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Frühmittelalter Agrarsektor1

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Für das Frühmittelalter, also die Zeit der Merowinger, Karolinger und Ottonen, sollen die wirtschaftliche Ausgangslage und die darauf aufsetzenden Entwicklungen nur knapp behandelt werden. Unser Wissen über diese Zeit ist vielfach nur ein wahrscheinliches, nicht aber ein gesichertes. Allgemein lässt sich die Zeitspanne vom 3. bis zum 8. Jahrhundert als eine Transformationsperiode bezeichnen, die geprägt ist von tief greifenden, aber keinesfalls immer zeitgleichen Veränderungen in fast allen Bereichen von Herrschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und darüber hinaus. Die Vorstellung von einer Völkerwanderung oder von Zügen geschlossener Volksstämme quer durch Europa ist in den letzten Jahrzehnten aufgegeben worden. Bei den späteren „Germanenreichen“ oder „-völkern“ handelte es sich vielmehr um aus den weiträumigen Wanderungen entwachsene Gruppierungen, von denen ein Traditionskern dem „Volk“ oder dem Reich schließlich seinen Namen gab. Vielleicht waren etliche dieser Vorstellungen letztlich Tacitus geschuldet, der in seiner Germania den indigenen Charakter der „Stämme“ betonte, was schon unter den Humanisten seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zu Kontroversen führte. Ebenso wird der schleichende Niedergang des Weströmischen Reiches in der Historiografie nicht mehr nur als Abstieg oder gar als Zerfall gewertet, sondern daneben rücken die Neuansätze stärker ins Blickfeld.2 Schon aufgrund ihrer geringen Gesamtzahl – die Zahl der Chlodwigfranken dürfte 80.000 nicht überstiegen haben – konnten die seit dem späten 5. Jahrhundert vordringenden Franken kein Interesse an der Vertreibung der verbliebenen romanischen oder sonstigen ansässigen Bevölkerung haben. Vielmehr nahmen sie Bauern, Gewerbetreibende und Händler in ihren Dienst und verbündeten sich nicht zuletzt zur Absicherung ihrer Herrschaft mit den alten Führungsschichten. Dies galt schon für die Gebiete an Rhein und Mosel. Außerdem konnten die eingesessenen Senatoren- und Großgrundbesitzerfamilien unverändert die Bischöfe stellen. Erst ihr weitgehendes Aussterben bis zum 7. Jahrhundert schuf Raum für einen neuen „Adel“.

Unter Chlodwig (481/82–511) erfolgte die Bildung des Fränkischen bzw. des Merowingischen Großreichs, nachdem dieser sich 486/87 militärisch die Herrschaft im vormals römisch beherrschten Teil Galliens gesichert hatte, um anschließend Tournai und Soissons zu seinen Hauptsitzen zu bestimmen. Auf die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs bis zur Loire folgte im Bündnis mit den Burgundern 507 ein Sieg über die Westgoten und die Einnahme von deren Hauptstadt Toulouse. Der Sieg über die Alemannen öffnete zudem das Oberrheingebiet seiner Herrschaft. Parallel dazu ließ Chlodwig im Inneren konkurrierende Frankenkönige ausschalten, ein Vorgehen, das mit der Einbeziehung des Kölner Teilreichs zwischen 509 und 511 seinen Abschluss fand. Beim Tod Chlodwigs erstreckte sich das fränkische Herrschaftsgebiet vom Rhein bis zum Atlantik sowie von der Maas bis zu den Pyrenäen. In der Folge aber sollten Reichsteilungen zur Regel werden, wodurch das Reich sich im Wesentlichen in den östlichen Teil Austrien, Neustrien im Westen sowie Burgund untergliederte. Eine über die Jahrhunderte fortbestehende Kontinuität zeigt sich beispielsweise in Trier daran, dass sich dort noch im 7. Jahrhundert eine ehemalige Senatorenfamilie nachweisen lässt. Die sogenannte „Moselromania“, zwischen Trier und Koblenz gelegen, bildete sogar bis ins Hochmittelalter eine fast geschlossene romanische Enklave, die sich erst um 1200 auflöste. Die Dichte der gallo-römischen Bevölkerung nahm nach Westen im Gebiet des heutigen Frankreichs zu, während sie südlich der Loire sogar weitgehend unter sich blieb.

