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1876 und die Folgen

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Auch Kritiker, die Richard Wagner sonst wenig zugetan waren, erkannten 1876 seinen kompositorischen Rang und die außergewöhnliche Leistung an, die Festspiele ins Werk gesetzt zu haben.225 Damit verbunden war aber eine klare politische Stoßrichtung, die auch in den publizistischen Reaktionen zum Ausdruck kam. Es sei für die Zeitgenossen vollkommen natürlich gewesen, so Frederic Spotts, „den Erfolg von 1876 als kulturelles Gegenstück des militärischen und politischen Triumphes von 1871 anzusehen“.226 So zog etwa Franz Gehring in der Wiener Deutschen Zeitung eine Parallele zwischen dem Krieg, in dem der deutschen Sache Gerechtigkeit widerfahren sei, und dem Werk von Bayreuth, mit dem Wagner die verdiente Anerkennung bekommen habe. In beidem seien „Liebe und Opferwilligkeit“ erkennbar, schrieb er unmittelbar nach Eröffnung der Festspiele.227 „Sowohl die deutschen als auch die fremden Gäste müssen, selbst wenn sie Wagners Sache abhold sind, von Bayreuth wenigstens den einen Eindruck mitnehmen, dass nur deutsche Konsequenz und Festigkeit ein solches Riesenwerk vollenden und darstellen konnte. Hiermit ist zum ersten Male, seit von den Deutschen in der Weltgeschichte die Rede ist, diese Haupttugend derselben in das ästhetische Gebiet übertragen, und so hart und herbe dieselbe für die anderen Nationen auf sonstigen Gebieten des Lebens auch sein mag, hier muss sie ihnen idealisiert und in ihrem wahren Wesen milde verklärt erscheinen. In diesem Sinne ist es nunmehr wahr geworden, dass Wagners Sache von der deutschen nicht mehr zu trennen ist.“

Suspekt erschienen solche vordergründigen Politisierungen selbst entschiedenen Wagnerianern wie Plüddemann. Für ihn waren die Festspiele „ein großer Sieg, ja der entscheidende Sieg für Wagner und seine Idee des gesungenen Dramas“.228 Manch indifferentes Blatt habe sich zwischenzeitlich für Wagner erwärmt, auch manches gegnerische stehe plötzlich auf seiner Seite, schrieb er. „Diese Freundschaft ist allerdings teilweise nichts, wie die Anbetung des Erfolges: so wie die Deutschen plötzlich Bismarcks Freunde wurden, als seine Politik 70–71 ihren größten Erfolg errungen hatte; die Leute sagen sich, wenn ein einzelner Mann ohne erhebliche Unterstützung seiner Zeitgenossen, ja offenbar wider deren Willen etwas zustande bringt, was man bis dato für unmöglich gehalten hatte, so muss wohl etwas dahinterstecken“. Die Reserviertheit gegen kulturpolitische und ideologische Trittbrettfahrerei klingt auch in einer Notiz in der Gartenlaube an. Auf eine Zusendung antwortete die Redaktion des beliebten, der Politik eher fernstehenden Unterhaltungsblattes: „Gegen Ihre Bezeichnung der Richard Wagner’schen Musikaufführungen in Bayreuth als eines ‚nationalen Unternehmens‘ müssen wir entschiedene Verwahrung einlegen. Wenn auch Sie und andere der Welt weißmachen möchten, dass ein solches Prädikat hier am Platze sei, so wird doch jeder unbefangen Urteilende sich der Erkenntnis nicht verschließen können, dass die ‚Nation‘ den Bayreuther Aufführungen absolut fernsteht“.229 Einige Zeitungen schrieben hingegen auch negativ über die Festspiele. So berichtet Plüddemann, es falle auf, „dass die wirklich boshaften und bissigen Gegner sich fast auf das Feld der liberalen und sog[enannten] nationalliberalen Zeitungen beschränken; in den konservativen und frommen Blättern, ja in der ganz reaktionären, vielgeschmähten Kreuz-Zeitung habe ich nie diesen Ton ostensibler Feindseligkeit gefunden“. Selbst die liberalen und nationalliberalen Organe fingen jetzt an, „sich ebenfalls eines angemessenen Tones zu befleißigen“.230 Nur die ultramontanen, also katholischen Blätter hätten „ehrlich weitergeschimpft “, fährt Plüddemann fort und zitiert als Beleg eine bayerische Zeitung: „In Bayreuth werden jetzt die Orgien des Antichristentumes gefeiert; das ist so echt modern und gottlos, sich stundenlang bis zur sinnlosen Betäubung von der Musik und der Pracht der Szene berauschen zu lassen, wie es dort täglich geschieht“. Er nennt solche Stimmen ganz in Wagners Duktus „Vertreter des unechten, verjesuitisierten Christentums“. Für eine ultramontane Hetze gegen Bayreuth, wie sie Cosima in ihren Tagebüchern mehrmals andeutete, gibt es gleichwohl keinerlei Belege.231

