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KAPITEL 10: SEIDENSTRASSE

SAGENHAFT

Die Seidenstrasse war in der Antike und dem frühen Mittelalter die wichtigste Handelsverbindung zwischen China und Europa. Ihr entlang wurden in westlicher Richtung Waren wie Tee, Gewürze, Pelze, Porzellan, Edelsteine, in erster Linie aber überwiegend Seide, in Richtung Osten vor allem Wolle, Gold und Silber gehandelt. Die Römer liebten Seidenunterwäsche, die sie besser als jeder andere Stoff gegen Läuse schützte. Diesem Parasiten war es zu verdanken, dass die Patrizier schon bald die grössten Abnehmer dieses Produktes waren, das sie mit Gold und Silber bezahlten. Doch statt den Weg in die Schatulle des Kaisers zu nehmen, wanderte das Zahlungsmittel nicht selten in die Taschen der Staatsdiener. Da darauf der Tod stand, wurden die fehlbaren Beamten reihenweise exekutiert. Doch bevor sie starben, begruben sie das umgeleitete Gold, sodass es ihre Familienmitglieder nach ihrem Tod wieder ausgraben und sich bereichern konnten. Um dem Problem Herr zu werden, begann der Kaiser die Todesstrafe auch gegen die Familienmitglieder der korrupten Beamten auszusprechen. Ob danach die Diebstähle zurückgingen, ist nicht mit Sicherheit überliefert.

Die Bezeichnung „Seidenstrasse“ ging auf den im neunzehnten Jahrhundert lebenden deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen zurück, der den Begriff – gestützt auf die Überlieferung – 1877 erstmals verwendet hatte. Nicht nur Kaufleute, Gelehrte und Armeen nutzten ihr Netz von Handelsrouten, sondern auch Ideen, Religionen und ganze Kulturkreise diffundierten und migrierten auf den Routen von Ost nach West und umgekehrt. Auf diese Weise kamen z. B. der Nestorianismus (aus dem spätantiken Römischen Reich) und der Buddhismus (von Indien) nach China. Eine 6.400 Kilometer lange Route begann im Westen in Xi’an und folgte dem Verlauf der Chinesischen Mauer in Richtung Nordwesten, passierte die Taklamakan-Wüste, überwand das Pamirgebirge und führte über Afghanistan in die Levante; von dort wurden die Handelsgüter dann über das Mittelmeer verschifft. Nur wenige Kaufleute bereisten die gesamte Route. Die Waren wurden gestaffelt über Zwischenhändler transportiert. Ihre größte Bedeutung erreichte das Handels- und Wegenetz zwischen 115 v. Chr. und dem 13. Jahrhundert nach Christi Geburt. Mit dem allmählichen Verlust des römischen Territoriums in Asien und dem Aufstieg Arabiens in der Levante wurde die Seidenstrasse zunehmend unsicher und kaum noch bereist. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert wurde die Strecke unter den Mongolen wiederbelebt. U. a. benutzte sie der Venezianer Marco Polo, um nach Cathay (China) zu reisen. Nach weitverbreiteter Ansicht war die Route einer der Hauptwege, über die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Pestbakterien von Asien nach Europa gelangten und dort den Schwarzen Tod verursachten.

BELT AND ROAD (BAR)

Unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ gab es mehrere Projekte zum Ausbau insbesondere der Verkehrsinfrastruktur im Gebiet der historischen Seidenstraße. Die «Neue Seidenstrasse» hatte freilich kaum etwas mit Seide zu tun. Diese alte Bezeichnung klang jedoch weich und edel, sodass sie gut zu Marketingzwecken genutzt werden konnte. Das «Belt and Road»-Projekt war der Plan für den Bau von modernen Eisenbahnlinien, Strassen und Seeverbindungen von China nach Europa, Südamerika und Afrika. Das alleinige Ziel des BAR-Projektes war die Ausschaltung des Erzparasiten und Konkurrenten: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Damals existierten zwischen den Kontrahenten kaum Schnittmengen. Das änderte sich später, als es darum ging, sich die Welt aufzuteilen.

Als im Jahr 2013 das imperialistische BAR-Projekt anlässlich eines ASEAN-China Gipfels in Brunei angekündigt wurde, frohlockten vorab die afrikanischen Despoten, die in China einen potenten Partner sahen, der dazu beitragen würde, ihren privaten Reichtum auf Kosten ihrer Völker noch zu vermehren. Ähnlich hallte es aus Südamerika, wo die meisten Länder – nicht zuletzt wegen der verheerenden Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank – hoch verschuldet waren. Sie hofften, mithilfe neuer Kredite der Chinesen den Würgegriff ihrer alten Gläubiger etwas lockern zu können. Auch manch eine Regierung in Europa ortete in der Seidenstrasse eine willkommene Opportunität, ihre Schuldenlast zu mildern und Arbeitsplätze zu generieren.

