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1.5 Die doppelte Form des Wettkampfs

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Welche kulturtheoretischen Einsichten lassen sich daraus gewinnen? Die Frage verführt zum begriffsgeschichtlichen Sprung. Etwas als kulturell zu begreifen, heißt spätestens seit dem 18. Jahrhundert explizit, stets mehr als nur eine Perspektive, mehr als nur einen Wertungsmaßstab, mehr als nur eine Ordnung in Rechnung zu stellen, sobald es zu vergleichen gilt.1 Kulturbegriffe verweisen so gesehen auf Beschreibungspraktiken der ›Verdopplung‹,2 deren Komplexität rasant wächst, seitdem der Buchdruck die Speichermedien für Vergleiche revolutionär erweitert.3 Wettkampf ist für diese Vergleichspraxis besonders produktiv, weil widerstreitende Formen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich konkurrierende Perspektiven, Wertungen und Ordnungen in ihrer Verschiedenheit entdecken: »Der Widerstreit macht Beobachter beobachtbar«, wie Dirk Baecker systemtheoretisch zuspitzt,4 woraus moderne Kulturtheorien den Schluss ziehen, die »Kontingenz«5 von Lebensformen und symbolischen Ordnungen in den Mittelpunkt zu stellen.

Freilich: Erst die Neuzeit bringt dies auf solche Begriffe. Doch lassen sich Kulturperspektiven der Kontingenz bereits in frühesten Fällen volkssprachlicher Verschriftung im Mittelalter greifen, die neue, besonders irritationsfreudige Stufen für Vergleiche eröffnen.6 Das Hildebrandslied exponiert solche Kontingenz, indem es innerhalb weniger Verse Alternativen aufwirft, die sich nicht herunterkürzen lassen – selbst dann nicht, wenn man weiß, wer Recht oder welche Vorgeschichten hat, welche Kampfentscheidung stoffverwandte Texte favorisieren.7 Diese Wirkung wird zum einen von der Form des Dialogs getragen, der sich eben nicht normativ auf Einheit des Verstehens oder das Kommunikationsziel der Verständigung reduzieren lässt.8 Das verstärkt das Hildebrandslied zum anderen, indem beide Reden gezielt inkommensurabel werden. So hat etwa Hartmut Bleumer gezeigt, dass Ordnungskonkurrenz bis in die unterschiedlichen Erzählweisen und Auffassungen über Zeichen hineinstrahlt, die Hildebrand und Hadubrand trennen.9 Uta Störmer-Caysa hat ergänzt, dass auch in zeitlicher Hinsicht keinesfalls von einem »Kontinuum«, sondern allenfalls von »unterschiedliche[n] Blickpunkte[n]« zu sprechen ist, deren Wissenshorizonte bis zuletzt unverbunden bleiben.10 Höfische Zweikämpfe bahnen hier konvergentere Lösungen, die Figuren und Handlungswelten verbinden, wie Harald Haferland und Udo Friedrich in grundlegenden Studien unterstrichen haben:11 Für Zweikämpfer des Artusromans wäre es eine gâbe grôz zu wissen, wer der ander wære, so wird Hartmann programmatisch im Iwein formulieren.12 Das Hildebrandslied aber verzichtet auf solche Konvergenz. Statt eines Waffengangs oder heroischer Aristien kostet das Fragment aus, wie ein Dialog zwei Anordnungsmöglichkeiten des Kampfes – Täuschungskalküle und Kampf vor Gott – miteinander konfrontiert und für einen Moment in der Schwebe hält. Kulturperspektiven eröffnet das Hildebrandslied also nicht dadurch, dass zwei Figuren nach heroischen Regeln planvoll aneinander vorbeireden, sondern indem davon in doppelter Weise erzählt wird. Infrage gestellt wird damit zwar keineswegs die grundsätzliche Lösbarkeit des Konflikts, wohl aber die einfache Rahmbarkeit von Differenz.

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