Die fränkische Landnahme ist auch vor dem Hintergrund eines Umbruchs der ländlichen Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur zu sehen, die sich aber nur in groben Zügen abzeichnet. Die Gutsbetriebe der Spätantike wurden mit Sklaven und Lohnarbeitern, in spätrömischer Zeit verstärkt durch das Kolonat, also die Ansiedlung einer arbeits- sowie abgabenpflichtigen Landbevölkerung, bewirtschaftet. Sie erwirtschafteten nicht nur landwirtschaftliche Überschüsse, sondern produzierten teilweise gewerbliche Güter und förderten bei entsprechendem Vorkommen Bodenschätze. Die Gutsbetriebe wie auch die sonstigen ländlichen Siedlungen im Rhein-Mosel-Gebiet und in den weiter westlich gelegenen Regionen wurden bereits von den Wirren des 3. Jahrhunderts schwer getroffen, vollends aber von den zahlreichen Kriegszügen des 5. Jahrhunderts. In diese veränderten Siedlungsstrukturen fügten sich die Franken ein, und sie ließen sich in den schon zuvor erschlossenen Gebieten nieder. Ihre Höfe und Gehöftansammlungen, in den lateinischen Quellen ausnahmslos als villae bezeichnet, legten sie vornehmlich in Niederungen und an Wasserläufen an, da Wasser und Weide für die von ihnen vorrangig betriebene Viehzucht unentbehrlich waren; ansonsten bevorzugten die neuen Bewohner für Siedlungsplätze zumeist die halbe Hanghöhe als Ökotopengrenzlage3. Der Getreideanbau gewann bei den Franken im 6. Jahrhundert eine größere Bedeutung, wobei die Feldgraswirtschaft weiterhin den Ackerbau dominierte; die Jagd diente nur zur Nahrungsergänzung. Im 7. Jahrhundert dürften erste, noch wenig umfangreiche (Brand-)Rodungen vorgenommen worden sein, um neue Böden für den Ackerbau zu gewinnen. Allerdings zeigt sich bereits für die Merowingerzeit, dass eine gesellschaftlich gehobene Stellung tendenziell zu einem höheren Fleischkonsum anstelle pflanzlicher Nahrungsmittel führte.4 Die Erschließung der Mittelgebirge blieb somit ganz überwiegend dem Hochmittelalter vorbehalten.

Beim Getreideanbau lassen sich im Frühmittelalter Verschiebungen gegenüber den vorhergehenden Jahrhunderten erkennen. Unabhängig von der Bevölkerungsentwicklung schwand einerseits der Anteil des eher auf mediterrane Einflüsse zurückgehenden Weizenanbaus, während andererseits Gerste (die zu Teilen für die Bierherstellung benötigt wurde), Spelz oder Dinkel, vor allem aber Roggen und Hafer mehr Raum gewannen, zumal der Hafer für die Pferdezucht zunehmende Bedeutung erlangte. Der in Spätantike und Frühmittelalter durchaus bedeutsame Dinkelanbau beschränkte sich jedoch in den folgenden Jahrhunderten weitgehend auf das Gebiet der heutigen nördlichen Schweiz und den Neckarraum. Daneben wuchsen Hirse, Rüben und Hülsenfrüchte wie Erbsen, Linsen oder vielfach Bohnen auf den Böden; dass es sich dabei bereits um regelrechte Gärten handelte, ist hingegen unwahrscheinlich. Beibehalten wurde, wenngleich eingeschränkt, der seit der römischen Zeit verbreitete Weinanbau, zumal Wein eine hohe liturgische Bedeutung besaß. An Obstsorten sind sowohl durch Schriftquellen als auch durch Bodenfunde in erster Linie Birnen und Äpfel belegt. Bezeugt ist ferner der Anbau von Flachs auf größeren Feldern, um daraus Leinen zur Tuchherstellung zu gewinnen. Vornehmlich in den Randlagen der Urwälder, und von solchen darf man noch vielfach sprechen, wurde Bienenzucht betrieben. Bei der Viehzucht dominierten Schweine, daneben wurden Rinder, Pferde, Ziegen, Schafe und Geflügel gehalten. Über Größe, Gewicht und Leistungskraft des Viehs haben wir keine genauen Angaben, in jedem Fall sind die Kennzahlen deutlich niedriger anzusetzen als heute. Viehmist rangierte vor Mergel als der mit Abstand wichtigste Dünger, aber auch Asche und Kalk fanden zu diesem Zweck Verwendung. Doch Düngemittel sollten bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Mangelprodukt bleiben; erst das Aufkommen chemischer Düngemittel, die fabrikmäßig und damit in großen Mengen herstellbar waren, konnte dieses Problem beheben.5

