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2.1 Streit um den Menschen (I): Allegorisierung und Externalisierung in der Psychomachia des Prudentius

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Vielfalt beginnt, wo Anthropologien der Spätantike und des Mittelalters die Differenz von Körper und Geist als Kampfbeziehung ausleuchten. So betrachtet Prudentius die menschliche Natur als unruhige duplex substantia (V. 909),1 weil der Mensch von innerem Kampf zerrissen werde, der Geist in Gefangenschaft des Körpers liege:

[…] Feruent bella horrida, feruent

ossibus inclusa, fremit et discordibus armis

non simplex natura hominis; nam uiscera limo

effigiata premunt animum, contra ille, sereno

editus adflatu, nigrantis carcere cordis

aestuat, et sordes arta inter uincla recusat.

(V. 902–907)2

Wird Zwiespalt damit als anthropologische Prämisse gesetzt,3 so ist er nicht einfach hinzunehmen, sondern zu überwachen, zu durchleuchten und zu gestalten. In diesem Sinne beginnt die Psychomachia mit einem Aufruf zur militärischen Selbstintervention:

uigilandum in armis pectorum fidelium,

omnemque nostri portionem corporis,

quae capta foedae seruiat libidini,

domi coactis liberandam uiribus

(Praefatio, V. 52–55)4

Christliche Selbstbeobachtung verlangt demnach in platonisch-paulinischer Tradition, Teile und Aspekte des Körpers zu unterscheiden und Kräfte ›im eigenen Haus‹ zu sondieren, um das Irritationspotential sinnlicher Affekte auszuräumen. Wenn Prudentius dazu aufruft, mit Christi Hilfe »aus der Tiefe der Brust« jene Sünden zu vertreiben, die durch innere Unordnung (turbatis sensibus intus seditio) verursacht würden (V. 5–8), so wird damit Selbstbefreiung als umfassendes Ordnungsprogramm proklamiert. Laster und Tugenden werden als Zerstörungsrisiken konfrontiert, die Pflege innerer Ordnung verlangen (V. 11–13).

Der poetische Weg, den die Psychomachia dazu einschlägt, zielt darauf, dieses kriegerische Selbstverhältnis zu figurieren und zu intensivieren. Gestaltungen von Tugenden und Lastern gelte es rhetorisch vor Augen zu führen,5 indem mit ekphrastischen Mitteln nacheinander sieben Duelle bzw. Gruppenkämpfe imaginiert werden: Glaube (fides) überwältigt Polytheismus (cultura deorum, V. 21–39), Keuschheit (pudicitia) das Begehren (libido, V. 40–108), Geduld (patientia) den Zorn (ira, V. 109–177); Hochmut (superbia) bringt sich durch eine übersehene Falle der Hinterlist selbst zu Fall und wird vor den Augen einer ganzen Schlachtreihe mäßigender Tugenden (Gerechtigkeit, Ehrbarkeit, Nüchternheit, Fasten, Scham und Einfachheit) schließlich durch die Demut (mens humilis) niedergestreckt (V. 178–309); Genusssucht (luxuria) wird mitsamt ihrem Gefolge (Scherz, Leichtfertigkeit, Liebe, Prahlerei, Verfeinerung, Zwietracht und Lust) durch die Nüchternheit (sobrietas) vernichtet (V. 310–453); und selbst wenn der Geiz (auaritia), begleitet von daraus entspringenden Übel und Sorgen, den Anschein sparsamer Tugend erweckt, wird er von der Hilfsbereitschaft (operatio) im Verein mit der Vernunft (ratio) getötet (V. 454–628). Verwirrung scheint nahezu ausgeräumt, störte nicht ein letzter Anschlag der Zwietracht (discordia) die Eintracht (concordia) im Feldlager der Tugenden. Durch Zusammenwirken aller Tugenden wird auch dieses letzte Störpotential vereitelt (V. 665–725).

Das dominierende Prozessschema der Selbstimagination liefert somit der Zweikampf. Zunächst dreimal wiederholt, wird die Konfrontation binärer Differenz sodann viermal zu Konfigurationen erweitert, die Haupttugenden bzw. Hauptlaster mit ihren jeweiligen Verbünden zu Schlachtreihen (acies) versammeln. Das zweiseitige Abgrenzungsschema wird dadurch fortgeführt, zugleich aber für interne Cluster- und Reihenbildung geöffnet, was als Antwort auf die Ordnungsprobleme der Vorrede ermöglicht, Tugenden und Laster auszuspinnen und gleichwohl zu binden. Prinzipiell öffnet sich der Kampf damit für Aggregations- und Variationsmöglichkeiten, während er an einfacher Raumdifferenz festhält.

