Читать книгу Auf einen Café über den Balkan - Benjamin Jorga - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеVerrückter Tag. Guter verrückter Tag. Im Grunde ein erstklassiger, guter, verrückter Tag. Starten wir vorne und vorne ist in dem Fall gestern. Da lernten wir am Platz noch eine kleine Familie aus Österreich kennen. Wundervoll eigenartig. Der Sohn jedenfalls begeisterte Matilda auf Anhieb. Emilio und Matilda hatten alsbald eine ganze Stadt aus Straßenkreide auf den Asphalt des kleinen Campingplatzes gezaubert. Inklusive Feuerwehr, Polizei und einem Kindergarten als Dreh- und Angelpunkt der dörflichen Gemeinschaft.
Chiara, Achim und Emilio kommen gerade von ihrem Jahresurlaub, welchen sie im Camper und an der Küste Kroatiens verbracht haben. Knapp 3 Wochen Euphorie und wenn es mittlerweile eines gibt, was sie nicht mehr hören und sehen können, dann deutsche Eltern, die in aller Seelenruhe verkünden, dass sie in den nächsten Wochen mal ihre Elternzeit entspannt im Süden verbringen werden. „Überall! Auf dem ganzen Heimweg kommen die einem entgegen! Und was macht ihr eigentlich?“
Chiara und Achim haben schon fast die Kragenweite von echten Berlinern. Endlich jemand der noch ein wenig verplanter durch Europa tingelt als wir. Das geht uns allerdings erst nach und nach auf. Zum Beispiel fragen wir natürlich, wo sie die letzten Tage so verbracht haben? Schließlich kommen sie ja genau aus der Richtung, in welche wir als nächstes fahren wollen.
Ja gut, die letzten 3 Nächte haben sie in Bovec verbracht, unmittelbar VOR diesem sagenhaften Nationalpark. Heute sind sie reingefahren. Dieses aber nur für zwei Nächte und was planen sie für den einzigen Tag Aufenthalt? Da wollen sie zurück nach Bovec, um sich dort einen Marathon anzusehen. Klingt sinnvoll. „Ja, wir sind hier jetzt am Gran Canyon, aber 30 km weiter findet heute ein Trettbootrennen statt, da werden wir wohl mal vorbeisehen und dann weiter.“
„Und wo seid ihr in Kroatien gewesen? Kann man da etwas empfehlen?“ Nach mehreren Anläufen irgendwelche Namen aus dem Gedächtnis zu kramen, einem vergeblichen Versuch den Reiseführer zu Rate zu ziehen, beschränkt sich Achim auf ein: „Ihr müsst da eigentlich nur die Küste runter. Da ist alles super.“ Perfekt, das deckt sich ja genau mit unseren Plänen.
Einen Tipp haben die beiden aber noch. Ein paar Kilometer weiter kommen Wasserfälle, da müsst ihr anhalten. Das muss man sehen, direkt an der Straße. Und genau dieser Tipp wird dann auch unseren heutigen Tag maßgeblich mitgestalten, wer hätte es ahnen können. Chiara und Achim, diese Schlingel.
Am nächsten Tag ein Bilderbuchstart. Aufstehe, langsam in die Gänge kommen, packen und um 11:00 Uhr den Motor starten. Das Einzige was uns mal wieder fehlt ist ein Ziel.