Prägend für die Lebensordnung der breiten Bevölkerung war in zunehmendem Maße die Grundherrschaft oder Villikationsverfassung. Bei beiden Termini handelt es sich um moderne Ordnungsbegriffe; daneben wird auch von einer Fronhofverfassung gesprochen. Als Begriff kam „Grundherrschaft“ parallel zum Feudalismusbegriff erst am Ende des 18. Jahrhunderts auf und fand nochmals deutlich später, im 20. Jahrhundert, allgemeine Verbreitung. Dabei muss „Grundherrschaft“ bei verschiedenen Historikern durchaus nicht dasselbe meinen, wie ja auch die Begriffe „Feudalismus“ oder „Feudalgesellschaft“ für Mittelalter und Frühe Neuzeit nicht unumstritten sind. Bereits in den „Zeiten der wandernden Völker“ lassen sich Schichtungen innerhalb der Bevölkerung ebenso erkennen wie Unfreie, ohne dass sich deren Anteile quantifizieren ließen. Letztlich konnten sich aber die Königs-, Adels- und Kirchenherrschaft des Früh- und noch des Hochmittelalters nur deshalb etablieren und dauerhaft behaupten, weil sie im Wesentlichen auf der Grundherrschaft beruhten, in deren Verband der Großteil der Bevölkerung wirtschaftlich, politisch und rechtlich – und bei kirchlichen oder klösterlichen Besitzungen zusätzlich kultisch – eine klare Einordnung erfuhr. Das Eigenkirchenwesen ermöglichte es den weltlichen Herren, ihre Hintersassen im kirchlich-kultischen Bereich ebenfalls in ihren Herrschaftskreis einzubeziehen. Allerdings kam verbreitet die Forderung auf, dass es sich bei den Geistlichen um Freie handeln müsse, diese also zuvor aus der Hörigkeit zu entlassen seien. Neben den persönlichen Abhängigkeiten trat während des Frühmittelalters zunehmend die Verfügungsgewalt über Grund und Boden als Herrschaftselement hinzu. Über das Leben der Grundhörigen wissen wir nur wenig, traten sie doch zumeist nur als „Zubehör“ in Schenkungsurkunden und Abgabenverzeichnissen auf. Über ihre Zugehörigkeit zu den Grundherrschaften durfte fast nach Gutdünken verfügt werden, ohne dass sie aber prinzipiell rechtlos gewesen wären. Ebenso darf nicht übersehen werden, dass Aufzeichnungen und Verzeichnisse (Urbare) ausschließlich zu wenigen königlichen und etlichen kirchlich-klösterlichen Höfen vorliegen. Die Adelsherrschaft kann nur in Analogie dazu erschlossen werden. Umstritten ist, ob und in welcher Weise die Verfügungsgewalt der Grundherren über ihre Hintersassen durch Gewohnheitsrechte eingeschränkt war. Denn bei Hofrechten und vergleichbaren Quellen reicht die Überlieferung gerade einmal in das 11. Jahrhundert mit seinen veränderten Rahmenbedingungen zurück.

