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2. Spektrum II: Reflexionsstrategien

2.1 Begriffsklärung

Unter „Reflexionsstrategien“ soll der je eigene Zugang verstanden werden, den die Chorpartie bei der Beschäftigung mit ihrem Gegenstand beschreitet und der so die Chorpassage nicht nur in Bezug auf die in ihr verhandelten Momente der Handlung, sondern auch mit Blick auf ihre eigene sprachliche und poetische Gestalt maßgeblich prägt. Anders gesagt: Mit Reflexionsstrategie soll im Wesentlichen der Ansatz gemeint sein, der für die entsprechende Partie oder einen Teil derselben programmatische Bedeutung hat.

Mit Blick auf die Vielfalt und Verschiedenheit der chorischen Reflexionen unseres Autors lässt sich guten Gewissens keine Einteilung in fest umrissene Typen oder Kategorien vornehmen.1 Vielmehr soll hier versucht werden, das weite Spektrum verschiedener Reflexionsstrategien bzw. -ansätze zunächst von seinen Enden her aufzuzeigen. Diese im Folgenden aufgeführten Randpunkte verstehen sich dabei als geradezu theoretische Extreme, die sich einerseits gegenseitig kontrastiv definieren, andererseits in der konkreten Verwirklichung nie in Reinform auftreten; es wird daher den Einzelanalysen des Hauptteils zukommen, die jeweiligen Partien innerhalb dieses so umrissenen Spektrums einzuordnen.

Als Rahmenpunkte des Spektrums der Reflexionsstrategien sollen hier das Konzept einer thematisch-begrifflichen von einer imaginativ-visualisierenden Reflexion unterschieden werden. Diese Distinktion erfolgt dabei zwar zunächst abstrakt, versteht sich aber als an der Realität der Chorpassagen entwickelt.2 Mit Blick auf die Interpretationen des Hauptteils sind der Beschreibung des jeweiligen Reflexionsansatzes zudem einige die Interpretation leitende Fragen beigegeben; diese Leitfragen konstituieren so den methodischen Rahmen der Einzelanalysen.

2.2 Thematisch-begriffliche Reflexion

Unter thematisch-begrifflicher Reflexion verstehe ich eine chorische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen, der Handlung entspringenden bzw. mit ihr in Verbindung stehenden Gegenstand, die im Wesentlichen bestrebt ist, ein (oder mehrere) mehr oder minder abstraktes Thema (bzw. Themen) zu verhandeln. Ein solcher Ansatz bedient sich dabei gedanklicher und weitestgehend ungegenständlicher Konzepte: Geleitet von einer teils deskriptiven, teils argumentativen Logik versucht eine derartige Reflexion, durch den Aufweis von Gründen, Folgerungen, Einschränkungen, Beweisen u.Ä. das in Rede stehende Thema darzustellen, es argumentativ zu durchdringen und gegebenenfalls die Position des Chors dazu zu markieren.

Die Verbalisierung des Themas selbst kann dabei an verschiedenen Stellen innerhalb der reflektierenden Partie erfolgen, was den gedanklichen Aufbau der Passage wesentlich prägt. So kann eine Themenangabe durch ein Schlagwort bereits zu Beginn der Partie erfolgen,1 die Mitte der Ausführungen bilden oder das Ende der Reflexion markieren. Ebenso ist es möglich, geradezu leitmotivisch an verschiedenen Punkten der Passage das eigentliche Thema aufzurufen.

Das Thema selbst übt dabei wesentlichen Einfluss auf das Abstraktionsniveau und die sprachliche Gestaltung der Reflexion aus: So wird sich die Behandlung eines besonders unanschaulichen, spekulativen Themas (z.B. der Wandelbarkeit des menschlichen Schicksals2 oder bestimmter menschlicher Grundeigenschaften3) von der eines dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung entnommenen Themas (z.B. der konkreten Unwirtlichkeit des Krieges4 oder der Schwierigkeiten des Überlebens unter widrigen Umständen5) hinsichtlich der gedanklichen Tiefe und der gewählten Formulierungen und Begriffe unterscheiden.

In welcher konkreten Beziehung das so behandelte Thema (und dementsprechend die gesamte Reflexion) zur dramatischen Handlung steht, kann dabei dezidiert ausgesprochen oder auch nur implizit angedeutet werden.6

Das Verständnis derartiger Reflexionen ist zunächst davon abhängig, das eigentliche Thema bzw. die Themen zu bestimmen bzw. zu umreißen. Die nachvollziehende Interpretation derartiger Partien legt ferner besonderen Wert auf das Verständnis der kausallogischen Verknüpfung der einzelnen Gedanken und das Erfassen der Gedankenbewegung, sowie gegebenenfalls auf die Rekonstruktion eines abstrakten, teils spekulativen Reflexionsrahmens, innerhalb dessen sich die konkrete Ausdeutung verorten lässt.

2.3 Imaginativ-visualisierende Reflexion1

Anliegen eines imaginativ-visualisierenden Reflexionszugangs ist es dagegen, ein möglichst plastisches, figuratives Bild zu entwerfen. Der dem dramatischen Geschehen entnommene Gegenstand der Reflexion wird so in eine oder mehrere imaginative bzw. visualisierende Szenen umgesetzt, die entweder detailliert und umfassend ausgestaltet oder im Sinne eines Schlaglichts kurz angerissen sein können. Dabei kann ein bildlich ausgestaltetes Motiv für eine Passage programmatische Wirkung haben und verschiedene Szenen miteinander verbinden.2

Es ist dabei von Zeit zu Zeit hilfreich, innerhalb dieses Reflexionsansatzes etwas weiter zu differenzieren: Unter Visualisierung soll das konkrete Sichtbarmachen eines der eigentlichen Handlung zugehörigen, den Rezipienten – d.h. dem Theaterpublikum – aber nicht erfahrbaren, weil hinterszenischen3 oder zurückliegenden4 Geschehens verstanden werden. Imagination meint dagegen die bildhafte Ausgestaltung eines der Handlung entsprungenen oder mit ihr in Zusammenhang stehenden Moments, das allerdings kein eigentliches zum engen Rahmen der Handlung gehörendes Geschehen darstellt. So kann beispielsweise eine der dramatischen Situation innewohnende Stimmung durch den Chor in einem Bild illustriert werden5 oder aber die Imagination von Orten oder Personen außerhalb des Handlungsorts zur Kontrastierung mit dem eigentlichen Geschehen erfolgen.6

Die Interpretation der durch den imaginativ-visualisierenden Reflexionszugang geprägten Partien hat ihr Augenmerk demnach im Speziellen auf die Gestaltung der poetisch-bildhaften Details zu richten und den Einsatz besonders prominenter poetischer Mittel (v.a. die Personifikation bzw. Prosopopoiie, gegebenenfalls die Narrativik der Passage) zu untersuchen. Gerade der Einsatz von Adjektiven, die Verortung des aufgeworfenen Bildes in Zeit und Raum (in Relation zum eigentlichen Bühnengeschehen) und das je eigene Verhältnis einzelner Bildebenen sind bei der nachvollziehenden Interpretation von besonderem Interesse.

Der Chor in den Tragödien des Sophokles

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