Читать книгу Der Chor in den Tragödien des Sophokles - Bastian Reitze - Страница 19
2. Aufbau der Arbeit, methodische Entscheidungen und Vorgehen im Einzelnen
ОглавлениеDer Aufbau der vorliegenden Arbeit ergibt sich aus der oben umrissenen Zielsetzung: Die Gestaltung und Anordnung ihrer Teile versucht dabei, das oben erwähnte schrittweise Überblicken der dem Gegenstand eigenen Abschnitte zu spiegeln.
Den Hauptteil der Arbeit (B) bilden dementsprechend die Einzelinterpretationen der sieben uns vorliegenden Tragödien des Sophokles (samt den Gesamtschauen der einzelnen Großabschnitte). Wie oben bereits bemerkt, sind diese Einzelinterpretationen nach den Rollenidentitäten der jeweiligen Chöre kategorisiert:1 So kommen zunächst die Tragödien mit Chören wehrfähiger Männer in den Blick, daraufhin die mit Frauen-, schließlich die mit Greisenchören. Sowohl die Anordnung dieser Großabschnitte selbst als auch die Reihenfolge der ihnen zugehörigen Einzeltragödien unterliegt dabei inhaltlich-formalen Gesichtspunkten, die die Interpretation selbst ergeben und die entsprechenden resümierenden Partien sozusagen im Rückblick erläutern werden.2
Die den sieben Dramen gewidmeten Abschnitte sind dabei ganz parallel aufgebaut: Der Interpretation der einzelnen Partien geht jeweils unter der Überschrift „Vorbemerkungen“ eine kurze Angabe des Inhalts der Tragödie sowie ein Überblick zum Personal und entscheidenden strukturellen Momenten voran.3 Eine Zusammenfassung wird im Anschluss an die Analyse die entscheidenden Punkte der Einzelinterpretation der Chorpartien prägnant zu wiederholen suchen. Sie wird dazu das gesamte Drama in den Blick nehmen, eine Übersicht der Chorlieder geben und den Blick auf größere Formaleinheiten innerhalb des Stückes weiten. Im Besonderen wird dabei gemäß den in der Einleitung eröffneten Kategorien nach dem Verhältnis des Chors zur jeweiligen Bezugsperson, nach den Reflexionsstrategien, der dramaturgischen Funktionalisierung der Chorpartien sowie nach ihrer Binnengliederung und damit gegebenenfalls ihrer strukturierenden Funktion zu fragen sein.
Eine vergleichende Gegenüberstellung der hinsichtlich der Rollenidentität des Chors zusammengehörigen Tragödien bieten die sog. Gesamtschauen am Ende der jeweiligen Großabschnitte. Sie dienen dazu, Parallelen und Unterschiede der Chorführung der entsprechenden Dramen aufzuzeigen, und orientieren sich dabei gezielt an den in der Einleitung beschriebenen Spektren. Dabei verstehen sie sich jeweils als Zwischen-Fazit, das auf Basis der Einzelinterpretationen entscheidende Punkte herausstellt und den Blick weitet.
Der mit „Synthese und Ausblick“ überschriebene Abschnitt C stellt den abschließenden Versuch dar, die in den Einzelinterpretationen herausgearbeiteten und in den Gesamtschauen abschnittsweise miteinander verglichenen Ergebnisse zu einem Gesamtbild zusammenzuführen. Dabei sollen zunächst einige allgemeine Gesichtspunkte der sophokleischen Chorführung beleuchtet werden, bevor sich je ein Unterabschnitt mit dem Verhältnis der drei in der Einleitung entworfenen Spektren sowie einigen sich daraus ergebenden Folgerungen mit Blick auf das Gesamtwerk auseinandersetzt. Ein kurzer Ausblick wird versuchen, mögliche Nutzbarmachungen der hier vorgelegten Analysen und Ergebnisse zu umreißen.
Einige methodische Entscheidungen haben dabei besonderen Einfluss auf die Gestaltung der Interpretationen im Einzelnen; sie sollen daher hier kurz ausgeführt werden.