Zeitlich parallel zur Herausbildung des Adels entwickelte sich die sogenannte bipartiale oder zweigeteilte Grundherrschaft zum Haupttypus der Grundherrschaft. Sie erlebte in der Karolingerzeit ihre Blüte und sollte bis in das 11. und 12. Jahrhundert das dominierende Herrschaftsmodell im Frankenreich bzw. in Europa mit Ausnahme Skandinaviens, des Ostens und der Iberischen Halbinsel bleiben; der Süden mit seinen zahlreichen Städten behielt eigene Strukturen bei. Verkürzt formuliert setzte sie sich aus einem Herrenhof und Bauernstellen in unterschiedlichem Grad der Abhängigkeit zusammen, umfasste persönlich freie sowie unfreie Bauern, ebenso freie und unfreie Güter, deren Inhaber dem oder den Herren Abgaben entrichten mussten und/oder festgelegte Frondienste von unterschiedlichem Ausmaß auf dem Herrenland oder Salland ableisten mussten, dessen Umfang ebenfalls stark variierte. Solche Dienste waren häufig auf drei Tage je Woche festgesetzt, konnten aber durch eine Konzentration auf die Aussaat- und Erntezeiten mit noch erheblicheren Belastungen verbunden sein. Daneben sind in den Grundherrschaften bereits früh Hörige anzutreffen, die ausschließlich für ihren Herrn arbeiten mussten, also über keinen eigenen Landbesitz verfügten. Mit dem weiteren Ausbau und der inneren Differenzierung der Grundherrschaften im 8. und 9. Jahrhundert wurden nicht nur die von den Abhängigen geforderten Leistungen und vor allem ihr zuvor unterschiedlicher Rechtsstatus vereinheitlicht oder zumindest angeglichen, sondern die Herren schufen auch grundherrliche Instrumente wie Hofgericht, Hofrecht sowie spezifische Ausprägungen der Landleihe und Organisationsformen für Handwerk und Handel, wenngleich das römische Recht vorerst noch nachwirkte.

Unter den Hintersassen der Fronhöfe verfügten die servi casati mit eigener Hofstelle über eine deutlich bessere Stellung als die servi non casati, weil sie trotz Abgaben und regelmäßigen Arbeitsleistungen für die Grundherren zumindest über einen Teil ihres Arbeitsertrages verfügen konnten. Ihre Hofstellen in der Größe einer Hufe sollten nicht nur die Abgabenleistungen ermöglichen, sondern auch die darauf hausende Familie ernähren. Die Größe einer Hufe als der Grundeinheit bei der Ausstattung von Bauernstellen fiel nicht zuletzt aufgrund der jeweiligen Bodenqualität ausgesprochen unterschiedlich aus. Bei den servi non casati, die überwiegend ohne eigene Behausung oder Bauernstelle blieben, handelte es sich quasi um ein „Zubehör“ des Herrenhofes. Sie konnten überall eingesetzt oder den Hofstellen der servi casati als Arbeitspersonal zugeteilt werden. Generell spielte für das Überleben beider Gruppen eine entscheidende Rolle, dass sie mitsamt ihren Familien für den Bestand einer Grundherrschaft unentbehrlich waren und zudem für die natürliche Reproduktion der Arbeitskraft sorgten. Im Gegenzug bot die persönliche Nähe zu dem Herrn potenzielle Aufstiegsmöglichkeiten, etwa als qualifizierter Handwerker, als Meier, als berittener Bote oder in ähnlichen Funktionen. Doch selbst die Bewirtschaftung einer „freien“ Hufe durch persönlich freie Hintersassen konnte mittelfristig zu einer rechtlichen und sozialen Schlechterstellung derselben führen, falls es dem Grundherrn gelang, seine Ansprüche zu intensivieren oder seinen Herrschaftsstatus auszubauen. Weiterhin galt es aus Sicht der Herren, innerhalb der Grundherrschaft ein ungefähres Gleichgewicht zwischen dem zu bestellenden Land und den frondienstpflichtigen Bauern herzustellen.

