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Städtewesen
ОглавлениеMit Blick auf Städte, städtisches Leben und frühstädtische Siedlungen lassen sich im frühmittelalterlichen Europa extrem unterschiedlich verdichtete Zonen und grundsätzlich differierende Entwicklungen erkennen, wie dies auch für manch andere Bereiche charakteristisch ist. Trotz aller strukturellen Veränderungen, der Eroberungszüge und der „Völkerwanderung“ blieben Italien, Südwest- und Südfrankreich, aber auch Burgund und Teile der Iberischen Halbinsel urban geprägt. Gleichwohl begannen die öffentlichen Bauten wie Thermen, Amphitheater oder Zirkusanlagen nicht zuletzt aufgrund des fehlenden Bedarfs zu verfallen oder dienten anderen Zwecken. Angesichts der europaweit – wenngleich in unterschiedlichem Umfang – schrumpfenden Einwohnerzahlen war es nicht nur für Städte in Randlagen des spätrömischen Reichs oft nicht mehr erforderlich, das Wasser wie zuvor über weite Entfernungen mittels Aquädukten heranzuschaffen. Von Missernten einmal abgesehen, erwies sich das Umland jetzt auch als ausreichend zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln. Zur Definition einer früh- oder hochmittelalterlichen Stadt nördlich der Alpen oder auch einer (vor-)städtischen oder stadtähnlichen Siedlung wird zumeist ein ganzes Kriterienbündel herangezogen. Als dessen zentrale Elemente lassen sich eine verdichtete Bebauung, das Überwiegen nicht agrarisch tätiger Einwohner, zentralörtliche Funktionen als Handels- und/oder Produktionszentrum, eine kulturelle oder kultische Mittelpunktfunktion und die Rolle als Verwaltungszentrum nennen. Dagegen erfolgte die Errichtung steinerner Mauern anstelle von Holz-Stein-Erde-Befestigungen als deutlich sichtbares Abgrenzungskriterium zum Umland zumeist erst in der Stauferzeit, teilweise noch später, und Stadtrechtsverleihungen markierten in vielen Fällen erst den Abschluss einer Entwicklung zur Stadt. Freilich muss dem Einwand stattgegeben werden, dass selbst ein solches Kriterienbündel eine Stadt nicht präzise definiert. Besonders die Übergänge zwischen einem großen Dorf und einer Kleinstadt mit stark agrarischer Ausrichtung konnten sich fließend gestalten. Und selbst noch im Spätmittelalter blieb der rechtliche Status einer Siedlung als Stadt zuweilen umstritten.
Vielfach haben Historiker, basierend auf Walter Christallers Modell der zentralen Orte, die unterschiedlich ausgeprägten Mittelpunktfunktionen städtischer Siedlungen als entscheidendes Abgrenzungskriterium gegenüber Dörfern betont. Für das Frühmittelalter und bis weit ins 11. und 12. Jahrhundert hinein, teilweise sogar noch im 13. Jahrhundert, lässt sich von einer okzidentalen Stadt allerdings nicht sprechen, da weder Bürger im Rechtssinn existierten noch überhaupt ein gegenüber dem Landrecht besonderer Status der Bewohner dieser Siedlungen; Formen von Selbstregierung und selbst gesetztes Stadtrecht sucht man gleichfalls vergebens. Diese Merkmale stellt Max Weber, einer der Väter der modernen Soziologie, als spezifische Besonderheiten der europäischen Stadt des Mittelalters in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, grenzen ebendiese Merkmale doch die Entwicklung in Europa von der auf anderen Kontinenten fundamental ab und charakterisieren damit eine Sonderstellung der okzidentalen Städte.13Erst ab dem späten 11. Jahrhundert setzten in Hinblick auf Freizügigkeit und Eigentumsverhältnisse entscheidende Wandlungen ein. In diesem etwa 200 Jahre später abgeschlossenen Prozess fanden die Eigentumsrechte der Stadtbewohner und ihr freies Verfügungsrecht über ihr Erbe zunehmend eine schriftliche Fixierung.
