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II. Meinungen zum Chor: Forschungsabriss1

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In ihrer „Introduction“2 gibt KITZINGER einen kenntnisreichen und konzisen Überblick der neuesten (hauptsächlich der angelsächsischen Forschung entstammenden) Positionen hinsichtlich des Chors und seiner Verwendung in der attischen Tragödie. Entsprechendes leistet GRUBER in seinem umfangreichen Methodenkapitel mit speziellem Blick auf die deutschsprachige Forschung.3 Eine besonders weite Perspektive nimmt GOLDHILL in seinem Abriss zur modernen Forschungsgeschichte ein.4 Auf diese Überblicke sei hier besonders verwiesen. Einen speziellen Fokus auf die Aufarbeitung des neunzehnten Jahrhunderts legt SILK5, der sich mit Hegel und Nietzsche einem über die eigentliche altphilologische Beschäftigung hinausgreifenden Rahmen zugewendet hat.

Als prägend für die allgemeine Beschäftigung mit dem Phänomen „Chor“ innerhalb der Tragödie (und dort im Besonderen für die deutsche Forschung) hat sich die auf KRANZ zurückgehende Angabe dreier „Funktionen“ des Chors erwiesen.6 Dem Chor, so die von MÜLLER zitierte Version, wird dabei zugeschrieben, „erstens Person des Stücks zu sein, zweitens Instrument zur Begleitung, Gliederung, Vertiefung und drittens ‚Organ des dichterischen Ich‘“.7 Auch wenn diese griffige Dreiteilung weder der Komplexität des Phänomens „tragischer Chor“ noch der umfangreichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung gerecht zu werden vermag,8 bietet es sich an, an ihr als einem Leitfaden einige wesentliche Deutungsansätze auszuführen und die vorliegende Arbeit im Kontext der Sekundärliteratur zu verorten.9

Es erscheint ratsam, die von KRANZ als letzte aufgeführte Funktion des Chors hier in aller Kürze als erstes zu behandeln: Die auf im Wesentlichen Schlegel und Schiller zurückzuführende Anschauung des Chors als „Sprachrohr des Dichters“ bzw. als „idealisiertem Zuschauer“10 trennte die lyrischen Partien des Chors vom eigentlichen Handlungsverlauf. Als Sprecher der innerhalb der Deutung auf ihr reflektorisches Moment reduzierten Chorpassagen erscheint dabei letztlich der Dichter selbst, der qua Chor zu seinem Publikum spricht, es ermahnt oder unterweist und ihm so den gedanklichen Rahmen zum Verständnis des jeweiligen Stücks (und darüber hinausgehender Sachverhalte) an die Hand gibt. Wenn auch dieses Verständnis der reflektorischen Qualität einzelner Chorlieder gerecht zu werden scheint, läuft es dennoch Gefahr, in einer methodisch nicht haltbaren Weise Aussagen des Chors für Äußerungen des Dichters zu halten. Rekonstruktionen der Anschauungen des Dichters, gar seiner Theologie anhand der Chorpartien einer bestimmten Tragödie sind daher mit äußerster Vorsicht zu handhaben; dem Verständnis des Einzelstücks als eines dramatischen Kunstwerks dienen die Ansätze der Sprachrohr-Theorie nur selten.

Den Chor (nur) als Mitspieler der Tragödie zu sehen, war und ist innerhalb der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Tragödien Ausgangspunkt vielfältiger Arbeiten: Zu erweisen, inwieweit der Chor als ein Mitspieler, ein Akteur im dramatischen Gefüge bezeichnet werden kann, ob und wie sein spezifischer Charakter ausgeformt ist, inwiefern dieser Charakter konsistent ist und in welchem Verhältnis schließlich der so als Mitspieler verstandene Chor zu den anderen Akteuren sowie den Geschehnissen steht, kurz: die Untersuchung des Chors als dramatis persona ist die selbstgesteckte Aufgabe zahlloser Analysen.11 Besonderen Rückhalt erhält diese Aufgabenstellung dabei durch die Bemerkung des Aristoteles zum richtigen Gebrauch des Chors12, die man so zu untermauern sucht.13

Als umfassendere Studien in diesem Bereich zu mehreren bzw. allen erhaltenen Tragödien unseres Autors verstehen sich dabei die Arbeiten von GARDINER14 und PAULSEN15. So konstatiert erstere eine Fehlentwicklung, die sich bei der ausschließlichen Beschäftigung mit den poetischen Qualitäten der analysierten Chorpartien einstelle:

Yet in these examinations of the lyrics the chorusʼ character has been largely neglected, to such an extent that the odes often seem to take on an existence apart from the chorus that sing them.16

Die Aufgabe ihrer Arbeit charakterisiert sie demnach folgendermaßen:

This investigation therefore attempts to redress the existing imbalance between the study of poetry and the study of character by analyzing the roles of the chorus in each of Sophoclesʼ extant tragedies and determining the extent to which he meant the audience to perceive the chorus as a character in the play.17

Auch PAULSEN sieht das Hauptanliegen seiner Studie mit Rückgriff auf die oben ausgeführte funktionale Dreiteilung

[…] in einer Untersuchung der ersten der genannten Funktionen. Es soll bewiesen werden, daß der Chor Mitspieler und Person des Stückes ist und somit den Schauspielern vergleichbar.18

Eine besonders radikale Position vertritt dabei MÜLLER: Er kommt zunächst, vornehmlich ausgehend von seiner Interpretation der Antigone, zu dem Ergebnis „1. Der Chor ist eine konsequent denkende Person. 2. Alle Äußerungen des Chors dienen dem Dichter dazu, Gestalt und Größe der Prot­agonistin herauszuarbeiten“.19 Er sieht damit das aristotelische Postulat vom mitspielenden Chor verwirklicht20 und wagt die vorsichtige Generalisierung: „Es ist zu vermuten, daß der Chor in den anderen Tragödien des Sophokles keine grundsätzlich andere Funktion hat“.21

Im Gegensatz dazu steht der leitende Gesichtspunkt seines Antigone-Kommentars: Dort will MÜLLER gerade aus den Aussagen des als einer dramatis persona verstandenen Chors dennoch die Stimme des Dichters erschließen und so auf Basis des gefundenen „Doppelsinns“ den „theologischen Sinn der Tragödie“ herausarbeiten.22 Die genuin dramaturgische Komponente der einzelnen Partien zu untersuchen, liegt ihm allerdings fern. Während er es rundheraus ablehnt, in den Aussagen des Chors die eigene Meinung des Dichters zu sehen23 – also dem Chor die dritte Funktion vollständig abspricht –, glaubt er dennoch, durch die Annahme des Zweit- und Drittsinns geradezu e negativo die Ansichten des Dichters sowie dessen Einschätzung des Geschehens aus den Chorpartien herausarbeiten zu können.24 Die Ergebnisse – gerade in seiner Interpretation der Antigone – sind im Einzelnen allerdings zweifelhalft.25

Einen ähnlichen Zugang wie GARDINER und PAULSEN beschreitet bereits KIRKWOOD,26 wenn er auch einen für diese Untersuchung entscheidenden Gesichtspunkt hinzufügt. Einer simplen Gleichsetzung der Reflexionen des Chors mit denen des Dichters erteilt er dabei zunächst eine Absage;27 für ihn steht vielmehr der Personencharakter des Chors im Vordergrund. So gibt er an, die Aussagen des Chors untersuchen zu wollen als

utterances by characters in plays – strange characters, no doubt, with a penchant for lyrics and abstraction, but characters nevertheless, neither omniscient nor stupid, but limited like other characters by the natural limitations of their position and their interest in the action.28

Dass damit nicht das gesamte Spektrum der chorischen Präsenz abgedeckt werden kann, gesteht er ein: „We shall find that this approach is not altogether sufficient in itself and that there is a degree of abstraction in some odes that does not reflect the personality of the particular choral group“.29 Ausgehend von der spezifischen Wirkung der kontrastiv vor der entscheidenden katastrophalen Wendung positionierten Lieder im Aias (zweites Stasimon), der Antigone (viertes Stasimon) und dem Oidipus Tyrannos (drittes Stasimon) hält er zunächst fest: „They are integral and contributing parts in the dramatic structure“,30 bevor er schließlich ganz zu Recht verallgemeinert:

[…] these odes are not isolated phenomena but simply the most striking examples of a customary Sophoclean technique in which the choral odes influence the rhythm of the play by a contrast or some similar structural effect.31

Während KIRKWOOD so die Sprachrohrfunktion des Chors ablehnt, verortet er sich im Rahmen der von KRANZ eröffneten Trias zwischen der ersten und zweiten Funktion des Chors.

