tun haben muss und dass die Farbtöne der Ufer und des Himmels alleine diesen Unterschied nicht verursachen können.

Nach einer Übernachtung in Dettingen kamen wir am nächsten Morgen in Laufenburg an, wo wir ein kleines Kanu mieteten, um uns nach Mumpf zu bringen. Ich gebe diesen Booten eine indianische Bezeichnung, da sie von einfachster Bauart waren – lang, schmal und mit flachem Kiel: sie bestanden nur aus geraden Stücken von Planken aus Kiefernholz, waren unbemalt und mit so wenig Sorgfalt zusammengenagelt, dass ständig Wasser durch die Ritzen eindrang und das Boot andauernd ausgeschöpft werden musste. Die Strömung war stark, und der Fluss brauste hurtig voran und brach sich im Vorbeischnellen an den unzähligen Felsen, die nur knapp unter Wasser lagen: Es war ein einigermassen erschreckender Anblick, unser zerbrechliches Boot zwischen den an den Felsen entstehenden Wirbeln hindurchwinden zu sehen, wobei jede Berührung tödlich gewesen wäre, und die kleinste Neigung zu einer Seite hätte es sofort kentern lassen.

In Mumpf konnten wir kein Boot beschaffen, und wir dachten, wir hätten Glück, als wir einem cabriolet auf der Rückfahrt nach Rheinfelden begegneten; doch unser glückliches Geschick war nicht von langer Dauer: Ungefähr eine Meile von Mumpf entfernt brach das cabriolet zusammen, und wir mussten zu Fuss weitergehen. Zum Glück wurden wir von einigen schweizerischen Soldaten eingeholt, die man entlassen hatte und die auf dem Weg nach Hause waren; sie trugen uns unsere Reisekiste bis nach Rheinfelden, wo man uns den Weg zu einem Dorf in einer Meile Entfernung wies, in dem man für gewöhnlich Boote mieten konnte. Dort bekamen wir, allerdings nicht ohne einige Schwierigkeiten, ein Boot nach Basel und fuhren weiter, den schnell strömenden Fluss hinunter, während der Abend anbrach und das Wetter rauh und unfreundlich war. Unsere Reise war jedoch von kurzer Dauer, und wir erreichten unser Ziel um sechs Uhr am Abend.

Quelle: Mary W. Shelley & Percy B. Shelley: Flucht aus England. Reiseerinnerungen & Briefe aus Genf 1814–1816. Aus dem Englischen übertragen und herausgegeben von Alexander Pechmann. Hamburg, Genf, Friesland: Achilla Presse Verlagsbuchhandlung 2002, S. 35–43.

Editorische Notiz: Zurück in England, arbeiteten Percy und Mary ihre gemeinsamen Aufzeichnungen zu einer Buchpublikation um; History of a Six Weeks’ Tour, Marys allererste Buchveröffentlichung, erschien 1817.

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