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Der politische Wagner: Ein Rückblick
ОглавлениеAn Richard Wagner selbst hätten die „Spartakuse“ womöglich ihre Freude gehabt, wenngleich keine ungeteilte. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49, an der er in Dresden führend teilgenommen hatte, propagierte der Komponist die „Erlösung in den Kommunismus“20 – auch wenn er den Begriff als Gegenbild zum gesellschaftlichen Egoismus verstand und die marxistische „Lehre der mathematisch gleichen Verteilung des Gutes und Erwerbes“ als sinn- und gedankenlos ablehnte.21 Ob Wagner nun Revolutionär oder Reformer, Sozialist oder Protofaschist war, ist noch immer höchst umstritten. Seine politische Haltung, sein politisches Wirken, seine Wandlungen und nicht zuletzt auch die politischen Aspekte in seinem Werk waren jedenfalls grundlegend für die Entwicklung der Bayreuther Festspiele. Wagner wuchs in eine Zeit hinein, die von Restauration und Biedermeier geprägt war und in der zugleich die beginnende Industrialisierung zu massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führte. Für den Heranwachsenden markiert die Pariser Julirevolution von 1830 einen entscheidenden Politisierungsschub: „[M]it einem Schlag wurde ich Revolutionär und gelangte zu der Überzeugung, jeder halbwegs strebsame Mensch dürfe sich ausschließlich nur mit Politik beschäftigen“.22 Die Verbindung von Kunst und Politik lag damals in der Luft. Beethoven hatte seine Eroica Napoleon zum Geschenk gemacht, zog aber die Widmung zurück, nachdem sich der Franzose zum Kaiser erhob. Er vertonte zudem Schillers Ode an die Freude – und die intendierte politische Freiheit zog die künstlerische Freiheit nach sich, das Wort von der Musik zu emanzipieren, wie es der Komponist in seiner 9. Symphonie mit der Verwendung mehrerer Strophen als Chorgesang im letzten Satz dann tat. Für Wagners Kunst sollte dies zu einem Glaubenssatz werden. Während sein philosophischer Lehrmeister Schopenhauer, übrigens ein ausgewiesener Verächter der Tonkunst, ganz im Sinne der politisch-antipolitischen Romantik die Ansicht vertrat, der Musiker spreche die höchste Weisheit in einer Sprache aus, die seine Vernunft nicht verstehe, musste die Musik nach dem Verständnis von Wagner dramatisch und mit dem Wort verbunden sein, denn im Gegensatz zum Dichter könne der Musiker „nur Stimmungen, Gefühle, Leidenschaften und deren Gegensätze, nicht aber irgendwie politische Verhältnisse ausdrücken“.23
Erhebliches Gespür für die Bewegungen seiner Zeit wird schon beim 21-jährigen Wagner deutlich, der sich wortstark über die „altdeutsch schwarzgerockten Demagogen“ und die „deutschtümelnden Musikkenner“ zu mokieren weiß – schon auf der ersten Seite des frühesten Prosatextes findet sich eine Parallelisierung von politischen und künstlerischen Gesichtspunkten.24 Jener Text, betitelt Die deutsche Oper, erschien 1834. Im gleichen Jahr wurde Heinrich Laube (1806–1884) wegen seiner Begeisterung für die Julirevolution aus Sachsen ausgewiesen. Der Wortführer des Jungen Deutschlands übte bedeutenden Einfluss auf Wagner aus.25 Viele seiner Positionen haben ihren Ursprung im Denken dieser literarisch-politischen Bewegung des Vormärz, etwa die Ablehnung der alten ständischen wie auch der sich herausbildenden bürgerlichen Ordnung, die scharfe Kritik am „Übermut einer Kultur, welche den menschlichen Geist nur als Dampfkraft der Maschine verwendet“26 und ein regelrechter „Ekel vor der modernen Welt“27. Laube gehörte zu den Linkshegelianern, und Wagner folgte ihm darin. Bis ans Ende seines Lebens, stellt Udo Bermbach fest, habe der Komponist nicht verleugnet, woher sein gesellschaftstheoretisches Denken stammte, „so wenig wie die Tatsache, dass seine Vorstellungen von Politik und politischer Organisation sich dem radikaldemokratischen Diskurs des deutschen Vormärz verdankten“.28 Das Spannungsverhältnis zwischen einem als unpolitisch verstandenen Patriotismus und scharfer Gesellschaftskritik bildet sich bei Wagner in seinen Pariser Jahren 1839 bis 1842 sowie in der folgenden Zeit als Hofkapellmeister in Dresden heraus. In Paris wurde er mit dem Gedankengut der französischen Frühsozialisten vertraut, vor allem Saint-Simon, Proudhon und Fourier. Sein deutscher Patriotismus wiederum sei entstanden, „als die Pariser Weltluft mich mit immer eisigerer Kälte anwehte“.29 Die Fremdheit in der französischen Metropole verstärkte ein Heimatgefühl, dessen politische Bedeutung in der Hinwendung zur Vergangenheit lag. Die deutsche Begeisterung für das Mittelalter, so Herfried Münkler, sei im 19. Jahrhundert als Antwort auf den französischen Revolutionsmythos entstanden: Das Mittelalter sei dabei zugleich romantisiert wie germanisiert worden, um den Mythos nicht mit dem ungeliebten Nachbarn teilen zu müssen.30