Gemein ist den aufgeführten Ansätzen dabei, dass sie von einer durchgängig kohärenten Charakterzeichnung des Chors ausgehen, der so als ein Akteur unter anderen am dramatischen Geschehen partizipiert und dem Dichter als zusätzlicher Schauspieler zur Verfügung steht. Inwiefern sie dabei einerseits dem aristotelischen Postulat, andererseits der Realität der Tragödien gerecht werden, bleibt indes fraglich.32 Die der reinen dramatis persona-Theorie verhaftete Ausdeutung hat daher in der Forschung einigen Widerstand hervorgerufen.

Besonderen Fokus auf die eher strukturellen Momente des Chors und damit den zweiten der von KRANZ aufgeführten Punkte legt dagegen BURTON,33 der als Ziel seiner Untersuchung angibt:

[…] to determine their [d.h. der Chorlieder] different kind of relevance, their functions as instruments of dramatic irony, […] and their effects upon the minds and emotions of audience and reader as required by the dramatist at each stage in the movement of his plots.34

Er geht dabei von einer fundamentalen Differenz zwischen Chor und Akteuren aus: „In its role as singers the chorus is distinct from the actors“35 sowie:

[…] the chorus as singers are kept distinct from the other dramatis personae and […] this distinction is due mainly to their being a group, not an individual.36

Hinsichtlich der Kohärenz der Person des Chors ergeben sich aus dieser Einsicht besondere Schlussfolgerungen:

Further, since the chorus has a group personality, we do not expect from it the same consistency or coherence of character as we expect from an individual.37

Gegen das strenge Diktum des Chors als reinen Mitspielers betont BURTON so die dramaturgische Einbindung der Chorlieder als Strukturmoment der Tragödie; gelegentliche Inkongruenzen in der Zeichnung des Charakters nimmt er dabei mit Blick auf die vom Dichter intendierten dramaturgischen Implikationen – meines Erachtens zu Recht – in Kauf.38

Dieser eher formale Ansatz, der die verschiedenen Formteile der Tragödie im Einzelnen beleuchtet und damit einen Beitrag zum Verständnis des jeweiligen Stücks leisten möchte, ist mit Blick auf Sophokles – abgesehen von Kommentaren zu einzelnen Tragödien39 – in der Folgezeit etwas in den Hintergrund getreten.40 Die neuere, vor allem angelsächsische Forschung, hat – bedingt durch ein verstärktes Interesse an den performativen Komponenten des antiken Dramas – einen anderen Ansatz gefunden, der im Besonderen die rituellen Dimensionen der chorischen Präsenz innerhalb der Tragödie betont und diese im politischen Kontext der Gattung sowie einem generell soziokulturellen Rahmen zu verorten sucht.41 Entscheidenden Anstoß bei dieser Rekontextualisierung gaben dabei WINKLER und ZEITLIN.42

GOULD sucht im Anschluss daran ganz allgemein den Chor als ein zentrales Moment der Tragödie43 und „des Tragischen“44 neu zu denken und betont im Besonderen die „Andersartigkeit“ („otherness“) des Chors, die er allerdings nicht nur auf den bereits von BURTON entwickelten Gegensatz zwischen den Einzelakteuren und dem Kollektiv „Chor“ beschränkt, sondern sozio-politisch ausdeutet:

[T]he ‘otherness’ of the chorus, its essential role within the tragic fiction, resides indeed in its giving collective expression to an experience alternative, even opposed, to that of the ‘heroic’ figures. […] That ‘otherness’ of experience is indeed tied to its being the experience of a ‘community’, but that community is not that of the sovereign (adult, male) citizen-body.45

Diese Präsenz einer in einer größeren sozialen Gemeinschaft gegründeten Gruppe „Chor“46 kontextualisiere dabei „das Tragische“47 durch Rückgriff auf ererbte Geschichten sowie ererbte gnomische Weisheit eines kollektiven sozialen Gedächtnisses und der mündlichen Tradition.48 Dass diese allgemeine Einsicht erst in der Auseinandersetzung mit den einzelnen Stücken wirkliche Erkenntnisse liefern kann, ist GOULD bewusst:

For the ‘othernessʼ of the chorus, we must acknowledge, takes no single form, and no one formula will define it for us. It can only be defined in terms of the very variety of the different perspectives which the playwright may impose upon his tragic fiction. […] The collective experience and the collective voice of the chorus may oppose that of the individual tragic agent in an almost bewildering variety of ways.49

Dass der Chor dabei allerdings ein Akteur des Geschehens bleibt, steht für GOULD außer Frage; seine allgemeinen Bemerkungen zur „Rolle“ des Chors und dessen Einbindung ins dramatische Geschehen50 sowie seine Absage an die Gleichsetzung „Äußerung des Chors = Äußerung des Dichters“51 sind dabei im Wesentlichen so zentral wie bekannt. Seine Ausführungen zur dauernden Präsenz des Chors als eines zentralen Moments52 sind dabei größtenteils nachvollziehbar.53 GOULD zieht daraus folgende Konsequenzen:

After the opening scene […] nothing is spoken, nothing experienced […] except in the presence of that collective, emotionally involved witness. There is no privacy in that world, and even the silence of the choral presence can exert a palpable force.54

Dies scheint mir allerdings zweierlei zu verkennen: Zum einen nimmt sich der Chor (wie die Einzelanalysen der sieben Sophokles-Tragödien zeigen werden) oft genug aus dem eigentlichen Bühnengeschehen völlig zurück und ist zwar physisch präsent, übt jedoch kaum einen wirklichen Einfluss auf das dramatische Handeln der Akteure aus. Zum anderen bildet gerade die Gesprächssituation Prot­agonist-Chor oft eine besonders intime Szenerie, in der erst das volle Seelenleben der Figur seinen Ausdruck findet.55

GOLDHILL56 legt in seiner Beantwortung des Aufsatzes von GOULD einen etwas anderen Fokus: Mit Blick auf die soziokulturellen Implikationen sowie die kultisch-politischen Momente57 will er GOULDs Ansatz weiterdenken und ausführen. Im Besonderen fragt er nach der Autorität des Chors und seiner „Stimme“58 angesichts der von GOULD hypostasierten „Marginalität“ der Person des Chors in sozialer Hinsicht. Sein Fazit bleibt vor dem Hintergrund der entfalteten Details allerdings sehr allgemein:

The chorus both allows a wider picture of the action to develop and also remains one of the many views expressed. The chorus thus is a key dramatic device for setting commentary, reflection, and an authoritative voice in play as part of tragic conflict.59

Besonderen Widerhall finden die Ausführungen von GOULD und GOLDHILL in den theoretischen Ansätzen, die konkret nach der Autorität („authority“), d.h. der Verlässlichkeit chorischer Aussagen in verschiedenen Kontexten fragen. So postuliert SILK60 ausgehend von einer Unterscheidung der Stilebenen in verschiedenen Chorpartien das Vorhandensein mehrerer „Stimmen“ („voices“), deren Gesamtheit den Chor einer jeweiligen Tragödie ausmacht.61 Diese „Polyphonie“ des Chors gibt ihm dabei Anlass zur berechtigten Warnung, dem Chor in seinen Aussagen generell mehr Kohärenz zuzuschreiben als ihm innewohnt:

[W]e must, of course, listen to each play, and each lyric, to decide how much coherence and how much uniformity there actually is – and we must be prepared for the degree of coherence and uniformity to vary from play to play, as also within each play.62

Festzuhalten bleibt, dass die Ansätze von GOULD (und GOLDHILL) im Wesentlichen nachvollziehbar sind und gerade das bereits bei BURTON herausgestellte Moment der „otherness“ als Gegenmoment der reinen dramatis persona-Theorie für die vorliegende Untersuchung von einiger Bedeutung ist. Allerdings bleibt zu betonen, dass gerade die von den Autoren gefällten Generalaussagen über den Chor, die Tragödie und das Tragische dazu neigen, ein zu einheitliches Bild der besonders komplexen und reichhaltigen Phänomene zu zeichnen. Dass sich zu einzelnen Kernaussagen dabei immer wieder konkrete Gegenbeispiele finden lassen und von den Autoren auch eingeräumt werden,63 muss im Ergebnis dazu führen, die allgemeinen Thesen mit einiger Vorsicht anzunehmen und sie gegebenenfalls an den Werken selbst zu überprüfen. Die vorliegende Arbeit stellt, wenn auch unter anderen methodischen Vorzeichen und mit einer anderen Zielsetzung, womöglich eine Basis für dieses Vorgehen dar.

Die Frage der Performanz des antiken Dramas und im Besonderen der Tragödie verfolgen schließlich GOLDHILL/OSBORNE64 und die in ihrem Sammelband vertretenen Wissenschaftler weiter. Von gewisser Bedeutung für die vorliegenden Studien sind dabei die Ausführungen von HALL65 zur Darbietung lyrischer Partien durch die Schauspieler. Sie sieht in diesem Phänomen eine besondere soziologische Komponente,66 die eine zeitgeschichtliche Deutung der Gattung Tragödie und ihrer Formen herausfordert.67

In Auseinandersetzung mit Schlegels These vom Chor als idealisiertem Zuschauer68 versucht CALAME,69 das Wesen des tragischen Chors innerhalb eines komplexen theoretischen Rahmens zu bestimmen:

In those textual games played by word and action on gender and on the mask, in the many dimensions in which its voice plays a part, does the figure of the tragic choros coincide principally with the ideal spectator or with the actual spectator, with the virtual author, or, as performer, with the real author, or just with the figure of a (masked) actor engaged in a dramatic plot?70

In der Folgezeit haben die referierten theoretischen Ansätze zum Teil eine auf Sophokles bzw. einzelne Stücke konkretisierte Anwendung gefunden.71 KITZINGER wählt im Anschluss an die ausgeführten theoretischen Ansätze in ihrer Studie zu den Chören der Antigone und des Philoktet einen differenzierten und im Ganzen nachvollziehbaren Ausgangspunkt. Ihrer Untersuchung stellt sie dabei zwei Grundannahmen voraus: Während sie zunächst postuliert

that, in Sophokles, the words of the chorusʼ songs provide evidence for a consistent choral perspective, from play to play and from scene to scene within a play, however much the song is also integrated into the particular circumstances of the chorusʼ character and of the plot,72

stellt sie im Anschluss an BURTON und GOULD mit Nachdruck fest: „that the chorusʼ function cannot be understood by analogy with the actors“.73 Zwischen den Akteuren und dem Chor herrsche vielmehr „essential difference“,74 die weder die Beteiligung des Chorführers an den Sprechszenen noch das Vorhandensein gesungener, d.h. lyrischer Partien der Akteure aufhebe, sondern sich vor allem im Wechsel von Epeisodien und Stasima verwirkliche75 und Ausdruck einer unterschiedlichen Sicht auf die Welt darstelle.76 Ihr Interesse gilt dabei vor allem der Sprache der Chorpartien,77 in der sie – zusätzlich zu Musik, Gestik und Tanz – die Differenz zwischen Chor und Akteuren besonders realisiert sieht.

Den Versuch, die Gattung Tragödie, konkret den Oidipus auf Kolonos, dezidiert mit den Begriffen und Methoden der Narratologie zu interpretieren, unternimmt im Anschluss an GOWARD78 schließlich MARKANTONATOS.79 Unter den Gesichtspunkten der vorliegenden Arbeit lässt sich festhalten: MARKANTONATOSʼ feinsinnige Interpretationen einzelner Chorpassagen sind besonders gewinnbringend.80 Sowohl in der theoretischen Auseinandersetzung mit seinem Konzept einer „dramatischen Narratologie“ als auch bei der Analyse des Dramas selbst spielen dabei beispielsweise mit dem Tempo der „Erzählung“,81 der Frage nach der Lokalisation der „dramatisch erzählten“ Handlung82 und dergleichen gewisse Momente eine bedeutende Rolle, denen auch in der vorliegenden Arbeit besondere Aufmerksamkeit gilt. Einen übergeordneten, theoretischen Standpunkt zum Chor, etwa eine „Narratologie des Chors“ entwickelt er dabei (noch) nicht.

Zu einer konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen Dramen des Sophokles, ihrer Dramaturgie bzw. ihrer dramatischen Faktur kommt es bei den referierten, teilweise sehr theoretischen Ansätzen und Studien nur am Rande. Anders gesagt: Die Ablösung des dem Text verpflichteten werkästhetischen Standpunkts durch die vielfältig ausgestalteten performativen, soziokulturellen bzw. rezeptionsästhetischen Kategorien lässt eine vertiefte Fokussierung auf die Tragödie als dramatische Komposition geraten erscheinen. In derselben Weise glaube ich, die von GRUBER in Folge der „performativen Wende“ eingeforderte „Rekontextualisierung“83 der Tragödie um ein entscheidendes Moment erweitern zu können – schließlich ist auch die Wissenschaft nach der performativen Wende der Notwendigkeit nicht enthoben, nach den inneren Gesetzen einer Gattung, eines einzelnen Dramas zu fragen.

Während ferner mit der Studie von HOSE84 eine umfassende Interpretation der euripideischen Chorlieder vorliegt und sich die Arbeit von GRUBER85 den Chorpartien der aischyleischen Tragödien (freilich unter einem genuin rezeptionsästhetischen Standpunkt) nähert, gibt es in der Nachfolge von BURTON keine Gesamtschau der sophokleischen Chorlieder, deren Fokus auf einer textnahen Interpretation der Chorpartien sowie ihrer dramaturgischen Funktionalisierung läge.86

Der Chor in den Tragödien des Sophokles

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