FESSELN

Es kam anders. Wer auf der Seidenstrasse lag, fand sich bald im Rinnstein wieder. Die Projekte wurden von chinesischem Personal ausgeführt. Die Gelder zu ihrer Realisierung lasen sich als Darlehen in den chinesischen Aktiven und in den Büchern der Empfängerstaaten als neue Schulden. Einheimische Firmen wurden bei Chinas Prestigeprojekt systematisch ausgeschlossen. Bis zu neunzig Prozent der Objekte waren von rein chinesischen Firmen umgesetzt worden. Indem China zugleich in den betreffenden Staaten investierte und die Finanzierung an die Bedingung koppelte, die Arbeiten seien von chinesischen Firmen auszuführen, stellte es sicher, dass chinesische Unternehmen den Zuschlag für die Realisierung ohne lästige Ausschreibung erhielten. Die fehlende Konkurrenz führte zu überzogenen Preisen und Korruption. Die chinesischen Banken stellten ihrerseits die Kredite zu Verfügung. Im Jahr 2020 hatte der Wirtschaftsgigant China mit Dutzenden von Milliarden Dollars siebzig Länder geködert – so auch die EU-Kernländer Italien und Griechenland. Die Wiederbelebung der Seidenstrasse – was in manchen Ohren immer noch sentimental nach Marco Polo und Kamelkarawane klang – war in Wirklichkeit ein knallhartes Geschäft. Was Peking vorschwebte und bereits umsetzte, war ein epochales Handelsnetzwerk, das von Südasien über Afrika bis nach Europa und Amerika reichte. Auch Grönland, die Arktis und Südamerika waren Bestandteil des „Belt and Road“-Projekts. Das gigantische Vorhaben hätte anlässlich seiner Verkündung die Alarmglocken in Washington und Paris, aber auch in Brüssel und Berlin schrillen lassen müssen. Bis Ende des Jahres 2020 hatte China im Rahmen des Seidenstrassenprojekts bereits hunderteinundsiebzig Kooperationsvereinbarungen mit über hundertfünfzig Staaten unterzeichnet. Zweiundachtzig Sonderwirtschaftszonen waren ausserhalb Chinas entstanden, in denen über dreissig Milliarden Dollar investiert worden waren. Elf chinesische Banken hatten inzwischen Filialen in Ländern entlang der Seidenstraße eröffnet. Nebenbei waren auch Kulturabkommen mit mehr als sechzig Staaten unterzeichnet worden, siebzehn Kulturzentren waren eröffnet worden.

MEILENSTEINE

Das Herzstück der neuen Seidenstrasse war die Bahnstrecke London – Yiwu. Die zwölftausend Kilometer lange Strecke führte über Warschau – Moskau – Jekaterinenburg – Astana – Almaty – Khorgos – Xian zum Handelszentrum Yiwu, dreihundert Kilometer südlich von Schanghai. Die Reise dauerte achtzehn Tage. Es wurde die zweitlängste Eisenbahn-Handelsroute (hinter Madrid – Yiwu).

Bindeglied war die 2014 aus dem Boden gestampfte Stadt Khorgos an der Grenze zwischen China und Kasachstan. Weil die chinesischen Schienen schmaler waren als die russischen (aus der Zeit der Sowjetunion), mussten die Züge an der Grenze die Spur wechseln. Dort war mit chinesischem Geld eine Anlage zum effizienten Umfrachten von chinesischen auf kasachische Züge entstanden. Khorgos konnte sich mit einem Warenumschlag von jährlich dreissig Millionen Tonnen zum grössten Trockenhafen der Welt entwickeln.

PAKISTAN. Eine direkte Verbindung zwischen dem Hafen Gwadar und der chinesischen Stadt Kashgar führte durch Pakistan. Sie hatte die Transportdistanz für Öl aus dem Nahen Osten von 12.000 Kilometer auf unter 2.400 Kilometer verringert. Die Kosten für den Aufbau des Korridors wurden auf 45 Milliarden Dollar beziffert. Das waren damals rund ein Fünftel des pakistanischen Bruttoinlandsproduktes und etwa das Zehnfache der früheren US-amerikanischen Investitionen in diesem Land. Das Vorzeigeprojekt war 2030 fertiggestellt worden. Für das von Ölimporten abhängige China war es damals darum gegangen, einen alternativen Transportweg zum strategisch heiklen Seeweg durch die Strasse von Malakka aufzubauen.

KASACHSTAN war reich an Öl. Eine neue Asien-Pipeline führte vom Kaspischen Meer von Kasachstan nach China. Im Jahre 2014 wurde der Bau einer neuen Pipeline zwischen Turkmenistan und China in Angriff genommen. Die achtzehnhundert Kilometer lange Rohrleitung wies die Kapazität auf, jährlich rund vierzig Milliarden Kubikmeter Gas nach China zu befördern.

