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In der Stadt sind wenig Häuser, die bewohnt aussehen; alles scheint auf Ruinen und alten Gewölben zusammengebaut, mehr der Aufenthalt von Ratten, Eulen und Fledermäusen als von Menschen zu sein.

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Karl Friedrich Schinkel (1824)

Gotischer Dom am Wasser, die Innenansicht eines Bergwerks in Katalonien, Palastgarten mit Blick auf Kaschmir, die – imaginierte – Villa Laurentia von Plinius dem Jüngeren: Karl Friedrich Schinkels hochpoetische Bilderwelten, seien es zur praktischen Verwendung gedachte Architekturskizzen, seien es Reiseimpressionen oder Opern-Bühnenbilder, sind zum Hinknien schön. Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der Mann war ein Genie, ein Multitalent – Architekt, Maler, Denkmalpfleger, Bühnenbildner, Möbeldesigner. Als «Schrittmacher der Moderne» (Jürgen Tietz) hatte er dem klassizistischen Berlin seine visuelle Signatur aufgeprägt, die preussische Residenzstadt geformt. Man begegnet seinen Bauten auf Schritt und Tritt, von der Neuen Wache Unter den Linden über das Alte Museum bis hin zum Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Dass Berlin den Beinamen «Spree-Athen» bekommen hat, ist sein Verdienst.

1824 reiste er zum zweiten Mal nach Italien, ein berühmter Baumeister, Familienvater, ein Mann in den besten Jahren. Er reiste als Architekt in Staatsdiensten, nach einem genauen Terminplan und mit Aufträgen seines Ministers Altenstein. Vor allem ging es darum, für das im Bau befindliche Museum (heute: Altes Museum) Anschauungsmaterial in puncto Inneneinrichtung und Ausstattung zu sammeln.

Die Schweiz war dabei nur ein Nebenschauplatz. Dass er sie mit Musse durchquert und auch dort einiges gesehen, notiert und skizziert hat, wird in der Forschungsliteratur kaum je erwähnt. Dabei hat er ein ausführliches Tagebuch über die Reise von Basel bis zum Simplonpass geschrieben. Aber schon in den ersten Abschnitten zeigt sich: Er war ein ungeheuer begabter Zeichner, ein begnadeter Schreiber war er nicht. Gewissenhaft schildert er, was ihm auf der Reise aufgefallen ist; oft geht er bei baulichen Besichtigungen ins Detail, das gehört zu seinem Beruf. Und das klingt dann im Abschnitt über Neuchâtel zum Beispiel so: «Das Rathaus der Stadt, ein ansehnliches Gebäude aus Quaderstein mit einem reichen Säulenvestibül, einer sehr kühnen Treppe und prächtigen Sälen ist eine würdige Stiftung eines reichen Einwohners und wird herrlich unterhalten.» In seiner Beschreibung wird noch so vieles mit den Prädikaten schön, ansehnlich, herrlich, anmutig versehen sein … Nun gut, dazwischen hält er doch ein paar prägnante Sätze bereit. Zum Beispiel die lakonische Beobachtung, die Menschen, besonders die Frauen, seien «in diesem schönen Lande nicht schön». Aufschlussreich sind auch seine ästhetischen Urteile, etwa wenn er Städte vergleicht, wobei Basel für einmal über die Massen gelobt wird. Schinkel begeisterte die Aussicht von der Pfalz beim Münster: «[…] altertümlicher rücksichtlich der Gebäude und grandioser in Beziehung auf die Landschaft, übertrifft dieses Panorama noch den Blick, den man von der Dresdener Terrasse hat.» Der Eindruck des pflichtbewussten Absolvierens verstärkt sich noch, wenn man Schinkels Aufzeichnungen mit jenen seiner ersten Italienreise von 1803 bis 1805 vergleicht: «Während die Texte und Zeichnungen der ersten Reise einen Einblick in den dramatischen Entfaltungsprozess eines grossen Künstlers gewähren und durch die Unvollständigkeit der Dokumentation […] etwas von der Erregbarkeit, Spontaneität und Sprunghaftigkeit des Suchenden […] wiedergeben, verrät die, wie es scheint, lückenlose Berichterstattung der zweiten Reise etwas von dem gleichmässig arbeitenden, pflichtbewussten Beamten, der gewohnt ist, das ihm wegen seiner Tüchtigkeit aufgebürdete Arbeitspensum zu erledigen» (Helmut Börsch-Supan). Das Tagebuch diente aber auch dazu, der in Berlin gebliebenen Ehefrau Susanne laufend Bericht zu geben, sie an den Erlebnissen teilhaben zu lassen – es wurde in Abschnitten den Briefen an sie beigelegt. Schinkel verzichtete auf eine Überarbeitung, und an Susanne schrieb er über das Tagebuch: «[…] es ist auch nur so von der Zeit gestohlen hingeschrieben, indes nimmst du es gewiss gern in seinem unvollständigen Zustand auf.»