Auf Widerspruch stießen die ersten Festspiele vielmehr seitens der evangelischen Kirche, die sich durch Wagners pseudoreligiöse Kunstideologie in ihrer weltanschaulichen Vormachtstellung im preußisch dominierten Reich herausgefordert sehen musste. Der Theologieprofessor Hermann Messner schrieb in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, das Spiel zu Bayreuth sei „keine Aufführung, sondern ein Kultus; die Fürsten und Fürstinnen, Staatsmänner und Gelehrte u. s. w., welche unter dem Antrieb einer künstlerischen Großtat dorthin zusammengeströmt oder unter dem Eindruck einer nationalen Großtat dorthin gezogen sind, sollten der Offenbarung einer Art von neuer Religion beiwohnen.“ Jeder Verständige müsse verneinen, dass „eine solche Dichtung als ein nationales Heiligtum angesehen werden könne“, setzt der Gelehrte nach und bilanziert: „Sollten wir in einem Worte den Charakter dieser musikalisch-dramatischen Leistung schildern, so würden wir sagen: Sie ist, aus dem pantheistisch-materialistischen Zeitgeiste geboren, die sonderbare Erscheinung eines heidnischen Romantizismus, gerade so überspannt, gerade so sinnlich, wie die ausgestorbene Romantik unserer Literatur, nur anstatt auf das Mittelalter und den Katholizismus hingewandt auf die vorchristliche Zeit und das Heidentum.“232

Vom Standpunkt der kirchlichen Autorität hingegen dürfte den protestantischen Bayreuthpilgern das Erlebnis von 1876 gefallen haben, denn in den Reihen der Wagnerianer fanden sie obrigkeitstreues Verhalten im preußischen Sinne vor. Einem wachen Geist wie Paul Lindau, von Wagners Parteigängern als Beispiel „bösen und zersetzenden Wesens“233 gebrandmarkt, fiel dies unangenehm auf: „Es kommt mir so vor, als sei die gute alte Zeit des beschränkten Untertanenverstandes wiedergekommen (…). Die Rechte des Bayreuther Festspielbesuchers sind ungefähr dieselben, wie die des Untertanen im alten Preußen, die in den beiden Worten wiedergegeben waren: ‚Steuern zahlen‘, ‚Maulhalten‘.“234 Dies bot einen gewissen Gegensatz zum Inhalt der Ring-Tetralogie, die samt Vertragsbruch, Inzest, Ehebruch und Mord „so ziemlich gegen alle Gebote unseres Strafgesetzes verstoße“, wie sich Lindau von einem juristisch bewanderten Festspielgast erläutern ließ. Verwundert zeigte er sich, dass er neben den Kaisern und Fürsten keine aktiven Politiker im Bayreuther Publikum fand. „Ich habe, außer Franz Duncker, noch nicht einen einzigen Träger eines politischen Namens von Bedeutung erblickt.“235 Lindau, Berichterstatter der Schlesischen Presse, zog trotz seiner kritischironischen Distanz zu dem Unternehmen am Ende ein anerkennendes Fazit: „Wagner hat erreicht, was noch kein Künstler vor ihm auch nur anzustreben sich vermessen hatte. Bayreuth – wie wir die Summe all’‘ dieser Anstrengungen und Resultate mit einem Worte bezeichnen wollen – Bayreuth ist zwar kein ‚nationales Unternehmen‘; es ist in seinem eminent persönlichen Charakter sogar die volle Negierung des Nationalen. Aber unzweifelhaft ist es die stärkste individuelle Leistung, die zu denken ist. Dem entsprechend ist auch der Lohn ein ganz ungewöhnlicher, nie dagewesener. Hier hat nun der Künstler auf dem Fleck Erde, den er selbst bestimmt, ein selbstgebautes Theater, mit Einrichtungen, die er selbst getroffen, mit einem Orchester, das er selbst geworben – einem Orchester, das beiläufig bemerkt, künstlerisch vollkommen ist – hier hat er Künstler seiner eigensten Wahl, die er selbst zu seinen Zwecken gebildet und gefördert hat. Reiner und vollständiger haben sich nie die Intentionen eines Künstlers in die Wirklichkeit übertragen lassen. Und was bedeuten dieser stolzen und erhebenden Genugtuung gegenüber alle kleinlichen Ärgernisse! Schönere Stunden, als sie Wagner in den letzten Tagen gegönnt, sind einem Künstler niemals beschieden gewesen.“236