Weitere Vorschläge, die zur Definition der mittelalterlichen Stadt unterbreitet wurden, seien noch kurz angerissen: Eine Stadt sei eben dadurch als solche charakterisiert, dass sie in den Quellen als „Stadt“ bezeichnet werde. Oder von einer Stadt sei dann zu sprechen, wenn der Stadtherr sie willentlich als Stadt gegründet oder zur Stadt erhoben habe. Ein weiterer Ansatz bezieht sich auf das Selbstverständnis der Bewohner: Wir haben es demnach mit einer Stadt zu tun, wenn deren Einwohner sich als Stadtbürger verstanden.14 In diesem Zusammenhang wurde nicht zuletzt auch der alltäglichen städtischen Lebensweise, der Urbanitas, Bedeutung beigemessen. Relativ einfach verfuhr hingegen das Statistische Reichsamt in den 1870er-Jahre, als es in einer ausgesprochen pragmatischen Vorgehensweise alle Siedlungen mit mehr als 2000 Einwohnern zu den Städten zählte.
Daneben gilt es, die Herausbildung von Institutionen und Rechten zu verfolgen, denn gerade in den Städten mussten nicht nur für den Handel und die Produktion infrastrukturelle, rechtliche und institutionelle Voraussetzungen teilweise überhaupt erst geschaffen werden. Eine entsprechende Regelungstendenz betraf zunehmend auch das alltägliche innerstädtische Leben, das Verwaltungshandeln sowie die Stadtfinanzen, wobei sich nicht immer die erste Lösung als Erfolg erwies, sondern die damit befassten Gremien durchaus verschiedene Wege erprobten. Mit zunehmender Häufigkeit dürften sich die werdenden Städte auch untereinander über Möglichkeiten der Problemlösung beraten haben. Beginnend im 11., verstärkt dann im 12. Jahrhundert setzte eine Verrechtlichung und Verschriftlichung vieler Tätigkeitsbereiche ein. Auf zahlreiche neue Fragen und Herausforderungen mussten Antworten gefunden werden. Zu diesem Zweck wurden Statuten zunächst erlassen, dann fortgeschrieben, wurden Stadtrechtstexte erweitert oder umfangreicher formuliert. Bevor sich im Prozess der Kommunebildung eine rechtlich gleichgestellte Bürgerschaft entfalten konnte, mussten die Stadtbewohner sich zunächst aus den persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen von ihren weltlichen und geistlichen Herren befreien. Doch selbst noch im Spätmittelalter erlangte längst nicht jeder Stadtbewohner die persönliche Freiheit. „Stadtluft macht frei“ – jenes geflügelte Wort als Gegenentwurf zu „Luft macht eigen“ bleibt nun einmal eine Erfindung der (Rechts-)Historie des 19. Jahrhunderts.
Die Einwohnerschaft der spätantiken Städte im späteren Reichsgebiet ging – wie vielfach andernorts auch – teilweise ebenso rasch wie drastisch zurück. Häufig lässt sich im Zuge der Christianisierung eine Schwerpunktverlagerung weg von den alten Stadtzentren hin zu neuen Siedlungskernen um Kirchen, Klöster oder Märtyrergräber erkennen, die nicht selten an der Peripherie der alten Städte lagen; für Köln bieten sich St. Gereon, St. Severin oder St. Ursula als Beispiele an. In der Nähe der außerhalb der Städte gelegenen Friedhöfe konnten sich gleichfalls neue Siedlungszellen bilden. So entstand im Fall von Bonn etwa einen Kilometer vom Kastell entfernt im 4. Jahrhundert eine Märtyrerkirche, in deren Umfeld eine neue Siedlung an Gewicht gewann. Im Hochmittelalter überflügelte sie die alte Siedlung bei dem Kastell, welche die Bewohner schließlich gänzlich aufgaben. Derartige Siedlungsverlagerungsprozesse bildeten eine durchaus nicht seltene Erscheinung innerhalb des Transformationsprozesses vom Römischen Reich zum Frankenreich, wobei die spätantiken Kultstätten sich durchaus als ein Kontinuitätselement erweisen konnten. Köln wiederum dürfte nach dem Abzug der römischen Truppen im Jahre 402 in den folgenden Jahrzehnten von den Franken eingenommen worden sein. Hier dürfte sich ein Teilreich herausgebildet haben, denn trotz der Grenzlage suchten etliche Merowingerherrscher in der Folge die Stadt immer wieder auf, was für ihre nicht unerhebliche Bedeutung spricht. Die Mauern dürften noch im 8. Jahrhundert Schutz geboten haben. Wie lange allerdings die steinerne Brücke über den Rhein zwischen Köln und dem rechtsrheinischen Kastell Deutz genutzt werden konnte, bleibt unklar. Constantin hatte den zwischen 308 und 310 begonnenen Bau der etwa 400 Meter langen und rund zehn Meter breiten Brücke angeordnet. Ansonsten überspannte nur eine weitere Steinbrücke den Rhein, jene von Mainz nach Kastell, die 813 abbrannte, was für einen hohen Holzanteil des Bauwerks spricht. Im Frühmittelalter lag der Siedlungsschwerpunkt Kölns schließlich in der östlichen Stadthälfte am Rheinufer. Noch immer kann von einem breiten Handwerksspektrum ausgegangen werden, dessen Produktion sich aber auf einfachere Gegenstände verlagerte. Dazu trat ein vergleichsweise ausgeprägter Handel, der den Wandel der Siedlungsstruktur weitgehend erklärt; hier siedelten sich zudem friesische Händler an.