Diese Staffel- und Erweiterungssequenz beschließt das römisch konnotierte Militärbild vom Feldlager der Tugenden, in dem nach Ansprache des Glaubens (fides) ein edelsteingeschmückter Tempel um den Altar des Herzens errichtet wird (ara cordis, V. 844f.). Im imaginierten Außenraum wird damit ein Zentrum der Innenreflexion installiert, das die agonale Wiederholungsschleife nicht nur formal beendet, sondern die Tugenden aus hierarchisierenden Wettkämpfen in eine Anordnung der Koordination überführt. Zugleich wird der serielle Puls der Wettkampfbeschreibung stabilisiert: Zwar boten die Kämpfe für das Selbst schon zuvor ein Beobachtungsfeld,6 doch erst der Sieg der Tugenden verleiht ihm eine Imaginationsarchitektur der Dauer (V. 728–887).7

Betrachtet Prudentius also Verwirrung und Ordnungsstörung als zentrale anthropologische Herausforderung, so führt die Psychomachia dagegen scharfe Abgrenzungen ins Feld, die bestimmen und sichern. Sie führen nicht nur zu extremer Reduktion und Schematik in der Zweikampfdarstellung und zu ›monströser‹ Überzeichnung von Lastern,8 sondern prägen ebenso den Verlauf der Kämpfe und schließlich die Überwindung des Kampfzustandes. Der Preis solcher Abgrenzungen ist Gewalt. Bis zum Risiko paradoxer Verwicklungen von Tugenden und Lastern steigern sich die Aggressionen zu drastischen Bildern von eigener Intensität:9 Glaube quetscht dem Vielgötterglauben mit Fußtritten die Augen aus dem Kopf (V. 32f.); Demut streckt triumphierend das blutüberströmte Haupt des Hochmuts empor, das obendrein von der Hoffnung verhöhnt wird (V. 282–287); Nüchternheit zerschmettert mit einem Stein den Kiefer des Genusses, der die Splitter qualvoll hervorwürgt (V. 421–426). Ziel des literarischen Seelenkampfes ist somit nicht nur, das Selbst des Menschen als ordnungsbedürftigen Raum präsent zu machen. Agonale Reizreden und hyperbolische Bilder zielen vielmehr darüber hinaus, eine Ordnung gewaltsamer Abgrenzung mit aller Intentisität vor Augen zu stellen.10

Doch offenbaren zentrale Begriffe und Metaphern zugleich, wie riskant diese Imaginationsstrategie angelegt ist. Abgrenzungen erweisen sich als instabil und dynamisch, wenn etwa das Herz wechselweise als gefangenes Organ (Praefatio, V. 14; V. 10, 514), als Waffe gegen die affektiven Verstrickungen des Körpers (V. 52) oder als Haus (casa, domus) angesprochen wird, in dem der Kampf zu führen (V. 62, 68) und das schließlich als Tempel zu weihen ist (V. 843f.). So wichtig die Verräumlichung des kriegerischen Schauplatzes für die Psychomachia ist, so variabel scheint dieser konfiguriert, wenn nicht nur der Körper, sondern ebenso das Herz als Kerker bezeichnet wird. Nacheinander greift Prudentius zu Innenraummetaphern (Kerker) und Außenraummetaphern (campus des Krieges, castrum der Tugenden etc.) und hält dadurch die anthropologische Orientierung der Allegorie offen. Wird verwirrte Ordnung eingangs als Kernproblem ausgerufen, so liefert die Psychomachia keine scharf gezogene, stabile Ordnung von Begriffen des Körpers, des Geistes und des Herzens.11 Wie wird die Ordnung des Selbst dann aber hergestellt? Ich setze dafür nochmals bei der dreigliedrigen Textstruktur an, die (1.) Vorrede und Eingangsgebet, (2.) Kampfbeschreibung von Tugenden und Lastern und (3.) das Schlussgebet zyklisch miteinander verbindet. Ihr korrespondiert ein dreischrittiges Erzählverfahren, das zweimal die Grenze zwischen Innen und Außen des Menschen kreuzt und beide Seiten bearbeitet:

(1.) Bearbeitung des Innenraums. Die Vorrede verortet zunächst den Konflikt detailliert innerhalb des Menschen, indem sie den Blick von zeitlich früheren, äußeren Kriegen nach innen lenkt: Abraham habe vorbildlich gezeigt, wie gegen die weltlichen Völker zu kämpfen sei (V. 9); an ihm solle ein kriegerischer Geist (bellicosus spiritus) sich im Kampf gegen die Monster orientieren, denen das Herz diene (Praefatio, V. 13f.). Auch Loth liefert ein Exempel der Befreiung aus sklavischer Kriegsgefangenschaft (V. 15–49). Die figura (V. 50) solcher Vorbilder solle sich in unserem Leben widerspiegeln: Der Körper in all seinen Teilen sei aus der Fessel der Begierde zu befreien, damit Christus in das ›kleine Haus des schamhaften Herzens‹ eintreten könne (Praefatio, V. 62: paruam pudici cordis intrabit casam). Zweifach betont auch das Eingangsgebet den Körper als Schauplatz dieses Kampfes: Die Sünden seien mit bewaffnetem Geist (mens armata) »aus der Tiefe unserer Brust« (V. 6: nostri de pectoris antro) zu vertreiben; als »guter Führer« werde Christus »im besetzten Körper« (V. 14: obsesso in corpore) mit Schwadronen (turmas) gegen die Entehrung des Herzens kämpfen und siegen. Typologische Vor-Bilder des Kampfes verlagert Prudentius somit zunächst in Körper und Herz des Menschen hinein, die zu umkämpften Orten werden.

(2.) Bearbeitung des Außenraums. Der narrative Hauptteil des Textes projiziert diesen Kampf über vier Etappen in den Außenraum. Unvermittelt erzählt er eine Serie von drei Duellen, deren Ort zunächst unbestimmt bleibt, da äußere oder innere Referenzen fehlen. Als vier weitere Kampfbegegnungen das Szenario vom Duell zu Gruppenkämpfen ausweiten, treten solche Referenzen hinzu, womit sich ein Außenraum abzeichnet: Der Überblick fällt auf einen ausgedehnten Kampfplatz (vgl. V. 260f.: belli / planitiem; vgl. V. 637: campus) mit Fallgruben und Reihen verschiedener Reiterschwadronen (V. 109–112, 178–182, 195, 241), die sich gegenseitig beobachten und bekämpfen. Bezüge auf das ›Haus‹ des Körpers / Herzens unterbleiben weitgehend (V. 217–219) und kehren sich geradezu um, wenn die Laster im »Kerker« ihrer Körper zugrunde gehen (V. 595). Nach anfänglicher Einlagerung stülpt sich der Kampf damit metaphorisch nach Außen,12 indem die Erzählform staffelartig Tugenden als Formationen aufreiten lässt und verräumlicht.

Die letzten Gruppenkämpfe dehnen diese äußere Raumordnung maximal aus. Auf der einen Seite schwingt sich Demut nach ihrem Sieg zum Himmel, während die anderen Tugenden weitere bella […] terrena ausfechten (V. 305–309). Auf der anderen Seite unterwirft Geiz alle Völker der Welt (V. 480f.: per populos […] uictrix / orbis): »was ganze Zeitalter erstreben, die Unruhe der Welt und rasende Geschäftigkeit, geht auf uns zurück«.13 Das Schlachtfeld greift am Ende auf kosmische Dimensionen (caelum, mundus; vgl. auch V. 587) aus.

Mit dem Schlussbild des Feldlagers (castrum) greift Prudentius Stichworte14 des römischen Militärwesens auf, um den äußeren Kampfraum nochmals zu variieren. Auf einem Hügel in der Mitte des Lagers, von wo aus der Blick weit über das Land gleitet, errichten die Tugenden einen Friedenstempel und weihen ihn der Eintracht:

[…] scissura domestica turbat

rem populi, titubatque foris, quod dissidet intus.

ergo cauete, uiri, ne sit sententia discors

sensibus in nostris […]15

(V. 756–759)

Innere Ordnung des Selbst wird nach platonischem Vorbild somit auf politische Ordnung übersetzt, die Außen-innen-Differenz des Menschen (foris /intus) zur Frage der öffentlichen Ordnung (res populi) erhoben. Dass diese Ermahnung sich statt an die Tugenden mit größtenteils weiblichem Genus an unbestimmte uiri richtet, unterstreicht an dieser Stelle den externalen Übertragungsanspruch der Psychomachia zusätzlich.

