Читать книгу SALVATION - Bastian Oldhouse - Страница 18
ОглавлениеKAPITEL 11: NUMMER EINS
VOLKSREPUBLIK CHINA
Am 1. Oktober 2019 feierte die Volksrepublik China ihr siebzigjähriges Bestehen. Es war das erklärte Ziel des Zentralkomitees, China zur Weltmacht Nummer eins zu machen. Ein Mann hatte sich auf die Fahne geschrieben, diesen Plan bis 2025 umzusetzen. Zu diesem Zweck hatte sich Xi Jinping auf Lebzeiten zum Generalsekretär wählen lassen. Militärische Aufrüstung (offiziell zur Selbstverteidigung), die totale, digitale Kontrolle der Bürger und der strategische Ausbau der Seidenstrasse waren die Haupttraktanden auf der Agenda des „Reichs der Mitte“ zur Eroberung der Welt.
DIGITALE KONTROLLE
Im Jahr 2014 hatten die ersten, grossflächigen Tests zur digitalen Volkskontrolle begonnen. Während der Testphase waren die Projektleiter auf eine erhebliche Schwierigkeit gestossen: Die vorhandene Technologie erlaubte ihnen nicht, die erwünschte Datenmenge in der gewünschten Echtzeit zu bewältigen. Um eine funktionierende, flächendeckende Gesichtskontrolle zu bewerkstelligen, mussten die Daten in grösseren Mengen und vor allem schneller verarbeitet werden können. Der 2019 in der Mobiltelefonie eingeführte 5G-Standard lieferte den Strategen des Kontrollstaates die technischen Möglichkeiten, ihr Projekt voranzutreiben. Von da an begann die zentrale Partei den Ausbau des Netzes zur totalen Kontrolle über die sich im öffentlichen Raum bewegenden Personen und Fahrzeuge. Ende des gleichen Jahres hatte die „Nationale Plattform für den Austausch von Kreditinformationen“ laut eigenen Angaben 16,5 Milliarden personenbezogene Daten gesammelt. Das System wurde laufend vervollständigt und perfektioniert. Je mehr Konsum, Finanzverkehr und Kommunikation ins Netz verlegt wurden und je perfekter parallel dazu die Möglichkeiten der Bespitzelung durch die digitalen Endgeräte wurden, desto effizienter konnte der Staat die noch analogen Reste des Lebens im Internet der Dinge erfassen. Bereits zu Testbeginn war es der Polizei gelungen, mithilfe der Gesichtserkennungssoftware unter den fünfzigtausend Teilnehmern eines Popkonzerts in Südostchina einen flüchtigen Verdächtigen zu identifizieren und festzunehmen.
5G
Der Einsatz des 5G-Standards bedeutete zum Zeitpunkt seiner Einführung einen Quantensprung, was die Datengeschwindigkeit und -kapazität betraf. Diese Technologie erlaubte den Staaten eine nie da gewesene Identifizierung von Menschen durch Gesichter. Dieser Standard war auch der Grundstein für den Transfer von Körperchipdaten über das Handy zu den Behörden.
Während ELF*-Wellen sich im extrem tiefen Frequenzbereich ansiedelten, lagen die Betriebsfrequenzen für das 5G-Handybetriebssystem im Mikrowellenbereich, zwischen 600 MHz und 6 GHz (für den FR1-Bereich) und 40, später 120 GHz (für den FR2-Bereich). Diese elektromagnetischen Strahlen hatten eine wärmende Wirkung. Hochfrequente Wellen schwächten so nachweislich die Immunsysteme der Lebewesen, auf die sie trafen. Menschen wurden öfter krank, ihre Immunabwehr gegen feindliche Viren wurde massiv gemindert. Bei Männern führten die Strahlen zur Beschädigung der Spermien. Die Regierungen, deren Aufgabe es gewesen wäre, für das Wohlergehen ihrer Bürger zu sorgen, argumentierten, 5G wäre nötig gewesen, um die immer dichter werdenden digitalen Netzwerke bedienen zu können. In Tat und Wahrheit brauchten sie die Einführung von 5G, um die flächendeckende Kontrolle über die Menschen zu erlangen. Auch sollte 5G den dahinterstehenden Eliten erlauben, die künstliche Intelligenz voranzutreiben und die Steuerung der Cyborgs zu ermöglichen.