Drastisch an Bedeutung verlor dagegen die ehemalige Kaiserresidenz Trier. Zwar lebten trotz mehrfacher Plünderung dort weiterhin Einwohner, doch dürfte die Bevölkerungszahl innerhalb der immerhin 285 Hektar Fläche umfassenden Stadtmauer von ungefähr 50.000 im 4. Jahrhundert auf etwa ein Zehntel dieses Wertes um das Jahr 500 zurückgegangen sein. Ein Teil der Einwohnerschaft blieb romanisch geprägt, wenngleich die Stadt zu Beginn des 6. Jahrhunderts Teil des Frankenreichs geworden sein dürfte, wobei sie ihre Grenzlage, allerdings nun im Südwesten des Reichs, unverändert beibehielt. Die Ummauerungen der Städte, die sich nicht selten auf deren Kern beschränkten, und weiterer Siedlungen im Inneren des Römischen Reichs hatten während des 3. Jahrhunderts eingesetzt, als die Verteidigung der Grenzen nicht mehr sicher erschien. Zwei Bischöfe, der aus Aquitanien stammende Nicetius (525/56–566) und Magnerich (566 – nach 586), dominierten Trier in weiten Teilen des 6. Jahrhunderts. Bei ihrer Herrschaft handelte es sich im Kern um ein noch spätantikes Bischofsregiment, erwachsen aus den faktischen Gegebenheiten, begünstigt nicht zuletzt durch die räumliche Ferne der merowingischen Herrscher. Bereits in der Spätantike hatten die Bischöfe oder allgemeiner gesagt die Kirche öffentliche Aufgaben übernommen, ein Phänomen, das sich nach dem Abzug der jeweiligen weltlichen Amtsträger noch stärker ausprägte. Erstmals fand die Trierer Gegend dann 634 als Grafschaft Erwähnung, was für eine Durchsetzung der fränkischen Macht spricht, die freilich nur kurzlebig war. Von etwa 650/700 bis ungefähr 770 herrschten wieder die Bischöfe, wie sich aus den ihnen verliehenen Münz-, Zoll- und Abgabenrechten erkennen lässt. Wahrscheinlich nutzten die Bischöfe die Basilika, die Kaiserthermen hingegen fielen an die fränkischen Könige. Den Trierer Dom hatte Nicetius erneuern und im Umland die Nicetiusburg errichten lassen, deren Bau auf seine über die Stadt hinausgehende Regionalherrschaft verweist. Wahrscheinlich konnte bei derartigen Bauvorhaben auf Material aus den in diesem Zeittraum noch funktionsfähigen Ziegeleien zurückgegriffen werden, spezialisierte Bauhandwerker galt es jedoch in Italien anzuwerben. Die Bischöfe standen mit den merowingischen Königen Theuderich I. (511–533), welcher häufig in Trier residierte, Theudebert I. (533–547), Chlothar I. (558–561) und Sigibert I. (561–575) in engem Kontakt. Allerdings versuchte Theudebert, mithilfe seines Amtsträgers Parthenius wieder reichsweit Steuern einziehen zu lassen – eine nach dem Ende der römischen Herrschaft wohl vorübergehend in Vergessenheit geratene Praxis, welche der Merowinger in Übernahme spätantiker Herrschaftsstrukturen nunmehr wiederzubeleben trachtete. Das Vorhaben brachte indes nicht nur die Franken gegen seinen Verwaltungsfachmann auf, und als Parthenius nach dem Tod Theudeberts in der Hoffnung nach Trier flüchtete, einer Verfolgung in diesem scheinbar ruhigen Grenzraum zu entgehen, wurde er dort kurzerhand erschlagen.15 Innerhalb der Mauern kam dem Dombereich die Rolle als Siedlungszentrum zu, und spätestens im 8. Jahrhundert legten die Bewohner auf den Freiflächen im Stadtbereich Weingärten an. Zwei abwechselnd abgehaltene Märkte belegen die Einbeziehung in den merowingisch-fränkischen Handel. Schwere Schäden fügten im weiteren Verlauf die Normannen der Stadt nach ihrer Einnahme am 5. April 882 zu. Von den Kirchen wurden der Dom, St. Maximin, St. Martin und St. Symphorian erheblich beschädigt oder zerstört; das Ausmaß der Schäden an den Profanbauten ist unklar.