Die vermeintliche Weltflucht verband sich im Denken Wagners mit einem Frontalangriff auf die Gesellschaftsstrukturen seiner Zeit. Seine Welt, schrieb er, werde „eben genau da erst eintreten, wo die gegenwärtige aufhörte; oder da, wo Politiker und Sozialisten zu Ende wären, würden wir anfangen“.31 Auch in Wagners Operntexten aus jener Zeit spiegeln sich seine „utopischen Visionen zum Verhältnis von Politik, Gesellschaft und Kunst“ (Udo Bermbach)32. In den politischen Schriften ging er mit dem Postulat der sozialen Gleichheit deutlich über die Saint-Simonisten und Fourieristen hinaus.33 Wagners Ausgangspunkt ist dabei stets die Kunst, der er die entscheidende gesellschaftliche Hebelwirkung zuschreibt. In Oper und Drama setzt er die Verfallsgeschichte von Oper und Gesellschaft kurzerhand gleich.34 Und in der Mitteilung an meine Freunde heißt es: „Auf dem Wege des Nachsinnens über die Möglichkeit einer gründlichen Änderung unserer Theaterverhältnisse, ward ich ganz von selbst auf die volle Erkenntnis der Nichtswürdigkeit der politischen und sozialen Zustände hingetrieben, die aus sich gerade keine anderen öffentlichen Kunstzustände bedingen konnten, als eben die von mir angegriffenen.“35 Die Veränderung der Gesellschaft scheint für ihn umgekehrt nur insofern von Belang zu sein, als er sich davon die Reform der Kultur versprach. Mit dieser radikalen Präferenz nahm Wagner im Spektrum der freiheitlichen deutschen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle ein. Er habe zwar an die „Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit“ der Revolution geglaubt, wird er später festhalten. Doch habe es ihm ferngelegen, „das Neue zu bezeichnen, was auf den Trümmern einer lügenhaften Welt als neue politische Ordnung erwachsen sollte“. Begeistert habe er sich vielmehr gefühlt, „das Kunstwerk zu zeichnen, welches auf den Trümmern einer lügenhaften Kunst erstehen sollte“.36
In seiner utopischen Vorstellung wollte Wagner die Kunst am liebsten ganz an die Stelle von Politik setzen.37 Sein anarchistisches Modell sah statt festen Institutionen lose Netzwerke und Bürgerinitiativen vor. „Kunstgenossenschaft en“ sollten den Kern der künftigen Gesellschaft bilden. In Die Kunst und die Revolution heißt es: „Die Kunst und ihre Institute (…) können somit die Vorläufer und Muster aller künftiger Gemeindeinstitutionen werden: der Geist, der eine künstlerische Körperschaft zur Erreichung ihres wahren Zweckes verbindet, würde sich in jeder anderen gesellschaftlichen Vereinigung wiedergewinnen lassen, die sich einem bestimmten menschenwürdigen Zweck stellt“.38 Die Kunst also als Übermutter der Politik, der Künstler als ihr Übervater, so Hans Mayer: „Die Revolution ist seine Revolution. Gewiss geht es auch ihm um die deutsche Einheit, um neue Verfassungsformen: aber vor allem geht es ihm doch um die Verwirklichung seiner künstlerischen Projekte mit Hilfe der Revolution.“39 Mayers Urteil ist indes nicht uneingeschränkt zuzustimmen, da ihm das praktische Verhalten des Komponisten entgegensteht. So ist etwa in Wagners Rede Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königtum gegenüber? im Juni 1848 im Dresdner Vaterlandverein von Kunst mit keinem Wort die Rede. Er greift den Adel heftig an und stellt klare politische Forderungen: Abschaffung der Ersten Kammer, Wahlrecht für alle Männer und Frauen sowie allgemeine Volksbewafnnung.40 Wagner warnt vor dem Tag, „wo die gewaltsam verhöhnte Natur zu einem rohen Kampfe sich ermannt, dessen wildes Siegesgeschrei wirklich jener Kommunismus wäre“. (…) Glaubt ihr, ich drohe? Nein, ich warne!“ Vor allem aber wartet der Hofkapellmeister hier mit der eigentümlichen Forderung auf, der König solle „der erste und allerechteste Republikaner sein“. Die Vorstellung, Republik und Monarchie seien vereinbar, war für den deutschen Liberalismus der Zeit zwar nicht eben untypisch.41 Politisch verquer war sie dennoch, und dass der Komponist den republikanischen Monarchen als „Mann der Vorsehung“ pries, hat einem Wagnerianer wie Hitler gut gefallen.