Die zu untersuchenden, zumeist lyrischen Partien des Chors sind bereits sprachlich und inhaltlich so komplex, dass mit Blick auf die Zielsetzung dieser Arbeit mit einem reinen Überblick oder einer kurzen Inhaltsangabe nicht besonders viel gewonnen wäre. Da die Analyse im Einzelfall zeigen will, welche Bedeutung gerade der sprachlich-poetischen Komposition der einzelnen Chorpartien (d.h. dem Gedankenfortschritt, der Verknüpfung einzelner Bilder, Gedanken oder Motive) sowohl mit Blick auf die Verortung des Liedes im Ablauf der Handlung als auch seiner dramaturgischen Funktionalisierung zukommt, ist es unausweichlich, den entsprechenden Partien größtenteils in einer engen, textnahen Interpretation zu folgen.
Gerade die dramaturgischen Zusammenhänge und Strukturen der Chorlieder einer Tragödie können dabei meines Erachtens nur sinnvoll untersucht werden, wenn die Lieder (und die für die Dramaturgie bedeutsamen Aussagen des Chors innerhalb der Sprechteile des Dramas) zunächst für sich und im Zusammenhang mit dem Handlungsverlauf betrachtet werden.4 Erst auf Basis eines so gearteten textnahen Nachvollzugs sowie einer teilweise kleinteiligen Betrachtung können die einzelnen Aspekte der Chorführung eines Dramas bzw. einer Gruppe von Dramen beleuchtet werden.
Die vom Dichter festgelegte Reihenfolge der Gedanken und Reflexionen, d.h. das konkrete Nacheinander der einzelnen Sätze, Strophen und Abschnitte ist dabei konstitutiv; fragt man so nach der konkreten Einbettung des Liedes im Zusammenhang des Dramas, ist ein Nachvollzug der zu untersuchenden Partie in der Reihenfolge der Rezeption und somit ein (zumindest erster) Durchgang durch den vorliegenden Text notwendig.
Da ferner gerade die Verortung der jeweiligen Lieder im Kontext des Stückes, d.h. im Besonderen der motivisch-thematische Konnex zwischen Sprechpartien und lyrischen Abschnitten, zu erfragen ist, müssen auch gewisse nicht-chorische Passagen einer genaueren Untersuchung unterzogen werden (im Besonderen freilich die Prologe, denen als Startpunkt der Tragödien herausgehobene Bedeutung gerade auch hinsichtlich ihrer Beziehung zur Parodos zukommt). Die entsprechenden Passagen dieser Arbeit sind dabei nicht als Digression zu verstehen, sondern wollen in besonders fokussierter Weise die Ausdeutung des folgenden (oder vorangehenden) Chorliedes ermöglichen.
Kurz gesagt: Die Einzelinterpretationen folgen so dem Verlauf des jeweiligen Stücks sowie den einzelnen Partien im Wesentlichen linear; einzelne Vor- oder Rückblenden ergeben sich dabei aus der Sache selbst: So ist es beispielsweise bei der Einordnung einer gewissen Passage in den übergeordneten Kontext des Dramas notwendig, das Verhältnis des in Rede stehenden Abschnitts zu vorangegangenen oder kommenden Partien zu beleuchten. Am grundlegenden Charakter der Einzelanalyse als eines Durchgangs durch die entsprechende Tragödie ändert dies allerdings nichts.5
Trotz der formalen und thematischen Vielfalt der zu betrachtenden Chorlieder sowie der jeweils unterschiedlichen Einbindung in den Zusammenhang des Dramas ist es geraten, die Interpretation der chorischen Passagen einem groben Schema folgen zu lassen: So geht der eigentlichen Interpretation eine Hinführung zur Partie voraus, die die vorhergehende Sprechszene rekapituliert. Es folgt in der Regel ein rascher formaler Überblick über die eigentliche chorische Partie, wobei neben der Angabe des grundlegenden Themas besonders die Ausdehnung, die metrisch-strophische Gliederung,6 die (intendierte) Gesprächssituation und etwaige gattungseigene Merkmale im Vordergrund stehen. Daran schließt sich ein detaillierter Nachvollzug der Partie an, der im Besonderen die Gedankenbewegung, die motivische Arbeit und die sprachliche Ausgestaltung beleuchten wird. Es wird dabei nötig sein, gewisse Abschnitte sehr textnah zu paraphrasieren, andere – v.a. kommatische Partien – können hingegen kursorisch abgehandelt werden. Dem differenzierten und deskriptiven Nachvollzug der Einzelheiten folgt in der Regel ein zusammenfassender Überblick, der versucht, zum einen die dramaturgischen Implikationen der Partie herauszustellen, zum anderen ihre Relation zu den anderen lyrischen Partien des Dramas zu beleuchten.