Neben der Entwicklung aus römischem Erbe finden sich auch Ansätze einer eigenständigen Stadtentwicklung in den bisher städtelosen Regionen rechts des Rheins und nördlich der Donau: Höhensiedlungen, die Emporien an den Nord- und Ostseeküsten sowie Burganlagen bzw. geistliche Institute mit benachbarter Handwerker- und/oder Kaufleutesiedlung – eine Anordnung, die als topografischer Dualismus bezeichnet wird. In ähnlicher Weise hatte bereits die Ost- sowie Nordverschiebung des Limes in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts im späteren Südwestdeutschland zur Anlage kleinerer Siedlungen wie Bad Wimpfen, Neuenstadt am Kocher, Pforzheim, Rottenburg oder Rottweil geführt. Eine solche Anlehnung von Markt- und Handwerkersiedlungen an herrschaftliche Befestigungen bot diesen immerhin eine gewisse Sicherheit. Über einen möglicherweise städtischen Charakter keltischer Großsiedlungen etwa in Manching oder auf dem Runden Berg bei Urach herrscht hingegen Uneinigkeit.16 Für das 7. und 8. Jahrhundert lassen sich im Binnenland die an den alten Verkehrsknotenpunkten gelegenen Burganlagen von Würzburg und Erfurt nennen, wo an den Wasserstraßen jeweils Ufermärkte entstanden, sowie Büraburg, das um 850 zugunsten von Fritzlar aufgegeben wurde. Alle drei waren zudem mit Münz- und Marktrecht begabt, ein Umstand, den die Verbindung von Herrensitz und Handwerker- bzw. Händlerniederlassung geradezu dazu prädestinierte, Vorformen urbanen Lebens auszubilden. Im Falle von Magdeburg wurde eine vorkarolingische Burganlage im späteren Dombereich zum Ausgangspunkt der sich anbahnenden Entfaltung als Herrschaftssitz unter König Otto I., als kirchliche Metropole und als Handelsplatz. Ohnehin bildeten Bischofssitze einen wichtigen Anknüpfungspunkt, mussten diese doch nach „kirchenrechtlichen“ Vorschriften stadtsässig sein; das Kirchenrecht sollte seine volle Ausformung allerdings erst im 12. und 13. Jahrhundert unter der Herrschaft der Juristen-Päpste erfahren. Außerhalb des Rhein-Mosel-Raums dürfte freilich in der Folgezeit der Begriff civitas für Bischofssitze in den Quellen verwendet worden sein, ohne dass zwingend von einem urbanen Charakter der Siedlungen ausgegangen werden darf. Neben der familia deckten in solchen Fällen benachbarte Handwerker- und Kaufleuteniederlassungen die Nachfrage der Bischöfe und ihres Umkreises. Im Mittelalter und darüber hinaus umfasste der Begriff familia eben nicht nur die Eltern und ihre Kinder, sondern alle im Haushalt oder in der Hofwirtschaft bzw. der Grundherrschaft tätigen Personen.
