Читать книгу Der Chor in den Tragödien des Sophokles - Bastian Reitze - Страница 20
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3.1 Datierung und Chronologie
Sowohl die relative wie auch die absolute Datierung der sieben uns erhaltenen Tragödien des Sophokles ist besonders umstritten.1 Der Mangel an äußeren Zeugnissen hat zur Folge, dass sich einzig die Aufführungen zweier Tragödien durch äußere Indizien sicher datieren lassen: Philoktet im Jahr 409, Oidipus auf Kolonos posthum im Jahr 401.2 Die Datierungsversuche der anderen fünf Stücke divergieren teils erheblich.3 Angesichts dieser grundlegenden Schwierigkeiten sowie der ohnehin dürftigen Kenntnis des Gesamtwerks unseres Dichters ist ZIMMERMANN zu Recht den Versuchen, Entwicklungslinien innerhalb der uns vorliegenden Stücke erkennen zu wollen, mit einiger Vorsicht entgegengetreten.4 Selbst aus der oft zu Rate gezogenen Stelle in Plutarchs de prof. in virt. (79 B), in der man ein verlässliches Selbstzeugnis des Sophokles über den Werdegang seiner Kunst gesehen hat,5 gewinnt man bei genauerer Untersuchung kein zufriedenstellendes Konzept, das aus sich heraus Anhaltspunkte für eine Chronologie der sieben uns erhaltenen Tragödien liefern könnte.6 Die Ansätze, aus den Tragödien selbst auf Basis innerer, d.h. sprachlicher, stilistischer,7 dramaturgischer oder sonstiger Kriterien eine Chronologie zu entwickeln,8 können daher keine letzte Gültigkeit beanspruchen.9 Auch die Datierung auf Grund von Anspielungen oder Reflexen auf außerdramatische Gegebenheiten innerhalb der Stücke ist letztlich nicht zwingend und vielfach äußerst spekulativ.10
Diese Arbeit will dementsprechend dezidiert keinen Beitrag zur Datierungsdebatte liefern. Es wäre methodisch völlig unhaltbar, aus der Untersuchung eines – wenn auch zentralen – Kompositionsmoments wie der dramaturgischen Einbindung und Funktionalisierung der Chorpassagen einen Maßstab gewinnen zu wollen, an dem sich die untersuchten Stücke chronologisch einordnen ließen.11 Angesichts der von ZIMMERMANN angedeuteten Gefahr von „Zirkelschlüssen“12 ist es zudem ratsam, den Einzelinterpretationen keine Vorstellungen von künstlerischer Entwicklung zu Grunde zu legen und so etwa von vorneherein davon auszugehen, der Gebrauch des Chors oder die dramatische Komposition der erwiesen späten Stücke Philoktet oder Oidipus auf Kolonos seien per se elaborierter als die der früheren Dramen.13
Da die vorliegende Arbeit alle sieben erhaltenen Stücke unseres Autors beleuchtet, muss eine Reihenfolge der Einzeluntersuchungen gefunden werden. Wie bereits angedeutet, ist dafür die Rollenidentität des Chors entscheidendes Ordnungsmoment; innerhalb der das Spektrum gliedernden drei Gruppen (wehrfähige Männer, Frauen, Greise) erfolgt die Reihenfolge der Einzelinterpretationen, wie oben bereits ausgeführt, dabei nach inhaltlichen Gesichtspunkten, die in der Gesamtschau ausgeführt werden sollen. Vergleiche oder kontrastive Gegenüberstellungen einzelner Stücke bzw. gewisser struktureller Momente werden sich dabei aus der Sache selbst ergeben und nicht allein auf Grund (angenommener) chronologischer Nähe ins Auge gefasst werden.
