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3 Unterlaufene Wettkämpfe: Zum Iwein Hartmanns von Aue

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Nicht nur didaktische Texte wie Thomasins Welscher Gast beschäftigt die Frage, wie sich Identität mittels Kampf verstetigen und gleichzeitig dynamisieren lässt. Auch fiktionale Artusromane kultivieren seit dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts das Erzählen vom Kampf als komplexe Form von Inkorporierungsvorgängen, welche ihre normativen Dispositionen nicht nur verfestigen und einüben, sondern gleichzeitig – und mitunter sogar gegenläufig – deren Irritierbarkeit verstärken. Im Blick auf die ersten deutschsprachigen Adaptationen der Gattung galt das Forschungsinteresse jedoch lange Zeit den sozialen Normen und ethischen Perfektionsansprüchen von Zielzuständen, zwischen denen Krisen und Bewährungswege der ritterlichen Protagonisten allenfalls vermitteln. Während der Erec-Roman in diesem Sinne als Problemgeschichte sozialer Trägheit gelesen wurde, die ihren Tiefpunkt im verligen des Herrschers findet, galt der Iwein als komplementäre Kritik pflichtvergessener Rastlosigkeit, die zum versitzen im Sattel führe:1 Nachdem der Held durch aggressives Zweikampfverhalten âne zuht (V. 1056)2 und exzessive Turnierfahrten das Ideal ritterlicher Kontrolle bis in den Wahnsinn überschreitet, finde Iwein erst über den mühevollen Weg selbstloser Hilfstaten zurück in die höfische Gesellschaft – und damit zu einem maßvollen Habitus von Mitleid und Schonung, der Ehre und Minne kontrolliert ausbalanciere.3 Streit galt in dieser Perspektive als dysfunktional, während man den ritualisierten ritterlichen Kampf als Mittel der Konfliktlösung, Pazifizierung und Integration betrachtete.4

Diese Leitvorstellung höfischer Selbstkontrolle und Befriedung hatte Bruno Quast grundsätzlicher Kritik unterzogen: Statt Wildheit und Gewalt auszuschalten, lerne Iwein vielmehr, Gewaltpotentiale über die liminale Phase eines sozialen Dramas (Victor Turner / Arnold van Gennep) zu inkorporieren; höfische Kultur, so Quast, nehme Gewalt damit in sich hinein.5 Auch über den Iwein-Roman hinaus hat die mediävistische Erzählforschung seitdem den Blick für zahlreiche Hybridisierungsprozesse von Identität und interne Gewaltpotentiale höfischer Kultur geschärft.6 Revidiert ist damit die ältere Gattungserwartung, die den Artusroman als affirmatives Instruktions- und Reflexionsmedium von Vorbildlichkeit verstand.7

Auch wenn normative Interpretamente fragwürdig geworden sind und die Forschung vom damit eng verknüpften Strukturmodell des ›Doppelwegs‹ abgerückt ist, wurden einige seiner Basisannahmen nicht ersetzt. Hierzu gehört zum einen das Prozessschema der Entwicklung: Was auch immer Erec und Iwein aus- oder einüben, erleiden oder reflektieren, so die Prämisse, es fügt sich – trotz punktueller Kontingenz der Ereignisverknüpfung für die Protagonisten – zu einem linear gerichteten Weg.8 Es braucht kaum betont zu werden: »Mittelalterliche Erzählung ist Zeitkunst, zum sukzessiven Hören bestimmt.«9 Auch der Artusroman kann auf sequentielle Handlungsabfolge nicht verzichten, seine narrative Informationsvergabe erfolgt im Nacheinander. Doch ebenso auffällig sind in Hartmanns Iwein Momente, die sich linearer Organisation sperren. Dies betrifft nicht bloß den vermeintlichen Lernprozess entlang des Doppelwegs, der für den Iwein zu Recht problematisiert wurde.10 Dies betrifft nicht nur den quasi-mythischen Raum des Quellenreichs, in dem Raum und Zeit eher zyklisch als linear erscheinen.11 Und es betrifft nicht nur Hartmanns Vorliebe, seine Figuren in Dilemmasituationen eher ›perplex‹ zu verstricken, als sie daraus wiederum zu lösen.12 Es betrifft – noch grundlegender – die Prozessförmigkeit der Erzählung überhaupt. So konfrontiert der Roman zum Beispiel mit einer Geschehensordnung, die zwar von Aufbruch und Rückkehr des Helden zum Artushof, von Rückzugs- und Reintegrationsbewegungen in die höfische Gesellschaft geprägt ist, dies jedoch kaum mit trennscharfer Phasenstruktur unterlegt, wie sie das Prozessschema fordert: Während etwa die Schwellenphase der Identitätsbildung unendlich gedehnt erscheint, fehlen andere Phasen gänzlich oder durchkreuzen die Abfolge im Nacheinander.13 Trotz seiner Hilfeleistungen für andere erscheint Iwein »kein aktiv Suchender oder ein Ziel Verfolgender« zu sein, wie Jan Mohr anmerkt, »Identität und Selbstbewusstsein« werden im Erzählprozess allenfalls »aggregativ aneinander[ge]fügt«.14 Selbst Iweins Löwe, Symbol des liminalen Übergangs und damit des Prozesscharakters schlechthin, wird zwar markant eingeführt, dann aber mit auffällig unscharfen Enden ausgeblendet. Hartmanns Iwein erscheint damit als Entwicklungsroman, der seine eigene Linearität staut, ja sogar vielfach durchkreuzt.

Eine zweite grundlegende Prämisse der Artusromanforschung hat Annette Gerok-Reiter darin ausgemacht, diese Entwicklungslogik auf Individualisierungsprozesse zu beziehen, genauer: auf die historische Genese von Subjekten, die sich im Zuge von Bewusstsein reflexiv entdecken.15 Im Horizont mittelalterlicher Anthropologie konstituiert sich Individualität durch Negationen, nämlich »primär über die Kategorien der Nicht-Identität, der Differenz, des Widerspruchs, des Gegensatzes, der Ab- und Ausgrenzung«.16 Mittelalterliche Erzählungen verorten soziale Identität daher zumeist innerhalb von Kollektiven (Inklusion), wohingegen individuelle Helden eher experimentell ausgekoppelt werden (Exklusion).17 Rationale Reflexion spielt dafür keine leitende Rolle: »Selbsterkenntnis führt somit keineswegs zwingend zur Entdeckung der unverwechselbaren, individuellen Persönlichkeit, sondern zunächst zur Entdeckung des Höchsten und Allgemeinsten in sich selbst.«18 Fragwürdig erscheint somit, die narrative Fokussierung des Artusromans auf zentrale Figuren als selbstbezügliche Bewusstseinsgewinne verbuchen zu wollen.19 Fruchtbarer sei stattdessen zu fragen, so Gerok-Reiter, welche »Konstitutionsbedingungen von Individualität in mittelhochdeutscher Epik« auserzählt werden, die »diesseits der Entwicklungslogik des modernen Subjekts« angesiedelt sind.20 Für Romane wie Hartmanns Iwein kann dies heißen, grundlegender nach narrativen Negationsmustern als Bedingung für individuale Figurenentwürfe zu suchen, ohne diese vorschnell auf Bewusstseinskonzepte von Reflexion, Einsicht oder Lernen zu beziehen.21 Zu diesen komplexitätssteigernden Negationsmustern gehört im Iwein nicht zuletzt die Erzählform des unterlaufenen Wettkampfs.

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