Als förderlich für Stadtentstehung und Stadtwerdung erwies sich neben der topografischen Nähe von befestigter Anlage und Siedlung vor allem die dauerhafte Etablierung von Märkten. In karolingischer und ottonischer Zeit, also grob gesagt von der zweiten Hälfte des 8. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts, gelang es den Herrschern, die Einrichtung von Märkten oder zumindest deren nachträgliche Legitimierung von ihrer Zustimmung abhängig zu machen. Das bedeutete in der Regel, dass sie das Marktrecht auf Bitten der Interessenten aufgrund ihres Regalrechts als Privileg verliehen. Allerdings versuchte schon Karl der Kahle sich einen Überblick über die seit der Zeit seines Großvaters Karls des Großen neu eingerichteten Märkte zu verschaffen, inklusive jener, die ohne königliche Zustimmung entstanden waren. Eine Überprüfung sollte die Nützlichkeit der Märkte belegen; erfüllte ein Markt dieses Kriterium nicht, sollte er verboten werden. Ein erstes Marktprivileg ist aus dem Jahre 833 für das Kloster Corvey (Stadt Höxter) überliefert, verbunden mit dem Münzrecht; Würzburg und Corvey wären damit die ersten belegten rechtsrheinischen Münzstätten. Ein Privileg des Jahres 861 für die in der Eifel gelegene Abtei Prüm nennt neben der Verleihung von Markt, Münze und Zoll im Hof Rommersheim einen bestimmten Marktbrauch (mercatum more humano), also eine Art Gewohnheitsrecht. Ein solches setzte die ohnehin nur geringe Überlieferung zum Handel der Merowinger- und Karolingerzeit zumeist voraus, leider ohne es zu erklären oder zu spezifizieren. In der Regel beinhalteten die knappen Urkundentexte neben Empfänger- und Ortsnamen nur die Trias von Markt, Zoll und Münze als erworbene Rechte. Die Marktgerichtsbarkeit wiederum sollte für die Einhaltung des Marktfriedens sorgen.
Vor allem unter Otto I. setzten solche Verleihungen an weltliche und geistliche Große auf breiter Front ein. Sie beinhalteten unverändert neben der Erlaubnis zur Einrichtung von Märkten die Möglichkeit zur Erhebung von Zöllen und das Recht zur Prägung von Münzen, wobei deren Gültigkeit zumeist auf den gewährten Markt beschränkt blieb. Dies schloss üblicherweise die Bestimmung ein, dass alle fremden Münzen vor einem Geschäftsabschluss eingetauscht werden mussten. Dabei hatte der Münzherr abzuwägen zwischen kurzfristigen hohen Einkünften durch Festlegung von für die fremden Händler ungünstigen Zwangskursen und einer langfristigen Sicherung des Markthandels mit moderatem, aber dauerhaftem Gewinn. Schon durch diesen Zwangstausch gewannen die Münzer oder Münzmeister auf den Märkten erheblich an Gewicht. Zolleinkünfte galten den Zeitgenossen als Gegenleistung für die Bereitstellung der Infrastruktur, also der Marktausstattung, der Hafenanlagen oder, wenngleich noch vereinzelt, der hölzernen Brücken. Auch die Sicherstellung des Marktfriedens zählte dazu. Leider sind die einschlägigen Privilegien knapp gehalten und verraten keine Einzelheiten, sodass erneut davon auszugehen ist, dass beiden Seiten zumindest prinzipiell klar war, welche Rechte mit welcher Reichweite die Pergamente beinhalteten. Bei der praktischen Gestaltung der Zolltarife dürften fiskalische Motive rasch eine gewichtige Rolle gespielt haben. Passier- oder Transitzölle blieben hingegen vorerst weitgehend auf das Gebiet des heutigen Bayern und Österreich beschränkt; der Grund könnte in den naturräumlichen Gegebenheiten sowie den Alpenpässen zu finden sein. Für die Territorien am Rhein sollten erst im Spätmittelalter die Rheinzölle als Transitzölle zur wichtigsten Einnahmequelle werden.
Die steigende Anzahl von Märkten, die in erster Linie in den wachsenden Städten angesiedelt waren, ermöglichte es den weltlichen und geistlichen Grundherren, ihre Überschüsse zu veräußern. Hier konnten sie sich im Gegenzug mit begehrter Importware, Luxusartikeln und sonstigen Produkten eindecken, die innerhalb der Grundherrschaften nicht hergestellt werden konnten. Ein durchgängig unentbehrliches Produkt war Salz als das bis weit in die Neuzeit wichtigste Konservierungsmittel. Für Salz kann bereits in diesen Jahrhunderten ein weiträumiger Handel angenommen werden. Es stammte u.a. aus Reichenhall bei Berchtesgaden oder Hallein, später auch aus Schwäbisch Hall und Lüneburg sowie aus weiteren Salinen. Das Wort „Hall“ im Siedlungsnamen verweist übrigens stets auf Salzvorkommen und deren Verarbeitung in oder bei einer Stadt bzw. Siedlung. Als Alternative zum Salz bot sich ausschließlich das Räuchern von Fleisch oder Fisch an, denn im Gegensatz zu Skandinavien oder dem Mittelmeerraum trockneten diese Nahrungsmittel in Mitteleuropa nur schlecht oder gar nicht. Das Konservierungsmittel Salz besaß daher eine hohe Bedeutung als Handelsgut.