*FR1,2: Frequency range.
* ELF: Extremely low frequency
SOZIALKREDITSYSTEM
Zu dieser Zeit hatten alle Bürger, Firmen und Behörden der Volksrepublik ein digitales, zentral erfasstes Punktekonto, das ihre Linientreue zum Regime widerspiegelte. Dieses Instrument gab den Behörden Auskunft über eine Reihe Parameter, die diese Linientreue beeinflussen konnten. So wurden neben der finanziellen Situation die körperliche Verfassung und die politische Auffassung ermittelt. Alle für die Einschätzung der Obrigkeitsgläubigkeit relevanten Informationen wurden gesammelt. Versuchte Steuerhinterziehung, Korruption, Fleiss am Arbeitsplatz oder in der Schule, die Vernachlässigung der betagten Eltern bis hin zum Überfahren eines Rotlichtes, alles wurde erfasst. Schlechte Taten wurden durch Punkteabzug bestraft. Durch „gute Taten“ konnte man seinen Punktestand verbessern, ob durch eine besondere berufliche Leistung oder mittels einem als wertvoll eingestuften sozialen Engagements, der Parteitreue etc.; je parteitreuer, je perfekter das Verhalten war, desto höher wurde der Punktestand und desto grosszügiger waren die Privilegien.
Umgekehrt konnte zum Beispiel der physische Bewegungsradius eines Subjektes mit abnehmendem Punktestand reduziert werden. Nach der Einführung des Gesichtskontrollsystems landeten bereits über zehn Millionen Bürger wegen mangelnder Zahlungsmoral, oder weil sie Geldbußen nicht entrichtet hatten, auf einer von den Gerichten veröffentlichten, schwarzen Liste. Diese Stigmatisierung verfolgte das Ziel, die fehlbaren Genossen und Genossinnen zu erziehen, sie auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Unangepasste Menschen mit einem Punktestand von weniger als sechshundert Punkten mussten Einschränkungen bei der Suche nach einer Berufsstelle, bei der Wohnungssuche, der Schulanmeldung ihrer Kinder oder der Nutzung von Bahnen und Autobahnen in Kauf nehmen. Gute Anstellungen beim Staat waren ihnen verwehrt. Jeder einzelne Bürger – jede einzelne Bürgerin – stand unter der totalen Kontrolle des Staates. Im Gegenzug wurde den Menschen Sicherheit versprochen. 5G, der damalige Standard der Telekommunikation, war eingeführt worden, um die Gesichtserkennung voranzutreiben. Doch diese Technologie hatte gewichtige Nachteile. So war der Empfang bei gutem Wetter auf fünfhundert Meter eingeschränkt. Um die gewünschte Reichweite zu erzielen, erforderte dieser Standard somit alle fünfhundert Meter einen Mast. Die verwendeten millimeterlangen Mikrowellen konnten Hindernisse nicht durchdringen. Weder konnten sie Mauern noch Bäume überwinden. Sogar starker Regen vermochte diese Frequenz nicht zu durchdringen. Der effiziente Betrieb der 5G- Technologie war auf Relais angewiesen. Mikrozellen im Abstand von fünfzig bis hundert Metern kamen zum Einsatz – unter Dolendeckeln, an Hausfassaden, an Laternenmasten, an Verkehrslichtanlagen. Warum dieser Aufwand? Die angeblich zur alleinigen Betreibung der 5G-Technologie aufgestellten Masten erfüllten später noch ganze andere Funktionen und übernahmen eine wesentliche Rolle in der Kriegsführung.
KONTROLLE
Im Jahr 2020 nutzte die Verkehrspolizei der Metropole Shenzhen die Gesichtserkennungstechnologie unter anderem zur Erziehung von Verkehrssündern. Dank der Überwachungskameras an den Straßenkreuzungen wurden regelverstossende Fahrzeuglenker blossgestellt, indem unmittelbar nach ihrem Vergehen gestochen scharfe Schnappschuss-Fotos ihrer Gesichter zusammen mit ihren Personalien (Personalausweisnummer inklusive) auf großen LED-Leinwänden an den Strassenkreuzungen gezeigt wurden. Jede regelwidrige Straßenüberquerung führte automatisch zu einem Kreditpunkteabzug.