„Wohin jetzt eigentlich?“
„Ich weiß nicht, einfach mal die Straße weiter runter, oder?“
„Ja, gibt ja nur die eine, oder?“
„Genau.“
„Und dann die Wasserfälle?“
„Ja.“
Solider Plan. Motor anwerfen und vom Platz rollen. Matilda als Beifahrer hat dabei ein neues, absolutes Lieblingsspiel. Es nennt sich: „Pappa, ich schlafe jetzt.“ Nachdem ich mich vor zwei Tagen theatralisch darüber ausgelassen haben, dass man als Beifahrer keinesfalls schlafen dürfe, weil man da einen ganzen Haufen wichtige Aufgabe zu erfüllen habe, gibt es für Matilda nichts Köstlicheres, als mir bereits beim Start zu verkünden, dass sie JETZT schlafen wird. Es ist unfassbar mit welcher Engelsgeduld sie auf eine hoffentlich erschreckte Reaktion meinerseits wartet. Wenn ich nicht direkt reagiere, tippt sie mich an die Schulter: „Pappa? Hast Du gehört? Ich schlafe jetzt.“ Noch besser wird es, wenn ich dann sage: „Ja, mach doch.“ „Äh Pappa, nein. Du musst jetzt sagen, dass ich das nicht darf.“ Und das meint sie auch genauso ernst. Sie hat einfach dieses Drehbuch im Kopf und das soll so ablaufen. Kein Problem, wenn der andere das nicht direkt kapiert. Dann wird er nett und freundlich auf seine Rolle hingewiesen und dann aber! Eigentlich geil, dass wäre für mich als Erwachsener auch super. Einfach mal freundlich zu den Leuten sagen: „Nein, nein, sie müssen jetzt nicht pampig werden. Sie nehmen mich jetzt in den Arm und sagen mir, dass wir das Hinbekommen.“
Wir fahren los. Nach ein paar Kilometern kommen wir an einem vermeintlichen Highlight vorbei. Waren das jetzt die Wasserfälle? Keine Ahnung. Waren sie das? Es gab keine Leuchtsignale am Straßenrand. Aber könnte schon sein …
Ich entschließe mich zum Wenden und genau an dem Punkt, wo ich wende, stehen Menschen in gelber Warnweste am Straßenrand. Auch nicht gerade ortsüblich in einem Nationalpark im Nirgendwo. Aber gut, muss wohl so sein. Kathi lacht hinten: „Die machen hier gleich alles dicht.“
Egal, wir steuern das Highlight an. Dieses besteht zwar nicht aus Wasserfällen, aber aus einer in der Tat beeindruckenden Schlucht und dazu passender Hängebrücke. Voller Euphorie über ein Abenteuer stürmt Kathi mit den Kids drauf los und bleibt nach 3 Metern wie angewurzelt stehen: „Oh, oh, das ist mir aber fast etwas zu viel Abenteuer.“ „Was denn Mama?“
„Diese Brücke schwankt aber schon heftig.“
Sie ist eben schon ein kleiner Indiana Jones die beste Ehefrau von allen.
Brücke genossen, kleine Wanderung genossen, Aussicht genossen und dann weiter. Weiter bis zu dem Punkt, wo eben diese Männer in gelben Westen standen. Da ist mittlerweile so richtig was los. Fuchtelnde Hände, große Gesten, viele Sprachen und vor allem: Stillstand. Manche versuchen zu drehen, wobei die Betonung auf „versuchen“ liegt angesichts dieser unfassbar engen Straße. Gut, dann muss der Steuermann wohl mal das Schiff verlassen und zum Ort des Geschehens aufbrechen. Beherzter Sprung aus dem Camper und vorwärts in die Menge. Ganz vorne eine Art Polizist, welcher versucht Ruhe in die Situation zu bringen, während ihm einige Amerikaner Flugtickets hinhalten und Motorradfahrer unter ihrem Helm schwer atmen. 3 Stunden so die Ansage. 3 Stunden wird sich hier gar nichts tun, denn es findet ein Marathon statt. „Die schnellen Läufer sind nicht das Problem.“, so versucht er es im gebrochenen Englisch zu vermitteln, „Aber die langsamen! Da brauchen wir etwas Zeit hier.“.
Sicher, dafür habe ich Verständnis. Wäre es ein Radmarathon würde ich wohl auch eher zur Schlussgruppe gehören und das vermeintlich hektische Winken am Wegesrand als Jubel fehlinterpretieren. Gut, also 3 Stunden. Und was jetzt?