Vielfach sicherten sich die Marktherren die Banngewalt, also das Recht, zu gebieten und zu verbieten, sowie die Ausübung der Marktgerichtsbarkeit, um Störungen des Marktfriedens zu ahnden, aber auch Gebühren einzuziehen. Aus diesen Wurzeln entstand auf verschlungenen Wegen ein vom sonstigen Landrecht geschiedenes Marktrecht. Gemeinsam mit etlichen Sonderrechten, die Teile der Fernhändler innehatten, bildete es eine wichtige Basis für die Entstehung von Stadtrechten, ohne dass dieser langwierige Prozess vom Marktort zur Stadt in seinen Details geklärt wäre; letztlich handelt es sich um ein kaum noch zu lösendes Forschungsproblem. Um die erste Jahrtausendwende dürfte es jedenfalls etwa 200 bis 300 Märkte im späteren Deutschland gegeben haben, wobei die höhere Zahl die wahrscheinlichere ist; im 11. Jahrhundert kamen weitere Märkte hinzu. Viele davon wuchsen in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten zu Städten heran; als noch enger erwies sich die Verzahnung von Marktsiedlung, zunehmend als forum bezeichnet, und Stadtwerdung im 12. Jahrhundert.
Allgemein gesagt stimulierte die Verbindung von Markt, Siedlung und Befestigung die Entstehung des hochmittelalterlichen Städtewesens außerhalb des ehemaligen Römischen Reichs maßgeblich. Für die Zeit der Karolinger und darüber hinaus ist dabei charakteristisch, dass diese von ihren Pfalzen aus herrschten und sich kaum mehr in den Städten aufhielten. Zwar entwickelten sich aus etlichen Pfalzen später ebenfalls Städte, doch fehlen stärkere, direkte Impulse der Könige für das Werden der Städte über die Privilegienverleihung (Markt, Münze, Zoll) hinaus in diesem Zeitraum weitgehend. Neben den inneren Unruhen des 9. Jahrhunderts führten die zunehmenden Normanneneinfälle ebenso zum Neubau oder zur Erneuerung von Befestigungen oder Mauerringen, dann im 10. Jahrhundert das Vordringen der Ungarn. Die Sarazenen beunruhigten vornehmlich die nördlichen Küsten des Mittelmeers, und nachdem sie mit Fraxinetum (La Garde-Freinet) 888/89 einen Festlandstützpunkt erobert hatten, griffen sie mit ihren Überfällen sogar bis auf die Alpenpässe aus; erst im Jahr 972 mussten sie diesen Standort aufgeben.
Da die wirtschaftlichen Beziehungen nach Mittel- und Südgallien seit dem 7. Jahrhundert schwächer wurden und dafür der Güteraustausch mit England und Skandinavien in den Vordergrund trat, entstanden in Nordwest- und Nordeuropa von der Somme bis zur Ostsee – neben den erwähnten Siedlungen in den Niederen Landen – als eigenständige Form frühstädtischer Siedlungen sogenannte Emporien. Dabei handelte es sich vornehmlich um Handelsniederlassungen unter königlichem Schutz, in denen jedoch auch Handwerker dauerhaft siedelten. Als Zentren des Fernhandels, aber auch als Produktionsstätten sind vor allem zu nennen: Quentovic an der Canche südlich von Boulogne, dann der nur archäologisch erschlossene vicus Domburg auf Walcheren, Dorestad an der Gabelung von Rhein und Lek sowie weiter östlich die Südsiedlung von Haithabu am Südufer der Schlei, ferner das schwedische Helgö im Mälarsee vom 6. bis zum 8. Jahrhundert. Helgö, eine Vorgängersiedlung Stockholms mit den Zwischenstationen Birka und Sigtuna, lag in einer Region mit hoch entwickelter Metallproduktion, selbst in Haithabu verhütteten die dortigen Handwerker schwedisches Erz. Die beiden Orte verweisen damit auf den sich zeitlich parallel entwickelnden Ostseehandel, der sogar weit darüber hinaus bis in das Kiewer Reich reichte.