Von seinen rein politischen Aktivitäten wollte der Komponist später nichts mehr wissen. In Mein Leben schilderte er lakonisch, der Vaterlandsverein habe einen Ausschuss gegründet, der einen Entwurf zur Volksbewaffnung erarbeiten sollte. Er habe sich daran lediglich „als Kunstfreund“ beteiligt.42 Ebenso wusste der Komponist seine Rolle in der Dresdner Mairevolution von 1849 herunterzuspielen. Wagner war wohl auch in der Umsturzpraxis viel entschlossener als angenommen, was seine gern als metaphorisch abgetane Äußerungen über „Terrorismus“ in einem anderen Licht erscheinen lässt. Nie widerlegt wurde die Aussage eines Dresdner Gelbgießers, der Kapellmeister habe eine Anzahl Handgranaten bei ihm bestellt und ihn nach Fertigstellung beauftragt, sie mit Sprengstoff zu füllen.43 Wagners Ruf als Mann der Tat hatte sich jedenfalls in ganz Europa herumgesprochen. Als er im Herbst 1849 kurzzeitig nach Paris floh, fragte ihn Meyerbeer prompt: „Wollen Sie Partituren für die Barrikaden schreiben?“ 44
Flucht und Exil bilden zunächst eine scharfe Zäsur im Leben Richard Wagners, deren praktische und mentale Folgen auf keinen Fall zu unterschätzen sind. Mehr als ein Jahrzehnt lang darf der anfangs steckbrieflich gesuchte Künstler deutschen Boden nicht betreten. Während Revolutionskameraden wie August Röckel in die Festungshaft gehen, weicht Wagner in die Schweiz aus. Erst im Juli 1860 erreicht er nach wiederholten Anfragen und diplomatischen Bemühungen eine Teilamnestie, Wagner muss in Deutschland – mit Ausnahme Sachsens – nicht länger die Verhaftung fürchten. Das Exil löste in Wagner auf der einen Seite einen weiteren Politisierungs- und Ideologisierungsschub aus. Im August schrieb er: „Wenn ich zu etwas komme, geschieht es nur durch Terrorismus“.45 Auf der anderen Seite sublimierte der revolutionäre Feuerkopf seine politischen Prägungen und distanzierte sich von ihnen: „Nie hatte ich mich eigentlich mit Politik beschäftigt“, schrieb er in der 1851 veröffentlichten Mitteilung an meine Freunde.46 Das war selbstverständlich eine Form von Camouflage. Schon die Wahl des Exilortes Zürich, dem der Komponist den Vorzug vor den europäischen Musikmetropolen gab, war eine „eindeutige Option, vor allem eine politisch motivierte“ (Udo Bermbach)47. Denn dort fand er jene Freunde wieder, denen er sich „nicht nur persönlich, sondern auch in politischen und ästhetischen Fragen verbunden fühlte“. Die Kunst des Dichters, heißt es in Wagners wichtigster, gleichfalls 1851 erschienenen Schrift Oper und Drama, sei „zur Politik geworden: Keiner kann dichten, ohne zu politisieren.“ 48 Der Autor selbst machte davon nicht nur in seinen musikalischen Werken Gebrauch, sondern auch in den musiktheoretischen Schriften. In Oper und Drama schreibt er weiter: „Seit dem Bestehen des politischen Staates geschieht kein Schritt in der Geschichte, der, möge er selbst mit noch so entschiedener Absicht auf seine Befestigung gerichtet sein, nicht zu seinem Untergange hinleite. (…) Der politische Staat lebt einzig von den Lastern der Gesellschaft, deren Tugenden ihr einzig von der menschlichen Individualität zugeführt werden.“ Zur gleichen Zeit, als Wagner dies niederschrieb, machte der Musiker und „alte rote Republikaner“ Hans von Bülow (1830–1894), wie er sich selbst nannte, in linksradikalen Zeitungen Werbung für ihn und schenkte Ferdinand Lassalle die frischgedruckte Ausgabe der Nibelungen-Dichtung mit rotem Einband.49 So war es kein Wunder, dass das nachrevolutionäre Bürgertum in Deutschland dem exilierten Musiker skeptisch gegenüberstand. Als 1855 in München Tannhäuser aufgeführt wurde, erhob sich lautstarker Protest gegen den Sozialdemokraten und roten Revolutionär Wagner.50