Spannender als der Text sind die Skizzen, die Schinkel unterwegs gemacht hat (es sind nicht viele, Schinkel hat im Wallis eifrig gezeichnet, dann ausführlicher erst wieder in Sorrent und Amalfi). Und das, was er aus der Schweiz mitgenommen hat nach Deutschland: die Idee der Schweizer Häuser, eine Art Kulturexport. Schinkel war ein früher grosser Fan des Schweizer Chalets. Seine Bemerkungen über die Alphütten in einem Brief an seinen Schwager von 1836 ziehen auch gleich die ganz grossen Linien aus, bis in die Antike: «Die Alpenhütte, sowohl die kleine unbedeutende, als die zierlichste grosse Wohnung eines Patriziers eines kleinen Ortes ist ein classisches architectonisches Werk, wie ein altgriechischer Tempel, und gewiss war sie zu Perikles Zeit schon ganz ebenso gebaut. Die Dachwinkel geben dem Giebel vollkommen dasselbe Verhältnis des Frontons eines griechischen Tempels der besten Zeit. Dazu kommen die trefflichen Galerien unter dem Schutz des weit überragenden Daches; die zierlichsten Ornamente innen an denselben architectonischen Theilen des Gebäudes und oft so fein ausgedacht, dass manches Gebäude an Kunstwerth mit grossen gepriesenen Werken wetteifert und diese sogar übertrifft.»

Unterwegs durch die Kantone Bern, Neuenburg und Wallis hat Schinkel einige kaum ausgearbeitete Skizzen angefertigt, etwa ein «Schweizerhaus im Kanton Bern», weniger Chalet als – soweit erkennbar – eines jener mächtigen Berner, vielleicht Emmentaler Bauernhäuser mit tiefragendem Walmdach und kunstvoll verzierten Lauben. Was er in der Folge daraus gemacht hat, wie er das «Schweizer Chalet» und das «Schweizer Bauernhaus» verwandelt hat in etwas ganz anderes, damit hat er Architekturgeschichte geschrieben.

Schon im Ancien Régime dekorierten die Aristokraten ihre Parks mit Schweizer Chalet-Häuschen, angelegt als Ruheplätze oder Aussichtspunkte. Der Begriff «chalet» stammte aus der Westschweiz, erst durch Jean-Jacques Rousseau fand er Aufnahme in den allgemeinen französischen Sprachgebrauch. Im 19. Jahrhundert steigerte sich das Interesse an den «Schweizerhäusern» noch, als gebauter Ausdruck von Naturverbundenheit. Schinkel trug zu diesem Hype selber bei, indem er 1830 ein «Schweizerhaus» auf der berühmten Pfaueninsel bei Potsdam baute. Aber eben, es ist ein «Schweizerhaus» à la Schinkel, mit seinen Vorbildern in der Schweiz hatte es fast gar nichts mehr zu tun. Es wurde nicht aus Holz, sondern massiv aus Stein errichtet und zudem verputzt, was es deutlich klassizistischer wirken liess. Nur unter den Fensterbänken befinden sich geschnitzte Rosetten. Ein zweites Haus errichtete Schinkel 1835 auf der Insel Rügen, am Stubbenkammer – zweistöckig, mit Galerien und mit den typischen Laubsägeornamenten, angelegt als Gaststube.