(3.) Rückbindung an den Innenraum. Der Text bleibt bei diesem Schritt der Externalisierung nicht stehen. Denn mit einem Appell an politische Eintracht wendet sich die Ansprache der fides zurück an das Herz: Gott nehme niemandes Gabe an, der insgeheim in unruhigem Herzen seinen Nächsten hasse (inpacati sub pectoris […] antro, V. 772–774). Auch die Beschreibung der Tempelausstattung sucht den Geist nun explizit zurück zum Herz lenken (V. 841: uocat in praecordia sensus). Das Schlussgebet (ab V. 888) schließt den Kreis noch weiter, indem es zur Anthropologie des inneren Widerstreits zurückkehrt. Wie zu Beginn erinnert Prudentius an die Kontamination des Herzens mit Lastern (V. 890: nam cor uitiorum stercore sordet) und fleht die Hilfe Christi für den inneren Kampf herbei. Die narrative Imagination von Sieg und Ordnung, so extrem sie durchgesetzt scheinen, wird damit schließlich auf Streit und Unordnung zurückgestellt, der Außen- in den Innenraum zurückgenommen.

Ergebnis dieses Dreischritts von Internalisierung, Externalisierung und Re-Internalisierung ist eine anthropologische Ordnung, die Selbst- und Fremdreferenz in einer dynamischen Pendelbewegung koordiniert. Die Natur des Menschen wird dadurch keineswegs dauerhaft vereinfacht oder konzeptuell gezähmt, im Gegenteil: die duplex substantia (V. 909) des Menschen wird im Widerstreit umso intensiver erfahrbar. Wenn diese Ordnung vom Herzen / Körper zur Welt umschlägt, knüpft die Erzählung jedoch korrespondierende Bezüge, die das innere Haus mit dem äußeren Heereslager und schließlich mit sozialer Ordnung überhaupt (domestica) metaphorisch verbinden. Ordnung sucht Prudentius damit weniger durch ein bloßes Reduktionsverfahren als vielmehr durch ein dynamisches Wechselspiel von Vereinfachung und Rückkopplung. In dieser Perspektive müssen Unbestimmtheiten und Umkehrungen (von zentralen Begriffen wie Herz und Kerker bis zur Gewaltdarstellung) weniger als Begriffsschwächen, Inkonsistenzen oder gar Widersprüche erscheinen – sie befördern vielmehr die Bewegung dieser Übertragungsverhältnisse. Spannung wird dadurch nicht gelöst, sondern im wörtlichen Sinne ausgetragen: Nicht auf normative Verinnerlichung zielt eine solche Form des Wettkampferzählens, sondern auf Rückkopplung individuell empfundener Unbestimmtheit an äußere Rahmen der (politischen und religiösen) Bestimmung.

Aufräumen und Ausräumen: Kampf-Allegorien gegen den latenten Streit. Wenn der Mensch damit als Schnittstelle von interner und kosmischer Widerspruchsordnung inszeniert wird,16 so zielt diese Inszenierung letztlich jedoch nicht auf unendlichen Kampf, sondern auf Stabilität. Daher mündet die Psychomachia, trotz aller transgressiven Gewalt, in einer Begrenzungsszene des Wettkampfs. In den Worten der Concordia klingt dies als explizites theologisches Programm an: pax belli exacti pretium est pretiumque pericli / […] / nil placitum sine pace deo (V. 770–772) – »Friede ist der Lohn des vollendeten Krieges und der Gefahr« und »nichts erfreut Gott ohne Friede«. Kampf wird damit zwar zur notwendigen Bedingung für Frieden erhoben, aber eben nur zur Durchgangsform, die zu überwinden ist.17 Wie der Text durchgehend unterstreicht, ist Krieg gleichwohl unverzichtbar, um die verworrene Form des Menschen zu ordnen;18 effektiver als auf dem Schlachtfeld poetischer Imagination lässt sich das innere Haus kaum aufräumen. Aus diesem zugleich verstärkten und begrenzten Streitverständnis resultiert an vielen Stellen der Psychomachia eine ambivalente Einschätzung des strukturellen Inneren. Wird die Sichtbarkeit des anthropologischen Konflikts auf der einen Seite bekräftigt, so gilt Verborgenes auf der anderen Seite als verdächtig: Heimlicher Zorn befördere Irrlehren (V. 759f.), so mahnt Concordia nach der vereitelten Intrige der Zwietracht; wer sich an Gott wende, während er Zorn und Hass in sich verborgen trage, gleiche dem Wolf im Schafsfell, der wie die Häretiker Photinus und Arianus grausamen Schaden anrichte. Da Verborgenes grundsätzlich zur Ordnungsstörung neige, verbinden sich Gefährdungen häufig mit Bezeichnungen von Latenz (gehäuft etwa V. 791: latere; V. 794: occultare, V. 797: furtiua manus). Bis zum Schlussgebet warnt der Text vor versteckten Gefahren (V. 891) in der Dunkelheit des Herzens (V. 893, 906).

