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Bevölkerungsentwicklung
ОглавлениеWährend der Spätantike und des Frühmittelalters sank die Bevölkerungszahl in Europa deutlich, verstärkt durch die seit der Mitte des 6. Jahrhunderts auftretende „Justinianische Pest“, sodass für die Mitte des folgenden Säkulums die Bevölkerung Europas auf nur noch etwa 18 Millionen Köpfe geschätzt wird. Anschließend an diesen lang andauernden Transformationsprozess ist eine erste leichte Erholung zu vermuten. Ein deutlicher, wenngleich keinesfalls mit der stürmischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts vergleichbarer Anstieg erfolgte dann seit dem 10. Jahrhundert, und für die erste Jahrtausendwende wird die Bevölkerungszahl für Europa mit 38,5 Millionen angegeben. Allerdings beruhen alle diese Zahlenangaben auf Schätzungen, mögliche Abweichungen um ungefähr einem Fünftel nach oben oder unten müssen stets einkalkuliert werden. 1340 belief sich die Bevölkerung auf eine Zahl von ungefähr 73,5 Millionen Menschen, doch dürfte der Höchstwert bereits im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts erreicht worden sein, bevor im zweiten Dezennium die europaweite Hungersnot eine Vielzahl von Toten forderte. Eine zeitlich parallele Wärmephase begleitete das Bevölkerungswachstum bzw. leitete es vielleicht sogar maßgeblich ein. Dabei erfolgte der Bevölkerungsanstieg vom Ende des 10. bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts regional wie überregional ungleichmäßig, denn vor allem West- und Mitteleuropa wiesen hohe Wachstumsraten auf – hier verdreifachte sich in etwa die Einwohnerschaft während dieser Zeitspanne. Das zuvor dominierende Südeuropa musste sich dagegen mit geringeren Wachstumszahlen begnügen. Zu einem drastischen Einbruch führte schließlich die 1347/51 wütende Pest, welcher schätzungsweise ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Dagegen kostete der Zweite Weltkrieg „gerade einmal“ etwa fünf Prozent der Einwohner Europas das Leben. Daneben muss für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, aber auch die Zeiten davor und danach, von einer hohen Kinder- und Säuglingssterblichkeit ausgegangen werden, denn etwa ein Viertel bis ein Drittel der Allerjüngsten überlebte schon das erste Lebensjahr nicht. Für 1500 werden Bevölkerungszahlen von 50 Millionen oder auch 84 Millionen Menschen vorgeschlagen, was die immensen Unsicherheiten derartiger rückblickender Schätzungen verdeutlicht.18
Tendenziell seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, vielleicht schon seit dessen Jahrhundertmitte, und nochmals verstärkt im folgenden Jahrhundert lässt sich wieder ein Bevölkerungswachstum erkennen, wobei dessen Quantifizierung aufgrund der unzureichenden Quellenbasis schwierig bleibt. Erst die im späten 16. Jahrhundert zunächst vereinzelt einsetzenden Kirchenbücher mit ihren Aufzeichnungen von Geburts- und Sterbedaten bildeten hinfort zumindest ansatzweise eine Grundlage für die historische Demografie. Für die Kameralisten des 17. und 18. Jahrhunderts galt Bevölkerungswachstum jedenfalls als die zentrale Voraussetzung für Wirtschaftswachstum; eine systematischere Peuplierungspolitik verfolgten daher etliche Territorialherren nach dem Dreißigjährigen Krieg. Wachstumslimitierend wirkte sich jedoch bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg die Klimaverschlechterung der wohl gegen 1580 massiv einsetzenden „Kleinen Eiszeit“ aus.19 Den Dreißigjährigen Krieg selbst begleitete ein drastischer Bevölkerungseinbruch, der allerdings regional wiederum große Unterschiede aufwies. So blieb beispielsweise Hamburg von den Kriegshandlungen verschont, und die Kommune legte als Hafenstadt in diesen Jahrzehnten die Basis für den folgenden Aufstieg. Auch Köln entfaltete gerade während dieser Auseinandersetzungen umfangreiche Aktivitäten als Drehscheibe des Waffenhandels und Umschlagplatz weiterer kriegsnotwendiger Waren und Produkte, welche alle kriegsbeteiligten Parteien von dort bezogen. Dagegen erwiesen sich seit den 1630er-Jahren weite Teile Frankens und Bayerns als ebenso schwer getroffen wie Hessen, Thüringen, das Elsass, die Kurpfalz oder etliche Regionen in Württemberg. Dabei starben die Menschen weniger aufgrund direkter Kriegshandlungen, sondern vielmehr an deren Begleiterscheinungen und Folgen wie der Verwüstung der Felder und Äcker, dem Raub des Viehs sowie dem gehäuften Auftreten von Epidemien wie der Pest vor allem in den 1630er-Jahren.