Über ein schier unbegrenztes Potenzial verfügte die immer präzisere, leistungsfähigere Technologie, um die Gedanken zu lesen. Diese intelligente Software verwendeten inzwischen viele chinesische Firmen, um den Gemütszustand ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Daraus wurde auf ihre Eignung zur Produktivitätssteigerung geschlossen. In einem von der Regierung finanzierten Gehirnüberwachungs- und Analyseprojekt an der Universität von Ningbo wurden Fließbandarbeiter in mehr als zwölf Fabriken untersucht. Die Sensoren in ihren Arbeitshelmen waren in der Lage, effektivitätshemmende Zustände wie Depression, Angst oder Wut frühzeitig aufzuspüren und zuhanden der Direktion weiterzumelden. „Das verursachte am Anfang etwas Unbehagen und Widerstand“, wurde eine Forscherin zitiert, aber allmählich hatten sich die Arbeiter an die Apparate gewöhnt. Die Ergebnisse flossen direkt in das Punktekonto der Getesteten. Davon nicht genug! Menschen, die infolge von so entdeckten Depressionen oder anderen Krankheiten ihrem Arbeitgeber und somit dem Staat nur einen verminderten Nutzen bringen konnten, wurden zugunsten „dynamischerer, lebensfroherer und linientreuer“ Arbeitskräfte ersetzt.
ENTGLITTEN
Dank dieser intensiven Kontrollen wurde jeglicher aufkeimende Volksaufstand sofort gestoppt oder ganz verhindert. Damit konnte die Staatsmacht die Opposition klein halten, sodass die Regierung, anders als im Westen, viel weniger oft mit Protesten konfrontiert wurde, als dies in westlichen Ländern der Fall war.
Zu den Instrumenten der totalitären Staaten gehörte die Zensur von sozialen Medien – Internetseiten wurden zensuriert, Proteste niedergeschlagen, Streiks und Demonstrationen waren verboten. Man mochte dieses Gebaren als menschenfeindliche Haltung einer totalitären Regierung abtun. Wären da nur nicht die Umerziehungslager und zahlreichen Folterkammern gewesen.
ROTE BANKEN
Viele der Projekte der Seidenstrasse waren nicht nachhaltig finanziert. Auch im Inland stand es um die vom Ausland weitgehend abgeschottete Finanzwirtschaft schlecht.
Den Lokal- und Provinzregierungen war es – von einigen wenigen Ausnahmen und Pilotprojekten abgesehen – bis dorthin anders als im Westen üblich – untersagt, ihre Haushalte mit selbstbehafteten Anleihen zu finanzieren. Als Folge davon entstand ein undurchsichtiges Dickicht von Finanzvehikeln mit weitgehend ungeklärten Haftungsstrukturen. Die Gebietskörperschaften hatten die aus eigenen Haushaltsüberschüssen nicht zu deckenden, in der Regel nicht rentabel betriebenen Infrastrukturprojekte in stillschweigend akzeptierter Umgehung des Verschuldungsverbots über Tausende von Zweckgesellschaften abgewickelt. Die halböffentlichen Finanzvehikel wiederum wurden von den staatlichen Banken und auch von Schattenbanken mit Krediten versorgt oder hatten eigene Anleihen ausgegeben. Drohende Zahlungsausfälle wurden oft mit einer Streckung der Tilgung oder neuen Krediten zur Finanzierung des Schuldendienstes vertuscht. Die maroden Finanzierungsstrukturen galten als potenzieller Auslöser einer systemischen Finanzkrise, die seit Jahren als ein Damoklesschwert über dem chinesischen Bankensektor hing. Die Zentralregierung bemühte sich, die Situation zu entwirren. Die zu Beginn der zwanziger Jahre begonnene sukzessive Umwandlung von Bankkrediten in Anleihen, für welche die Lokalregierungen geradestehen mussten, hatte zu einem erheblichen Transparenzgewinn im chinesischen Finanzsystem geführt. Den Banken hatte diese Entwicklung zwar Entlastung von unmittelbar drohenden Kreditausfällen bewahrt. Durch die Umstrukturierung hatten die staatlichen Finanzinstitute aber auch – zumindest kurzfristig – fühlbare Einbussen bei ihren Zinserträgen hinnehmen müssen. Das hatte zu einer starken Drosselung der Gewinndynamik geführt.