Angesichts des Ziels sowie des angedeuteten Vorgehens dieser Arbeit ist ersichtlich, warum in diesem Rahmen weder eine Behandlung der Tragödienfragmente noch der Satyrspiele unseres Autors geleistet werden kann: Die unzureichende Überlieferung macht es unmöglich, dem Fortgang der jeweiligen Dramen zu folgen oder gar einzelne Partien genauer zu analysieren, um auf dieser Basis valide Erkenntnisse zur Dramaturgie der Einzelstücke zu gewinnen.7
Die Arbeit will und kann trotz ihres Umfangs und der Behandlung aller sieben überlieferten Stücke zudem keine umfassende Gesamtinterpretation der Tragödien liefern. Dass im hier gewählten formalen Zugang zu den Tragödien eine Reihe von Aspekten unbearbeitet bleibt, dass womöglich mit der Betonung der kompositorischen Prinzipien ein einseitiges Bild der dramatischen Werke gezeichnet wird und die vorgelegte Studie den Dramen nicht in Gänze gerecht werden kann, ist mir bewusst.
Grundsätzlich bleibt dabei allerdings zu bedenken: Weder darf der unzureichende Überlieferungsstand der Werke unseres Autors auf der einen noch die Unkenntnis über die konkrete Musik, den Tanz und sonstige mit der Aufführungspraxis unmittelbar verbundenen Phänomene auf der anderen Seite außer Acht gelassen werden. Gerade die Beschäftigung mit dem Chor innerhalb der Tragödie hat so einige Leerstellen anzuerkennen, die eine umfassende Würdigung des sophokleischen Werks gerade hinsichtlich seiner Wirkung auf das Publikum ohnehin weitestgehend unmöglich machen.8 Auch die verdienstvolle Auseinandersetzung mit den historischen Umständen der Gattung Tragödie und ihrer soziokulturellen Verankerung innerhalb der Polis Athen darf dabei nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass selbst ein rezeptionsästhetischer Ansatz zum Verständnis der Einzelstücke mit dieser generellen Unkenntnis umzugehen hat.9 Gerade die von neueren Tendenzen mit einiger Entschiedenheit ins Feld geführte Rekontextualisierung der attischen Tragödie scheint allzu oft die Leerstellen innerhalb der Überlieferung sowie unsere Unkenntnis aus dem Blick zu verlieren; dass gerade eine zielgerichtete Fokussierung auf die inneren Strukturen der Tragödien und ihre Kompositionsprinzipien das Verständnis fördern kann, will dagegen die vorliegende Arbeit zeigen. Die diese Arbeit im Wesentlichen prägende Konzentration auf den Text der sophokleischen Tragödien versteht sich so nicht als andere Aspekte ausblendende Reduktion, sondern ist sich ihrer Beschränkung durchaus bewusst. Gemäß ihrem Ziel, zunächst das Verständnis der Einzeltragödien zu fördern, schließlich ein Gesamtbild des sophokleischen Chorgebrauchs zu zeichnen, sieht sie allerdings in der Beschäftigung mit dem Tragödientext den angesichts der Überlieferungslage einzig gangbaren Weg.