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Kultur und Politik

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Das Verhältnis von Kultur und Politik, mithin von Geist und Macht, gilt in Deutschland aus historischen Gründen als brisant. Kulturelle Ausdrucksformen verstanden sich seit dem romantisch-biedermeierlichen Rückzug des 19. Jahrhunderts gerne als unpolitisch, zumal im staatlich zersplitterten Deutschland das Konzept der Kulturnation eine wesentlich größere Bedeutung erlangte als die französisch konnotierte Staatsnation. Im Zeitalter der Industrialisierung mit ihren massiven sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen waren die Künste Ausdrucksmittel von Verunsicherung und Antimodernismus bis hin zur schlichten Verneinung der Gegenwart.19 Politik wiederum wurde oft in demonstrativer Kunstferne betrieben wie im Kaiserreich von 1871 und konnte im Zeitalter des Nationalsozialismus in kulturlose Barbarei münden. Doch strebt Kunst in ihrer Funktion, gesellschaftliche Entwicklungen abzubilden, sie kritisch zu begleiten und zu transzendieren, von vornherein nach Öffentlichkeit und damit in den politischen Raum. Die Politik ist umgekehrt zur eigenen gesellschaftlichen Legitimierung und Rückversicherung auf ein Mindestmaß ästhetischer Grundierung, auf stabile Beziehungen zur Kulturwelt und die Herausbildung einer politischen Kultur angewiesen. Zugleich steuert sie durch die Vergabe öffentlicher Gelder wichtige Teile des Kunstbetriebs. Eine kulturfreie Herrschaft gibt es deswegen ebenso wenig wie eine unpolitische Kunst. Das galt schon in der Antike. Wenn Sokrates vor übertriebenen kulturellen Neuerungen warnt, begründet er dies mit der Sorge um das staatliche Gleichgewicht: „Denn eine neue Art Musik einzuführen muss man sich hüten, da hierbei das Ganze auf dem Spiele steht. Werden doch nirgends die Tonweisen verändert ohne Mitleidenschaf der wichtigsten staatlichen Gesetze“.20 Unter umgekehrten Vorzeichen hat Friedrich Nietzsche diesen Gedanken in seiner Schrift Richard Wagner in Bayreuth aufgegrifen, mit der er die ersten Festspiele von 1876 kulturphilosophisch untermauern wollte: „Es gibt Menschen, welche diesen Zuruf verstehen, und es werden ihrer immer mehr; diese begreifen es auch zum ersten Male wieder, was es heißen will, den Staat auf Musik zu gründen“.21

Einen ganzen Staat auf Musik zu gründen, scheint eine ähnlich abwegige Idee zu sein, wie Kunst an die Stelle von Politik setzen zu wollen. Gleichwohl ist die Bedeutung der Tonkunst in den nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts kaum hoch genug einzuschätzen. Nicht umsonst lässt Thomas Mann im Zauberberg den italienischen Humanisten Settembrini eine „politische Abneigung gegen Musik“ hegen.22 In der Musikgeschichte gibt es zahlreiche Fälle enger politisch-gesellschaftlicher Verflechtungen. Vor allem das Medium der Oper ereignet sich niemals im „luftleeren Raum“ (Hans-Klaus Jungheinrich)23. So wurde die belgische Revolution von 1830 durch eine Oper ausgelöst, Daniel Aubers Die Stumme von Portici. Dvořák und Smetana setzten den böhmischen Freiheitswillen in Töne, Mussorgski und Tschaikowski grundierten mit ihren Werken das Nationalgefühl in Russland, die Auseinandersetzung über das symphonische Schaffen von Schostakowitsch ist geradezu ein Abbild der Frühgeschichte der Sowjetunion. Auch die italienische Einigungsbewegung wäre ohne die Symbolfigur Verdi mit Sicherheit anders verlaufen. Den Schauplatz seiner 1859 uraufgeführten Oper Ein Maskenball musste der Komponist nach Boston verlegen, weil die neapolitanische Zensur auf der Bühne keinen Königsmord sehen wollte, selbst wenn es sich um einen schwedischen Herrscher handelte, dessen Tod Jahrzehnte zurücklag. George G. Windell meint sogar, in der Aida sei „far more nationalism and blatant militarism“ als in jeder Wagneroper.24 Und noch in den Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften des 20. Jahrhunderts konnte Musik geradezu „hegemoniale Strukturen“ herausbilden.25