Es war vermutlich nicht primär der Besitz von Land, der für das Aufkommen dieser Herrschaftsform verantwortlich war. Vielmehr lag ihre Wurzel wohl vornehmlich in der frühmittelalterlichen „autogenen Herrengewalt“, die sich zur Grundherrschaft verdichtete, wobei sich die Herren daneben „öffentlich-rechtliche“ Befugnisse sicherten. Dazu traten Elemente der Hausherrschaft, tradierte römische Immunitätsvorstellungen und die merowingische Fiskalverfassung, bei der wiederum in römischer Tradition Hofkomplexe belastet wurden. Ohnehin hatten die Merowingerherrscher in großem Ausmaß römisches Fiskalgut übernommen und damit nicht zuletzt ihre Gefolgsleute ausgestattet. Dagegen hielt sich südlich der Loire die spätantike Sozialstruktur weitgehend bis ins 8. Jahrhundert hinein. Der teilweise komplizierte und auch unterschiedlich ausgestaltete rechtliche Charakter der frühmittelalterlichen Grundherrschaft lässt sich wohl am besten – trotz aller geäußerten Kritik – mit dem weit gefassten Begriff einer „Herrschaft über Land und Leute“ beschreiben, innerhalb derer die Bodenleihe ein Rechtsverhältnis begründete. Die Formen der Grundherrschaft waren mannigfaltig, sie reichten von einfachen Gutshöfen bis hin zu komplexen Agglomerationen von Haupthöfen, Nebenhöfen und abhängigen Bauern in abgestuften Varianten. Besonders bei kirchlichen und klösterlichen Grundherrschaften führten Schenkungen zu einem immensen Streubesitz, der im Extremfall von der Nordsee bis zu den Alpen reichen konnte. Bei dem weiter entfernt liegenden Besitz standen Geldtransfers im Vordergrund, denn die landwirtschaftlichen Überschüsse mussten in der jeweiligen Region veräußert werden. Da derartige, teilweise ausgesprochen umfangreiche Schenkungen vermutlich vor allem an geistliche, aber auch an weltliche Herren nicht zuletzt durch die Herrscher erfolgt waren, behielten sich diese zumindest bis zum Ende des Hochmittelalters das Recht vor, auf deren Besitz und Ressourcen bei bestimmten Anlässen wie Aufenthalten vor Ort oder dem Kriegsfall zurückzugreifen.6 Daneben wurden allerdings ohne weitere Einbindung in die Grundherrschaften vielfach auch Höfe gegen reine Abgabenleistungen verliehen.

Nicht nur große Grundherrschaften nannten zusätzlich Handwerker ihr Eigen, welche für den unmittelbaren Bedarf der Grundherrschaft produzierten. Back- und Brauhäuser (Met, Grutbier) sind ebenso überliefert wie Webereien. Weitere Hinweise auf die verschiedenen Handwerke bieten das Capitulare de villis oder der St. Gallener Klosterplan. Doch als zukunftsweisender als die Grundherrschaften sollten sich die von den Grundherren forciert durchgesetzten Bannbezirke erweisen, mittels derer die weltlichen und geistlichen Herren auf ihr Umland mitsamt dessen freien Bewohnern ausgriffen. Denn nunmehr konnten sie dort Verbote sowie Gebote erlassen und in erster Linie natürlich ihren Gerichtsbann etablieren. Das bedeutete, dass alle Verfahren vor ihrem Gericht entschieden werden mussten, selbstverständlich gegen Zahlung von Gebühren. Desgleichen konnten die Bewohner des Bannbezirks dazu gezwungen werden, nur noch in den Mühlen ihres Bannherren das Getreide mahlen zu lassen, was wiederum mit Zahlungsverpflichtungen verbunden war; weitere ökonomische Vorteile brachten Braugerechtsame. Daneben dürften die Bannherren auch rechts des Rheins aufgrund der im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts zunehmenden inneren Unruhen sowie der folgenden äußeren Bedrohungen in größerer Zahl erste, einfache Burgen errichten haben lassen, die sogenannten Motten.

