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IV. Chorische Reflexion – Reflexionsstrategien – Dramaturgische Funktionalisierung 1. Reflexion und Handlung

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Innerhalb der Tragödie besteht, wie bereits festgehalten, zwischen Chor- und Sprechpartien1 nicht nur eine formale, für den ursprünglichen Rezipienten audiovisuell wahrnehmbare,2 sondern auch eine inhaltliche Differenz: Als im Wesentlichen reflektierende Partien eines Kollektivs3 stehen die lyrischen Abschnitte des Chors den eigentlichen dramatischen, d.h. die Aktion der Akteure darstellenden Teilen der Tragödie gegenüber.4

Da sich mit dem Chor ein im personellen Rahmen des dargestellten Mythos verorteter Sprecher, eine dramatis persona äußert, bilden den Gegenstand der Reflexion dabei allerdings letztlich das Bühnengeschehen bzw. mit ihm in Zusammenhang stehende Momente oder Phänomene. Auch wenn der Bezug der chorischen Partie zum dramatischen Rahmen nicht unmittelbar ersichtlich ist oder sich erst im Lauf des Liedes herauskristallisiert,5 ist bei unserem Dichter durchgängig ein Bezug der chorischen Reflexion zum Stückganzen bzw. zu entscheidenden Motiven festzustellen. Anders gesagt: Die chorische Reflexion steht immer in einem klar zu umreißenden Verhältnis zur eigentlichen Handlung oder zu ihr zu Grunde liegenden Motiven. Um den Nachweis der konkreten Anknüpfungspunkte und die Verortung der jeweiligen Chorpartien haben sich im Besonderen die dem (reinen) dramatis persona-Konzept verpflichteten Arbeiten verdient gemacht.6 Hinter die so deutlich vor Augen geführte Einbindung der chorischen Partien als Äußerungen einer dramatis persona zurückzufallen und, wie es die Sprachrohr-Theorie oder die Identifikation des Chors mit dem idealisierten Zuschauer insinuierte, die Chorpartien gänzlich von der Handlung zu trennen, ist auch angesichts der von der neueren Forschung betonten „otherness“ des Phänomens Chor und seiner Rekontextualisierung im politisch-kultisch-sozialen Umfeld nicht statthaft. Die Analysen des Hauptteils werden die chorischen Partien und ihre Reflexion dementsprechend immer als Äußerung der im Geschehen verorteten Choreuten verstehen.

Das Chorlied ist weiterhin, wie GRUBER formuliert, „der autonome Kommunikationsraum für die Lenkung der Perspektive des Zuschauers“.7 Dass den Liedern dabei genuin dramaturgische Funktionen wie die Steigerung oder Drosselung des dramatischen Tempos sowie die Gliederung und Strukturierung gewisser Abschnitte des Dramas oder des ganzen Stücks zukommen, ist folgerichtig; die Einzelinterpretationen des Hauptteils werden im Besonderen diese dramaturgischen Implikationen einer jeden Partie herauszustellen versuchen.

Bereits GRUBER gibt daraufhin einen kurzen Abriss verschiedener Punkte, die in der Reflexion des Chors eine Rolle spielen können: die Einblendung verschiedener Zeitebenen, die Eröffnung einer anderen Perspektive hinsichtlich des Handlungsraums sowie eine Interpretation des Geschehens nach „vertrauten Deutungsmustern“.8 Damit ist in aller Kürze bereits ein gewisses Panorama chorischer Reflexionsinhalte und -strategien umrissen, die sich auch bei unserem Autor finden. Um der tatsächlichen Fülle an reflektierenden Partien im Werk des Sophokles gerecht zu werden und angesichts der geradezu „chamäleongleiche[n] Multifunktionalität“, durch die sich nach WILLMS der Chor im attischen Drama auszeichnete,9 ist es geraten, der Untersuchung der einzelnen Dramen und Partien eine grundsätzliche Kategorisierung vorauszuschicken, die die zielgerichtete Untersuchung der Einzelpassagen und schließlich eine zusammenfassende Einordnung der behandelten Partien ermöglichen wird.

Mit den folgenden grundsätzlichen Überlegungen soll so ein theoretischer Rahmen eröffnet werden, der zum einen mögliche Vorgehensweisen chorischer Reflexion vorstellen, zum anderen ihre basale dramaturgische Funktionalisierung kurz anreißen wird. Mit Hilfe des so entwickelten Instrumentariums können die Analysen des Hauptteils die konkrete Ausprägung der hier allgemein entworfenen Sachverhalte untersuchen und ein detailliertes Bild der jeweiligen dramaturgischen Implikationen nachzeichnen.

Neben das bereits erläuterte und mit Blick auf die vorliegenden Tragödien konkretisierte Spektrum der Rollenidentität des Chors, in das die Person des Chors sowie seine Beziehung zu den Akteuren innerhalb des gesamten Stücks eingeordnet werden kann, treten dabei zwei weitere Spektren, die die Einordnung der Chorpassagen selbst ermöglichen sollen.

Der Chor in den Tragödien des Sophokles

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