Wo also liegt der Schauplatz des Kampfes, welche Raumordnung intendiert der Text? Während die ältere Forschung die Psychomachia vorrangig als Gestaltung eines ›inneren Kampfes‹ (bellum intestinum) las, hat erst die jüngere Forschung deren diffizile Raumordnung wahrgenommen. So plädierte etwa Katharina Philipowski dafür, statt nach Disjunktionen zwischen Innen und Außen eher nach der Form ihrer Verbindung zu fragen: In letzter Konsequenz entwerfe die allegorische Konstruktion weder Innen- noch Außenräume, sondern einen »utopischen Raum der bereits vollzogenen Aufhebung der Spaltung zwischen Körper und Seele«.19 Aber verstärkt die Inszenierung von Tugend- und Lasterkämpfen nicht geradezu extreme Spaltungen? Und steigern die Gewaltbilder der Kämpfe nicht vielmehr Ordnungsprobleme von Körperlichkeit, statt diese utopisch zu überwinden? Hält man sich an die Transformationsschritte, die Vorrede und Eingangsgebet, Narration und Schlussgebet vollziehen, zeigt sich eher ein dynamisches Raumverfahren: Innen wird veräußerlicht und wieder verinnerlicht. Ihre Differenz wird dadurch weder aufgehoben noch utopisch entgrenzt, sondern mehrfach hin- und hergelagert. Veräußerlichung wird dabei als imaginativer Bestimmungsmodus zur Ordnung eines Konflikts beschrieben, der auf der Innenseite verworren – latent – weiterläuft.

Die zentrale Projektionsform, um Latenz auszuräumen, liefert für Prudentius die Allegorie.20 Denn sie ermöglicht zum einen, verschachtelte Differenzverhältnisse auszufalten: Neigen Körper und Geist im Inneren des Menschen dazu, Ordnung zu verwirren, veräußert die allegorische Figuration von Tugenden und Lastern ihre Differenz zu krasser Opposition auf dem Kampffeld. Die schematische Konfrontation der Psychomachia reagiert so gesehen auf einen Ordnungsbedarf, der Latenz externalisiert und damit ausräumt. Zum anderen führen Allegorien strukturell stets weiter über sich hinaus,21 indem sie etwa zu weiteren Zeichenkomplexen überleiten oder generell zum Wechsel zwischen Signifikanten und Signifikaten einladen. Wenn Prudentius von Anfang an den Kampf der Seele auf alttestamentarische Vorbilder wie Abraham, Loth und Melchisedech bezieht, öffnen sich weitere ›Wege‹ (Praefatio, V. 1: credendi uia) und ›Strecken‹ (Praefatio, V. 50: praenotata est linea), über die verräumlichte Differenz zugleich typologische Zeitbezüge schlagen kann. Konsequent berufen sich die Tugenden nach jedem Sieg auf biblische Exempel. Allegorien produzieren dadurch Meta-Allegorien:22 Sie führen nicht nur heilsgeschichtlich über sich hinaus, sondern wenden sich mit moralisch-adhortativer Rede an den Rezipienten. Die Erzählung vom inneren Streit potenziert damit Auslagerungen in räumliche, zeitliche wie auch kommunikative Dimensionen.

Die Pendelbewegungen von Innen nach Außen und zurück, die das Raumprogramm der Psychomachia bestimmen, finden somit im Erzählverfahren der fortgesetzten Allegorisierung ihre formale Entsprechung. Sie zielen darauf, Unordnung zu Unterscheidungen zu stabilisieren, ohne den Unruhegrund auszulöschen, von der die Anthropologie der Rahmenpartien spricht. Unsichtbarkeit und Unzugänglichkeit im Menschen sollen zwar verstärkt sichtbar werden (durch allegorische Figurationen und bildliche Intensivierung), indem sie gezielt aus der Einschlussform herausgeholt werden, die den Menschen bezeichnet – gänzlich ausräumen lassen sie sich nicht. Zentrale Transformationsleistung der Psychomachia ist, diese Spannung zwischen latenter Unordnung und transzendentem Ordnungsverlangen als Selbstverhältnis zu imaginieren.

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