3.2 Text und Textkritik
Die lyrischen Partien der Tragödie gehören bereits auf Grund ihrer sprachlichen Schwierigkeit zu den textkritisch umstrittensten Abschnitten der jeweiligen Stücke. Während Gestalt und Sinn einzelner Abschnitte bereits innerhalb der hellenistischen Redaktion der Texte Anlass zu textkritischen Bemerkungen und vorgeschlagenen Änderungen boten (die uns zum Teil in den Scholien greifbar sind)1, ist im Besonderen die moderne Philologie von Beginn ihrer Beschäftigung mit Sophokles an den vielfältigen Schwierigkeiten des Texts zunehmend mit einer Flut an Konjekturen begegnet. Eine philologische, d.h. textnahe Auseinandersetzung mit den Tragödien und speziell den Chorpartien wird sich daher neben divergierenden Lesarten und größeren Textausfällen auch immer wieder den bald geglückten, bald zweifelhaften Rekonstruktionsversuchen moderner Gelehrter widmen müssen.
Nach PEARSON liegen mit der Ausgabe von LLOYD-JONES/WILSON die vollständig überlieferten Tragödien unseres Autors bereits in der zweiten Edition innerhalb der Oxford Classical Texts (OCT) vor. Als Zielpublikum ihrer Ausgabe (sowie der gesamten OCT) schwebt ihnen dabei „a wider circle of readers“2 vor, der sich nicht allein auf Mitglieder des akademischen Betriebs („professional scholars“) beschränke.3 Die selbstgestellte Aufgabe, diesem weiteren Adressatenkreis einen Sophoklestext zu bieten, der ohne größere Unterbrechungen gelesen werden kann,4 lässt die Herausgeber schließlich formulieren: „This policy has led us to adopt a number of emendations which may seem radical.“5 In der Tat zeigt sich bei der genauen Interpretation einiger (Chor-)Passagen, dass LLOYD-JONES/WILSON dazu neigen, sich gegen einen gut oder gar einhellig überlieferten Textbestand und für eine Konjektur oder einen anderen Eingriff in den Text zu entscheiden.6 Auch mit dem Setzen von cruces zur Bezeichnung verderbter Stellen sind sie bei weitem vorsichtiger als noch PEARSON,7 der im Ganzen gesehen einen wesentlich konservativeren, d.h. strenger am überlieferten Bestand orientierten Text bietet. Man fühlt sich daher gezwungen, der Kritik, die MARKANTONATOS grundsätzlich an modernen Editoren sowie im Speziellen an der Ausgabe von LLOYD-JONES/WILSON übt, zumindest in Teilen zuzustimmen:
It is sad that some modern editors of Sophocles have chosen to deviate from the time-honored paradosis, putting all their energies into proposing attractive but inessential changes so as to prove that the lectio tradita is incorrect. […] Lloyd-Jones and Wilson have produced a text which is more readable, but their willingness to accept uncertain readings as safe restorations of Sophoclesʼ words undermines their achievement.8
Die textkritischen Ausführungen im Rahmen der Einzelinterpretationen sollen dabei jeweils zum Verständnis der einzelnen Stelle beitragen; es ist dabei von Zeit zu Zeit geraten, dem Text von LLOYD-JONES/WILSON eine Alternative entgegenzusetzen. Im Umgang mit verderbten Stellen soll hier allerdings nicht der Anspruch erhoben werden, letztgültige Entscheidungen zu fällen.
3.3 Abkürzungen, Zitation u.Ä.
Wie bereits in Teil A werden in den Einzelinterpretationen die zitierten Werke bei ihrer ersten Nennung mit vollem Titel zitiert, danach mit Verfassernamen und Jahreszahl.
Einschlägige Nachschlagewerke werden wie folgt abgekürzt:
LSJ | A Greek-English Lexicon compiled by H.G. LIDDELL and R. SCOTT […] revised and augmented by H. St. JONES, 1961, Oxford. |
KG | R. KÜHNER/B. Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Satzlehre (zwei Bände) 41955, Hannover. |
DKP | Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike auf der Grundlage von Paulyʼs Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, bearb. und hrsg. v. K. ZIEGLER, W. SONTHEIMER und H. GÄRTNER, Stuttgart 1964–1975. |
DNP | Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. v. H. CANCIK/H. SCHNEIDER, Stuttgart 1996–2002. |
RE | Paulyʼs Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, neue Bearb. beg. v. G. WISSOWA, fortges. v. W. KROLL u. K. MITTELHAUS, hrsg. v. K. ZIEGLER, Stuttgart u.a. 1893ff. |
LIMC | Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae, Zürich u.a. 1981ff. |