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Kapitel 2

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Der Chiemsee empfing uns freundlich. Er hatte auch keinen Grund zum Argwohn. Was für ein idyllischer Fleck, das hat doch schon direkt die Kragenweite von Neuseeland. Nur eben 20 000 km weniger Flug, lediglich 200 km auf der A96.

Sonne, Liegewiese, Wikingerboote und öffentliche Toiletten, alles vor Ort. 10 Euro kostet der Spaß die Nacht, da kann man nicht meckern und das altbekannte Problem aus Neuseeland: Was soll man jetzt zu so einem Tag schreiben? Wir liegen am See, die Sonne scheint, wir essen ein Eis. Wir liegen am See, die Sonne scheint weiter, wir schwimmen. Ich fahre Rad, wir essen Pasta, alle schlafen. Simple life.

Wobei alle auch etwas hoch gegriffen ist. Ich werde mir darüber bewusst, was für ein Nerd ich bin. Fahrrad mit zwei Kabelschlössern am Abschlepphaken des Campers gesichert und dann Bilder von der GoPro holen, Bilder von der Drohne holen, Tour auf Strava hochladen, Bild dazu hochladen. Video schneiden und hier ein paar Zeilen tippen. War der Wein nicht eben noch voll? Mein Leben ist eine Farce, ich habe einfach zu viele Interesse. Was als Kind noch nett anmutete, „Oh, er beschäftigt sich selbst, wie schön.“, wird im Alter zunehmend zu einer Farce.

Neben uns ein eine Kleinfamilie aus Leipzig. Eine Rama Familie. Immer sauber, immer lächeln, immer aufgeräumt. Während das Kind zu Bett gebracht wird, baut der andere draußen ein tolles Abendessen mit Kerze auf. Alles ist unfassbar aufgeräumt. Die Stühle stehen gerade, nicht mal trocknende Handtücher sind irgendwo zu sehen. Ihr wisst, wie es bei uns aussieht? Ich schaue mich bei diesem Gedanken selbst etwas unsicher um. Matildas Tiger Stuhl liegt nach den Überresten unserer Variante von „Reise nach Jerusalem“ etwas wild hinter dem Camper, ihr Sandelzeug haben wir im Beachvolleyballfeld vergessen, meine Radklamotten hätte ich auch aufhängen können und ist das eigentlich mein teurer Kopfhörer auf der Wiese?

Die Mama der Rama Familie lächelt.

Wie von Geisterhand komme ich mit den beiden ins Gespräch. Sie fahren nach Kroatien, das ist ja eine Überraschung. Mit dem Kind ist alles etwas hektisch. Sicher verstehe ich. Die ersten zwei Wochen verbringen sie in einen Nationalpark in Slowenien. Ach was? Da ist ein Nationalpark auf dem Weg? Oder vielmehr, da liegt Slowenien auf dem Weg? Ich sollte mal in diesen Atlas schauen. Ein Schluck Wein geht noch ….

Am nächsten Morgen werde ich davon geweckt, dass Matilda neben mir sagt: „Oh, das sind ja schöne Farben.“, während sie aus dem Fenster in den Sonnenaufgang schaut. Und bei Gott, DAS SIND schöne Farben. Direkt raus und zum Ufer mit Matilda und Drohne im Schlepptau.

Da sitzen wir dann und zum ersten Mal gestehe ich, ist es etwas peinlich mit meinem kleinen Freund der Rotoren. Es schwimmen in den ersten Sonnenstrahlen ein paar ältere Nacktschwimmer im See und dann schmeiße ich die Maschinen an. Abflug! Immerhin, Matilda jubelt. Das ist mein Kind! Wir steigen auf und dann Kurs auf die Sonne.

Das Dumme ist nur, sobald ich starte wartet Matilda 10 Sekunden, tippt mich dann an und sagt: „Lande mal, Papa.“ Sie weiß die Akku Leistung eines solchen Gerätes keinesfalls zu würdigen. Ihr würden 60 Sekunden Akkukapazität vollauf genügen. Der Traum eines jeden Ingenieurs.

Ich tue ihr den Gefallen zu landen Mache und anschließend springe ich selbst nackt ins kalte Wasser unter der Morgensonne. Sind wir ehrlich, die Sache mit dem Leben ist eine geile Erfindung.

Der Plan des Tages ist vom Prinzip her völlig klar. Wir fahren heute weiter, und zwar zum Wörthersee. Während dieses Ziel über allem schwebt, geht die Sonne hier am Chiemsee richtig auf und der Plan wankt leicht, strauchelt, kippt langsam und fällt schließlich unter dem Jubel der ganzen Familie. Wir bleiben!

Ich schnappe mir Matilda und wir fahren Brötchen holen. So jedenfalls die Idee. Das Ganze driftet allerdings in einen Halbtagsausflug ab. Wir kommen am Hafen vorbei, an einer Bimmelbahn, an einer Espressobude und auf dem Rückweg das Ganze eben rückwärts. Mama und Leo schlafen derweil im Camper, oder holen zumindest das nach, was wir nachts gemacht haben. Es bleibt zu hoffen, dass sie dabei vom Chiemsee träumen.

Nachmittags gewohnte Langeweile auf der Liegewiese, aber diesmal mit frischen Brötchen. Am Abend drehe ich noch eine Runde auf dem Rad um den Chiemsee. Dabei ein Mädel getroffen, welches verzweifelt versucht hat sich und ihrem Rennrad gleichzeitig zu fotografieren. Als ich kam stand das Rad auf einer Parkbank und sie stand unschlüssig davor. Ich bitte euch, da bin ich zur Stelle! Und die Reihe „Ben erkennt deutsche Spitzensportler nicht“, ist hiermit um einen peinlichen Höhepunkt mit dem Namen Steffi Böhler reicher. Und sie sagt noch: „Ich mache eher Langlauf.“

Morgen aber, morgen Wörtersee, oder Slowenien, oder Salzburg. Morgen …

Auf einen Café über den Balkan

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