Für die jungen Schweizer Architekten erwies sich das 1837 in der Zeitschrift für das gesamte Bauwesen publizierte Schinkel’sche «Schweizerhaus» in Potsdam als richtungsweisend für die weitere Entwicklung einer eigenen Formensprache. Es heisst dort im Kommentar: «Wir fügen diesem Heft in Tafel XXIII die Ansichten eines, von dem genialen Ober-Landes-Baudirector, Herrn Schinkel in Berlin, entworfenen und bei Potsdam ausgeführten Schweizerhäuschens bei, dessen Zeichnung und Einsendung wir dem Architekt. Hrn. Fr. Schund aus Glarus, verdanken.» Mit anderen Worten: Der Ideenexport nach Deutschland, die Aneignung und Umwandlung der Bauernhäuser in architektonische Idealprojekte stiess in der Schweiz die Beschäftigung mit dem eigenen baulichen, ländlichen Erbe überhaupt erst an – aber eben stark inspiriert von der «berlinischen» Variante.


Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) auf einem Porträt von Georg Eduard Wolff (um 1824).

Schinkel war natürlich nicht der alleinige Auslöser, er war Teil eines damaligen Zeitgeist-Phänomens. Das Geschäft mit den «Schweizerhäusern» kam Mitte des 19. Jahrunderts so richtig in Schwung und erreichte 1900, an der Pariser Weltausstellung, seinen Höhepunkt: «Die Firma Henneberg und Allemand errichtete für eine Pauschalsumme von 2,5 Millionen Franken auf einer Fläche von zweieinhalb Hektaren ein village suisse mit einer Ansammlung von nicht weniger als 103 Gebäuden im Chaletstil. Die Umgebung wurde mit einer Mischung aus Mörtel, Gips und Drahtgeflecht zu einem malerischen Bergpanorama mit Hügeln, Gletschern und Felsabbrüchen plastisch gestaltet. Vor dieser Kulisse, zusätzlich belebt mit 750 eigens für diesen Zweck herbeigeschafften Tannen und einer Schweizer Viehherde, arbeiteten Strohflechterinnen aus Freiburg und dem Aargau, Käser aus dem Greyerzerland und Schnitzlerfamilien aus Brienz.» Eine gigantische Werbe-Performance für die zahlreichen Schweizer Chalet-Fabriken, die die Häuser in Katalogen anboten und dann als Fertighaus-Bausatz nach ganz Europa lieferten.

Aber noch einmal zurück zu Schinkels Reisetagebuch aus dem Jahr 1824. Denn der Text hält doch noch eine Überraschung bereit: Plötzlich gelingt Schinkel eine knappe, aber sehr atmosphärische Skizze von Sion – fast schon literarisch angehaucht erscheint die Stadt als eine Art idealer Schauplatz einer gothic novel, von Ruinen geprägt, düster, unheimlich. Die Pfauen, die auf den Schornsteinen sitzen, lassen es beinahe ins Fantastische kippen. Den Grund für die geisterhafte Atmosphäre nennt Schinkel allerdings nicht: 1788 wurde Sion von einem verheerenden Brand heimgesucht, zudem haben die Franzosen 1798 Schloss Tourbillon, den Sommersitz der Bischöfe von Sion, zerstört. 1824, zum Zeitpunkt von Schinkels Durchreise, war die Stadt erst ansatzweise wieder aufgebaut worden; Tourbillon blieb eine Ruine – von diesem Standort aus zeichnete Schinkel seine Sion-Vedute, gerahmt von einer Maueröffnung (siehe Abbildung Seite 90).

Hat Schinkels plötzliches schriftstellerisches Können damit zu tun, dass er zu Sion eben auch eine Zeichnung angefertigt hat, ungeheuer plastisch und detailreich, ein kleines Meisterwerk? Ja, Schinkels Zeichnungen und Bilder sind aussergewöhnlich – das gilt auch für die pittoreske Ansicht von Sion. Hier verschmelzen Schinkels Schilderungen, jene in Worten (siehe Originaltext) und jene mit Grafitbleistift und grauer Tusche (siehe Auftaktbild zum Kapitel) zu einer seltenen Einheit.

Von Casanova bis Churchill

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