Читать книгу Souveräne Impulskontrolle bei Hunden - Benedikt Wittner - Страница 6
Vorwort
ОглавлениеDie Impulskontrollstörung beim Hund ist ein gängiges Problem, das augenscheinlich in der Moderne behaftet ist. Oftmals ergeben sich Verhaltensänderungen aus den Rahmenbedingungen. Die Rahmenbedingungen unserer Zeit sind so gewählt, dass sie das sich darin befindliche Individuum – artübergreifend – an die Grenzen seiner Flexibilität, Resistenz sowie der emotionalen, sozialen, kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit bringt. Dieser Zustand spiegelt sich in dem Querschnitt an Verhaltensproblemen des Hundes, die zum Leidwesen des Hundehalters zu bemängeln sind.
Wir leben in vielen Bereichen in einer sich selbst optimierenden, nach Leistung strebenden Ellenbogengesellschaft. Selbst die daran beteiligten Individuen tun sich häufig schwer, diesen Lebenswandel zu akzeptieren. Während der Mensch das dahinterstehende System jedoch erfassen und die Gründe rational entschlüsseln kann, sodass am Ende alles einen Sinn ergibt (Selbstoptimierung für persönlichen Erfolg, Leistungsdenken für beruflichen Aufstieg), sind die äußeren Anforderungen für den Hund völlig fremd. Er kann die geltenden Regeln auf logischer Ebene nicht nachvollziehen (Beispiel: temporärer Leinenzwang zum Artenschutz). Obgleich Hunde sehr flexibel sind, können die individuellen Lebensumstände deshalb sehr belastend für ihn sein. Das gilt besonders dann, wenn sie ihm jegliche artentypischen Attribute aberkennen.
Die Forderung: Der Hund ist der bessere Mensch. Er eckt nicht an, er fällt nicht auf, er gehorcht und ist universal einsetzbar. Die desillusionierte Wirklichkeit: Der Hund hat Charakter und Persönlichkeit, er hat tierische Bedürfnisse, er ist ein Jäger und er jagt.
Wenn sich zwei Arten zusammentun, müssen Sie sich in der Weise miteinander arrangieren, dass der Sozialverbund für beide Seiten funktioniert.
Sind Hunde nun von Natur aus impulsgestört, sind sie von uns so gemacht oder definieren wir ihnen die Störungsbilder an?
Nur weil das hündische Verhalten als problematisch empfunden wird, müssen die Auffälligkeiten noch lange nicht pathologisch sein. Zum einen steht die Diagnostik vor dem Problem der symptomatischen Überschneidungen. Einige Krankheitsbilder äußern sich in weiten Teilen gleich (Beispiel: körperliche Krankheiten wie die Schilddrüsenunterfunktion und psychische Leiden wie Traumata). Zudem setzt sich das konkrete Verhaltensbild aus einer Vielzahl einflussgebender Faktoren zusammen, von denen die Erziehung (neben Genetik, Rasse, Persönlichkeit, Umfeldfaktoren u. v. m.) einen großen Raum einnimmt.
Der Mensch verlangt aber danach, den Hund mit einer griffigen Diagnose zu etikettieren.
Einigen dient der Befund als Universalentschuldigung, andere brauchen ein konkretes Krankheitsbild, um an Heilung zu glauben und Prognosen darüber aufzustellen.
Allerdings wird kaum eine diagnostische Beschreibung der Einzigartigkeit Ihres Hundes, Ihrer selbst und dem Bündnis zwischen Ihnen im Detail gerecht.
Dieses Buch zeigt organische Zusammenhänge auf, es macht aber auch frei von etwaigen Stempeln, Werten und Diagnosen, weil diese die Wahrnehmung kontrollieren und der Einstellung zum Gesamtproblem eine negative Note verleihen. Die Begrifflichkeiten machen einen wichtigen Teil des Problemverständnisses aus und prägen den emotionalen Umgang mit der jeweiligen Situation.
Nach Durchsicht der Lektüre sollen Sie dazu imstande sein, artgerechtes Verhalten und den daran gekoppelten Sinn zu erkennen. Ihr Blick soll sich klären und anschließend differenzierter sein, sodass Sie sich neu zu der Thematik (nicht Problematik!) positionieren.
Ziel dieses Buches ist unter anderem ein Verständnisgewinn. Sie werden für die einzelnen Entwicklungsschritte des Hundes inklusive der neuronalen Zusammenhänge sensibilisiert. Das Hintergrundwissen trägt zur Horizonterweiterung bei, in der Hoffnung, dass es nicht während, sondern bestenfalls schon vor dem Kauf, zur Bewusstwerdung der Materie kommt. Das wissenschaftliche Fundament soll Halbwissen und Irrtümer klären, damit Sie Missverständnissen und Fehlentscheidungen entgehen.
Dieser Praxisratgeber zeichnet ein realistisches Bild möglicher Szenarien, in Kenntnis dessen Sie sich mental auf die Verantwortung als Hundehalter vorbereiten können. Die exemplarische Verbildlichung ist weniger als Abschreckung denn als Chance auf die mentale Vorbereitung zu verstehen.
Neben dem theoretischen Hintergrund erwartet Sie ein strukturierter Praxisteil, der sowohl als langfristiges Erziehungsmittel wie auch als direkt anwendbarer Notfallplan fungiert.
Am Ende verfolgen die einzelnen Hilfestellungen das Ziel, dass Sie mit Ihrem Hund zufrieden sind und die gemeinsame Zeit in vollen Zügen genießen können.
Bedenken Sie: Für Sie ist das Hundeleben eine lange Zeit, für Ihren Hund ist ebendiese Zeit alles, was er hat.
Der Rezipient dieses Handbuchs sind in erster Linie Sie. Sinnbildlich gesprochen sind Sie also der c/o-Adressat, an den all die Ratschläge vorrangig gerichtet sind. Sie wiederum teilen die Informationen mit Ihrem Hund. Denn auch wenn es der Hund ist, der die Verhaltensauffälligkeiten zeigt, leiten Sie die Veränderungen ein. Sie konstruieren das übergeordnete System aus Ritualen und Regularien, Sie legen die individuellen Freiheiten fest, Sie teilen die Ressourcen zu, Sie gewähren existenzielle Versorgung und überlebenswichtigen Schutz. Sie bestimmen, welche Verhaltenseigenschaft Ihnen nicht gefällt und durch welche sie ersetzt werden soll. Sie kennen Ihren Hund und sehen, wann er Hilfe braucht.
Sie sind im Leben Ihres Hundes der zentrale, soziale und sinngebende Bezug. Ohne Sie fehlt der Veränderungsimpuls. Ohne Sie hat der Hund keine Richtung, der er folgt.
In diesem Sinne: Nur Mut, Sie schaffen das! Viel Spaß beim Lesen und viel Erfolg!
Herzlichst,
Ihr Benedikt Wittner