Als der heimatvertriebene Künstler 1864 von König Ludwig II. nach München eingeladen wird und sein „goldenes Zeitalter“ (Eduard Hanslick)51 anbricht, begreift er zum ersten Mal, dass ihm der Staat nützlich sein kann, wenn die Machthaber der Kultur zugetan sind.52 In der Schrift Über Staat und Religion, verfasst auf Wunsch des Königs, gibt Wagner dem Staat erstmals eine positive Bedeutung. Sein positives Denken über die Monarchie hält dabei an, zugleich schimmert immer wieder auch das Revolutionäre durch. In der Schrift rechtfertigt er seine früheren politischen Aktivitäten wie folgt: „Was ich da suchte, war wirklich immer nur meine Kunst“. Demgegenüber habe er sich erst die eigentliche „Tendenz des Staates“ verdeutlichen müsse, die im Streben nach „Stabilität“ liege.53 Verbunden ist dies mit einem Lob des Monarchen, mit dem Wagner bereits in der Revolutionszeit für Irritationen gesorgt hatte: Es gebe in keinem Staate ein wichtigeres Gesetz, „als welches seine Stabilität an die erbliche höchste Gewalt einer besonderen, mit allen übrigen Geschlechtern nicht verbundenen und nicht sich vermischenden, Familie heftet“. Damit zeigte der Komponist eine gewisse Kontinuität des Denkens, verriet aber zugleich ein gerüttelt Maß an Opportunismus im Angesicht der geldgebenden Macht in der Person des bayerischen Königs. War Wagner in Dresden ohne echten politischen Einfluss geblieben, wurde er in München zum gewichtigen politischen Akteur.54 „Nun und nimmer wird das glatt abgehen, dass ein Künstler entscheidenden Einfluss auf das Gesamtleben des Staates bekommt“, hatte sein Freund Peter Cornelius vorausgeahnt.55 Wagner spielte sich zum Königsflüsterer auf und legte sich mit dem gesamten Kabinett an, vor allem mit Ministerpräsident von der Pfordten. Im Dezember 1865 musste Wagner München verlassen. Das Kabinett hatte mit kollektivem Rücktritt gedroht, sollte er bleiben.56 Wagners Enkel Franz Wilhelm Beidler (1901–1981) fasst zusammen, anfangs habe der Komponist gewiss nur seine Kunstpläne im Sinn gehabt, „und es wäre widersinnig anzunehmen, er sei mit der Absicht, in politische Dinge einzugreifen, nach Bayern gekommen. Aber einmal hängen allgemeine und Kunstpolitik enger zusammen, als man so oft zugeben will.“57
Bemerkenswerterweise behielt Wagner seinen Einfluss auf Ludwig II. auch nach dem erneuten Gang in die Schweiz aufrecht. Im Jahr 1866 spielte dies insbesondere im preußisch-österreichischen Konflikt eine Rolle. Wagners Verhältnis zu Preußen, dessen Truppen 1849 den Dresdner Aufstand niedergeschlagen hatten, war zwiegespalten. Der Komponist wandte sich entschieden gegen eine von Bismarck anvisierte kleindeutsche Lösung und warb für einen Nationalstaat unter Einschluss Österreichs.58 In diesem Sinne versuchte er auch, den bayerischen König zu beeinflussen. Wagner begeisterte sich für das 1865 erschienene Buch Die Wiederherstellung Deutschlands von Constantin Frantz (1817–1891) und empfahl es Ludwig II. zur Lektüre.59 Gegen die preußische Machtpolitik plädierte Frantz darin für ein dreigeteiltes, förderalistisches Deutschland. Auch für Wagner stand Preußen im Gegensatz zum deutschen Volksgeist.60 An den bayerischen Monarchen schrieb er noch am 29. April 1866 über Bismarck und König Wilhelm: „Mit welcher grauenhaften Frivolität hier mit den Schicksalen der edelsten, größten Nation der Erde gespielt wird: wie dort ein ehrgeiziger Junker seinen schwachsinnigen König auf das frechste betrügt und ihn ein unehrenwertes Spiel spielen lässt, vor dem, wenn er es erkännte, der rechtschaffende Monarch sich entsetzen würde“.61 Anfang Juni 1866 indes, kurz vor dem preußisch-österreichischen Waffengang, hat sich Wagners Ton deutlich gemildert, er verzichtet auf harsche Töne gegenüber dem künftigen Sieger. In seinem „politischen Programm“ für Ludwig II. deutete sich die veränderte Großwetterlage unüberhörbar an.62 Der Komponist hält Preußen und Österreich gleichermaßen vor, bundesbrüchig geworden zu sein. Von Bayern erwartete er hingegen die Suche nach einem politischen Ausweg. Wagner plädierte für einen erneuerten, militärisch aufgerüsteten Deutschen Bund als Gegengewicht gegen die beiden Mächte.