Die in der Karolingerzeit aufkommenden Urbare spiegeln den Willen der Herren wider, einen Überblick über ihren weit gestreuten Besitz mitsamt den Einkünften zu gewinnen. Die Überlieferung beschränkt sich auf die königlichen und vor allem auf die geistlichen Grundherrschaften, da die Überlieferungschancen sich hier als deutlich besser erwiesen als bei weltlichen Herren. Die Urbare verzeichneten ortsweise den jeweiligen Besitz an Herrenland und ausgegebenen Gütern, Letztere wiederum unterteilt in freie und Hörigenhufen. Doch selbst (vorübergehend) unbewirtschaftete Liegenschaften fanden hier ihren Niederschlag. Ebenso erfassten die Urbare die Bewohner der Hofstellen, teilweise die Zahl der Kinder, mitsamt den von ihnen zu erbringenden Leistungen. Gewiss ist dies noch nicht mit der Rechenhaftigkeit späterer Jahrhunderte zu vergleichen, aber hier beginnt ein wirtschaftsbezogenes Rechnen, das der Antike noch fremd gewesen sein dürfte und seitdem aus dem mittelalterlichen Wirtschaften nicht mehr verschwunden ist. Darin lässt sich auch der Ansatz eines „Rationalismus systematischer Organisation“ sehen.7 Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass jede Grundherrschaft derartige Urbare angelegt hat. Die Kontrolle der königlichen Grundherrschaften dürfte, so zumindest nach Ausweis der dünnen Überlieferung, unter Karl dem Großen am intensivsten ausgefallen sein. Von den Verwaltern der Königshöfe forderte der Herrscher umfangreiche Nachweise über die jeweiligen Liegenschaften und ihre Erträge, über die Bestände beispielsweise an Vieh, besonders Pferden, oder an Gerätschaften einschließlich der Webhäuser, wobei er Nachlässigkeiten mit harten Strafen bedrohte.

Wohl eine Neuerung des 8., vielleicht auch schon des 7. Jahrhunderts bildete die Dreifelderwirtschaft mit ihrem Wechsel zwischen der Aussaat von Wintergetreide (überwiegend Roggen, teilweise Weizen), Sommergetreide und Brache. Gegenüber der Zweifelderwirtschaft erhöhte sich die nutzbare Fläche deutlich, ferner wurden die jeweils anfallenden Arbeiten günstiger über das Jahr verteilt. Dennoch setzte sich die Dreifelderwirtschaft nicht überall durch, sondern die verschiedenen Bewirtschaftungsformen bestanden nebeneinander weiter. Immer wieder führten auch heftige Regenfälle im Herbst dazu, dass der Roggen als Wintergetreide gar nicht erst ausgesät werden konnte oder nicht keimte. In diesen Fällen musste im Frühjahr zunächst geackert werden, um dann die Sommerfrucht auszubringen. In jedem Fall verlangte die Dreifelderwirtschaft nach einer entsprechenden Organisation der Ansiedlungen und besonders der Ackerflächen, um den Fruchtwechsel auf den eigens eingeführten Großfluren (Zelgen) zu planen. Eindeutige Nachweise für Gewannflure besitzen wir ohnehin erst aus dem 13. Jahrhundert, mithin parallel zur Dorfbildung, und diese können eben nicht problemlos in das Frühmittelalter zurückprojiziert werden.