MALAYSIA. Mit chinesischem Geld wollten chinesische Staatsfirmen eine Bahnverbindung für zwanzig Milliarden Dollar und zwei Pipelines im Wert von über zwei Milliarden Dollar bauen. Im Jahr 2018 stoppte Malaysia das Vorhaben und warf China neuen Kolonialismus vor. Mitte April desselben Jahres kündigte das malaiische Transport- und Energieministerium an, doch mit chinesischem Geld „eine abgespeckte Version“ der Bahnverbindung für immerhin noch zehn Milliarden Dollar zu bauen. Im Gegenzug war vereinbart worden, dass mehr Palmöl nach China geliefert würde.

GRIECHENLAND. Der Hafen von Piräus sollte der grösste Containerhafen des Mittelmeers werden. Der chinesische Transportkonzern „Toste“ hatte bereits 2008 einen Vertrag zum Erwerb von einundfünfzig Prozent des Athener Containerhafens ausgehandelt. Die Anlagen wurden für die Dauer von vierzig Jahren gepachtet. Acht Jahre später hatten die Chinesen einen Mehrheitsanteil an der griechischen Hafenbetreiber-Gesellschaft PPA erworben. Investiert wurden 1,4 Milliarden Dollar.

ITALIEN beteiligte sich 2019 am chinesischen Infrastruktur- und Handelsprojekt «Neue Seidenstrasse». Der entsprechende Vertrag wurde anlässlich des Besuchs des chinesischen Präsidenten in Rom unterschrieben. Mit dem Abkommen, das der italienische Ministerpräsident und Chinas Staatspräsident unterzeichnet hatten, war Italien – als weltweit einer der sieben führenden Industriestaaten – das potenteste Land, das sich dem Projekt Neue Seidenstrasse angeschlossen hatte. Dabei ging es sowohl um Investitionen in die Häfen von Triest und Genua als auch um eine Vereinbarung zum Export italienischer Zitronen und Orangen.

FRANKREICH. Marseille wurde zu einem europäischen Umschlagplatz für Textilien aus Fernost. An der Hafenstadt am Mittelmeer zeigte sich, dass China nicht aufzuhalten war, wenn es darum ging, sein Megaprojekt voranzutreiben.

BALKAN. Zwischen Belgrad und Budapest wurde die Eisenbahn mit einem Auftragswert von 4,2 Milliarden Euro neu gebaut. Diese Verbindung verkürzte die Reisezeit von acht auf dreieinhalb Stunden. Das Projekt wurde 2023 fertiggestellt und war die erste Phase der Verbindung Budapest – Belgrad – Skopje – Athen, die den Hafen von Piräus besser an Zentraleuropa anband.

IRAN. Iran war für China die Pforte zum Nahen Osten. Im Jahr 2016 kam nach einer vierzehntägigen Reise der erste Zug aus China in Teheran an. Peking rechnete damit, dass ihm die Eisenbahn und die Zusammenarbeit mit Teheran (das Land litt lange unter dem Boykott der Westmächte) den Zugang zum ölreichen Nahen Osten ermöglichen würde. Je nach Bericht investierte China bis dreissig Milliarden Dollar in den Ausbau der iranischen Infrastruktur.

AFRIKA. In Sambia, Äthiopien, Gabun, Kamerun und Ghana waren mit chinesischer Hilfe Staudämme entstanden. In Kenia, Nigeria, Äthiopien, Tansania, Angola und Marokko wurden von den Chinesen wichtige Bahnlinien und Tausende Kilometer Strassen gebaut, Spitäler und Regierungsgebäude errichtet. In Angola entstand eine neue Stadt: Nova Cidade de Kilamba – Kostenpunkt etwa 3,5 Milliarden Dollar – hatte eine Ausdehnung von neun Quadratkilometern. Die angolanische Regierung bezahlte die Zinsen auf den chinesischen Kredit mit Öl. In Südafrika baute die Shanghai Zendai Group mit rund acht Milliarden US-Dollar in der Nähe der Wirtschaftsmetropole Johannesburg ein «New York von Afrika». Seit 2017 unterhielt China für teures Geld bereits seinen ersten Marinestützpunkt im Ausland: Dschibuti am Horn von Afrika.

LATEINAMERIKA. China hatte Südamerika zu Beginn des Jahrtausends schon mehrere Milliarden geliehen. Venezuela hatte dreiundsechzig Milliarden Dollar, Brasilien achtundvierzig, Argentinien zwanzig, Ecuador siebzehn Milliarden Dollar erhalten. Der mexikanische Präsident beschloss, sein Land an der Seidenstrasse zu beteiligen. Damit war das Projekt an der Grenze zu den USA angekommen. In der Karibik stimmte 2018 Trinidad und Tobago einer Beteiligung zu. Im September desselben Jahres wurde ein chinesisches Unternehmen beauftragt, den Bau eines Trockendocks zu bewerkstelligen.

SÜDOSTASIEN. Neben Malaysia hatten Länder wie Thailand, Nepal, Pakistan oder Myanmar ihre anfängliche Euphorie gegenüber den chinesischen Investitionen abgelegt und verweigerten sich den chinesischen Avancen. Diese Länder spürten den chinesischen Hauch im Nacken. Sie wussten von den Gefahren, die vom grossen Nachbarn ausgingen.

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