Das war die Außensicht, die Wirklichkeit lag anders. Der Komponist hatte in Bayreuth nicht nur schöne Stunden. Seine Hauptempfindung sei „nie wieder, nie wieder“ gewesen, sagte Wagner wenige Wochen nach Abschluss der Festspiele zu Cosima, als er auf den „traurigen Gegenstand“ zu sprechen kam.237 Mit einem kalten Gefühl der Enttäuschung und der Ungewissheit hatte er das Unternehmen vorerst zum Ende geführt. Am 30. August 1876 sagte er: „Die Bühnenfestspiele sind vorüber; ob sie wiederkehren, weiß ich nicht!“238 Zu einem künstlerischen Resümee sah sich Richard Wagner allenfalls ansatzweise in der Lage, zu einer politischen Bilanz gar nicht, stattdessen fiel er in „Nachgeburtsdepressionen“ (Frederic Spotts)239. Im September notiert Cosima: „R. ist sehr traurig, sagt, er möchte sterben!“240 Beim Anblick des verlassenen Theaters äußerte er einmal: „Wie eine Narrenlaune steht es da“, und über die Festspiele äußerte er: „Das Unzulängliche ist und bleibt der Fluch aller meiner Bestrebungen!“241 Am 21. Oktober schrieb er an den bayerischen König, statt Dankbarkeit für die Festspiele gebe es nichts als Zank ums Defizit.242 Vom Reich komme keine Regung, schuld am finanziellen Desaster sei die Zeitungspresse. Die Festspiele müssten eine freie Stiftung bleiben, „mit dem einzigen Zwecke, zur Begründung und Pflege einer originalen deutschen musikalischdramatischen Kunst als Vorbild zu dienen“. Voraussetzung sei, „dass das Unternehmen selbst nie zu finanziellem Erwerbe diene, und namentlich der oberste Leiter desselben nie eine Entschädigung für seine Bemühungen in Anspruch nehme.“ Wagner schickte dem König zudem einen vorformulierten Antrag zur Unterstützung der Festspiele durch das Reich, den Ludwig II. im Bundesrat einbringen sollte. Vom Kaiser, schreibt der Komponist überdies, könne er sich „ein tieferes Verständnis der Sache auch nicht leicht erwarten“. Faktisch wollte Wagner den bayerischen Monarchen dazu bringen, die Festspiele „dem Reich zu empfehlen oder die Sache ganz zu übernehmen“.243