Also erstmal ist klar, bevor die Situation auf der Straße weiter eskaliert müssen wir die 6,30 Meter irgendwie gewendet bekommen. Wenn da erstmal ein richtiger Rückstau entsteht, kommen wir nicht mehr aus der Schlange. Auf der Straße kann ich das vergessen, da hat es gerade schon einen normalen PKW fast zerrissen. Also hilft eigentlich nur die Situation etwas zuspitzen. Links raus, an allen vorbei und vor der Absperrung völlig überrascht reinschauen: „Ach was? Hier ist Schluss? Okay, okay, dann wende ich her auf dem Platz HINTER der Schranke eben kurz. Alles klar, no problema!“.
Klappt! Und dann zurück. Wohin? Weiß niemand. Nach 2-3 Minuten fahren wir einfach rechts ran auf einen Parkplatz. Keiner weiß so richtig was jetzt tun. Nach einigem Hin- und her kristallisieren sich zwei Lager heraus. Kathi bleibt im Camper und schläft mit Leopold. Matilda und ich ziehen festes Schuhwerk an und brechen auf. Für alle wird es ein hervorragender Nachmittag. Kathi und Leopold schlummern, Matilda und ich balgen am Fluss um die Wette. Die Gute ist anschließend dermaßen kaputt, dass sie nach 2 Minuten Fahrt einschläft.
„Jetzt steuern wir einfach mal einen Stellplatz an einem schönen Fluss an,“ schlägt Kathi vor, „ich habe da etwas.“. Navigation übernimmt sie, Steuer ich, Kinder schlafen.
Kleine Anekdote von unterwegs: „Hier jetzt scharf links, JETZT!“
„Echt? Das ist aber sehr scharf und da vorne …“
„JETZT!“
„Okay“
„Jetzt wieder links und dann wird es ganz komisch, es sieht fast aus wie U-Turn. Gut so … ganz scharf rechts und dann wieder links … weiter und links.“.
„Kathi, wenn ich da wieder links fahre, dann beginnt die Schleife von eben einfach von vorn.“.
„Ja, aber so steht es hier.“.
„Gut ja, aber wenn wir das machen, dann können wir das noch einige Stunden so weitermachen. Das ist dann eine Zeitschleife und irgendwann wollen wir doch essen?“.
„Gut, dann probiere mal die nächste links. 100 Meter weiter. Ja, genau … die war es.“.
Es ist aber nicht so, als wäre Kathi allein für unser Unterhaltungsprogramm zuständig. Ich bin der Nerd mit der Technik und natürlich ist die GoPro draußen angeheftet. In irgendeiner Serpentine dann ein wunderschönes Standbild der Mauer. Völlig crazy, es ist ganz ungewohnt. Es ist so, wie soll ich sagen, tief? Es ist zu tief und jetzt ist auch der Empfang weg. Ich glaube sogar die GoPro ist weg. „STOPP!“.
Rechts ran, kurzer Blick aufs Dach, keine GoPro. Das ist ja nicht zum aushalten! Seasucker! Damit kleben die Scheichs Räder auf ihre Lamboghini? Wirklich? Wir müssen drehen und die einzige, welche die Lage von Anfang an souverän im Griff hat. Genau, Matilda. „Pappa, das ist gar nicht so schlimm. Ich habe schlaue Augen, ich gucke da mal jetzt. Fahr Du mal los. Fahr mal, fahr …“, begleitet von einladenden Gesten zu starten.
Zwei Kurven zurück und da liegt die GoPro auf der Straße. Rettungsaktion geglückt. Ganz ehrlich, so ein Chaos gibt es woanders nicht, oder? Ihr könnt uns das gerne sagen, aber irgendwie …
Stellplatz gefunden, Pasta gegessen, heute eine 0 Euro Nacht. Dafür Schweizer neben uns. Es gibt da keinen Zusammenhang, aber es klingt nach einem guten Abschluss für den Text. Morgen dann Istrien. Vielleicht. Eventuell. Es könnte passieren.