Möglicherweise wurde im Frühjahr jedes Jahres in Haithabu an einem relativ festen Termin ein Markt abgehalten, den beispielsweise der norwegische Großbauer, Rentierzüchter und Saisonkaufmann Ottar von Halogaland auf seiner Fahrt über Kaupang, wo er Speckstein an Bord nehmen ließ, besuchte, bevor er vermutlich nach England weitersegelte. Jedenfalls kann vorausgesetzt werden, dass Kaufleute aus den Niederen Landen, Nordfrankreich oder England ebenso wie die friesischen Händler wussten, dass sie in diesem Ostseeemporium auf Skandinavier, Gotländer und Bewohner der südlichen Ostseeküsten trafen, vielleicht sogar schon auf Kaufleute aus dem Gebiet des späteren Russland.17 Etliche friesische Händler ließen sich sogar in der Siedlung nieder, um selbst in den Ostseehandel einzusteigen, und sie brachten ihren Schiffstyp, einen Vorläufer der Kogge, vom Wattenmeer der Nordsee mit an die Ostsee. Die Handelsbeziehungen der in Haithabu ansässigen Kaufleute reichten bis ins Rheinland, nach Dorestadt, zur englischen Küste, nach Norwegen sowie Schweden, in die slawischen Gebiete, eventuell sogar bis auf die Iberische Halbinsel, denn dort befanden sich die nächstgelegenen Vorkommen an Quecksilber, einem für die Feuervergoldung benötigten Metall. Ein im Hafengebiet untergegangenes Frachtschiff lässt eine Ladekapazität von erstaunlichen 60 Tonnen erkennen. Da nur wenige Hinweise auf Viehhaltung in Haithabu vorliegen, muss ein für die damalige Zeit umfangreicher Viehhandel auch mit dem weiteren Umland stattgefunden haben, denn die Knochenfunde deuten auf einen nicht unerheblichen Fleischverzehr hin. In der Siedlung lassen sich holzverarbeitende Gewerbe, Bernstein- und Geweihverarbeitung sowie Glasherstellung, Eisenverhüttung, Feinmetallverarbeitung, Bronzeguss und Goldschmieden nachweisen, was für eine erhebliche gewerbliche Diversifikation und Spezialisierung der Handwerker spricht. Kämme fertigten die Produzenten überwiegend aus Rothirschgeweih, wobei sie die Tiere zumeist nicht selbst erlegten, sondern die Geweihe importierten; in der Spätzeit fand Rengeweih in größerem Umfang Verwendung.
Archäologische Befunde etwa aus Haithabu lassen weiterhin erkennen, dass im Norden nicht nur der Handel mit Luxusgütern Bedeutung besaß, sondern daneben Waren des täglichen Bedarfs wie Getreide, Wein, Textilien oder Metallwaren gehandelt wurden. Aus dem Osten Europas gelangten vornehmlich Pelze, Wachs, Honig und nicht zuletzt Sklaven in die Mitte, den Süden sowie den Westen Europas. Von Dorestad und Quentowik aus standen die Kaufleute auch mit Hamwic an der englischen Kanalküste unweit des heutigen Southampton in Handelsverbindung. Gemeinsam ist allen Emporien, dass sie trotz zentralörtlicher Funktionen – wobei der Fernhandel stets vor der handwerklichen Produktion im Zentrum stand – jeweils nur etwa zwei Jahrhunderte überdauerten. Dorestad plünderten die Normannen im 9. Jahrhundert relativ regelmäßig, und Haithabu dürfte in den kriegerischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im Ostseeraum noch vor der Mitte des 11. Jahrhunderts endgültig untergegangen sein. Als Hauptgrund für den bereits zuvor einsetzenden Bedeutungsverlust gilt allerdings das Verlanden des Hafens, weshalb schon im 10. Jahrhundert Schleswig dessen Funktion sukzessive übernahm und eine vorübergehende Blüte erlebte. Bei den anderen Emporien bleiben die Gründe für ihr Ende weitgehend unklar.