FREIGABE DES RENMINBI
Die Agenda der chinesischen kommunistischen Partei sah vor, dass China bis 2025 die USA an der Spitze sowohl wirtschaftlich wie militärisch ablösen sollte. Das konnte nicht erfolgen, solange der Dollar als Weltwährung faktisch fortgeführt würde.
Die Situation im Westen war aus den Fugen geraten. Zu Beginn der Zwanziger Jahre war über fünfundneunzig Prozent der ausgewiesenen Geldmenge Buchgeld (FIAT-Geld). Dieses von den Geschäftsbanken herausgegebene Geld war weitgehend ungedeckt. Auch die anderen Währungen waren nicht abgesichert und ihr Wert basierte ausschliesslich auf der zukünftigen Arbeitsleistung und auf dem Vertrauen in die Märkte. Dazu kam, dass dreissig Prozent der sich im Umlauf befindenden Dollar-Noten gefälscht waren.
Einer der wichtigsten Bausteine auf dem Weg zur Ablösung des Dollars als Weltwährung war die Handelbarkeit des Renminbi (RMB). Ein unkomplizierter Tausch zum Marktpreis war für die Attraktivität der chinesischen Währung von grossem Vorteil. Das Ansehen des roten Riesen in der Welt stand auf dem Spiel. Die freie Konvertierung des RMB war schon lange überfällig, hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) doch bereits am 30. November 2015 den Renminbi1 als globale Leitwährung neben dem Dollar ausgerufen. Um den Fehler der westlichen Währungshüter nicht zu wiederholen, strebte die chinesische Zentralbank einen wertgedeckten Renminbi an. So kaufte China stetig grosse Mengen an Gold auf. Das Ziel war eine goldgedeckte Währung und ein Vollgeldsystem, in dem Geld ausschliesslich von der Zentralbank ausgegeben wurde. Vorher musste jedoch die begonnene Fiskalreform und der Abbau von Überkapazitäten in den traditionellen Industrien wie der Stahlindustrie durchgesetzt werden. Es folgten Rückschläge. Das rasche Handeln der Zentralregierung in Peking, vorab die Verschärfung der Repression, vermochte den Kollaps abzuwenden.
Je mehr sich die USA als „Polizist der Welt“ zurückzogen und je höher die Staatsverschuldung wurde, desto geringer war das Vertrauen in die US-Währung. Die Gläubiger begannen, sich nach anderen Anlagewährungen umzusehen. Während die EU sich ständig mit strukturellen Problemen herumschlagen musste, ja drohte zu implodieren, war der Euro keine Alternative. So rückte der RMB in den Vordergrund.
Allerdings hegten ausländische Investoren Zweifel am Erfolg der chinesischen Reformen und hielten sich zurück.
Erst als die freie Konvertibilität des Renminbi eingeführt wurde, löste sich der Knoten. Nach dem weltweiten Währungs-Reset von 2022, stand der D-RMB im Wettbewerb mit dem neuen Mondo. Beide Währungen waren, anders als der US-Dollar und der EURO, gestärkt als harte Währung aus dem Crash hervorgegangen. Es entwickelte sich ein bipolares Währungspatt, in welchem es in beiden Parteien-Interessen lag, das Gleichgewicht aufrecht zu halten.
1 Renminbi: offizieller Name der chinesischen Währung (“Volkswährung“)
1 Huan: Faktisch gleiche Währung wie der Renminbi. Wird verwendet, wenn es darum geht, eine Summe zu nennen. So bezahlt man im Restaurant die Rechnung in Huan.