Die Siedlungen blieben überwiegend klein; Siedlungsgrößen von nur drei, vier oder fünf Höfen dürften keine Seltenheit gewesen sein, wobei je Hof mit sechs bis zehn Bewohnern gerechnet werden kann. Im 9. und 10. Jahrhundert finden sich dann Ansiedlungen mit 30 und mehr Hofstätten. Bei den Häusern handelte es sich um einschiffige Pfostenbauten, und wie noch in den folgenden Jahrhunderten dominierte beim bäuerlichen Wohnen das Nebeneinander von Menschen und Vieh unter einem Dach. Zumindest im Winter wärmte das Vieh das Gebäude, was einen nicht zu unterschätzenden Vorteil darstellte. Vielfach waren die Häuser so ausgerichtet, dass die vorherrschende Windrichtung die Ausdünstung des Stalls nicht in den Wohnbereich trieb. Allerdings wurden während des Frühmittelalters ohnehin nur besonders wertvolle Milchtiere, ständig benötigtes Zugvieh oder die selteneren Pferde eingestellt. Zu den Wohnstallhäusern konnten Scheunen, weitere Nebengebäude sowie Grubenhäuser treten, doch Grubenhäuser dienten anders als im slawischen Bereich nicht zu Wohnzwecken. Diese aus Holz gefertigten Gebäude dürften etwa 30 bis 40 Jahre genutzt worden sein, bevor eine Neuerrichtung anstand.

Seit dem 7. Jahrhundert ist ein Aufschwung des Mühlenwesens zu erkennen, wobei es sich wohl durchgängig um „Herrenmühlen“ handelte, da die Großen ihre Bannrechte durchsetzten. Vor allem die Zahl an Wassermühlen nahm später auch in den Ausbaugebieten des Ostens und Nordens sprunghaft zu. Die Bedeutung des Mühlenwesens ist zudem aus der in erheblichem Ausmaß betriebenen Mühlsteinproduktion ersichtlich: Im Mayener Becken, nördlich der Moselmündung in der Eifel gelegen, fertigten Handwerker Mühlsteine aus Basalt. Deren Handel erfolgte seit der Spätantike auf den seit alters benutzten Wasserstraßen bis nach Friesland, England und in den skandinavischen Norden, dann sogar darüber hinaus in den slawischen Bereich. Denn der bei Mayen gebrochene Basalt erfuhr aufgrund seines geringen Abriebs eine hohe Wertschätzung, schädigte er doch die Zähne weniger als andere Mühlsteine. Die Kiefer der erhaltenen mittelalterlichen Skelette zeigen nämlich teilweise einen hochgradigen Verlust an Zahnsubstanz, der in nicht unerheblichem Maße durch Steinpartikel im Brot oder im Getreidemus verursacht wurde.8

Bei den Pflügen lassen sich gleichfalls Neuerungen erkennen: Anstelle des Hakenpflugs, der den Boden nur ritzte und vielfach ein zusätzliches Querpflügen erforderte, trat vor allem nördlich der Alpen nach und nach der schwere, von einem oder zwei Ochsengespannen gezogene Räder- oder Beetpflug, der wesentlich tiefer in die Böden reichte und die Schollen zugleich wendete. Er fand aber erst seit dem 9. und 10. Jahrhundert in größerem Umfang Verwendung. Zusätzlich dürfte der jedoch nur langsam steigende Einsatz von Pferden in der Landwirtschaft sich vorteilhaft ausgewirkt haben. Das auf den Schultern aufliegende Kummet als weitere Neuerung ermöglichte eine höhere Kraftausnutzung der Zugtiere, ohne deren Atemwege wie zuvor einzuschnüren. Am weitesten verbreitet blieben freilich einfache, hölzerne Gerätschaften, mit denen der Boden mühselig bearbeitet werden musste. Dies lag schon daran, dass Eisenproduktion wie Tagebergbau noch wenig ausgeprägt waren. Eisen galt als kostbar, und selbst Hufeisen fanden nur langsam Verbreitung, bevor wohl noch im 11. Jahrhundert ein umfangreicherer Eisenerzabbau einsetzte. Bauern, die nur einen Hakenpflug besaßen, mussten ebenfalls in regelmäßigen Abständen ihre Felder mühselig mit den hölzernen, vielleicht an der Spitze mit Eisen beschlagenen Spaten umgraben, um den Boden fruchtbar zu halten.

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