„Keine Musik ist unpolitisch“, stellt Eckhard John deshalb prägnant fest. Jede Musik könne nach Gehalt oder Funktion politisch sein, wenn dies auch nicht grundsätzlich und zu jeder Zeit der Fall sein müsse.26 Doch für das Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts trifft dies sicherlich zu. Die politikferne Kulturnation stilisierte die Musik angesichts der Weltgeltung von Tonschöpfern wie Bach, Mozart oder Beethoven zur herausragenden und repräsentativen deutschen Kunstform – und führte damit die romantische Auffassung von der Musik als zeitloser, autonomer und selbstbezogener Kunst ad absurdum. Lange vor dem Auftreten des „Führers“, schrieb Joachim Schumacher 1940 provokant, gab es den „Konzertführer“ mit einem „Arsenal national geharnischter Phrasen“, der den Gedanken von der Weltgeltung der Musik „nie aussprechen konnte, ohne gleichzeitig an die Reichweite Kruppscher Kanonen zu denken“.27 Schon in der Weimarer Republik brandmarkten reaktionäre Kräfte die neuen Musiktendenzen pauschal als jüdisch-bolschewistisch und zogen sie in den politischen Tageskampf hinein. Sie zeichneten das Zerrbild von den linksradikalen Revolutionären, die die Musik „zum Zwecke politischer Agitation und zum Schaden der Kunst“ missbrauchten.28

Doch die Politisierung der Musik beginnt in Deutschland keineswegs erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, sondern spätestens mit Richard Wagner.29 Bei keinem anderen Komponisten war der Zusammenhang zwischen Kunst und Politik so prägnant und so wirksam. Theodor Schieder nennt dies „einmalig in der Geschichte der europäischen Kultur“. Der Komponist, schreibt er, wollte die Grenzen der beiden Spektren niederreißen „und politische Macht dazu benutzen, um seiner Idee von der Kunst der Zukunft zum Siege zu verhelfen“.30 Wagners politische Grundanschauungen, fasst Hans Mayer zusammen, seien ohne seine musikdramatischen Gestaltungen nicht zu verstehen. „Ohnehin verbietet sich eine solche Aufteilung zwischen der politischen und der ‚rein künstlerischen‘ Sphäre bei Wagner von selbst. Denn er vor allem strebte in aller Bewusstheit nach der Einheit aus künstlerischer Form und weltanschaulichem Gehalt.“31 Diese Einheit von Kunst und Politik führte dazu, dass Richard Wagners Opern mehrfach aus politischen Gründen von den Spielplänen genommen wurden.32 Vor der Münchner Erstaufführung des Tannhäuser 1855 gab es eine regelrechte „Kampagne gegen den landesflüchtigen Revolutionär Wagner, der auf einer Hofbühne nichts zu suchen habe“ (Oswald Georg Bauer)33. „Wenn die Fürsten ebenso zusammenhielten wie die Demokraten, dann würde nirgends mehr eine Oper von Wagner aufgeführt“, äußerte wenige Jahre später Freiherr von der Pfordten, der schon als sächsischer Kultusminister zum Feind des Komponisten geworden war und einer seiner entscheidenden Gegenspieler in München werden sollte.34

Politische Rückwirkungen auf die Kunst gab es nicht nur, weil der viele Jahre im Exil lebende Wagner als Umstürzler verschrien war, sondern auch wegen seiner notorischen Judenfeindschaft. Seit dem erstmaligen Erscheinen der Schrift Das Judentum in der Musik 1850 musste sich jede Beschäftigung mit Wagner auch mit dessen Antisemitismus auseinandersetzen, auch wenn die Frage nicht permanent im Mittelpunkt der Diskussionen stand. Nach der Neuauflage des Judenpamphlets 1869 wurden Meistersinger-Aufführungen in mehreren deutschen Städten „in eklatanter Weise ausgepfiffen“, so ein zeitgenössischer Bericht.35 Der Protest richtete sich nicht gegen die künstlerische Qualität von Werk oder Aufführung, sondern hatte politische Gründe. Die Gereiztheiten in der Wirkungsgeschichte des Komponisten zeigen nach den Worten Hubert Kollands bis in die Gegenwart hinein, „wie unpolitisch das Politikum Wagner in der Musikwelt immer noch behandelt wird.“ Während die einen versuchten, Wagner von politischen Implikationen „rein“ zu halten, betrieben die anderen „stellvertretende Vergangenheitsbewältigung“ und damit eine Art umgedrehten Geniekult.36

Wagners Welttheater

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