Vor allem wegen der finanziellen Misere, aber auch wegen der künstlerischen Mängel und der mangelnden politischen Unterstützung spielte der Komponist mit dem Gedanken, sich von dem Bayreuther Unternehmen zu lösen. Entsprechendes ließ er seine publizistischen Paladine verbreiten. Martin Plüddemann forderte das Reich auf, sicher nicht ohne stillschweigende Zustimmung Wagners, die Festspiele gleichsam zu kaufen – er tat das mit präzisen Zahlen und unverblümter antiparlamentarischer Verve: „Wagner braucht eine Million; das Reiche gebe ihm diese oder die Zinsen einer solchen, jährlich 50.000 Taler, als Subvention für sein glanzvolles Unternehmen; die deutsche Kunst und einst die ganze Nation wird es ihm Dank wissen! – Doch begeben wir uns nicht zu weit nach Utopien, vor der Hand ist die Aussicht hierauf gering; unser Reichsoberhaupt zwar, Kaiser Wilhelm, hat seine persönliche Anerkennung für ein derartiges Unternehmen durch Ankauf von 30 Patronatscheinen und Hinterlassung von 20.000 Mark deutlich gezeigt, unser Reichskanzler, der Fürst v. Bismarck, ist ebenfalls ein entschiedener Freund der Sache und Wagners Begünstiger; aber die Zusammensetzung des Reichstages müsste entschieden anders gefärbt sein, ehe er so etwas gutheißen würde. Hat das deutsche Volk aber, in besserer Erkenntnis seiner Interessen, diese Zusammensetzung geändert, dann müsste ein Mann die Sache in die Hand nehmen und ernstlich dafür plädieren. Wird dieser Mann sich finden?“244 Bei der Patronatsversammlung im September 1877 sprach Wagner davon, „mir langsam die Mittel vorzubereiten, durch welche ich den hiesigen Festspielen eine wirkliche Dauer geben, ihnen ein Ernähren von sich selbst heraus ermöglichen, sie zu einer wirtschaftlichen Schöpfung machen kann“.245 Allerdings hatten sich die Zeiten seither gewandelt, der bayerische Staat war gegenüber dem kapriziösen Komponisten bei weitem nicht mehr so freigebig wie noch ein gutes Jahrzehnt zuvor. Dennoch gediehen die Verhandlungen zwischen dem Haus Wahnfried und den Hofbeamten des Königs wegen einer „Übernahme der Festspiele in Bayreuth seitens der Münchner Intendanz“ im Frühherbst 1877 bis kurz vor Vertragsreife.246

Dann wieder schien Wagner mit Bayreuth ganz abgeschlossen zu haben. In einem Brief an Feustel vom Juni des Jahres nannte er als „Grund der eingetretenen Kälte gegen mein Unternehmen“, dass die Zuschauer nicht in die oberfränkische Stadt zurückkehren wollten. Dem Ort selbst, so Wagner, könne er „nur insofern die Schuld geben, als – ich ihn gewählt habe. Doch hatte ich einen großen Gedanken dabei: ich wollte mit Unterstützung der Nation eine durchaus selbständige neue Schöpfung an einem Orte, der erst durch diese Schöpfung zu Bedeutung kommen sollte – eine Art Kunst-Washington.“247 Wagner dachte hier nicht zufällig an die Stadt am Fuße der Apalachen, die ab 1792 als Hauptstadt der USA planmäßig gebaut wurde. Er trug sich mit Plänen, samt Familie und Festspielen nach Amerika auszuwandern. Ludwig II. versuchte, ihn davon abzubringen. Er möge diesem „entsetzlichen Gedanken“ keinen Raum mehr geben, „eine nie zu tilgende Schmach wäre es für alle Deutsche, wenn sie ihren größten Geist aus ihrer Mitte scheiden ließen“. Der Komponist antwortete: „Schon jetzt sehe ich nicht ein, wie ich den Forderungen meiner Festspiel-Gläubiger anders entsprechen soll, als durch einen gänzlichen Abbruch meiner letzten Ansiedelung in Bayreuth“.248 Der Hinweis auf die finanzielle Malaise deutet an, dass Wagner die Pläne auch als Drohpotential einzusetzen wusste. Am Ende war die Hochschätzung des Komponisten für die Vereinigten Staaten, die mit dem beständigen Fernweh eines unruhigen Geistes verknüpf war, dann doch nicht so groß, um die Pläne endgültig ins Auge zu fassen. Im Rückblick auf die Bühnenfestspiele des Jahres 1876, zwei Jahre danach veröffentlicht, klingt alles Wehklagen über die Situation deutlich gemäßigter.249 Er zeigte sich geschmeichelt über den gesellschaftlichen Erfolg des Unternehmens: „Es schien sehr wahrhaftig, dass so noch nie ein Künstler geehrt worden sei; denn hatte man erlebt, dass ein solcher zu Kaiser und Fürsten berufen worden war, so konnte niemand sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommen seien.“ Getäuscht sah er sich allerdings in seiner Annahme, durch die Festspiele „auch ein nationales Interesse geweckt zu haben“. Der frustrierte Wagner erging sich später immer wieder in heftigen Vorwürfen gegen die neue Heimat. Nach der glanzvollen Uraufführung des Parsifal 1882 hält Cosima fest: „Abends bricht R. in bittere Klage über Bayreuth aus, dass ihm niemand gefolgt wäre und sich hier angesiedelt, und dass der Ort auch nicht das mindeste Verständnis ihm entgegengebracht hätte“.250

Wagners Welttheater

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