Am 20. Juni 1866 beginnt der deutsch-deutsche Krieg, Bayern zieht an der Seite Österreichs in die Schlacht gegen Preußen. Drei Tage später schreibt Wagner an seinen alten Barrikadennachbarn Röckel: „Freund! Willst und musst Du noch Politik treiben, so – halte Dich an Bismarck u. Preußen. Hilf Gott, ich weiß nichts andres.“ Doch glaubt Wagner noch an die Macht der Geschichte: „Deutschland kann kein zentralisierter Staat werden: grade die Preußen werden es erfahren, dass nur Föderalismus in Deutschland möglich ist.“63 Als Wagner dies schreibt, hatte Bismarck bereits versucht, ihn als Mittelsmann für die preußische Sache zu gewinnen.64 Schon zuvor gab es Versuche, Wagner für höhere politische Zwecke zu benutzen: Fürst Maximilian Karl von Thurn und Taxis wollte ein Königreich Rheinland-Westfalen mit seinem Sohn als Regenten schaffen. Wagner sollte den bayerischen König in diesem Sinne beeinflussen, lehnt das aber ab.65 Nun war der Komponist dazu ausersehen, Bayern auf die Seite Preußens zu ziehen. Mittelsmann war François Wille, ein Studienfreund Bismarcks. Doch Wagner behauptete, keinerlei politischen Einfluss auf Ludwig II. zu haben. Wenn er die Sprache auf Politik bringe, schaue der König immer in die Luft und pfeife.66
Der gescheiterte Einflussversuch hatte immerhin eine Langzeitwirkung. Wagner setzte sich noch während des Krieges, der am 3. Juli in der Schlacht bei Königgrätz entschieden wurde, dafür ein, dass der preußenfreundliche Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst bayerischer Ministerpräsident wird.67 Im Dezember 1866 folgte der König dem Rat.68 Am 24. Juli 1866 schrieb Wagner an Ludwig II.: „Während Deutschland politisch sich vielleicht in einen langen Winterschlaf unter preußischer Obhut begibt, bereiten Wir wohl und ruhig und still den edlen Herd, an welchem sich einst die deutsche Sonne wieder entzünden soll.“69 Bei anderer Gelegenheit riet er seinem königlichen Mäzen zu einer Aufrüstung gegen Frankreich, da ein „Kampf zwischen französischer Zivilisation und deutschem Geiste“ im Gange sei.70 Österreich war für Wagner als Machtfaktor offenbar vollkommen abgeschrieben. Nach Königgrätz ließ er mit Hans und Cosima von Bülow Bismarck hochleben, das borussisch euphorisierte Trio erkor „delenda Austria“ (Zerstört Österreich) zum Wahlspruch.71 Den deutsch-französischen Krieg von 1870 begrüßte der Komponist uneingeschränkt.72 Dieser sei „nur gemacht, um mir zu meinem Ziele zu verhelfen“.73 Gemeint war die Gründung der Festspiele und die Aufführung des Nibelungendramas. Wagner wollte Bismarck persönlich bitten, Paris zu vernichten.74 Nach dem deutschen Sieg gegen Frankreich verspottete Wagner die Unterlegenen nicht nur in dem erwähnten Gedicht An das deutsche Heer vor Paris. Das Bombardement auf die Stadt bereitete den Wagners wiederholt Genugtuung.75 Und die Anrufung des deutschen Gewissens durch Victor Hugo im November 1870 beantwortete der Komponist in einem reichlich geschmacklosen „Lustspiel in antiker Manier“, betitelt Eine Kapitulation, in dem er das hungernde Paris verhöhnte.76